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Zweites Kapitel Ausführung

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§ 50. Da die Aufsicht nicht bis zum beständig fühlbaren Druck gesteigert werden darf, so sind sanfte und unsanfte Mittel nötig, um der Kinderregierung Nachdruck zu geben. Im allgemeinen ergibt sich dieser Nachdruck aus der natürlichen Überlegenheit des Erwachsenen. Eben hieran aber muß zuweilen erinnert werden. Schon mit der Aufsicht, wie sie auch eingerichtet sein möge, muß ein entsprechendes Verfahren gegen die Zöglinge verbunden werden. Nicht über die Folgsamen, wohl aber in Ansehung derer, die wiederholten Ungehorsam zeigen, muß in Schulen ein Buch geführt werden, um aufzuzeichnen, was sie verfehlten. Hier ist noch nicht von Zensuren in Bezug auf eigentliche Erziehung die Rede, sondern nur von dem, was man gewöhnlich Disziplin zu nennen pflegt, wärend es in der Tat nur die gute Ordnung einer Schule betrifft, von welcher die Schüler sich sollen regieren lassen.

In der häuslichen Erziehung wird eine solche Buchführung selten nötig, doch zuweilen nützlich sein; der einzelne Zögling weiß zwar ohnehin, daß man ihn nicht aus den Augen verliert; allein es verstärkt die Erinnerung, wenn die Verweise, die er sich zuzieht, aufgezeichnet werden.

§ 51. Die körperlichen Züchtigungen, welche da einzutreten pflegen, wo Verweise nicht mehr helfen, würde man umsonst ganz zu verbannen suchen; sie müssen aber so selten sein, daß sie mehr aus der Ferne gefürchtet, als wirklich vollzogen werden.

Es schadet dem Knaben nicht, wenn er sich erinnert, als Kind einmal die Rute bekommen zu haben. Es schadet ihm auch nicht, wenn er die Unmöglichkeit, jetzt noch Stockschläge zu bekommen, in gleichen Rang stellt mit der Unmöglichkeit, daß er selbst eine solche Behandlung sich zuziehen könnte. Aber schaden würde ihm allerdings eine so heftige Reizung des Ehrgefühls, wenn er schon den körperlichen Schmerz wenig achten möchte. Und im höchsten Grade verderblich ist, was gleichwohl noch hie und da vorkommt, wenn Kinder, die schon gegen Schläge abgehärtet sind, noch von neuem geschlagen werden. Die roheste Unempfindlichkeit ist die Folge, und kaum zu hoffen, daß eine lange Nachsicht, die nun unvermeidlich wird, das natürliche Gefühl wieder aufkommen lassen könne.

Etwas anders verhält es sich, den Hunger auf einige Stunden wirken zu lassen. Hier geschieht nur eine Entziehung, aber keine unmittelbare empörende Handlung.

Bekanntlich aber ist Beraubung der Freiheit die gewöhnlichste Züchtigung, und mit Recht, falls sie gehörig dem Vergehen angepaßt wird. Auch läßt sie die mannigfaltigsten Abstufungen zu; von dem kleinen Knaben, den man in den Winkel stellt, bis zur Einsperrung in ein finsteres Zimmer, wohl gar mit auf dem Rücken gebundenen Händen. Nur darf, verschiedener Bedenklichkeiten wegen, die Strafe nicht lange dauern; eine ganze Stunde ist schon viel, wenn nicht Aufsicht hinzukommt; auch muß der Platz gehörig gewählt werden.

§ 52. So harte Züchtigungen, wie Entfernung vom Hause, Ausschließung aus einer Lehranstalt, wird man nur in äußersten Notfällen anwenden, besonders da sichs fragt, wo denn der Ausgeschlossene bleiben, – ob er etwa einer andern Lehranstalt zur Last fallen soll? Wofern mit der Versetzung zugleich Freiheit an einem neuen Orte eintritt, so wird meistens die alte Unordnung sich erneuern. Es muß also in solchen Fällen eine sehr strenge Aufsicht, verbunden mit neuen Beschäftigungen, hinzukommen; eine neue Umgebung muß den alten verdorbenen Gedankenkreis in Vergessenheit bringen.

§ 53. Daß Autorität und Liebe die Regierung mehr sichern als alle harten Mittel, ist sehr bekannt. Autorität aber kann sich nicht jeder nach Belieben schaffen; es gehört dazu sichtbare Überlegenheit des Geistes, der Kenntnisse, des Körpers, der äußeren Verhältnisse. Liebe gutartige Zöglinge zu erwerben, ist zwar durch ein gefälliges Betragen im Laufe einer längeren Zeit möglich; aber gerade da, wo die Regierung am nötigsten wird, hört die Gefälligkeit auf, und die Liebe darf nicht durch schwache Nachsicht erkauft werden, sie hat nur einen Wert, wenn sie mit notwendiger Strenge besteht.

§ 54. Im ganzen genommen ist die Regierung im früheren Kindesalter, wenn man nicht Kränklichkeit zu schonen hat, leicht, und nachdem einmal an Folgsamkeit gewöhnt worden, läßt sich die Regierung auch leicht fortsetzen, nur darf sie nicht unterbrochen werden. Sind aber die Kinder auch nur kurze Zeit (wenige Tage) sich selbst oder fremden Personen überlassen gewesen, so wird die Veränderung schon merklich; es kostet Mühe, die Zügel wieder anzuziehen, und es darf nicht zu plötzlich geschehen.

War die Jugend einmal verwildert und soll sie nun wieder in Ordnung gebracht werden, so zeigt sich die Verschiedenheit der Individuen. Einige lassen sich bei mäßiger Nachsicht durch ein freundliches Betragen zu zweckmäßiger Beschäftigung zurückführen, einige sind besonnen genug, um Drohungen zu fürchten, Strafen zu vermeiden; aber es ist zu besorgen, daß man einzelne finden werde, die nur darauf sinnen, der Aufsicht zu entgehen, sollten sie auch in eine peinliche Lage geraten.

Wo Familienanhänglichkeit fehlt, kann die Gefahr schon im Knabenalter schnell wachsen, im Jünglingsalter die Schwierigkeit unüberwindlich werden.

§ 55. In der Regel muß man darauf gefaßt sein, daß die Jugend versuchen werde, die Schranken zu erweitern, sobald sie dieselben empfindet. Ist sie nach Wunsch beschäftigt, und sind die Schranken gleichförmig fest, so werden die Versuche dagegen zwar bald aufgegeben, aber sie erneuern sich. Bei zunehmenden Jahren ändern sich die Beschäftigungen, und die Schranken müssen allmählich erweitert werden. Es kommt nun darauf an, ob inzwischen die Erziehung weit genug vorgeschritten sei, damit die Regierung entbehrlicher werde. Alsdann richten sich die gewünschten Beschäftigungen nach den Aussichten, die ein junger Mensch seinem Stande und Vermögen gemäß in Verbindung mit natürlichen Fähigkeiten und erworbenen Kenntnissen für seine Zukunft geöffnet findet. Solche, für ihn zweckmäßige Beschäftigungen zu begünstigen, hingegen die bloßen Liebhabereien und Genießungen auf das Unschädliche zu beschränken, bleibt auch jetzt noch das Amt der Regierung, die nicht zu früh ganz darf aus den Händen gegeben werden, besonders dann nicht, wenn die Umgebung so beschaffen ist, daß sie Verführungen besorgen läßt.

Johann Friedrich Herbart: Umriß pädagogischer Vorlesungen

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