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Zweiter Abschnitt

Erstes Kapitel

Vom Verhältnisse des Unterrichts zur Regierung und Zucht

§ 56. Von den Beschäftigungen, worauf die Regierung der Kinder beruht, bietet der Unterricht einen Teil dar, welcher nach Verschiedenheit der Umstände größer oder kleiner ist.

Die Kinder müssen in jedem Falle beschäftigt sein, weil der Müßiggang zum Unfug und der Zügellosigkeit führt. Besteht nun die Beschäftigung in nützlicher Arbeit (etwa Handwerks- oder Feldarbeit), desto besser. Und noch besser, wenn durch die Beschäftigung etwas gelehrt oder gelernt wird, welches zur Bildung für die Zukunft beiträgt. Aber nicht alle Beschäftigung ist Unterricht, und wo schon die Regierung der Kinder schwierig wird, da ist nicht immer das Lernen die passendste Beschäftigung. Manche heranwachsende Knaben kommen eher in Ordnung beim Handwerker oder beim Kaufmann oder beim Ökonomen, als in der Schule. Die Regierung hat einen weiteren Umfang als der Unterricht.

§ 57. Der Unterricht hat das mit der Zucht gemein, daß beide für die Bildung, also für die Zukunft wirken, während die Regierung das Gegenwärtige besorgt. Hier aber ist eine Unterscheidung nötig, denn bei weitem nicht aller Unterricht ist pädagogisch. Was des Erwerbs und des Fortkommens wegen oder aus Liebhaberei gelernt wird, dabei kümmert man sich nicht um die Frage: ob dadurch der Mensch besser oder schlechter werde. Wie er nun einmal ist, so hat er, gleichviel ob zu guten, schlechten, gleichgültigen Zwecken, die Absicht, solches oder anderes zu lernen, und für ihn ist derjenige Lehrmeister der rechte, der ihm tuto, cito, iucunde, die verlangte Geschicklichkeit beibringt. Von solchem Unterricht wird hier nicht geredet, sondern nur vom erziehenden Unterricht.

§ 58. Der Wert des Menschen liegt zwar nicht im Wissen, sondern im Wollen. Aber es gibt kein selbständiges Begehrungsvermögen, sondern das Wollen wurzelt im Gedankenkreise, das heißt, zwar nicht in den Einzelheiten dessen, was einer weiß, wohl aber in der Verbindung und Gesamtwirkung der Vorstellungen, die er erworben hat. Aus demselben Grunde nun, weshalb in der Psychologie eher vom Vorstellen als vom Begehren und Wollen gehandelt wird, muß in der Pädagogik die Lehre vom Unterricht vorangehen und die Lehre von der Zucht ihr nachfolgen.

Anmerkung. Früher unterschied man nicht einmal die Regierung von der Zucht, so offenbar es auch ist, daß Gegenwärtiges dringender ist als Künftiges. Noch weniger fand der Unterricht seine rechte Stelle; das Mehr oder Weniger des Wissens, als Nebensache in Vergleich mit der persönlichen Ausbildung betrachtet, kam zuletzt an die Reihe, nachdem zuvor von der Erziehung war gehandelt worden, wie wenn diese ohne Unterricht bestehen könnte. In den letzten Dezennien dagegen verlangte man eine verstärkte Tätigkeit der Schulen, zunächst der Gymnasien. Die humaniora sollten Humanität bringen. Man begriff, daß von seiten der Kenntnisse dem Menschen leichter beizukommen ist, als von der Seite der Gesinnung, und daß über die ersten examiniert werden kann, nicht aber in Ansehung der zweiten. Nun wurde dem Unterricht die Zeit zu kurz, was die alten lateinischen Schulen wenig gefühlt hatten. Nun beratschlagte man über das Mehr oder Minder für jede Wissenschaft. Wir werden uns vorzugsweise mit der Verbindung der Studien beschäftigen, denn was einzeln stehen bleibt, hat wenig Bedeutung.

§ 59. Dem erziehenden Unterrichte liegt alles an der geistigen Tätigkeit, die er veranlaßt. Diese soll er vermehren, nicht vermindern; veredeln, nicht verschlechtern.

Anmerkung. Verminderung entsteht, wenn unter vielem Lernen, Sitzen – besonders unter dem oft unnützen Schreiben in allerlei Schulbüchern – die Körperbildung in solcher Art leidet, daß früher oder später Nachteile für die Gesundheit erfolgen. Daher neuerlich eine Begünstigung gymnastischer Übungen, bei denen aber die Heftigkeit der Bewegungen kann übertrieben werden. Verschlechterung entsteht, wenn das Wissen zur Ostentation und zur Erlangung äußerer Vorteile dient: die nachteilige Seite mancher öffentlichen Prüfungen. Die Schulen sollten nicht genötigt sein, alles zu zeigen, was sie leisten. – Wenn der Unterricht auf solche Weise gegen seinen Zweck wirkt, so setzt er sich überdies mit der Zucht in Widerstreit, welche für die ganze Zukunft des Zöglings dahin zu sehen hat, ut sit mens sana in corpore sano.

§ 60. Wäre alle geistige Tätigkeit von einerlei Art, so wäre es gleichgültig, mit welchen Gegenständen der Unterricht die Jugend beschäftigte. Das Gegenteil ergibt sich schon aus der Erfahrung, welche zeigt, daß die Talente der Menschen mannigfaltig verschieden sind. Der Unterricht darf aber auch nicht so verschieden sein, wie die hervorragenden Talente; wie schon daraus erhellt, daß alsdann alles, was in jedem Zögling sich minder regt, bei ihm ganz vernachlässigt und vielleicht erdrückt werden würde. Vielmehr muß der Unterricht mannigfaltig, und mit dieser Mannigfaltigkeit für viele insofern gleichartig sein, als er dazu beitragen kann, das Ungleiche in den geistigen Richtungen zu verbessern.

§ 61. Es ist also nicht der Willkür und der Konvenienz zu überlassen, was gelehrt und gelernt werden solle, und hierdurch unterscheidet sich der Unterricht auffallend von der Regierung der Kinder, indem für diese ziemlich einerlei ist, womit man beschäftige, wenn nur dem Müßiggange vorgebeugt wird.

Anmerkung. Aus manchen Häusern werden die Kinder nur darum in die Schule geschickt, weil sie im Wege sind und nicht müßig sein sollen. Da wird die Schule so angesehen, als ob sie vorzugsweise regieren, dann auch gelegentlich etwas Nützliches beibringen sollte, ohne Begriff von wahrer geistiger Bildung. Umgekehrt bemerken die Schulen nicht immer, daß sie doch auch beschäftigen, – und daß in der Beschäftigung Maß zu halten nötig ist.

Johann Friedrich Herbart: Umriß pädagogischer Vorlesungen

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