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Drittes Kapitel Bedingungen der Vielseitigkeit

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§ 66. Es leuchtet sogleich ein, daß eine vielseitige Bildung nicht schnell kann geschafft werden. Schon das Viele kann nur nacheinander gewonnen sein; alsdann aber soll noch die Vereinigung, Übersicht, Zueignung erfolgen (§ 65). Darum ein Wechsel der Vertiefung und Besinnung. Denn wie die Auffassung des Mannigfaltigen nur allmählich geschehen kann, so auch die Vereinigung.

§ 67. Man findet Lehrer, welche den größten Wert auf pünktliches Auseinandersetzen des Kleineren und Kleinsten legen, und auf ähnliche Weise das Gesagte von den Schülern wiederholen lassen. Andere unterrichten lieber gesprächsweise und vergönnen auch ihren Schülern viel Freiheit im Ausdruck. Noch andere verlangen vorzugsweise die Hauptgedanken, diese aber in genauer Bestimmtheit und vorgeschriebenem Zusammenhange. Manche endlich sind nicht eher zufrieden, als bis ihre Schüler sich im regelmäßigen Denken selbsttätig üben.

Hieraus können zwar verschiedene Lehrweisen entstehen; es ist aber nicht nötig, daß eine derselben als Gewöhnung vorherrsche und die andern ausschließe; vielmehr kann man fragen, ob nicht jede derselben zur vielseitigen Bildung einen Beitrag leiste? Denn wo Vieles soll gefaßt werden, da bedarf es der Auseinandersetzung, um nicht in Verwirrung zu geraten; weil es aber auch der Vereinigung bedarf, so mag diese gesprächsweise beginnen, durch Hervorheben der Hauptgedanken fortschreiten, im regelmäßigen Selbstdenken sich vollenden. Klarheit, Association, System, Methode.

§ 68. Bei näherer Betrachtung findet sich, daß diese verschiedenen Lehrweisen einander nicht ausschließen dürfen, daß sie vielmehr bei jedem kleineren oder größeren Kreise von Lehrgegenständen einander folgen müssen, und zwar in der angegebenen Ordnung. Denn

Erstlich: der Anfänger kann nur langsam gehen, und die kleinsten Schritte sind für ihn die sichersten; er muß bei jedem Punkte so lange verweilen, als für ihn nötig ist, um das Einzelne bestimmt aufzufassen. Während dieser Verweilung muß er seine Gedanken ganz darauf richten. Daher beruht für den ersten Anfang die Lehrkunst vorzüglich darauf, daß der Lehrer den Gegenstand in die kleinsten Teile zu zerlegen wisse, um nicht Sprünge zu machen, ohne es selbst zu merken.

Zweitens: was die Verbindung anlangt, so kann diese nicht bloß, und am wenigsten zuerst, systematisch vollzogen werden. Im System hat jeder Punkt seine bestimmte Stelle; an dieser Stelle ist er mit andern Punkten, die zunächst liegen, zunächst verbunden; aber auch von andern entfernteren Punkten um eine bestimmte Distanz getrennt und mit denselben nur durch bestimmte Mittelglieder verbunden; auch ist die Art dieser Verbindung nicht überall die nämliche. Überdies soll ein System nicht bloß gelernt, sondern auch gebraucht, angewendet, oftmals durch neue Zusätze, welche an gehörigen Orten einzuschalten sind, vervollständigt werden. Dies erfordert, daß man geübt sei, von jedem beliebigen Punkte ausgehend zu jedem andern vorwärts oder rückwärts oder seitwärts die Gedanken zu bewegen. Darum soll ein System teils vorbereitet, teils eingeübt werden. Die Vorbereitung liegt in der Association, die Übung im methodischen Denken muß nachfolgen.

§ 69. Für den Anfang, solange Klarheit des einzelnen die Hauptsache ist, passen kurze, möglichst verständliche Worte, und es wird oft ratsam sein, diese von einigen (wo nicht von allen) Schülern sogleich, nachdem sie gesprochen worden, genau wiederholen zu lassen. (Bekanntlich ist sogar taktmäßiges Zugleich-Sprechen aller Schüler nicht ganz ohne Erfolg in manchen Schulen versucht worden, und für die ersten Stufen des Unterrichts jüngerer Kinder kann es mitunter zweckmäßig sein.)

Für die Association ist freies Gespräch die beste Weise, weil hierdurch der Lehrling Gelegenheit bekommt, die zufällige Verbindung der Gedanken zum Teil so, wie es ihm gerade am leichtesten und bequemsten fällt, zu versuchen, zu verändern, zu vervielfältigen und nach seiner Art sich das Gelernte anzueignen. Dadurch wird der Steifheit vorgebeugt, welche aus dem bloß systematischen Lernen entsteht.

Dagegen verlangt das System einen mehr zusammenhängenden Vortrag, und die Zeit des Vortrags muß sich von der Zeit der Wiederholung bestimmter absondern. Durchs Hervorheben der Hauptgedanken wird das System den Vorzug geordneter Kenntnisse fühlbar machen, durch größere Vollständigkeit die Summe der Kenntnisse vermehren. Beides wissen die Lehrlinge nicht zu schätzen, wenn der systematische Vortrag zu früh kommt.

Übung im methodischen Denken wird der Schüler durch Aufgaben, eigene Arbeiten und deren Verbesserung erlangen. Denn hieran muß sich zeigen, ob der Lehrling die Hauptgedanken richtig gefaßt hat, ob er sie in dem Untergeordneten wieder zu erkennen und darauf anzuwenden imstande ist.

§ 70. Was hier von der anfänglichen Zerlegung und allmählichen Verbindung des Lehrstoffs gesagt worden, das paßt im kleinen und im großen auf die verschiedensten Lehrgegenstände und Fächer; es muß aber gemäß den Gegenständen und Altersstufen der Zöglinge noch mannigfaltige nähere Bestimmungen annehmen. Vorläufig ist im allgemeinen daran zu erinnern, daß der Unterricht einen Teil der Beschäftigungen übernimmt, welche schon der Regierung wegen notwendig sind (§ 56). Nun pflegt aber der Unterricht, je länger anhaltend er gegeben wird, um desto eher zu ermüden, wiewohl nach Verschiedenheit der Schüler mehr oder minder. Je mehr er sie ermüdet, desto weniger leistet er als Beschäftigung. Schon hieraus erhellt die Notwendigkeit der Pausen und der Abwechslungen. Ist der Schüler an bestimmten Gegenständen wirklich ermüdet (nicht bloß unlustig), so muß man, so weit tunlich, dies Gefühl erst vorübergehen, wenigstens sich mildern lassen, ehe man die nämlichen Gegenstände in etwas veränderter Form weiter bearbeitet. Damit hierzu Zeit genug sei, muß der systematische Vortrag in manchen Fällen weit später eintreten als der erste Unterricht in den Elementen, und umgekehrt, die Elemente müssen oft in Hinsicht ihrer allerersten Anfänge weit früher wenigstens berührt werden, ehe an einen zusammenhängenden Unterricht zu denken ist. Manche Lehre will aus weiter Entfernung vorbereitet sein.

Johann Friedrich Herbart: Umriß pädagogischer Vorlesungen

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