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Kapitel 4: Debatte um das jugoslawische Modell

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Der jugoslawische Weg übte in den 1960er-Jahren eine große Anziehungskraft auf linke sozialdemokratische Kreise im Westen und auch in der „Dritten Welt“ aus. Nach dem Bruch mit der Sowjetunion 1948 hatte sich Jugoslawien zu einem der führenden Staaten der „Blockfreien-Bewegung“ entwickelt, die für eine Alternative zur Teilung der Welt in ein US-amerikanisches und sowjetisches Lager stand. In den 1950ern führte die Regierung unter Tito in ausdrücklicher Abgrenzung zum sowjetischen Modell in den Fabriken schrittweise eine „Arbeiterselbstverwaltung“ ein. Die Belegschaft sollte ihr Management selbst wählen, in wichtigen Angelegenheiten der Betriebe ein Mitspracherecht haben und an Gewinnen beteiligt werden. Die Vorgaben der Planungsbehörden wurden abgebaut und Betriebe sollten gegeneinander konkurrieren. Die Parteiführung sah „Arbeiterselbstverwaltung“ als wichtigen Schritt zur Vergesellschaftung der Produktionsmittel in Abgrenzung zum Konzept der Verstaatlichung im sowjetischen „etatistischen“ Modell.

Dieses Buch dokumentiert einen Text des jugoslawischen Soziologen Rudi Supek (1973), der ein Anhänger dieses Modells war und eine Ausweitung der Selbstverwaltung befürwortete. Supek gehörte seit 1966 zur Redaktion der Zeitschrift Praxis. Die „Praxis-Gruppe“ stand für einen „humanistischen Marxismus“ und hatte über Jugoslawien hinaus Einfluss auf die westliche Neue Linke. Supek wendet sich gegen Strömungen in der jugoslawischen Partei, die entweder zu einem etatistischen Modell zurückwollen oder Reformen im Sinne eines wirtschaftlichen Liberalismus anstreben. Supek führt gegen beide Strömungen Marx ins Feld. Er zitiert Marxens Kritik an der Arbeitsteilung in der bürgerlichen Gesellschaft, die die Menschen in entfremdete Teilindividuen als BürgerInnen, Produzierende und Konsumierende spalte. Die Prinzipien der Selbstverwaltung müssen daher nicht nur in der Produktion angewendet, sondern auch auf die Verteilung und den Konsumbereich ausgeweitet werden. Der Mehrwert, den die ArbeiterInnen produzieren, dürfe nicht zu einer Form unabhängiger wirtschaftlicher Macht werden, die eine privilegierte Gruppe kontrolliere. Um dies zu verhindern, sollten die Organe der direkten Demokratie auf den verschiedenen Ebenen der Gesellschaft über die Verwendung entscheiden können. Die „Praxis-Gruppe“ diskutierte die Selbstverwaltung vor allem im Zusammenhang mit Marxens Kritik an Entfremdung und Arbeitsteilung.

Andere jugoslawische Ökonomen wie Branko Horvat, die auch übersetzt und international diskutiert wurden, betonten hingegen stärker den Aspekt des Wettbewerbes zwischen Betrieben sowie die Entfaltung von Marktmechanismen.46 Der in diesem Buch dokumentierte Aufsatz des trotzkistischen Ökonomen Ernest Mandel (1967) unterzog die jugoslawische Theorie am Beispiel der Schriften von Horvat einer grundlegenden Kritik. Als Trotzkist begrüßt Mandel zwar die jugoslawischen Versuche des Abbaus des zentralen bürokratischen Apparates. Er befürchtet aber, dass durch die große Autonomie der Betriebsleitungen die Bürokratie auf kommunaler und Fabrikebene gestärkt werde. Am Wettbewerb der Fabriken über den Markt moniert Mandel, dass einige Anbietende ihre Monopolstellung ausnutzen würden, um höhere Preise zu verlangen. Außerdem führe der Profitanreiz dazu, dass zum Beispiel Luxusgüter oder für den Export produziert werde, obwohl die Grundbedürfnisse im Land noch nicht befriedigt seien. Vom Wettbewerb profitierten eher die entwickelten Regionen, da sie mehr Investitionen als die rückständigeren Teile anziehen würden. Dieses Argument wurde später bei der linken Kritik des jugoslawischen Staats vorgebracht, die in der unterschiedlichen Entwicklung die Ursache der Zuspitzung der Konflikte zwischen den Teilrepubliken und damit den verschiedenen Nationalitäten erkannte. Am Ende argumentiert Mandel, dass das System der „Arbeiterselbstverwaltung“ unter Konkurrenzbedingungen des Marktes das Proletariat atomisiere. Er sieht sich als Anhänger eines Mittelweges zwischen der „stalinistischen Überzentralisierung“ und der Überdezen­tralisierung in Jugoslawien.

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