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3.8 InteraktionsforschungInteraktionsforschung

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Viele Beiträge der jüngeren linguistischen Jugendsprachforschung lassen sich unter den Oberbegriff der InteraktionsforschungInteraktionsforschung Interaktionsanalysensubsummieren. Dabei steht der mündliche Sprachgebrauch, oftmals von GruppenGruppe Jugendlicher in bestimmten Kommunikationssituationen im Mittelpunkt. Es wird mit übersatz- bzw. überäußerungsmäßigen Analysekriterien v.a. der linguistischen PragmatikPragmatik (der Jugendsprache)Pragmatik gearbeitet, um kommunikative MusterMuster herauszufinden, nach denen die Interaktion der Jugendlichen untereinander funktioniert.1Neuland, Eva

Zahlreiche neuere Studien zu ausgewählten kommunikativen Handlungsmustern und -praktiken sind hier zu erwähnen, in denen strukturelle wie funktionale Aspekte des gemeinsamen sprachlichen Handelns eine Rolle spielen, u.a.:

 BlödelnBlödelnBlödelnBlödeln und Frotzeln sind Formen gruppeninterner ScherzkommunikationScherzkommunikation, die interaktiv praktiziert werden und die Gruppenkohärenz gerade auch durch das gemeinsame Gelächter stärken. Das folgende Beispiel einer Blödelei von Siebtklässlern stammt aus der Studie von Walther (Walther 2015, S. 317):

[…]
01 Ru das spray ich dann ganz groß an die Wand*Streber
02 La musste aber Lautschrift machen
03 Ru oh krass
04 Lu Lautschrift ↑ drunter musste dann die Lautschrift machen
05 Ru nein ich schreib [buchstabiert] s t r a i b e r
06 Lu straiber
07 Ru ey das klingt geil
08 Lu strawberry kannste glei noch dran schreiben
09 Ru [singend] strawberry fields forever
10 [singend] fields forever [lacht]
[Mädchen schauen sich verwundert an]
11 Ru [lacht und zeigt auf die Mädchen] die Gesichter ↑ * egal
12 13 Lu [lauter und belehrend] ihr kennt wohl nicht * Erdbeerfelder für immer oder was ↑
14 Ru ey haste dir das jetz ma angekuckt das Musical↑
15 Lu ne habsch ni
16 Ru ey das is so krass
[…]

Beispiel: „Streber“

(Zit. n. Walther 2014, S. 317)

 LästernLästern:Beim LästernLästern tauschen sich die Interaktanten über (vermeintliche) Schwächen und kritikwürdige Verhaltensweisen nicht anwesender Personen aus, wobei die VerständigungVerständigung über Verstöße gegen Normen und Werte sozialen Handelns sozial abgrenzend und zugleich gruppenverstärkend wirkt. Lästereien finden sowohl über Personen außerhalb der Gruppe (Erwachsene, Lehrkräfte2) wie über andere Jugendliche statt, wie das folgende Beispiel von SchubertSchubert, Daniel (2009, 205) zeigt:

Sa: die hat sooo***die hat so billige
((gedehnt))
Ve: ohh
Bx: nee
((schmunzelnd))
Si: du hast die noch nie gesehen, ne
Sa: /**also, wir ham ja Auch so stiefel, ne, *aber die hat
Ve: (geil, eh)
Sa: so richtig bIllige, weisste, du kanns_ja so stiefel/, *weisse,
Sa: man kann ja sowas Anziehen, sowas was eher so_n*
Si: so_n leichten tIffentouch
((schmunzelt))
Sa: leichten**n_touch hat, ne, aber nich dann so aus*so scheiss
Si: ja
(.(Sa zustimmend) )
Sa: materiAl is, weisse, wir ham ja Auch so stiefel, aber
Sa: die sind ja aus lEder und die hat die so aus*plAstik und
Sa: so**und dann hatt die noch diese komische***strEtchhose
((holt Luft)) ((gedehnt))
Ve: ((schmunzelt))

Beispiel: "Tiffentouch"

Zit. nach SchubertSchubert, Daniel 2009, S. 205

 DissenDissen:Das HandlungsmusterHandlungsmuster des Dissens kann als eine Form verbaler Duellierung mit gesichtsbedrohenden Akten und entscheidender ModalitätModalität zwischen Spiel und Ernst angesehen werden, wobei Mitgliedschaft und Status in der Gruppe verhandelt werden. DeppermannDeppermann, Arnulf/HartungHartung, Martin (2001, 84) rechnen das folgende Beispiel zum DissenDissen:

Dennis: <<atmet Rauch aus> schw::> (-)
Markus: toll; mach doch ma geschEIte ringe, (-)
Wuddi : <<ff> a:::ch komm-> (.)
Markus: aja das is doch schEI[ße-]
Wuddi : [dr]uffes stück schEIße-
Fabian: <<schrill, ff, kreischend> =ahahaha↑A:::?>
((klatscht in die Hände))
<<kreischend, ff, japsend> HA↑U?> (-)

Beispiel: "Rauchringe"

Zit. n. DeppermannDeppermann, Arnulf/Schmidt, Axel/Schmidt 2001, S. 84

 Frotzeln:FrotzeleienFrotzelei, frotzeln finden in Gegenwart des Frotzelobjekts statt und beinhalten eine spielerische ProvokationProvokation eines Gruppenmitglieds vor dem Gruppenpublikum. Ein Beispiel „Teenager“ findet sich im vorliegenden Band im Kapitel IV.3.1.3.1, S. 186.

 ErzählenErzählen:Im folgenden Beispiel von Steckbauer/Bahlo/DittmarDittmar, Norbert/Pompino-Marshall (2014) erzählt Dustin eine „krasse Geschichte“ von einem Jungen, der mit seinem Motorrad von der Schule losfahren will. Mit der sprachlichen Performanz, insbesondere der Rhythmisierung, wird auf die emotionale Einbindung der Zuhörer besonderer Wert gelegt.

N: hm-
MAR: we::r- f=hh auf der schule NUR;
DUS: ja isch- w=wie bei
uns in der schule .hh ein Junge? (-) er=er is isch glaub DEUTscha;=er hat so orange haare, .h e:r er=er ist ungefä:hr ich weiß nicht ACHTzehn oder so, (.) is jetzt die letze KLASse, .h und der fährt ein MOTOrad;
(--)
N: ´`hm
DUS: er WILL=er will von der sch´=er will von der schule
losfahren, er hat sein helm auf, (.) also=aber nu:r so AUFgesetzt; nicht jetzt so ZUgemacht; .h will grad mit dem rad rausrolln aus der schule, (.) .h da komm zwei TÜRkn, (.) der eine nimmt ihn den helm ab, .h der andere gibt ihm ne KLATsche, .h plötzlich holt der andre sein gürtel raus und schlägt richtig mit der gürtelschnalle auf sein kopf .h diese KLEIne SCHNALLe da womit man [dis in die LOCH macht; .h IN sein kopf rein,=richtich so
N: [hm
DUS: rein? (-) .h und DENN so die sa:gn und denn mach nich noch einma: mein Vater an;=oder so; –
DEN: is der gestorben,
((N räuspert sich))
DUS: nein nur so ähm (-) kleines stück äh in: KOPF rein;
TIZ: ja: alter
voll BLUT am MOTOrad;

Beispiel: „Schlägerei“

(Zit. n. Steckbauer/Bahlo/Dittmar/Dittmar, NorbertPompino-Marshall 2014, S. 146)

 BricolagenBricolage:Zu den gemeinsamen Handlungsmustern in Jugendgruppen können auch die Bricolagen gerechnet werden. Dazu zählen Wort- und SprachspieleSprachspiele, die z.B. durch mediale Formate bekannt wurden und nun von den Jugendlichen in einem neuen Kontext verwendet werden. Könning präsentiert ein Beispiel jugendlicher Gymnasiasten, die ihre Bricolage dem TV-Format: Got to dance entlehnen:

M1 [ ((lachen)) ]
M2 [(xxx xxx xxx) wird_n RICHtiger angeber irgendwann; ]
F1 [ja der wird_n richtiger macho; ]
M3 [ja der wird (.) ich mein der; ]
<<in hoher verstellter stimme intoniert> ich kann auch breakdancen >
((lachen))
M3 <<lachend> toll>.
F1 schön für dich;
M4 wen juckt_s,
wo is der bus,
M2 = wo is die kette,
M5 wayne interessiert_s,
((allgemeines lachen))
M2 wayne interessiert_s
M3 wayne rooney;
M6 voll whack alles hier.

Beispiel: „Wayne interessiert`s“

(Zit. n. Könning 2015, S. 376)

Aus Gallikers Studie (2014) entnehmen wir folgendes Beispiel: Bei einem Open-Air-Festival werden die Jugendlichen aufgefordert, den in einer Glasflasche mitgebrachten Alkohol in PET-Flaschen umzufüllen. Nun wird der Deckel für die PET-Flasche gesucht. An dieser sprechstilistischen BricolageBricolage mit verschiedenen RessourcenRessource (unmarkierte Normallage, lokaler DialektDialekt, gruppenspezifischer Stil, ethnolektalesEthnolekt, ethnolektal Sprechen, bewusst fehlerhaftes Englisch) beteiligen sich alle anwesenden Gruppenmitglieder.

Personen: Sicherheitsbeamter (SIC), Marco (MAR), Andreas (AND), Martin (MAT) und weitere

SIC: isch das alles ( (=der gesamte Alkohol) )
hä?
MAT: ja!
SIC guèt!
AND: sori
MAR: hee=
wo isch daa de teckèl?
SIC: tschau zäme
?: merssi vilmal
AND: schöns wuchenänd ( (ironisch) )
MAR: adee ( . )
uf niämee=wider=gesee
hem=mer da?
( (pfeift) )
( (…) )

Ausschnitt 1

ÜbersetzungÜbersetzung:

SIC: Ist das alles? Hä? [Er kontrolliert, dass sie allen Alkohol aus den Glasflaschen in Petflaschen umgiessen]. MAT: ja! SIC: Gut! AND: Sorry [entschuldigt die Umstände]. MAR: Hey, wo ist der Deckel? SIC: Tschüss miteinander. ?:Danke vielmals. AND: Schönes Wochenende. MAR: Ade auf Nimmerwiedersehen. Haben wir da?

MAR: <<genervt> hör mal uuf!
Tue nid h↑ä!>
hEE=
ich ha scho ganz <imitiert Betrunkenen <s=nasses bÄi>
AND: gratuliere rächt härzlich ((ironisch))
MAR: hed Öpper
Hed öpper gfunde ddeggel?
ddeggel?
?: will=mer amgis au gisch
( (…) )

Ausschnitt 2

ÜbersetzungÜbersetzung:

MAR: Hör mal auf! Mach das nicht hier! Hey, ich hab schon ein ganz nasses Bein [einer verschüttet was beim Umgießen]. AND: Gratuliere recht herzlich [gratuliert ironisch für die nasse Hose]. Mar: Hat jemand, hat jemand gefunden Deckel? [sic] Deckel? ?: Weil du mir normalerweise auch gibst.

MAR: schmäiss (.)
hesch dui ä teckel?
MAT: ja wo wett dä anäggangä si?
( (… ) )

Ausschnitt 3

ÜbersetzungÜbersetzung:

MAR: Schmeiss [den Deckel]. Hast du einen Deckel? MAT: Ja, wo will der hingegangen sein?

MAR: hööfli! ((Andreas))
hööfli!
MAT: dui bisch gfraagt
MAR: allgemäine suche nach disem deggel?
duu iuu siin dis deggel?
( (Rülpser, Stimmen im Hintergrund) )
Mar: dä hend=er mit i brunne grüert
AND: näi=
mier hend dich nu gfraagt
MAR: schäiss=egaal

Ausschnitt 4

ÜbersetzungÜbersetzung:

MAR: Höfli [=Andreas]! Höfli! MAT: Du bist gefragt. MAR: Allgemeine Suche nach diesem Deckel? Do you seen this Deckel? [sic] MAR: Den habt ihr mit in den Brunnen geschmissen. AND: Nein, wir haben dich doch gefragt. MAR: Scheissegal.

Beispiel: "ddeggel?"

(Zit. n. Galliker 2013, S. 295f)

Diese Studien heben hervor, dass die von ihnen erarbeiteten MusterMuster nicht unbedingt jugendexklusiv, sondern vielmehr jugendpräferentiell gebraucht werden, wobei nicht nur FrequenzFrequenz-, sondern auch BedeutungsunterschiedeBedeutungsunterschied zum Gebrauch dieser Muster in anderen Generationen eine Rolle spielen. Gleichwohl mangelt es noch an solchen intergenerationellen Vergleichen (s. Kap. 4.2), z.B. zwischen dem LästernLästern von Jugendlichen und von Erwachsenen. Steckbauer u.a. deuten eine solche generationsvergleichende Perspektive von Erzählungen Erwachsener und Jugendlicher mit gebotener Vorsicht an: „Während Erwachsene Erfahrungen gegenseitig zugänglich und erfahrbar machen wollen (Austausch auf „Augenhöhe“), wollen Jugendliche oft vor allem beeindrucken und (emotionale) Effekte wirksam machen“ (2014, 154). Die Annahme von Jugendtypik für bestimmte kommunikative Muster ist aber für die Jugendsprachforschung und ihr Gegenstandsfeld von entscheidender Bedeutung, wenn sie nicht in der allgemeinen Sprachgebrauchsforschung aufgehen will3.

Bezieht man jugendsoziologische und sozialisationstheoretische Überlegungen ein, so kann verdeutlicht werden, warum HandlungsmusterHandlungsmuster wie BlödelnBlödeln, Frotzeln, LästernLästern oder DissenDissen gerade für Jugendliche im Prozess der sozialen IdentitätIdentitätsozialeskonstruktion sprachbiographisch so bedeutsam sind. Auch das sprachkreative Potential der SprachspieleSprachspiele und BricolagenBricolage, die vergemeinschaftende Funktion von Spaß, Witz und Scherz spielen in der Jugendphase eine besondere Rolle.

So betont Schubert in seiner Studie über das LästernLästern u.a. die bedeutsamen Funktionen der VerständigungVerständigung über soziale Werte in der präsenten Peergruppe, Walther demonstriert die BedeutungBedeutung des BlödelnsBlödeln wie des Frotzelns als Formen der ScherzkommunikationScherzkommunikation für die Jugendlichen, und in Gallikers Studie spielt das identifikatorische SprachspielSprachspiele mit einer Verwendung ortsdialektaler Merkmale eine entscheidende Rolle. Die meisten der oben genannten Handlungsmuster, die überdies noch alters- und geschlechtstypisch ausgeprägt sein können, werden gruppenintern und oft im Modus der Scherzkommunikation verwendet; gruppenexterne AbgrenzungsfunktionenAbgrenzungsfunktion können beim Lästern gegenüber Outgroup-Mitgliedern als Lästerobjekte oder auch beim DissenDissen im Ernstfallmodus auftreten. Solche Fälle sind für die Forschung allerdings schwer zugänglich, zumal die AbgrenzungenAbgrenzung von Frotzeln und Dissen im intragruppalen Scherzmodus nicht immer trennscharf vorgenommen werden können.

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