Читать книгу Johann Friedrich Herbart: Umriß pädagogischer Vorlesungen - Eva Matthes - Страница 13
Zweites Kapitel Zweck des Unterrichts
Оглавление§ 62. Der letzte Endzweck des Unterrichts liegt zwar schon im Begriffe der Tugend. Allein das nähere Ziel, welches, um den Endzweck zu erreichen, dem Unterricht insbesondere muß gesteckt werden, läßt sich durch den Ausdruck „Vielseitigkeit des Interesses“ angeben. Das Wort Interesse bezeichnet im allgemeinen die Art von geistiger Tätigkeit, welche der Unterricht veranlassen soll, indem es bei dem bloßen Wissen nicht sein Bewenden haben darf. Denn dieses denkt man sich als einen Vorrat, der auch mangeln könnte, ohne daß der Mensch darum ein anderer wäre. Wer dagegen sein Gewußtes festhält und zu erweitern sucht, der interessiert sich dafür. Weil aber diese geistige Tätigkeit mannigfaltig ist (§ 60), so muß die Bestimmung hinzukommen, welche in dem Worte Vielseitigkeit liegt.
§ 63. Man kann zwar ein mittelbares Interesse vom unmittelbaren unterscheiden. Allein das mittelbare Interesse führt, je mehr es vorherrscht auf Einseitigkeit, wo nicht gar auf Egoismus. Den Egoisten interessiert alles nur insoweit, als es ihm Vorteil oder Nachteil bringt. Der Einseitige nähert sich dem Egoisten, auch wenn er es selbst nicht merkt; denn er bezieht alles auf den engen Kreis, für den er lebt und denkt. In diesem Kreise liegt nun seine geistige Kraft; was ihn nicht als Mittel zu seinen beschränkten Zwecken interessiert, wird Last für jene Kraft.
§ 64. In Ansehung des Begriffs der Tugend ist zu erinnern, daß zwar Vielseitigkeit auch des unmittelbaren Interesses, wie es der Unterricht erzeugen soll, noch lange nicht Tugend ist, daß aber umgekehrt, je geringer die ursprüngliche geistige Tätigkeit, desto weniger an Tugend – vollends in der Mannigfaltigkeit ihres möglichen Wirkens – zu denken ist. Stumpfsinnige können nicht tugendhaft sein. Die Köpfe müssen geweckt werden.
Anmerkung. Schon oben (§ 17) ist bemerkt, daß für den Erzieher die Idee der Vollkommenheit unter den übrigen praktischen Ideen hervortritt als die nächste, welche er zu betrachten hat. Nun kommt für diese Idee dreierlei in Betracht: Energie, Ausbreitung, Verbindung der geistigen Strebungen. Die Energie wird durch das Wort Interesse angezeigt, die Ausbreitung kommt der Vielseitigkeit zu; was die Verbindung anlangt, so wird hierüber das Nähere sogleich folgen.
§ 65. Nicht bloß Einseitigkeit, sondern auch Zerstreuung ist ein Gegenteil der Vielseitigkeit. Tugend ist Eigenschaft der Person; Vielseitigkeit soll Grundlage der Tugend sein; gewiß also darf die Einheit des persönlichen Bewußtseins nicht darunter leiden. Der Unterricht soll die Person vielseitig bilden, also nicht zerstreuend wirken, und er wird es nicht bei demjenigen, der ein wohl geordnetes Wissen in allen Verbindungen mit Leichtigkeit überschaut und als das Seinige zusammenhält.
Die beiden Begriffe der Vielseitigkeit und des Interesse müssen jetzt mit den nötigen praktischen Bemerkungen begleitet werden.