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Kirchenangebot und Austritte

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Mittlerweile scheint das Machtstreben der Kirche an Grenzen zu kommen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte erleben die Kirchen in wachsendem Maß Austritte aus ihrem Verbund von hineingeborenen Mitgliedern. In der evangelischen Kirche ist eine deutlich wachsende Tendenz zur Bildung von sich abspaltenden Privatgemeinden zu beobachten, die alte Zöpfe abschneiden und ihr eigenes Glaubensverständnis praktizieren wollen. Diese Organisationen finanzieren sich selbst. So sollten es auch die Großkirchen handhaben, statt aufgrund althergebrachter Sitte, sich vom Steuerzahler aushalten zu lassen. Es ist keine besondere Überraschung, dass einige dieser Interessensgruppen gemeinschaftlich aus der offiziellen Kirche ausgetreten sind.

Im Jahr 1990 gehörten der römisch-katholischen Kirche in Deutschland 28,5 Millionen Mitglieder an, das repräsentierte rund 35,4 % der Bevölkerung. 20 Jahre später ist die Mitgliederzahl auf 24,2 Millionen Personen geschrumpft. Das repräsentiert rund 29,9 % der Bevölkerung. Bei der heutigen Austrittsrate wird die katholische Kirche innerhalb Europas in den nächsten 50 Jahren auf weniger als die Hälfte ihrer Mitglieder schrumpfen. Dann repräsentiert sie wahrscheinlich nur noch rund 12,5 % der Bevölkerung.

Sie stellt dann nur noch ein Achtel der Gesellschaft dar und bewegt sich am Rand der Bedeutungslosigkeit. Einer politischen Partei mit diesem geringen Stimmenpotenzial würde man den Terminus Volkspartei nicht zugestehen. Noch ungefähr eine gute Generationsphase ist Zeit, sich auf brauchbare, annehmbare Beiträge zum allgemeinen Leben zu besinnen, die dem Wertesystem der Zeit von heute und morgen genügen. Dass diese Zeit genutzt wird, kündigt sich momentan nicht an.

Als Hauptgrund für die zunehmende Zahl der Kirchenaustritte wird offiziell die Einsparung der Kirchensteuer genannt. Das ist auf jeden Fall ein hartes Faktum. Das heißt, dass der Austretende glaubt, keinen passenden Gegenwert für seine Kirchensteuer zu erhalten. Bei genauem Hinsehen stellt sich aber unter Umständen heraus, dass trotz des Kirchenaustritts von der Kirchengemeinde das sogenannte besondere Kirchgeld verlangt wird. Das fällt in glaubensverschiedener Ehe solange an, wie einer der Ehepartner in der Kirchengemeinde verbleibt. Wenn also nicht beide austreten, kassiert die Kirche trotzdem, allerdings verdeckt.

Aber es gibt auch schwerwiegende weiche Faktoren. Es stellt sich die Frage, ob die kirchliche Lehre dem Einzelnen noch etwas sagt, und ob das verschrobene, in Ritualen und Garderoben verkrustete Erscheinungsbild noch zeitgemäß ist. Wenn sie die jungen Menschen nicht mehr begeistern kann, und durch Drohungen mit abstrakten Strafen auch nicht mehr genügend verängstigen kann, sieht die Zukunft nicht gut aus.

Ohne spürbaren "added value", den zusätzlichen Wert, zu liefern, den die Gesellschaft heutzutage erwartet, kann auch eine Kirche nicht länger existieren. Die Esoterik der Religion reicht nicht mehr. Der Erfolg von Kirchentagen als Attraktion für Jugendliche wird falsch eingeschätzt. Das zeigen professionelle Umfrage-Ergebnisse. Den jungen Menschen geht es dabei in erster Linie um das gesellschaftliche Großereignis, der geistliche Inhalt wird dabei in Kauf genommen. Der frühere Kirchen-Slogan "Gemeinschaft durch Glaube" hat sich heute in "Glaube durch Gemeinschaft" gewandelt.

Behauptung statt Wahrheit

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