Читать книгу 1001 Dattelkeks - Ewa A. - Страница 9

Kapitel 4 Smaragdgrüne Flammen

Оглавление

Golroo und Taliman fingen Shanli im Hof ab.

»Und? Was hat er gesagt?«, fragte Taliman sogleich.

Golroo schimpfte: »Wie kannst du so was fragen? Siehst du nicht, wie elend sie aussieht.« Sie legte Shanli den Arm auf die Schulter. »Was hat der Schah gesagt?«

Niedergeschlagen murmelte die Bäckerstochter: »Dass er eine schöne Ehefrau an seiner Seite braucht.«

Talimans Brauen zogen sich zusammen. »Oh, das ist aber nicht ganz das, was wir erwartet haben.«

»Nein, nicht ganz«, pflichtete Shanli ihm unglücklich bei. »Er schickte alle fort, die ihm nicht hübsch genug waren. Auch Nisra, die Metzgerstochter.«

Golroo nickte verärgert. »Wegen ihrer Nase wahrscheinlich.«

»Ja, die ist recht ungewöhnlich, mit ihrem Buckel«, sagte Taliman.

»Sie ist das gutherzigste Mädchen, das ich kenne. Nisra würde alles für einen tun.« Shanli wurde wütend. »Und Bitu, die gewöhnlich immer ein Lächeln auf den Lippen trägt und immer ein offenes Ohr für einen hat, wurde aus dem gleichen Grund wie ich abgewiesen: weil sie zu dick ist!«

»Ja, natürlich«, empörte sich Golroo. »Sie ist ja noch dicker als du!«

Taliman fuhr seine Frau an: »Na, jetzt übertreib mal nicht so! Bitu ist gar nicht so dick wie Shanli!«

Wäre ihr nicht zum Heulen zumute gewesen, hätte sie über die zwei Alten gelacht. Aber momentan war ihr überhaupt nicht danach. Viel lieber wollte sie sich nur noch in ihr Bett verkriechen, sich die Decke über den Kopf ziehen und es nie wieder verlassen.

Shanli beschloss, dass das die beste Idee des Tages war, und verabschiedete sich von dem Ehepaar. Mit hängenden Schultern schlurfte sie heim. Sie verschloss die Eingangstür ihres Hauses, schlüpfte aus ihren Schuhen und ließ den Korb, der die unberührten Süßigkeiten enthielt, an Ort und Stelle fallen. Die Küche sah noch immer wie ein Schlachtfeld aus, was Shanli seufzen ließ. Überall standen verklebte Schüsseln und lagen benutzte Rührlöffel herum, die sie an ihre vergebene Mühe erinnerten. Nuss- und Eierschalen lagen zum Teil auf dem Boden. Spuren von Mehl und Sesam zogen sich durch den ganzen Raum.

In der Nacht war sie zu müde gewesen, um aufzuräumen, und am Morgen konnte sie nicht schnell genug zum Palast gelangen. Und für was? Um auf ganzer Linie zu versagen. Sie war weder Hoflieferantin geworden noch in die Brautauswahl gelangt. Wie hatte sie nur glauben können, eins dieser Ziele zu erreichen?

Tränen kullerten über Shanlis Wangen. Sie brachte nicht mehr die Kraft auf, Ordnung zu schaffen. Ausgelaugt bis auf die Knochen, schien das Bett sie magisch anzuziehen.

In ihrem Schlafzimmer ließ sie sich sofort auf die Matratze fallen und rollte sich zu einer Kugel zusammen. Mit dem Kissen unter dem Kopf, das den wohlvertrauten Geruch ihres Zuhauses in sich trug, kamen Erinnerungen an ihre Kindheit.

Wie glücklich sie gewesen war, ohne es zu ahnen. An ihre Mutter erinnerte sie sich nur vage. Denn diese war gestorben, als sie fünf Jahre alt gewesen war. Aber umso mehr Platz nahm ihr Vater in ihren Gedanken ein. Vor ihren Augen formten sich Bilder, als er ihr zeigte, wie man Eischnee besonders steif schlug. Oder als sie beim Gewürzhändler die Säcke nach neuen Aromen durchschnüffelten. Oder wie sie stundenlang Mandeln aus den nassen Häuten flutschen ließen und sich dabei scheckig lachten, weil die Kerne durch die ganze Küche hopsten. Sogar dann noch, als es ihm immer schlechter ging und er sich nicht mehr allein auf den Beinen halten konnte, hatte er es genossen, mit ihr die kleinen Arbeiten zu verrichten, die die Süßbäckerei mit sich brachte. Wie sehr sie sein Lachen vermisste!

Lange bevor seine letzte Stunde geschlagen hatte, sagte er ihr voraus, dass er bald sterben würde. Zuerst hatte sie seine Aussagen als grundlose Ängste abgetan und ihm widersprochen. Aber dann, als er nicht mehr gesund wurde, sondern immer schwächer und kränklicher, begriff sie, dass er sein Ende spürte. Ab jenem Zeitpunkt war ihr jeder Tag, den sie mit ihm verbringen durfte, wie ein Geschenk vorgekommen. Omid hatte sie gut vorbereitet auf seinen Tod, denn er hatte gewusst, dass es für sie nicht leicht werden würde. Nachts hatte sie sich lautlos in den Schlaf geweint, um ihm tagsüber ein Lächeln schenken zu können. Doch nun, wo er nicht mehr hier war und alles, wofür er sein Leben lang hart gearbeitet hatte, unterzugehen drohte, schmerzte sie seine Abwesenheit stärker als je zuvor.

Sie hatte nicht nur sich enttäuscht, sondern auch ihren Vater. Ohne die Einnahmen vom Markt würde sie bald keine Zutaten mehr kaufen können. Das Wenige, was der Verkauf über das Küchenfenster einbringen würde, könnte nie und nimmer die Ausgaben für die teuren Gewürze oder Mandelkerne decken. Bald wären ihre Vorräte aufgebraucht, und dann musste sie Zutaten minderer Güte kaufen, was sich unweigerlich auf den Geschmack ihrer Süßigkeiten auswirken würde und dies wiederum auf ihren Verkauf. Womöglich würde sie irgendwann gar kein Geld mehr haben, um Zutaten zu kaufen. Wie sollte es nur weitergehen?

Musste sie wirklich das einzig Wertvolle, das sie von ihrem Vater geerbt hatte, verkaufen müssen? Omid hatte ihr das Amulett kurz vor seinem Tod gegeben. Sie war überrascht gewesen, denn sie hatte nicht gewusst, dass er ein solch wertvolles Schmuckstück besaß. Mitten in der Nacht hatte er es ihr in die Hand gedrückt und sie ermahnt, es niemandem zu zeigen.

Verstohlen suchte Shanli in der Innenseite ihres Kopfkissens nach der geheimen Tasche, wo das Amulett versteckt war. Kaum hatten ihre Finger das Fach ertastet, zwängten sie sich durch die kleine Öffnung und wurden fündig. Sie barg das schwere Schmuckstück, dessen Kälte sie leicht erschaudern ließ. Wehmütig betrachtete sie den daumengroßen Smaragd, der die Form eines Tropfens hatte und an einer groben Goldkette hing. Seine goldene Fassung war kunstvoll verarbeitet und mit vielen winzigen Diamanten verziert. Selbst jetzt noch, in der schwachen Nachmittagssonne, glitzerten diese wie blanke Sterne. Und der geschliffene Smaragd schien regelrecht zu glühen, als loderte eine Flamme in ihm. Wie gebannt starrte Shanli auf das Medaillon. Sie konnte sich gar nicht satt sehen an seiner Schönheit.

Sollte sie diese Kostbarkeit wirklich verkaufen? Sicher würde sie für das Schmuckstück eine Menge Geld bekommen, aber sie würde es nie wiedersehen. Das war ebenso sicher. Denn nie im Leben würde sie mit ihren Süßigkeiten so viel verdienen, um dieses Schmuckstück zurückkaufen zu können. Verzweifelt schloss Shanli die Augen und die Hand, in der das Amulett lag. Sanft rieben ihre Fingerspitzen über den kühlen Stein.

Alles könnte so einfach sein, wenn nur … Ja, es gab einiges, was ihre aussichtslose Situation verbessern würde.

»Ich wünschte … ich wünschte …«, nuschelte Shanli in die Stille ihres Zimmers.

Ja, was sollte sich alles erfüllen? Dass Parviz sich in sie verlieben würde, dass sie nicht mehr dick war, dass sie genügend Geld hatte … oder wenigstens, dass sie auf dem Markt verkaufen dürfte. Oder etwas, dass dies alles unnötig machen würde.

»Ich wünschte … Ich wünschte, ich wäre ein Mann!«

Erschrocken öffnete Shanli die Augen, denn ein Ruck war durch das Medaillon gegangen. Was war nur mit ihr los? Wieso sah sie plötzlich Sterne vor Augen? Vielleicht war sie übermüdet.

Shanli kniff die Augen zusammen und hörte im nächsten Moment eine Männerstimme.

»Naja, ich weiß nicht, ob das jetzt eine Verbesserung ist?«

Sie riss ihre Lider auf und rang nach Luft, denn vor ihrem Bett stand ein Mann. Ein Kerl in einer lila Pumphose! Er hatte die Arme vor seiner Brust verschränkt, die in einer seidenen Tunika mit Weste steckte. Die Krönung seiner Erscheinung waren jedoch seine Glitzerschuhe, deren Spitze sich zu einer Schnecke kringelten.

Ungläubig starrte Shanli nach deren Musterung wieder in sein Gesicht, und als sich seine Braue in einer zynischen Geste erhob, war es soweit: Sie holte tief Luft und brüllte sich die Seele aus dem Leib.

Doch anstatt zu flüchten, runzelte der braunhaarige Eindringling lediglich die Stirn und meinte: »Was schreist du denn so? Du hast mich doch herbeigerufen.«

Weil er nach wie vor keine Anstalten machte, zu flüchten, sprang Shanli aus dem Bett und begann, mit dem Kissen auf ihn einzuschlagen.

Das Amulett noch immer fest in der Hand, brüllte sie ihn an: »Verschwinde! Was willst du von mir? Ich bin eine anständige Frau! Raus aus meinem Haus!«

Der Mann wehrte sich nicht, sondern versuchte bloß, sich vor den Schlägen zu schützen. »Aua! Hör auf mit dem Unfug! Autsch! Bist du verrückt?«

Schließlich konnte er ihr das Kissen wegnehmen, wobei das Amulett zu Boden fiel. Doch das kümmerte den Eindringling nicht, vielmehr fing er Shanlis Handgelenke ein, weil sie angefangen hatte, ihm eine Ohrfeige nach der anderen zu verpassen.

Erneut fing sie an, zu schreien, allerdings in Richtung Fenster: »Hilfe! So helft mir doch!«

»Wieso rufst du denn jetzt nach Hilfe?«, fragte er kopfschüttelnd.

Shanli geriet in Panik, denn der Kerl schaute sie so komisch an. »Er will mir Gewalt antun!«

»Äh, igitt, nein, will ich nicht!« Angewidert verzog sich das Gesicht des jungen Mannes.

»Ein Frauenschänder! So kommt mir doch zur Hilfe!«, rief die Bäckerstochter und versuchte vergeblich, sich von ihm zu befreien.

Verdattert zog der Braunhaarige den Kopf ein und ließ Shanlis Hände los. »Nur zur Erinnerung: Du bist keine Frau mehr!«

»Was?!«, murmelte sie und hielt verdutzt inne. Seine Worte, wie auch seine erhobenen Hände, die ihr seine Handinnenflächen zeigten, in einer Gebärde des Aufgebens, verwirrten sie.

Der Eindringling zuckte mit den Schultern. »Du hast dir doch gewünscht, ein Mann zu sein. Jetzt bist du einer.«

»Wie?« Shanli schüttelte unverständig den Kopf.

Doch als der Pumphosen-Mann mit seinem Kinn auf sie deutete, blickte sie an sich herunter. Der nächste Schock stand ihr bevor: Ihr Busen war weg, dafür war ihr Bauch noch kugliger als zuvor.

Mit riesigen Augen starrte Shanli wieder den Eindringling an, der sie still beobachtete. Abermals senkte sie ihren Blick und fasste sich nach kurzem Zögern zwischen die Beine, um gleich darauf zu schreien – mit einer Stimme, die, wie sie nun bemerkte, viel tiefer war, als gewöhnlich. Völlig entgeistert, aber immerzu brüllend, schlug sie die Hände vors Gesicht, wo sie prompt einen Bart fand. Total überfordert von ihrem neuen männlichen Körper, fing sie an, vor dem Fremden zu flüchten. Denn nur er konnte schuld daran sein. Rückwärtslaufend, stetig schreiend, wich sie zurück, und als sie glaubte, den Ausgang hinter sich zu haben, drehte sie sich um. Allerdings donnerte sie mit ihrer Stirn gegen die Tür, was ihre Flucht abrupt beendete.

Besinnungslos sank Shanli zu Boden. Der Fremde trat näher an Shanli heran. »Wunderbar! Da kommt man nach einem Jahrhundert endlich mal wieder an die frische Luft, und dann das!« Er schnaufte laut. »Vergiss es! Dich werde ich nicht ins Bett tragen! Bei so einem Brocken, wie dir, heb ich mir ja einen Bruch!«

1001 Dattelkeks

Подняться наверх