Читать книгу Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz / Verwaltungszustellungsgesetz - Eva-Maria Kremer - Страница 47
a) Leistungsbescheid
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Durch den Leistungsbescheid wird der Schuldner mit genauer Angabe der Höhe und des Grundes der geschuldeten Leistung unmissverständlich zur Zahlung aufgefordert. Bei ihm handelt es sich regelmäßig um die hoheitliche Entscheidung einer Verwaltungsbehörde zur Regelung eines Einzelfalles mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen, mithin um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG. Selbstverständlich ist materielle Vorbedingung für den Erlass eines Leistungsbescheides, dass die Verwaltungsbehörden auf Grund obrigkeitlicher Gewalt entscheiden darf. Denn die Vollstreckungsgewalt der Behörde entspricht ihrer Verfügungsgewalt (BVerwG U 21.9.1966 – 5 C 155/65, juris Rn. 25 = BVerwGE 25, 72 (77 f.)). Maßgebend ist also, dass die Behörde einen Verwaltungsakt erlassen darf.
Diese zuständige Behörde darf aber eine juristische Person des Privatrechts nicht ohne gesetzliche Grundlage ermächtigen, an ihrer Stelle den Leistungsbescheid zu erlassen. Er wäre nichtig (VGH Kassel B 17.3.2010 – 5 A 3242/09.Z, juris = NVwZ 2010, 1254).
Steht der Gläubigerbehörde außer einer Hauptforderung auch eine Nebenforderung zu, kann sie einen gemeinsamen Leistungsbescheid erlassen. Will sie aber wegen der beiden Forderungen getrennt vollstrecken, dann muss sie für ihre Forderungen getrennte Leistungsbescheide erlassen (vgl. VG Lüneburg U 14.4.2010 – 3 A 91/08 –, juris = NVwZ-RR 2010, 590).
Nach § 254 Abs. 1 S. 1 AO gehört zu den Voraussetzungen für den Beginn der Vollstreckung ein Leistungsgebot. Dessen Legaldefinition besagt, dass der „Vollstreckungsschuldner zur Leistung oder Duldung oder Unterlassung aufgefordert worden“ sein muss. Leistungsgebot ist eine andere Bezeichnung für den Leistungsbescheid. Auch das Leistungsgebot ist ein Verwaltungsakt (BFH U 22.10.2002 – VII R 56/00, juris = NJW 2003, 1070; OVG Münster B 6.10.1993 – 3 A 2828/88, juris = NVwZ-RR 1994, 414).
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Ein Festsetzungsbescheid, der lediglich feststellt, dass eine Zahlungsverpflichtung in bestimmter Höhe besteht, ist kein Leistungsbescheid. Denn er ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt im Sinne von § 80 Abs. 1 S. 2 VwGO, der noch keine Zahlungsforderung enthält (vgl. VG Gera B 6.5.2004 – 5 E 71/04, juris = NVwZ-RR 2005, 5; Bader/Funke-Kaiser, § 80 Rn. 32).
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Hat ein Vorverfahren stattgefunden, ist Voraussetzung für die Einleitung der Vollstreckung entsprechend § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der ursprüngliche Leistungsbescheid in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. So kann der Widerspruchsbescheid die Aufforderung an den Schuldner enthalten, die Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer bestimmten Zahlstelle zu erbringen (OVG Lüneburg B 13.9.1994 – 9 M 4213/94, juris = KKZ 1996, 12).
Die Widerspruchsbehörde muss beachten, dass der Widerspruchsbescheid gegenüber dem Leistungsbescheid grundsätzlich keine Verschlechterung enthalten darf. Denn hier gilt das überlieferte Verbot der reformatio in pejus (vgl. OVG Weimar U 21.7.2010 – 4 KO 173/08, juris = LKV 2011, 92).
Im Klageverfahren kann das Gericht Bestimmungen über den Inhalt eines Leistungsbescheides treffen. Das ergibt sich aus § 113 Abs. 2 VwGO (BVerwG U 3.6.2010 – 9 C 4/09, juris = BVerwGE 137, 105).
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Der Leistungsbescheid muss den tatsächlichen Vollstreckungsschuldner benennen. Denn ein irrtümlich an einen Nichtschuldner gerichteter Bescheid kann nach Erlöschen der Forderung nicht mehr durch Auswechslung der Schuldnerbezeichnung berichtigt werden (VGH München U 15.12.1989 – 23 B 87.03459, juris = NVwZ-RR 1990, 393).
Man beachte die Handlungsunfähigkeit von Minderjährigen. So kann zum Beispiel ein Zwölfjähriger nicht Gebührenschuldner eines von ihm veranlassten Polizeieinsatzes sein (VGH Kassel B 23.3.2011 – 5 A 2224/10.Z, juris = NVwZ 2011, 893).
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Die zuständige Verwaltungsbehörde erlässt Leistungsbescheide nicht nur in eigener Sache als Gläubiger, sondern auch als Aufsichtsbehörde für beliehene Unternehmer. Das ist zum Beispiel bei dem Bezirksschornsteinfegermeister der Fall. Dieser nimmt zwar Aufgaben der öffentlichen Gewalt wahr und ist deshalb Behörde im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG. Er ist jedoch gesetzlich nicht dazu ermächtigt, die Gebühren selbst durch Leistungsbescheid festzusetzen und beitreiben zu lassen. Insoweit wird auf seinen Antrag die Aufsichtsbehörde für ihn tätig (BVerwG B 18.12.1989 – 8 B 141/89, juris = BVerwGE 84, 244; VGH Mannheim U 29.7.1993 – 2 S. 246/93, juris = NVwZ 1994, 1135).
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Jedoch kann der beliehene Unternehmer nach Landesrecht auch ermächtigt sein, einen Leistungsbescheid zu erlassen. Das ist zum Beispiel im Berliner Bauordnungsrecht der Fall: Der Prüfingenieur für Baustatik hat die Kosten gegenüber dem Bauherrn, der zur Zahlung verpflichtet ist, selbst geltend zu machen. Die Kosten werden auf Antrag des Prüfingenieurs im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben. Die Vollstreckungsanordnung erlässt die zuständige Baubehörde. Das gilt u.a. gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 4 VwVGBbg auch im Land Brandenburg (VG Potsdam B 20.2.2002 – 5 L 1142/01, juris, NVwZ-RR 2002, 624 L). Die Behörde ist weisungsbefugt (vgl. VGH Mannheim B 30.1.2003 – 5 S 492/01, juris = BauR 2003, 1368). Vergleichbares gilt für einen öffentlich bestellten Vermessungsingenieur (OVG Magdeburg U 14.5.2009 – 2 L 78/08, juris = LKV 2009, 329).
Zum Unterschied zwischen dem beliehenen Unternehmer und dem Privaten als nachgeordneter Geschäftsbesorger einer Behörde wird auf die Erklärung in der Randnummer 26 verwiesen.
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Soll aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts zugunsten der öffentlichen Hand vollstreckt werden, setzt das keinen Leistungsbescheid der Gläubigerbehörde voraus (VG Bremen B 13.2.1998 – 2 KE 179/98, juris = NJW 1998, 2378). Denn der Kostenfestsetzungsbeschluss ist ein originärer und damit vorrangiger Leistungsbescheid des Gerichts.
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Einen besonderen Leistungsbescheid gibt es in Bayern: Gemäß Art. 31 Abs. 3 S. 2 VwZVG ist die Androhung eines Zwangsgeldes ein Leistungsbescheid (VGH München B 15.6.2000 – 4 B 98.775, juris = NJW 2000, 3297; VGH München B 18.10.1993 – 24 B 93/92, juris = NVwZ-RR 1994, 548; BayObLG U 25.5.1999 – 2 Z RR 670/98, juris = NVwZ-RR 1999, 785).
Bei der Regelung des Art. 31 Abs. 3 S. 2 VwZVG handelt es sich um einen aufschiebend bedingten Leistungsbescheid über eine Geldforderung. Sie entsteht und wird fällig, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind (VGH München B 11.7.2001 – 1 ZB 01.1255 , juris Rn. 13 ff. = NVwZ-RR 2002, 608 (609)):
– | Während des maßgeblichen Zeitraums bzw. zum maßgeblichen Zeitpunkt müssen alle Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben sein. Die Vollstreckungsvoraussetzungen müssen nicht nur bei Ablauf der gemäß Art. 36 Abs. 1 S. 2 VwZVG bestimmten Frist, innerhalb welcher dem Pflichtigen der Vollzug billigerweise zugemutet werden kann, sondern auch schon während des davorliegenden Zeitraumes bestehen. |
– | Bei Ablauf der zumutbaren Erfüllungsfrist des Art. 36 Abs. 1 S. 2 VwZVG muss die Verpflichtung aus dem Grundverwaltungsakt noch nicht erfüllt sein. Damit ist nach Art. 31 Abs. 3 S. 3 i.V.m. Art. 31 Abs. 1 VwZVG die Zwangsgeldforderung fällig. |
Hiernach ist die Androhung des Zwangsgeldes erst dann ein vollstreckbarer Leistungsbescheid, wenn beide Bedingungen eingetreten sind.
Wird die Verpflichtung nicht innerhalb der in der Androhung bestimmten Frist erfüllt, so kann die Vollstreckungsbehörde nach Art. 37 Abs. 1 S. l VwZVG das angedrohte Zwangsmittel anwenden.
Allerdings hat die Behörde vor der Beitreibung des Zwangsgeldes ein „Anwendungsermessen“ auszuüben (so VGH München B 20.12.2001 – 1 ZE 01.2820, juris = NVwZ-RR 2002, 809). Das bedeutet: Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verlangt, dass die Rechte des Betroffenen bei der Ausübung des in Art. 37 Abs. 1 VwZVG eingeräumten Anwendungsermessens berücksichtigt werden.
In der Regel wird es ermessensfehlerhaft sein, das Zwangsmittel bereits vor der Entscheidung des Gerichts über einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuwenden. Denn der Betroffene kann grundsätzlich beanspruchen, dass ein Zwangsmittel zumindest bis zur Entscheidung der ersten gerichtlichen Instanz nicht angewendet wird.
Ferner müsste die Behörde während des anhängigen Antragsverfahrens mit einem „Hängebeschluss“ als Zwischenentscheidung des Gerichts rechnen (§ 6 Rn. 227). Eine Ausnahme kann etwa dann in Betracht kommen, wenn der Betroffene den Rechtsschutzantrag erst kurz vor Ablauf einer im Sinne von Art. 36 Abs. 1 S. 2 VwZVG zumutbaren Erfüllungsfrist gestellt hat.
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Der Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde ist ebenfalls ein Leistungsbescheid im Sinne des § 3 Abs. 2 Buchst. a VwVG. Mit ihm ahndet die Behörde gemäß §§ 35, 46 Abs. 2, 65, 66 OWiG Verwaltungsunrecht. Ein Bußgeldbescheid ist vollstreckbar, wenn er rechtskräftig geworden ist (§ 89 OWiG). Er wird nach den Vorschriften des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes oder nach den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften vollstreckt. Das bestimmt § 90 Abs. 1 OWiG. Für die Vollstreckung ist die Verwaltungsbehörde zuständig, die den Bußgeldbescheid erlassen hat (§ 92 OWiG).
Ordnungswidrigkeiten gehören nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Bereich des Strafrechts. Denn die Gesetzgebungskompetenz „Strafrecht“ des Art. 74 Nr. 1 GG umfasst hiernach nicht nur das Strafrecht im herkömmlichen Sinne, sondern auch das Ordnungswidrigkeitenrecht (BVerfG B 16.7.1969 – 2 BvL 2/69, juris = BVerfGE 27, 18).
Rechtshistorischer Rückblick: Die jetzt so bezeichneten Ordnungswidrigkeiten waren früher im Strafgesetzbuch als „Übertretungen“ enthalten und in den weggefallenen §§ 360 bis 370 StGB als Straftatbestände ausgewiesen. Das führte zu dem untragbaren Zustand, dass unzählige redliche Menschen „vorbestraft“ waren.
Daraus ergibt sich, dass der Bußgeldbescheid kein Verwaltungsakt nach der Legaldefinition in § 35 VwVfG sein kann (umstritten, vgl. Engelhardt/App/Schlatmann, § 1 Rn. 6). Ein solcher Verwaltungsakt ist nämlich die rein wertneutrale Regelung eines Falles ohne Bezug zu einem etwaigen schuldhaften Verhalten des Betreffenden. Eingriffe und Zwangsmaßnahmen sind also von jeglicher Schuld unabhängig (§ 6 Rn. 266; § 9 Rn. 16 f.).
Im Gegensatz dazu ist ein Fehlverhalten des Betreffenden die gesetzliche Grundlage eines Bußgeldbescheides (§ 1 OWiG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört zwar zum Wesen der Ordnungswidrigkeit, „dass der Schuldvorwurf die Sphäre des Ethischen nicht erreicht“ (BVerfG B 4.2.1959 – 1 BvR 197/53, juris = BVerfGE 9, 167, 171). Folglich ist das Verwaltungsunrecht nicht kriminell. Aber es ist doch Unrecht. Es enthält nämlich laut vorstehender Entscheidung des BVerfG einen „Schuldvorwurf“. Das ist der Unterschied zum Verwaltungsakt des § 35 S. 1 VwVfG im Bereich des allgemeinen Verwaltungsrechts.
Rechtlich ist der Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde ein Justizverwaltungsakt spezialgesetzlicher Natur. Denn die Behörde erlässt ihn gemäß § 46 OWiG auf dem Gebiet der Strafrechtspflege. Aus § 71 Abs. 1 OWiG folgt, dass der Bußgeldbescheid den Rang eines Strafbefehls hat. Über seine Rechtmäßigkeit entscheidet nach § 23 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz und § 68 OWiG das ordentliche Gericht. Diese Kompetenz liegt mithin nicht bei dem Verwaltungsgericht; für dieses Gericht gelten vielmehr die §§ 40 Abs. 1, 42, 68 ff. VwGO.
Des Weiteren ist diese Rechtslage auch für den Fall von Bedeutung, dass der Vollstreckungsschuldner analog § 5 Abs. 1 VwVG i.V.m. § 256 AO Einwendungen erheben sollte. – Insoweit wird auf die Erläuterungen in § 5 Rn. 20 Bezug genommen.
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Ferner ist die Disziplinarentscheidung der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichts über die Kürzung der Dienstbezüge des Beamten ein Leistungsbescheid im Sinne des § 3 Abs. 2 Buchst a. Hier besteht folgende Rechtslage:
Gemäß § 33 BDG kann die Verwaltungsbehörde eine entsprechende Disziplinarverfügung erlassen. Sie ist ein Verwaltungsakt allgemeiner Art. Für die Vollstreckung aus diesem Leistungsbescheid finden die Regelungen des § 3 also unmittelbar Anwendung.
Das Disziplinarrecht der Bundesländer entspricht allgemein dem Recht des Bundes (vgl. VGH Mannheim B 18.11.2009 – 16 S 1921/09, juris = NVwZ-RR 2010, 277).
Anders ist es im Bereich der Disziplinargerichtsbarkeit. Zunächst kann das Verwaltungsgericht nach § 59 BDG einen Disziplinarbeschluss fassen. Sodann kann es gemäß § 60 BDG durch Disziplinarurteil erkennen. Die disziplinargerichtliche Entscheidung hat unmittelbar eine Minderung des gesetzlichen Anspruchs auf Besoldung zur Folge und modifiziert den Grundsatz des § 2 Abs. 1 BBesG einengend, dass die Besoldung ausschließlich durch Gesetz bestimmt wird (BVerwG U 28.2.2002 – 2 C 2/01, juris Rn. 11 = BVerwGE 116, 74 (75)). Also ist eine solche Gerichtsentscheidung in ihrer rechtlichen Gestaltungswirkung ein sogleich vollstreckungsfähiger Leistungsbescheid, wie ihn § 3 Abs. 2 Buchst. a voraussetzt. Das ist ein Rechtsakt besonderer Art (sui generis).
Nach § 8 Abs. 2 BDG beginnt die Kürzung der Dienstbezüge in allen vorstehenden Fällen mit dem Kalendermonat, der auf den Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung folgt. Bei der Disziplinarverfügung der Verwaltungsbehörde ist das die Unanfechtbarkeit dieses Verwaltungsaktes. Bei dem Disziplinarbeschluss und dem Disziplinarurteil des Verwaltungsgerichts ist das die Rechtskraft dieser Entscheidung. Gemäß § 59 Abs. 2 BDG steht der rechtskräftige Beschluss einem rechtskräftigen Urteil gleich.
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Eine Vollstreckungsmaßnahme ohne Leistungsbescheid ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht nach § 125 Abs. 1 AO offensichtlich nichtig, sondern nur rechtswidrig (BFH U 22.10.2002 – VII R 56/00, juris = NJW 2003, 1070). Sie ist also wirksam. Aber sie ist anfechtbar und kann vom Gericht aufgehoben werden. Der Betroffene muss sich wehren. Die Vollstreckungsmaßnahme kann auch nicht dadurch „geheilt“ werden, dass nachträglich ein Leistungsbescheid für die bereits durchgeführte Handlung erlassen wird. Hier muss vielmehr ein neuer Leistungsbescheid erlassen und damit die Vollstreckungsgrundlage für eine etwa notwendige Vollstreckung geschaffen werden. Das gilt auch für § 44 Abs. 1 VwVfG.
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Bei einem Darlehen der öffentlichen Hand kann in folgenden Fällen kein Leistungsbescheid ergehen:
Die Behörde bewilligt ein zinsloses Darlehen zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft (BVerwG U 8.9.2005 – 3 C 50/04, juris = NJW 2006, 536): Hierbei kommt nach dem Willen der Behörde und des Antragstellers die Zwei-Stufen-Theorie zur Anwendung. Das bedeutet: Zunächst bewilligt die Behörde das Darlehen durch Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG). Sodann wird das Darlehen auf Grund eines zivilrechtlichen Darlehensvertrages ausgezahlt. Infolgedessen kann das Darlehen bei Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheides nicht nach § 49a VwVfG durch Verwaltungsakt zurückgefordert werden. Ein Leistungsbescheid gemäß § 3 Abs. 2 Buchst a ist also ausgeschlossen.
Die Behörde bewilligt ein Darlehen zum Bau eines Familienheims (BVerwG U 25.10.1972 – 8 C 179/71, juris = BVerwGE 41, 127): Der Streit zwischen dem öffentlichen Darlehensgeber und dem Darlehensnehmer über die Pflicht zur sofortigen Rückzahlung nach Kündigung des Darlehens ist eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit. Auch in diesem Fall kommt die Zwei-Stufen-Theorie zur Anwendung.
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Als Grundverwaltungsakt kann der Leistungsbescheid selbst noch keine Maßnahme der Vollstreckung, sondern ausschließlich deren Voraussetzung sein. „Der Leistungsbescheid ist, wie sich aus § 3 Abs. 2 Buchst. a VwVG ergibt, Voraussetzung, nicht aber Maßnahme der Vollstreckung.“ (So: BVerwG U 28.6.1968 – 7 C 118/66, juris = NJW 1969, 809. Ebenso: BFH B 4.7.1986 – VII B 151/85, juris = NVwZ 1987, 535).
Auch seinem Wesen nach kann ein Leistungsbescheid keine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung sein. Denn er ist nur die Grundlage für die Vollstreckung wegen Geldforderungen. Darum heißt es in § 3 Abs. 2, dass der Leistungsbescheid Voraussetzung für die Einleitung der Vollstreckung ist (vgl. OVG Münster B 29.11.1966 – 7 B 455/66, juris = NJW 1967, 1980; OVG Münster B 26.9.1983 – 4 B 1650/83, juris = NJW 1984, 2844; OVG Bautzen B 21.2.2003 – 4 BS. 435/02, juris = NVwZ-RR 2003, 475). Damit wird die in § 3 Abs. 1 angeordnete Vollstreckung in Gang gesetzt.
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Inhalt eines Leistungsbescheides kann auch die Vorauszahlung von Kosten für die vorgesehene Vollstreckung sein. Das ist bei der Vorauszahlung von Kosten einer Ersatzvornahme der Fall (§ 13 Rn. 22). Ferner trifft es auf die Vorauszahlung von Kosten zu, die wegen der Abschiebung eines Ausländers entstehen (OVG Hamburg B 4.5.2000 – 3 Bs 422/98, juris = DÖV 2000, 780).
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Hieraus folgt, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Leistungsbescheid gemäß § 80 Abs. 1 VwGO grundsätzlich aufschiebende Wirkung haben (vgl. VGH Mannheim B 9.9.1999 – 1 S 1306/99, juris = NVwZ-RR 2000, 189; OVG Schleswig B 27.12.2000 – 2 M 13/00, juris = NVwZ-RR 2001, 586).
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Davon gibt es in Sachsen eine begrüßenswerte Ausnahme: Nach § 24 Abs. 3 S. 2 SächsVwVG ist der Leistungsbescheid sofort vollziehbar, wenn Kosten der Ersatzvornahme gefordert werden. Das entspricht sowohl § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 als auch § 80 Abs. 2 S. 2 VwGO.
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Wie jeder Verwaltungsakt muss auch der Leistungsbescheid inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das ist in § 37 Abs. 1 VwVfG vorgeschrieben. In Anlehnung an § 157 Abs. 1 S. 2 AO ist zu Form und Inhalt des Leistungsbescheides festzustellen: Er muss die geforderte Leistung nach Art und Betrag bezeichnen und den Schuldner angeben (vgl. VGH Mannheim U 28.4.2010 – 2 S 2312/09, juris, DVBl. 2010, 1583 L). Deshalb muss der Leistungsbescheid als verbindliche Zahlungsregelung ausgewiesen sein. Eine bloße Rechnung ist kein Verwaltungsakt (vgl. BVerwG U 26.10.1978 – 5 C 52/77, juris = BVerwGE 57, 26; BVerwG U 12.1.1973 – 7 C 3/71, juris = BVerwGE 41, 305).
Das gilt auch dann, wenn eine Rechnung von einem städtischen Versorgungsunternehmen ausgestellt wird, ein Hinweis auf den behördlichen Auftrag an „versteckter“ Stelle aber für den Adressaten nicht erkennbar ist. Denn hier kommt es auf die Erkenntnis eines objektiven Horizonts des Empfängers des Schreibens nach Treu und Glauben an (VGH Mannheim U 15.10.2009 – 2 S. 1457/09, juris = DVBl 2010, 196-).
Mitunter werden behördliche Zahlungsbescheide als Rechnung bezeichnet. Um Irrtümer zu vermeiden, ist ein solcher Bescheid mit der unmissverständlichen und verbindlichen Aufforderung zu erteilen, den darin aufgeführten Geldbetrag zu zahlen. Also muss erkennbar sein, dass die Behörde den Betrag nach öffentlichem Recht hoheitlich geltend macht. Form und Inhalt des Bescheides haben das zu beweisen. Dazu dient die Rechtsbehelfsbelehrung. Denn sie ist das allgemeine Kennzeichen eines Verwaltungsaktes (vgl. BVerwG U 10.10.1961 – 6 C 123/59, juris Rn. 15 = BVerwGE 13, 99 (103); VGH München B 6.10.2005 – 8 CE 05.585, juris = NJW 2006, 2282).
Leitet die Behörde auf der Grundlage einer bloßen Rechnung Vollstreckungsmaßnahmen ein, sind diese im Rechtsmittelverfahren einzustellen. Denn sie sind unzulässig. So kann zum Beispiel ein rechtswidrig erlassener Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auch im Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht aufgehoben werden (BVerwG U 17.5.1973 – 5 C 24/72, juris = AgrarR 1974, 78).
Sollte die Behörde dennoch aus einer Rechnung vollstrecken, ist dem Betroffenen Rechtsschutz durch Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu gewährleisten (VGH München B 4.5.1994 – 23 CS 94.913, juris = NVwZ-RR 1995, 477). Gleiches gilt für eine bloße Zahlungsaufforderung ohne Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht als Verwaltungsakt erkennbar ist (OVG Berlin-Brandenburg B 23.7.2010 – 5 S 13/10, juris = NVwZ-RR 2010, 908).
Qualifiziert jedoch die Widerspruchsbehörde im Widerspruchsbescheid die Rechnung als „Verwaltungsakt“, so ist gegen die so umgestaltete Rechnung die Anfechtungsklage statthaft. Das gebietet die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG (BVerwG U 26.6.1987 – 8 C 21/86, juris = BVerwGE 78, 3).
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Im Fall von Zweifeln am Inhalt eines Verwaltungsaktes gilt die allgemeine Regel des § 133 BGB. Sie ist im öffentlichen Recht entsprechend anzuwenden (vgl. Palandt, § 133 Rn. 4; Forsthoff, S. 161; BVerwG U 2.9.1999 – 2 C 22/08, juris Rn. 43 = BVerwGE 109, 283 (288); BVerwG U 26.8.2010 – 3 C 35/09, juris Rn. 12 = BVerwGE 137, 377 (378)). Danach ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis ist vorzuziehen (BFH U 18.2.1997 – VII R 96/95, juris = NVwZ-RR 1997, 571; BVerwG U 27.6.2012 – 9 C 7/11, juris Rn. 10 ff. = NVwZ 2012, 1413 (1414 f.); BVerwG U 20.6.2013 – 8 C 46/12, juris = DÖV 2014, 35).
Bei Willenserklärungen der Behörde kommt es allein darauf an, wie der Betroffene sie bei verständiger Würdigung nach Treu und Glauben verstehen konnte (BVerwG U 28.2.1961 – 1 C 54/57, juris Rn. 30 = BVerwGE 12, 87 (91); BVerwG B 13.9.1999 – 11 B 14/99, juris = NVwZ-RR 2000, 135; OVG Schleswig U 7.7.1999 – 2 L 264/98, juris = NJW 2000, 1059; BFH B 25.8.1981 – VII B 3/81, juris = BFHE 134, 97; BFH U 8.2.2007 – IV R 65/01, juris = BFHE 216, 412, Bestätigung von BFHE 211, 387). Gleiches gilt für Willenserklärungen des Bürgers gegenüber der Behörde (BVerwG U 12.12.2001 – 8 C 17/01, juris = BVerwGE 115, 302; OVG Greifswald B 4.3.2002 – 2 L 170/01, juris = NVwZ-RR 2003, 5; OVG Weimar B 26.7.2002 – 4 EO 331/02, juris = NVwZ-RR 2003, 232; VGH Mannheim U 28.4.2010 – 2 S 2312/09, juris, DVBl. 2010, 1583 L).
Die Auslegung ist auch vorzunehmen, wenn ein beliehener Unternehmer als Behörde im Sinne von § 1 Abs. 4 VwVfG tätig wird. Das kann zum Beispiel ein Prüfingenieur für Baustatik sein (Rn. 14). Er erlässt den Leistungsbescheid.
Für die Annahme eines Verwaltungsaktes in Abgrenzung von einem Nichtakt (Scheinverwaltungsakt) gilt die Auslegungsregel des § 133 BGB in gleicher Weise. So ist in folgendem Fall ein Verwaltungsakt zu bejahen: Ein Gebührenbescheid weist eine Behörde als Entscheidungsträger aus. Intern hat jedoch ein Privater als vertraglicher Geschäftsbesorger der Behörde die Maßnahme getroffen (BVerwG U 23.8.2011 – 9 C 2/11, juris Rn. 9 ff. = NVwZ 2012, 506 (507)).
Als Geschäftsbesorger ist ein Privater kein beliehener Unternehmer. Denn er handelt lediglich nachgeordnet im Hoheitsbereich einer Behörde als deren fachkundiger Unterstützer. Dagegen wird ein beliehener Unternehmer innerhalb seines Aufgabengebietes selbstständig als Behörde tätig.
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Übrigens ist im umgekehrten Fall die Behörde verpflichtet, eine Willenserklärung des Bürgers gegenüber der Behörde sorgfältig auszulegen. So hat sie neben dem Wortlaut eines Antrags auch zu berücksichtigen, ob der Antragsteller mit seiner Erklärung nicht einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht. Dies gilt, wenn der Zweck des Antrags und erkennbare Begleitumstände die Auslegung erforderlich machen (BVerwG U 3.3.2005 – 2 C 13/04, juris = NVwZ-RR 2005, 591). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Betroffene denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, welcher angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen (BFH U 8.5.2008 – VI R 12/05, juris = NVwZ-RR 2009, 190; BGH U 20.11.2012 – X ZR 108/10, juris = MDR 2013, 136).
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Richtet sich der Leistungsbescheid an einen Haftungsschuldner oder an einen Duldungsschuldner, so hat die Behörde zur Klarstellung in ihrem Bescheid auch den Namen des Selbstschuldners anzugeben. Das gebietet die Begründungspflicht des § 39 Abs. 1 VwVfG.
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Bei juristischen Personen sind entsprechend § 12 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG deren gesetzliche Vertreter im Leistungsbescheid zur Zahlung aufzufordern. Für die Zustellung gilt § 6 Abs. 1–4 VwZG (VwZG, § 6 Rn. 11 ff.).
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Haftet eine nicht rechtsfähige Personenmehrheit gesamtschuldnerisch, zum Beispiel Eheleute, Miteigentümer, Gesellschafter, Erbengemeinschaft, muss jeder Betroffene eine gesonderte, für ihn selbst bestimmte Ausfertigung des Leistungsbescheides erhalten. Der Bescheid kann nämlich nur gegenüber demjenigen, „für den er bestimmt ist“, mit der Bekanntgabe oder Zustellung rechtswirksam werden. Das folgt aus § 43 Abs. 1 S. 1, § 41 Abs. 5 VwVfG (VwZG, § 2 Rn. 14, § 3 Rn. 14). Hier liegen für die Verwaltungspraxis gefahrträchtige Fehlerquellen. Man denke an die Folgen einer Verjährung, etwa bei Erschließungsbeiträgen oder Kosten der Ersatzvornahme.
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Gemäß § 37 Abs. 3 VwVfG muss ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt die Unterschrift oder Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder Beauftragten enthalten. Nach dieser Vorschrift ist die Namenswiedergabe auch bei einem elektronischen Verwaltungsakt unerlässlich.
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Für alle Rechtsgebiete ist darauf hinzuweisen, dass eine Unterschrift „rechtsverbindlich“ ist, wenn sie von einer Person stammt, die dazu berechtigt ist (BGH U 20.11.2012 – X ZR 108/10, juris = MDR 2013, 136).
Es gibt zwei Arten der Unterschrift. Die erste Art ist der eigenhändige Schriftzug des vollen Familiennamens. Der Vorname kann dem Familiennamen vorangestellt werden. Eine Unterschrift nur mit dem Vornamen, wie bei Ausländern mitunter üblich, ist ungültig (BGH U 25.10.2002 – V ZR 279/01, juris =NJW 2003, 1120). Die eigenhändige Unterschrift gewährleistet, dass nicht nur ein Entwurf, sondern eine gewollte Erklärung vorliegt, dass die Erklärung von einer bestimmten Person herrührt und diese für den Inhalt die Verantwortung übernimmt (BVerwG U 5.6.1974 – 8 C 1/74, juris = NJW 1974, 2101).
Der Familienname muss als Name erkennbar sein. Dazu gehört, dass mindestens einzelne Buchstaben deutlich sind. Sonst fehlt es an dem Merkmal einer Schrift überhaupt. Das Schriftzeichen muss also ausreichende individuelle Merkmale aufweisen (vgl. BGH U 11.2.1982 – III ZR 39/81, juris = NJW 1982, 1467; BFH B 16.1.1986 – III R 50/84, juris = NJW 1987, 343).
Insoweit erkennt das BVerwG (B 11.9.1978 – 7 B 173/78, juris = VerwRspr. 30, 880): Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass die Lesbarkeit der Unterschrift nicht erforderlich ist. Vielmehr genügt ein individueller Schriftzug, der die Individualität des Unterzeichners ausreichend kennzeichnet, einmalig ist und entsprechende charakteristische Merkmale einer Unterschrift aufweist; vgl.:
– | BGH U 10.7.1997 – IX ZR 24/97, juris = NJW 1997, 3380; |
– | BGH B 27.9.2005 – VIII ZB 105/04, juris = NJW 2005, 3775; |
– | BGH U 11.10.2005 – XI ZR 398/04, juris = NJW 2005, 3773; |
– | BFH U 23.6.1999 – X R 113/96, juris = NJW 2000, 607; |
– | BAG B 30.8.2000 – 5 AZB 17/00, juris = NJW 2001, 316. |
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Angesichts mangelnder Sorgfalt in diesem doch wichtigen Bereich sollte bedacht werden: Senkrecht oder schräg nach oben und unten gezogene Striche, Wellenlinien oder gekrümmte Linien sind keine rechtswirksamen Unterschriften (zur gekrümmten Linie BGH B 21.3.1974 – VII ZB 2/74, juris = NJW 1974, 1090; zur Wellenlinie großzügig: OLG Köln U 28.6.2005 – 22 U 34/01, juris = NJW-RR 2005, 1252). Ebenso sind der Vorname und lediglich der Anfangsbuchstabe des Nachnamens keine Unterschrift (OLG Stuttgart U 14.11.2001 – 3 U 123/01, juris = MDR 2002, 145). Um so weniger handelt es sich um eine Unterschrift, wenn lediglich der Anfangsbuchstabe eines Namens auf das Schriftstück gesetzt wird. Dann handelt es sich nur um ein Handzeichen (LAG Berlin B 12.10.2001 – 6 Sa 1727/01, juris = NJW 2002, 989).
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Fehlt somit eine rechtswirksame Unterschrift, ist das Schriftstück kein Verwaltungsakt. Es ist also auch kein Leistungsbescheid, sondern lediglich ein nutzloses Stück Papier. Aus ihm kann selbstverständlich nicht vollstreckt werden.
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Zum Problem der Unterschrift ist rechtsvergleichend auf den neu gefassten § 130 Nr. 6 ZPO hinzuweisen. Die Vorschrift regelt die Unterschrift in einem vorbereitenden Schriftsatz; sie besagt: Bei der Übermittlung des Schriftsatzes durch einen Telefaxdienst (Telekopie) enthält der Schriftsatz „die Wiedergabe der Unterschrift in der Kopie“ (BGH B 10.10.2006 – XI ZB 40/05, juris = NJW 2006, 3784). Dieser Beschluss ergänzt den Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 5.4.2000 – GmS-OGB 1/98, juris = BVerwGE 111, 377. Zu dem dazugehörigen § 130a ZPO vgl. BGH U 14.1.2010 – VII ZB 112/08, juris = BGHZ 184, 75).
An die Unterschrift bei Computerfax und herkömmlichem Telefax kann es unterschiedliche Anforderungen geben. Das betrifft Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG, § 130 Nr. 6, § 519 Abs. 4 ZPO. Hiernach ist es zulässig, dass Gerichte bei verfahrensbestimmenden Schriftsätzen eine eingescannte Unterschrift bei einem Computerfax genügen lassen, während sie bei einem herkömmlichen Telefax an dem Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift auf dem Original festhalten (BVerfG B 18.4.2007 – 1 BvR 110/07, juris = NJW 2007, 3117). Mit diesem Beschluss wurde die Verfassungsbeschwerde gegen den vorgenannten Beschluss des BGH vom 10.10.2006 nicht zur Entscheidung angenommen.
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Ein bloßes Handzeichen, eine Paraphe, ist keine nach außen wirkende vollständige Unterschrift (BGH U 22.10.1993 – V ZR 112/92, juris = NJW 1994, 55; zweifelnd: BFH B 29.11.1995 – X B 56/95, juris = NJW 1996, 1432; jetzt wie hier: BFH U 16.3.1999 – X R 41/96, juris = NJW 1999, 2919). Das Handzeichen hat ausschließlich behördeninterne Bedeutung; sie ist erheblich: Durch die Paraphierung des bei den Behördenakten verbleibenden Originals des Verwaltungsaktes ist nachgewiesen, dass dieser mit Wissen und Willen des dafür Verantwortlichen erlassen wurde. Zugleich stellt das Handzeichen, ebenso wie eine volle Unterschrift, sicher, dass es sich wirklich um einen Verwaltungsakt und nicht nur um dessen Entwurf handelt. Wenn also die dem Betroffenen zugestellte Ausfertigung den vollen Namen des Unterzeichners trägt, liegt damit ein ordnungsgemäßer schriftlicher Verwaltungsakt vor (BGH U 16.3.1984 – RiZ (R) 6/83, juris = NJW 1984, 2533).
Wenn in dieser Weise ein Schriftstück nur mit einem Handzeichen versehen wird, dann liegt auch aus einem weiteren Grund eine Namensunterschrift im Rechtssinne nicht vor: Auf eine derartige Paraphe kann die Vermutung des § 440 Abs. 2 ZPO und die Beweisregel des § 416 ZPO nicht entsprechend gestützt werden (vgl. BGH U 15.11.2006 – IV ZR 122/05, juris = NJW-RR 2007, 351).
Wird ein Schriftstück lediglich mit einer Paraphe markiert, fehlt die Unterschrift. Also liegt ein Verwaltungsakt nicht vor. Entsprechendes gilt für bestimmende Schriftsätze im gerichtlichen Verfahren (BVerwG U 4.10.1999 – 6 C 31/98, juris = NVwZ 2000, 190). Jedoch erkennt der BFH in seinem vorzitierten Urteil vom 16.3.1999: Der Anspruch auf ein faires Verfahren erfordert es, dem Rechtsuchenden die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu eröffnen, wenn die Unterzeichnung mit einer Paraphe im Geschäftsverkehr, bei Behörden und in Gerichtsverfahren unbeanstandet verwendet wurde. Das gilt besonders bei jahrelanger Duldung (BGH B 11.4.2013 – VII ZB 43/12, juris = NJW 2013, 1966).
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Die zweite Art ist die faksimilierte Unterschrift. Mitunter wird das Faksimile nicht als Unterschrift, sondern als Namenswiedergabe gewertet. Doch das hat auf die nach außen gerichtete Rechtswirksamkeit der Dokumentation des Namens keinen Einfluss. Beide Ansichten sind vertretbar.
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Bei der Namenswiedergabe wird der Familienname handschriftlich, mit Maschinenschrift, elektronisch oder durch Stempelaufdruck auf das Schriftstück gesetzt. Verwaltungsinterne Anweisungen schreiben regelmäßig eine Beglaubigung der Namenswiedergabe vor. Fehlt die Beglaubigung, ist das nach außen dennoch unschädlich. Denn es kommt allein auf die Erkennbarkeit des Namens an (vgl. BVerwG B 5.5.1997 – 1 B 129/96, juris = Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 11; BVerwG U 25.1.1995 – 11 C 29/93, juris Rn. 21 = BVerwGE 97, 323, 327; VGH Mannheim B 20.3.1997 – 4 S 2774/96, juris = DÖV 1997, 602; VGH Kassel B 8.12.2011 – 1 B 2172/11, juris = NJW 2012, 1243; OVG Magdeburg B 24.8.2012 – 1 L 20/12, juris = NVwZ-RR 2013, 131; Knack, § 37 Rn. 57; Stelkens, § 37 Rn. 52; Bader/Ronellenfitsch, § 37 Rn. 48; a.A.: Kopp/Ramsauer, § 37 Rn. 35, jedoch mit dem Zugeständnis, dass auch „gez.“ vor dem wiedergegebenen Familiennamen genügen kann).
Wird auf dem Schriftstück ein Beglaubigungsvermerk angebracht, muss er aus vorstehenden Gründen auch nicht mit einem Dienstsiegel versehen sein.
Diese Rechtslage ergibt sich aus dem Wortlaut des § 37 Abs. 3 VwVfG, des § 33 Abs. 3 SGB X und des § 119 Abs. 3 AO. Dort ist entweder eine Unterschrift oder eine Namenswiedergabe vorgeschrieben. Die Beglaubigung der Namenswiedergabe oder gar deren Siegelung wird nicht zusätzlich verlangt (ebenso Linhart, Bescheid, S. 8).
Eine Beglaubigung der Namenswiedergabe ist nur in bestimmten gerichtlichen Verfahren vorgeschrieben. Doch ist auch hier die Siegelung entbehrlich (GmS-OGB B 30.4.1979 – GmS-OGB 1/78, juris Rn. 37 ff. = BVerwGE 58, 359 (367 f.); BVerwG, B 15.6.1959 – Gr.Sen. 1/58, juris = BVerwGE 10, 1; BFH U 22.6.2010 – VIII R 38/08, juris = MMR 2010, 866).
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Die Berechtigung zum Erlass eines Leistungsbescheides stützt sich auf die jeweilige materielle Rechtsgrundlage, aus welcher die Behörde ihren Anspruch herleitet, zum Beispiel bei Erschließungsbeiträgen auf die §§ 127 bis 135 des Baugesetzbuchs.
Ist ein Leistungsbescheid vom Verwaltungsgericht aus materiell-rechtlichen Gründen als rechtswidrig aufgehoben worden, verbietet es die materielle Rechtskraft dieser Entscheidung, die gleiche Forderung auf Grund einer anderen Anspruchsgrundlage erneut geltend zu machen. Das ergibt sich gemäß § 121 VwGO aus der bindenden Wirkung rechtskräftiger Urteile (OVG Koblenz B 9.4.2010 – 10 A 11315/09, juris = NVwZ 2010, 1109).
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Gegen die im Leistungsbescheid erhobene Forderung kann der Vollstreckungsschuldner die Aufrechnung erklären und dadurch ihr Erlöschen bewirken. Das Rechtsinstitut der Aufrechnung findet auch im öffentlichen Recht Anwendung. Die Regelungen der §§ 387 bis 396 BGB sind entsprechend anzuwenden; denn sie enthalten einen allgemeinen Rechtsgedanken (vgl. BVerwG U 20.11.2008 – 3 C 13/08, juris = NJW 2009, 1099; BVerwG U 12.2.1987 – 3 C 22/86, juris Rn. 28 ff. = BVerwGE 77, 19 (21f.); BVerwG U 27.10.1982 – 3 C 6/82, juris = BVerwGE 66, 218; Palandt, § 395 Rn. 1).
Ebenso kann übrigens auch die Behörde gegenüber dem Betroffenen aufrechnen (BVerwG U 13.10.1971 – 6 C 137/67, juris = DÖV 1972, 573; BFH U 19.10.1982 – VII R 64/80, juris = NVwZ 1984, 199). Ihre Aufrechnungserklärung ist aber kein Verwaltungsakt; sie ist eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung (BFH U 2.4.1987 – VII R 148/83, juris = NVwZ 1987, 1118; OVG Magdeburg B 12.3.2002 – l M 6/02, juris = NVwZ-RR 2002, 907; OVG Magdeburg B 21.7.2008 – 3 M 390/08, juris = NVwZ-RR 2009, 226; VGH München B 13.1.1997 – 12 CE 96.504, juris = NJW 1997, 3392). Gemäß § 406 BGB ist die Aufrechnung auch gegenüber dem neuen Gläubiger zulässig (BFH U 15.10.1996 – VII R 46/96, juris = NVwZ-RR 1997, 489).
Als verbindliche Willenserklärung muss die Aufrechnung eindeutig und inhaltlich bestimmt sein (VGH Mannheim U 14.12.2010 – 4 S 2447/09, juris, DÖV 2011, 326 L).
Die Aufrechnung mit zivilrechtlichen Ansprüchen gegen öffentlich-rechtliche Ansprüche und umgekehrt ist grundsätzlich zulässig, soweit die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung gegeben sind und keine gesetzlichen Einschränkungen vorliegen. Sie ist auch dann zulässig und materiell-rechtlich wirksam, wenn Forderung und Gegenforderung in verschiedenen gerichtlichen Verfahrensarten geltend zu machen sind. Dabei kann es sich um ein Zivilgericht, ein Finanzgericht oder ein Verwaltungsgericht handeln. Gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtsweges „unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten“ (vgl. BFH B 9.4.2002 – VII B 73/01, juris = NJW 2002, 3126).
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In diesem Zusammenhang stellt das Bundesverwaltungsgericht klar, dass die Anfechtung eines Leistungsbescheides und die damit einsetzende aufschiebende Wirkung nicht eine bereits eingetretene Fälligkeit der im Bescheid konkretisierten Forderung beseitigt (U 27.10.1982 – 3 C 6/82, juris = BVerwGE 66, 218). Eine Aufrechnung ist also auch im Rechtsbehelfsverfahren möglich. Sie setzt nicht die Vollziehbarkeit des Leistungsbescheides voraus (dazu auch OVG Bremen B 16.7.1999 – 2 B 93/99, juris = NVwZ-RR 2000, 524; VG Freiburg U 11.11.2009 – 3 K 879/08, juris, DÖV 2011, 43 L). Denn die Aufrechnungserklärung ist die Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts.
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Für das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz gilt nach § 5 Abs. 1 die Vorschrift des § 226 AO nicht. Diese enthält Beschränkungen der Aufrechnung (vgl. BFH U 23.6.1976 – I R 165/74, juris = NJW 1976, 2183; BVerwG U 3.6.1983 – 8 C 43/81, juris = NVwZ 1984, 168).
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Eine Vollstreckung ohne Leistungsbescheid nach § 3 Abs. 2 Buchst. a VwVG ist gemäß § 61 VwVfG zulässig. Hier hat sich der Schuldner vertraglich der sofortigen Vollstreckung aus einem subordinationsrechtlichen öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne des § 54 S. 2 VwVfG unterworfen. Damit tritt der öffentlich-rechtliche Vertrag als eigenständige Vollstreckungsgrundlage an die Stelle des Leistungsbescheides. Im Übrigen ist gemäß § 61 Abs. 2 S. 1 VwVfG das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz entsprechend anzuwenden.