Читать книгу Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz / Verwaltungszustellungsgesetz - Eva-Maria Kremer - Страница 61
4. Gerichtsvorsitzender als Vollstreckungsbehörde
Оглавление9
Soll aus einem Vollstreckungstitel nach § 168 VwGO zugunsten des Bundes, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts vollstreckt werden, so richtet sich die Vollstreckung gemäß § 169 Abs. 1 VwGO nach dem Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz. Somit gelten auch die durch § 5 Abs. 1 einbezogenen Vorschriften der Abgabenordnung.
Der Gerichtsvorsitzende vollstreckt nur aus den gerichtlichen Titeln des § 168 VwGO. Das ergibt sich aus den §§ 169, 170, 172 VwGO. Er vollstreckt also weder einen Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG) noch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag (§§ 54, 61 VwVfG). Die Vollstreckung richtet sich allein gegen Private. Der Titel muss gemäß § 56 VwGO zugestellt sein.
Einer Vollstreckungsklausel bedarf es nach § 171 VwGO nicht. Denn es wäre nicht sinnvoll, dem Gericht eine vollstreckbare Ausfertigung vorzulegen, die von ihm zuvor selbst oder allenfalls von der Rechtsmittelinstanz erteilt worden ist. Daher hat die Verwaltungsgerichtsordnung auf das Erfordernis einer Vollstreckungsklausel verzichtet. Hier gilt das Gleiche wie im umgekehrten Fall der Vollstreckung gegen eine Behörde gemäß § 172 VwGO (OVG Münster B 10.7.2006 – 8 E 91/06, juris = NVwZ-RR 2007, 140).
Nach seinem Wortlaut betrifft § 169 VwGO nur die Vollstreckung zugunsten der öffentlichen Hand. Andere Vereinigungen und Institutionen sind also ausgeschlossen (OVG Lüneburg B 20.10.1998 – 13 0 3662/98, juris = NJW 1999, 1882 betreffend Zentralrat der Juden).
10
Für das Vollstreckungsverfahren ist ein Antrag der Gläubigerin erforderlich. Denn die Vollstreckung findet nicht von Amts wegen statt (§ 3 Rn. 76).
Antragsberechtigt ist auch der Rechtsnachfolger des im Vollstreckungstitel bezeichneten Rechtsvorgängers. Denn ein gerichtlicher Titel nach § 168 VwGO schafft objektive Rechte und Pflichten, die durch persönliche Veränderungen auf Seiten des Gläubigers und des Schuldners nicht beeinträchtigt werden können. So geht auch eine titulierte Vollstreckungsschuld von dem Rechtsvorgänger auf den Rechtsnachfolger über, zum Beispiel auf den Erben.
11
Vollstreckungsbehörde im Sinne des Gesetzes ist der Vorsitzende des Gerichts des ersten Rechtszuges. In dieser Eigenschaft hat der Gerichtsvorsitzende als Landesrichter gemäß § 169 Abs. 1 VwGO den Rang einer Bundesvollstreckungsbehörde. Deshalb trägt er die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung (vgl. § 5 Abs. 1 VwVG i.V.m. § 250 Abs. 1 S. 2 AO).
Mit dieser Regelung bewahrt der Gesetzgeber den Grundsatz der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG: Die obsiegende Behörde der Exekutive kann nicht die Vollstreckung einer Entscheidung der rechtsprechenden Gewalt vornehmen. Diese soll es vielmehr tun. Dafür ist der Gerichtsvorsitzende in seiner exklusiven und exponierten Position zuständig.
12
Der Gerichtsvorsitzende kann für die Ausführung der Vollstreckung eine andere Vollstreckungsbehörde oder einen Gerichtsvollzieher in Anspruch nehmen. Aber er muss die Kontrolle über die Vollstreckungsmaßnahmen behalten (vgl. OVG Lüneburg B 5.2.1975 – 6 B 8/75, juris L, OVGE Lüneburg 31, 341; OVG Koblenz B 15.10.1985 – 1 E 30/85, juris =S. NJW 1986, 1191; VGH München B 19.11.1984 – 8 C 84 A.2527, juris = NVwZ 1985, 352; VG Gelsenkirchen B 12.3.2012 – 15 M 7/12, juris = NVwZ-RR 2012, 457).
Das ergibt sich eindeutig aus § 250 AO: Soweit eine Vollstreckungsbehörde auf Ersuchen einer anderen Vollstreckungsbehörde Vollstreckungsmaßnahmen ausführt, tritt sie zwar an die Stelle der anderen Vollstreckungsbehörde. Aber für die Vollstreckbarkeit des Anspruchs bleibt die ersuchende Vollstreckungsbehörde verantwortlich.
13
Darüber hinaus kann der Gerichtsvorsitzende bei der Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen die Hilfe der Amtsgerichte in Anspruch nehmen. Hier kämen insbesondere das Grundbuchamt für die Eintragung einer Sicherungshypothek sowie das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht für die Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung in Betracht. Das ergibt sich aus § 5 Abs. 1 VwVG i.V.m. § 322 Abs. 1 S. 2 AO und den dort weiterführenden Gesetzen. Ferner dürften keine Bedenken dagegen bestehen, auch andere Gerichte und dabei vor allem deren Vorsitzende einzubeziehen. Denn das Recht und die Pflicht zur Rechtshilfe sowie zur Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG gelten allgemein und umfassend.
14
Zur Befugnis des Gerichtsvorsitzenden, die Vollstreckungsanordnung zu erlassen, wird auf die Ausführungen bei § 3 Rn. 76 verwiesen.
Allerdings ist der Ausdruck „Vollstreckungsbehörde“ hier nicht korrekt. Stattdessen müsste der Vorsitzende als Vollstreckungsbeauftragter bezeichnet werden. Denn er ist „Organ der Rechtsprechung“ gemäß Gewaltenteilung in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG (vgl. Schoch/Schneider/Bier/Möller, § 169 Rn. 26). Die Dreiteilung der Gewalten schließt die gesetzliche Befugnis nicht aus, dass eine von ihnen im Bereich der anderen sachlich zuständig ist; Beispiele: Nach Art. 80 GG erlässt die Exekutive im Bereich der Legislative Rechtsverordnungen. Dennoch ändert sich am Charakter der Gewalten nichts. Gemäß §§ 35, 65, 66 OWiG handelt die Exekutive durch Bußgeldbescheide strafrechtlich (BVerfG B 16.7.1969 – 2 BvL 2/69, juris = BVerfGE 27, 18S. ) auf dem Gebiet der Judikative, ohne ihr Wesen zu verändern. Dazu ausführlich Sadler, Verwaltungsvollstreckung neben Geldstrafen und Geldbußen, Polizei 2007 S. 296–300.
Das hat folgenden Grund: Die originär sachlich zuständige Gewalt behält ihren verfassungsmäßigen Vorrang gegenüber der nachrangigen Gewalt. Sie kann infolgedessen auch korrigierend eingreifen. Das gilt insbesondere zu Gunsten des strafgerichtlichen Amtsgerichts in Bußgeldverfahren: Gemäß § 68 OWiG entscheidet nämlich das Gericht über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde.
Die Gewaltenteilung ist ein „tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetzes“, das die Balance zwischen den gleichrangigen drei Gewalten sichert (BVerfG U 18.12.1953 – 1 BvL 106/53, juris Rn. 54 = BVerfGE 3, 225 (247); zu Überschneidungen von Gewalten vgl. BVerfG B 10.10.1972 – 2 BvL 51/69, juris = BVerfGE 34, 52).
15
Der Vorsitzende ist als Vollstreckungsbeauftragter das Vollstreckungsgericht. Das ergibt sich aus § 167 Abs. 1 S. 2 VwGO (ebenso Redeker/von Oertzen, § 169 Rn. 5; Kopp/Schenke, § 169 VwGO Rn. 2; Sodan/Ziekow/Heckmann, § 169 Rn. 22; Eyermann/Kraft, § 169 Rn. 3). Gegen die Entscheidungen des Gerichtsvorsitzenden ist die Beschwerde nach § 146 Abs. 1 VwGO zulässig (§ 5 Rn. 17).
Die Beschwerde des Vollstreckungsgläubigers gegen einen ablehnenden Beschluss des Vorsitzenden richtet sich ebenfalls nach § 146 VwGO (VGH Kassel B 26.3.2004 – 3 TM 1626/03, juris = NVwZ-RR 2004, 524; VGH Mannheim B 20.12.1991 – 9 S. 2886/91, juris = NVwZ 1993, 73).
16
Die Zuständigkeit des Vorsitzenden ist nach § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO personenbezogen. Er übt ein eigenständiges Amt aus. Dabei wird er nicht als Vorsitzender Richter seiner Kammer tätig, sondern losgelöst von ihr. Seine besondere Funktionszuständigkeit kann infolgedessen auch nicht gemäß § 6 VwGO auf den Einzelrichter übertragen werden (vgl. Schoch/Schneider/Bier/Stelkens/Clausing, § 6 Rn. 19). Denn die Übertragung kann nur von der Kammer des Gerichts vorgenommen werden (vgl. Bader, § 169 Rn. 3; OVG Weimar B 28.2.1995 – 1 VO 9/95, juris = NVwZ-RR 1995, 480; OVG Münster B 1.6.1994 – 11 E 239/94, juris = NVwZ-RR 1994, 619).
Eine Übertragung auf den Einzelrichter ist allseits ausgeschlossen. Sie kann darum nicht durch ein entsprechendes Einverständnis der Beteiligten begründet werden (OVG Münster B 1.6.1994 a.a.O.).
Der Einzelrichter ist auch dann nicht Vollstreckungsbehörde, wenn der zu vollstreckende Titel aus einem Verfahren stammt, das ihm zur Entscheidung übertragen war. Denn sobald er die Kammer verlässt, würde er seine persönliche Funktion als Vollstreckungsbehörde verlieren. Zu dieser Funktion dürfte mangels Rechtsgrundlage die Kammer ein anderes Mitglied nicht bestellen. Das wäre ebenso dem Kammervorsitzenden verwehrt (a.A.: VG Darmstadt B 18.11.1999 – 2 M 1436/99, juris = NVwZ-RR 2000, 734).
17
Örtlich zuständig ist der Vorsitzende jenes Gerichts, das in dem Rechtsstreit, der zum Erlass des zu vollstreckenden Titels geführt hat, Gericht des ersten Rechtszuges gewesen ist (§ 7 Rn. 29).