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Kapitel 5 Glitzerschuhe und andere schreckliche Dinge
ОглавлениеLangsam öffnete Shanli ihre Lider. Im selben Moment malträtierte sie ein wummerndes Pochen an ihrer Stirn.
Was war geschehen? Ach, ja sie war gegen die Tür geknallt, wegen des komischen Kerls. Kerl?!
Die Erinnerung stürzte auf Shanli ein wie ein Eimer eiskaltes Wasser. Sofort rappelte sie sich auf, bis sie, aufrecht sitzend, mit ihrem Rücken an der geschlossenen Tür lehnte. Zu ihrem Entsetzen stand der seltsame Eindringling nach wie vor in ihrem Zimmer herum. Was bedeutete, dass es kein verrückter Traum gewesen war und dass sie … Nein, das konnte sie nicht glauben!
Ängstlich blickte sie an sich hinunter. Tatsache, sie war ein Mann!
»Nein, nein, nein! Das kann nicht sein!«, hechelte Shanli und verfiel zusehends erneut in Panik.
Der Mann hatte sich, in seiner anscheinend typischen Pose, mit verschränkten Armen, vor ihrem Bett aufgebaut. Seine Brauen wanderten seinem braunen Haarschopf entgegen, als er sie argwöhnisch betrachtete.
»Jetzt komm mal wieder runter von der Palme!«, fuhr er sie an, was sie wohl beruhigen sollte. »Du tust so, als wäre es das Schrecklichste auf der Welt, ein Mann zu sein!«
Fassungslos starrte Shanli den braunhaarigen Eindringling an, der lediglich ein paar Jahre älter als sie sein konnte. »Das ist es doch auch!«
»Naja, wenn man so aussieht wie du, dann wahrscheinlich schon!«, meinte er amüsiert.
Wütend wippte Shanli mit ihrem Kopf. »Sagt der Mann in lila Pumphose.«
»Hey, zu meiner Zeit war das total angesagt, ja?!«
Shanli prustete: »Wann soll das gewesen sein? Im letzten Jahrhundert?«
Der Eindringling verfiel ins Grübeln. »Nein, das muss schon länger her sein. Denn als ich das letzte Mal draußen war, war Kiomars Schah, und davor waren schon zwei Jahrhunderte vergangen, seit ich verwandelt worden bin.«
Shanli sah den Mann befremdlich an. Draußen? Hatte man ihn eingesperrt? Aber …
»Kiomars war … Schah Parviz' Urgroßvater oder so, glaub ich«, nuschelte sie mehr zu sich selbst.
Der Typ war doch nicht ganz klar im Kopf. Was erzählte der ihr da? Gut, sie selbst war auf einmal ein Mann, was ja noch viel verrückter war. Vielleicht war sie diejenige, die einen Sprung in der Schüssel hatte? Bildete sie sich das alles nur ein, träumte sie doch?
»Also, was ist jetzt?«, fragte der Fremde und riss Shanli damit aus ihren Gedanken. »Soll ich dich wieder zurückverwandeln? Ehrlich gesagt ist es sowieso ein Wunder, dass das auf Anhieb geklappt hat. So etwas musste ich nämlich noch nie machen!«
Shanli legte den Kopf schief. »Du hast das getan? Warum?«
Er schüttelte den Kopf, und vorwurfsvoll tönte seine Stimme. »Weil du es dir gewünscht hast! Schließlich muss ich die Wünsche erfüllen, die du aussprichst.«
Verdutzt schaute sie den Eindringling an. Es stimmte, sie hatte sich laut gewünscht, ein Mann zu sein. Mit großen Augen starrte Shanli ihn an.
»Du kannst mir meine Wünsche erfüllen?«
»Jaahaa, solange du das Amulett besitzt.« Der Fremde nickte gemächlich und hatte einen Ton angeschlagen, der deutlich machte, dass er sie für dumm wie Fladenbrot hielt.
Langsam zog ein Strahlen auf Shanlis Gesicht. »Du bist ein Dschinn! Ein Dschinn, so wie der aus dem Märchen mit der Wunderlampe.«
»Naja, so etwas Ähnliches wie ein Dschinn«, gab der Mann zu. »Eigentlich bin ich nur verflucht dazu, anderen zu dienen. In Wirklichkeit bin ich ein Mensch, verstehst du?«
Aufgeregt schüttelte Shanli kurz den Kopf. »Nein. Aber das ist im Grunde ja auch egal. Wichtig ist nur, dass du meine Wünsche erfüllen kannst. Hab ich das richtig verstanden?«
Das Gesicht des Dschinns verfinsterte sich. Er war ein Hohlkopf. Warum glaubte er immer noch, nach all der Zeit, dass sich irgendein Besitzer des Smaragdes für seinen Fluch interessieren würde? Nach vier Jahrhunderten, die es jetzt wohl sein dürften, und den vielen Herren, denen er hatte dienen müssen, sollte er doch allmählich wissen, dass es nur um die Wünsche ging, die er ihnen erfüllen konnte. Auch diesmal würde er den Diener machen und jeden Wunsch, den das pummlige Mädchen aussprach, in die Tat umsetzen. Und verflucht noch mal, er konnte sich schon denken, wohin die Reise gehen würde. Eindeutig zu oft hatte er das durchgemacht.
Mit einem tiefen Atemzug gestand der Dschinn letztlich: »Ja. Leider!«
»Das ist ja wundervoll!«, kiekste Shanli, sprang auf und begann vor Freude, wild auf und ab zu hüpfen.
Der Dschinn rieb sich die Stirn und schloss genervt die Augen. »Kann ich dich jetzt, bitte, zurückverwandeln? Es ist wirklich ein erschreckender Anblick, wenn ein übergewichtiger Kerl in einem zu engen Kleid herumhopst und trällert wie ein zehnjähriges Mädchen.«
»Ja, ja!«, jauchzte Shanli, mit einem Grinsen, das bis an ihre Ohren reichte. Sie trat näher an den Dschinn heran. »Solange ich nicht solche abartigen Glitzerschuhe wie du tragen muss.«
Mürrisch schaute er sie an. »Ja, sehr witzig! Also sprich es aus, damit das Elend ein Ende hat.«
Shanlis Brust hob sich in freudiger Erwartung. »Ich muss es mir nur laut wünschen?« Der Dschinn nickte und Shanli sprach es aus.
»Ich wünsche mir, wieder eine Frau zu sein!«
Ein Sternenregen wirbelt um Shanli auf, und bevor sie es sah, wusste sie, dass sie wieder ihren weiblichen Körper hatte, denn es fühlte sich richtig an. Lächelnd sah sie auf ihren großen Busen und ihren runden Bauch hinab.
Höhnisch kommentierte der Dschinn das Ergebnis: »Ja, das erklärt einiges. Da du nicht wieder schreist, gehe ich davon aus, dass dein … mehr als runder Zustand normal ist. Und kein Fehler von mir.«
Verärgert schaute Shanli zu dem Geist des Amuletts auf. Nun, wo sie dicht vor ihm stand, bemerkte sie, dass seine Augen voller Spott waren und die gleiche giftige Farbe wie der Smaragd hatten.
»Wie bekomme ich dich nervigen Dummschwätzer eigentlich wieder in den Anhänger hinein? Spuck es aus, du Scherzkeks! Was ist das Zauberwort?«
In zynischer Lässigkeit verzog der Dschinn einen Mundwinkel. »Nett, wirklich! Im Allgemeinen nennt man mich allerdings Navid. Und wenn du meine Dienste nicht mehr benötigst, solltest du Folgendes sagen: Oh, wundervoller Navid, schönster, edelster Mann, der auf Erden wandelt, auf ewig werde ich dir dankbar sein.«
Shanli versteinerte augenblicklich und betrachtete ihr Gegenüber. Der Kerl nahm sie doch auf den Arm und war eingebildet, dass es nur so krachte. Gut, seine Mähne hatte eine Farbe, die sie an leckere Haselnüsse denken ließ. Mochte sein, dass diese ungezügelten Wellen, die um sein markantes Gesicht fielen, auf manche Frauen einen gewissen Reiz ausübten. Ohne Frage auch seine grünen Augen. Dennoch war seine Hakennase nicht zu übersehen. Aber zusammen mit den schmal geschwungenen Lippen und dem kantigen Kinn war sein Gesicht alles andere als hässlich. Offensichtlich hatte der Pumphosen-Dschinn jedoch eine übergroße Schwäche für Schmuck, denn die goldenen Kreolen an seinen Ohrläppchen blitzten bei jeder Bewegung auf. Sogar seine Handgelenke wurden von breiten Goldspangen umfasst. Sie könnte wetten, dass er mehr als einen protzigen Fingerring an jeder Hand trug. Schade, dass sie ihre Vermutung nicht überprüfen konnte. Er hielt nämlich seine Hände unter den verschränkten Armen verborgen. Doch alles wies daraufhin, dass der Dschinn, welcher sich als Navid vorgestellt hatte, ein eitler, eingebildeter Pfau war. Und so, wie er sich benahm und aus seiner bestickten Seidenweste schaute, einer der allerschlimmsten Sorte. Na, das würde etwas geben! Dem Herrn würde sie gleich mal zeigen, wo das Kamel seine Locken hatte!
»Klar! Wundervoll! Schönster Mann!«, wiederholte Shanli vermeintlich ruhig seine Worte. Doch dann verpasste sie Navid einen unerwarteten Schlag auf den Hinterkopf und schrie ihn laut an: »Du hast sie doch nicht mehr alle! Ich geb dir gleich wundervoll!«
»Aua! Ist ja gut, Dickerchen. Das war es!«, entgegnete Navid kleinlaut und zog den Kopf ein.
»Wie: ›Das war es‹?«, wollte Shanli wissen.
Aber kaum hatte die letzte Silbe ihren Mund verlassen, musste sie zusehen, wie Navid anfing, sich um seine eigene Achse zu drehen. Er wurde immer schneller und schneller. Schließlich verwandelte er sich in einen grünen trichterförmigen Wirbelwind, der röchelnd in den Smaragd eingesaugt wurde. Zum Schluss hinterließ er nur noch ein leises Pupsgeräusch, das als letztes Anzeichen seiner Existenz im Raum nachhallte. Innerhalb von Sekunden war der Dschinn verschwunden. Nur noch das Amulett mit dem grün funkelnden Juwel lag am Boden, als wäre nie etwas geschehen.
Geschockt von Navids plötzlichem Verschwinden nuschelte Shanli benommen: »Jetzt hat der Kerl hier noch einen fahren lassen. Direkt vor meiner Nase! Ich fass es nicht!«
Vorsichtig schnüffelte sie. Zumindest war sein Abgang ohne Gestank. Ein Dschinn, der furzte, wenn er sich dünne macht. Unglaublich! Und … wie bekam sie ihn jetzt da wieder heraus?
Auf Zehenspitzen näherte sie sich dem Schmuckstück und hob es mit spitzen Fingern vom Boden auf. Damit sie den Smaragd besser untersuchen konnte, ließ sie ihn vor ihrer Nase, an der Kette, herunterbaumeln. Dämmriges Tageslicht fiel durch das Fenster und ließ den Edelstein hell leuchten. Das dunkle Grün war faszinierend und erinnerte sie an Navids Augenfarbe.
Shanli konnte es nicht glauben, sie hatte einen Dschinn. Zwar einen selbstgefälligen Angeber-Dschinn, aber immerhin konnte er ihr alle Wünsche erfüllen, die sie sich vorstellen konnte. Genau! Das war es – nein, halt! Das war der Satz, den sie sagen musste, wenn er verschwinden sollte. Aber kurz bevor er aufgetaucht war, hatte sie dreimal laut gesagt: Ich wünschte. Das musste es sein.
Und so sprach Shanli die Sätze laut in ihr verlassenes Zimmer: »Ich wünschte. Ich wünschte. Ich wünschte.«
Gebannt hielt sie die Luft an und wurde aus nächster Nähe Zeuge, wie … nichts passierte. Nach wie vor baumelte der Smaragd träge an der Kette, doch von Navid und seiner lila Pumphose war weit und breit keine Spur.
Shanli seufzte. War er sauer? Wollte der kleine Wichtigtuer etwa nicht mehr herauskommen? Konnte er sich da drin womöglich festhalten?
Die Bäckerstochter nahm den Smaragd in die Hand und schüttelte ihn. »Komm raus! Los mach schon, du Drückeberger, du hast lange genug auf der faulen Haut gelegen«, brüllte sie den Stein an.
Abermals geschah nichts. Shanli versuchte, sich an das zu erinnern, was sie getan hatte, als sie den Dschinn herbeigerufen hatte. Niedergeschlagen hatte sie sich ins Bett fallen lassen. Sich in Selbstmitleid geaalt und an ihren Vater gedacht, dann hatte sie den Smaragd aus seinem Versteck geholt. Sie hatte ihn in den Händen gehalten, fest umschlossen. Und … ja, sie hatte ihn gerieben, während sie die Sätze laut ausgesprochen hatte.
Aufatmend entschloss sich Shanli, es gleich noch mal zu probieren, und diesmal würde sie den Smaragd reiben.
Getan, gesagt.
»Ich wünschte … ich wünschte … ich wünschte«, und schon ging ein Ruck durch den Smaragd, und Navid, der Dschinn, stand, in seiner üblichen Haltung mit verschränkten Armen, wieder vor ihr. Seinen Kopf hatte er leicht in den Nacken gelegt, und von oben herab (was keine Kunst war, da er sie um einen guten Kopf überragte) schaute er sie an.
»Na, welchen Wunsch hat unser Schwabbelchen denn jetzt schon wieder?«