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12. Wer bin ich? Parallelwelten

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Vor diesem Kapitel hab ich mich lange Zeit gedrückt. Tja, wer bin ich? Wer bin ich wirklich?

Bin ich die verlassene Frau mittleren Alters, die ihrer Jugend hinterher läuft? Bin ich die fleißige Mitarbeiterin? Bin ich die gute Freundin? Bin ich die Prosituierte? Bin ich die moderne Großstadtpflanze? Scheiße, manchmal bin ich mit mir auch total überfordert. Wenn ich in der Woche nicht mindestens 20 neue Anfragen oder 5 Dates habe, fühle ich mich nicht begehrt. Es ist so verrückt, aber der Blickwinkel verändert sich total.

Auch im Hinblick aufs Geld. Was völliger Quatsch ist. Im Grunde genommen brauche ich das ganze Geld gar nicht. Ich verdiene gut. Aber man gewöhnt sich schnell daran. Mal eben nach New York – kein Problem. Ich gehe super teuer einkaufen – kein Problem. Jeden Morgen in meinem Lieblingscafé, jeden Mittag zum schicken City-Lunch, abends beim Franzosen, Japaner, Inder oder anderen Exoten. Es läppert sich – dieser City Life Style, wie man ihn aus amerikanischen TV-Soaps kennt.

Diese Parallelwelten haben auch Tempo. Ihr müsst euch das vorstellen, Vollzeitjob und manchmal auch mehr als 40 Stunden in der Woche, da ich ja Führungskraft bin. Abends dann die Dates, manchmal auch schon morgens. Dann habe ich noch einen Freundeskreis und ich habe auch noch ein wenig Restfamilie. Es gibt eigentlich keinen Tag in der Woche, wo ich nicht mindestens 16 Stunden am Tag beschäftigt bin. Ein Hobbypsychologe würde sagen, ich laufe weg. Ist mir aber zu platt gedacht. Ich träume wie irre. Träume ganz oft, dass ich den idealen Weg nicht finde. Ich suche und verlaufe mich. Oder ich schaffe es nicht, mein iPhone zu bedienen. Alle Tasten sind gesperrt. Oder ich träume von Schlangen. Manchmal stehe ich morgens um 5 auf und bin wach und fit. Und bin enttäuscht, dass der Rest der Welt nicht ebenfalls wach ist.

Ich frage mich, wann der Zeitpunkt kommt, wo ich morgens in den Spiegel schaue und sage: so heute ist Schluss. Du lebst ab sofort ein normales Leben. Aber ich habe Angst mich zu trennen. Ich habe richtige Trennungsangst, wenn ich mir vorstelle, ich könnte Kunde A oder B oder C nicht mehr treffen. Dieser abwechselnde Sex ist einfach großartig. Es bereichert mich.

Ich kenne und ich liebe meinen Körper. Diese Männer haben mich zu einer richtigen Frau gemacht. Mit einigen Männern erlebe ich tolle Orgasmen. Ich liebe es, Frau zu sein. Mit allem was dazu gehört. Ich kleide mich weiblich, liebe meinen Frisör, gehe regelmäßig zur Kosmetikerin (die mich mittlerweile mit Küsschen begrüßt und verabschiedet), ich flirte im Supermarkt und ich kann sagen: ICH BIN GLÜCKLICH.

Dann die Angst. Angst davor, entdeckt zu werden. Meinen Job wäre ich sofort los. Ich arbeite in einer seriösen Branche, wo mit viel Geld gearbeitet wird. Geld von Mandaten. Das könnte mein Chef mir nie verzeihen. Er wollte ja nicht mal eine Weihnachtsfeier in der Nähe von der Reeperbahn machen – zu unseriös.

Meine Angst davor entdeckt zu werden, ist so groß, dass ich im Job die totale Spießertante bin. Ich bin auch noch Ausbilderin. Puh, die ganzen jungen Kerle. Kopf Kino. Ich trinke auf Firmenfeiern keinen Alkohol. Einfach weil ich weiß, dass ich dann auf der Bar (richtig gelesen, auf der Bar, nicht an der Bar) stehen würde und schmutzige Witze erzählen würde, umringt von 10 Männern. Geht einfach nicht. Daher schütze ich mich mit Spießertum. In Besprechungen sitze ich mit Chanel Lesebrille und lasse den Schlaumeier raushängen. Lasse mir von meiner Assistentin einen Pfefferminztee bringen. Gin Tonic wäre natürlich geiler.

Ich lese gerade Machiavelli für Frauen. Strategie und Taktik im Kampf der Geschlechter. Analysen und Biografien starker Frauen. Ratgeber für Frauen um ihre Durchsetzungskraft zu stärken.

Ich arbeite an mir.

An meiner Gesamtperformance.

An meiner Glaubwürdigkeit.

An meinem idealen Weg.

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