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Kapitel 9 Geschenke von einst und jetzt
ОглавлениеEs war früh am Morgen, und die Gassen von Al Hurgha waren so gut wie menschenleer. Navid schaute sich verstohlen um. Sein grünes Kleid, das aus kostbarer Seide gefertigt und mit Hunderten von Perlen verziert war, stand im krassen Widerspruch zu der armseligen Hütte, die er soeben verlassen hatte. Hinter ihm trat Shanli aus der Tür. Auch sie hatte wie Navid die schlanke Blondinen-Gestalt angenommen. Die Bäckerstochter war ebenfalls nobel gekleidet, jedoch strahlte sie, im Gegensatz zu ihrem Dschinn, übers ganze Gesicht. Sie schaute zum Nachbarhaus, dessen Fensterläden noch verschlossen waren.
»Schnell, lass uns gehen, bevor uns Golroo und Taliman entdecken.« Hastig packte sie Navids schmale Hand und zerrte ihn hinter sich her, die Straße entlang, in Richtung Palast.
»Früher oder später werden sie dich in diesem Zustand antreffen. Das wird sich nicht vermeiden lassen«, machte er Shanli auf das Unausweichliche aufmerksam.
»Was soll ich ihnen denn dann bloß sagen?«
Navid zuckte lässig mit den Schultern. »Na, das Gleiche, was wir auch im Palast erzählen werden: dass wir Schwestern sind.«
»Aber werden sie das nicht seltsam finden, dass plötzlich noch eine Cousine aufgetaucht ist.«
Navid schnalzte mit der Zunge. »Warum sollten sie sich wundern? Wenn der Schah, so wie du erklärt hast, im ganzen Reich ausrufen ließ, dass er eine Braut sucht, ist es doch verständlich, dass von überall die Mädchen kommen werden, um im Palast vorzusprechen. Ich bin überzeugt, dass deine Cousinen tatsächlich angereist kämen, wenn du welche hättest.«
Shanli nickte. »Ja, du hast recht.« Beunruhigt blickte sie zu Navid auf. »Wie sehe ich aus? Bin ich noch blond und schlank?«
»Ja. Noch!«, meinte dieser verdrießlich. »Aber ich weiß nicht, wie viel Zeit wir haben …« Nach einem Augenblick des Nachdenkens nahm der Dschinn einen von seinen breiten Armreifen ab und reichte ihn Shanli. »Hier, nimm ihn! Damit kannst du hin und wieder dein Spiegelbild überprüfen.«
Erstaunt betrachtete das Mädchen den schweren Goldarmreif, der in ihrer Hand ruhte. Er war wirklich so breit und blank poliert, dass sie ihr Abbild darin erkennen konnte.
»Aber … er ist ein Vermögen wert. Was, wenn ich ihn verliere?«
Navid schüttelte den Kopf, als wäre es das Abwegigste, was passieren könnte. »Dann verliere ihn einfach nicht. Und wenn, ist es nicht mehr mein Problem. Ich schenke ihn dir.«
Verdutzt blinzelte Shanli und streifte sich andächtig das Schmuckstück über. »Ist das dein Ernst? Er … er ist wunderschön, Navid. Ich kann das nicht annehmen!« Mit einem zaghaften Schmunzeln suchte sie den Blick ihres Dschinns, der fast schon verlegen wirkte. »Vielen Dank. So etwas … Kostbares hat mir noch nie jemand geschenkt. Ich werde ihn in Ehren halten, das verspreche ich dir.«
Die weibliche Navid grummelte: »Keine Ursache.«
Es war schon lange her, dass sich jemand bei ihm für etwas bedankt hatte, und noch länger, dass er irgendjemandem ein Geschenk gemacht hatte. Auch wenn ihm dieser Armreif nichts mehr bedeutete, wie einst, als er nach Ruhm und Reichtum strebte, so gab ihm Shanli jedoch das Gefühl, etwas Wichtiges verschenkt zu haben. Und das war – ein gutes Gefühl. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal mit sich selbst im Reinen gewesen war. Sein Dasein war im Grunde nur noch von Langeweile, Unglück, Reue und Bitterkeit erfüllt gewesen. Seit Shanli ihn allerdings aus dem Smaragd geholt hatte, hatten diese Empfindungen keinen Platz mehr gefunden. Und verrückter Weise, hatte sein Herz einen Schlag ausgesetzt, als sie eben zum ersten Mal seinen Namen ausgesprochen hatte. Bisher hatte sie ihn nämlich mit allem Möglichen betitelt, von »Kamelkopf« bis »Pumphosen-Dschinn«. Vielleicht bildete er sich dies jedoch auch nur ein? Ja, gewiss brachte ihn lediglich ihre dazugewonnene Schönheit durcheinander, die gerade mal wieder im Treibsand verschwand.
»Shanli, du musst die Wünsche aussprechen.«
Erschrocken schaute sie auf Navids breite Armspange, die nun ihr Handgelenk zierte. Ihre Wange bebte bereits, und so sprach die Bäckerstochter die Wünsche aus, welche sie blond und schlank hielten.
Sie hatten den größten Teil der Strecke zurückgelegt, als ihnen zwei Männer entgegenkamen. Deren Blicke glühten voller Bewunderung für die beiden Blondinen. Shanli und Navid versuchten, schweigsam an ihnen vorbeizuhuschen. Die Männer versperrten ihnen jedoch den Weg.
»Wo kommt ihr zwei Hübschen denn her?«
»Wollt ihr etwa auch in den Palast und, wie all die anderen, um den Schah werben?«
»Was?«, fragte Shanli verwundert.
Ein Wildfremder machte ihr, mitten auf der Straße, einfach so ein Kompliment? Das war ja vielleicht nett gemeint, aber sein Ton bereitet ihr irgendwie Unwohlsein.
Während Shanli vor den zwei Fremden ängstlich zurückwich, blieb Navid stehen. Auf seiner Stirn stand überdeutlich »Komm mir bloß nicht zu nah« geschrieben. Allerdings konnten die Männer die Botschaft wohl nicht entziffern. Sie rückten noch dichter an die Mädchen heran.
»Ihr solltet besser um uns werben.«
»Wir sind zwar nicht so reich, aber können euch auf andere Weise ebenso beglücken.«
Navids Lippen verzogen sich voller Verachtung, was sein Gegenüber entweder nicht wahrnehmen wollte oder als Zeichen von unterdrückter Leidenschaft deutete. Denn verwegen strebte der Fremde an, eine von Navids Wellen spielerisch um seinen Finger zu wickeln. Doch der Dschinn packte die Grabscher und bog sie ganz allmählich in eine unnatürliche Haltung. Der Mann ging in die Knie und jaulte zugleich vor Schmerz auf. In seinen weit geöffneten Augen leuchtete Verwunderung.
Navid beugte sich drohend über ihn. »Das, mit dem du mich beglücken willst, kannst du behalten, denn das hab ich selbst. Also spar dir deine blöden Sprüche!«
Der andere Mann, welcher ursprünglich Shanli nachgestellt hatte, eilte seinem Freund zur Hilfe. Er griff nach Navids Arm und fuhr ihn derb an: »He, was fällt dir ein? Lass ihn los, du verrücktes Weib!«
Da Navid mit der einen Hand noch immer den frechen Kerl am Boden hielt, stopfte er dem neuen Angreifer lediglich zwei Finger in die Nase. Seine nun weiblich langen Fingernägel bohrten sich tief in dessen Nasenwände, sodass dieser laut aufschrie. Grob zerrte Navid ihn zu sich heran, mit einem Ausdruck, der wütender nicht sein konnte.
»Was hast du gesagt? Willst du mich womöglich schlagen? Ihr beiden solltet wirklich lernen, euch zu benehmen! Verhält man sich so zwei Frauen gegenüber?«
Shanli stellte verdattert fest, dass Navid wirklich eine Antwort zu erwarten schien, denn den einen rüttelte er an der Nase durch, und dem anderen verbog er noch stärker die Finger.
Im Chor gestanden die zwei Männer hastig ein: »Nein, nein! Aua!«
Das reichte Navid offenbar nicht, weil er sie prompt fragte: »Werdet ihr das noch mal tun?«
Erneut übte er Druck auf die beiden Knilche aus, in deren Gesicht langsam ein Ausdruck von Panik wuchs. Shanli wunderte sich zuerst, wieso dem so war, aber als sie bemerkte, wie sich Navids Gestalt veränderte, konnte es sie den zwei Männern nicht verübeln. Es war ein beängstigender Anblick, wie in Navids hübschem Frauengesicht ein Bart zum Vorschein kam, die Brauen buschiger wurden und die weichen Züge zunehmend an Härte gewannen.
»Nein! Nie wieder!«
»Auf keinen Fall!«, schrien die Männer hysterisch und versuchten, sich zu befreien. Kaum hatte Navid die Finger und Nasenlöcher freigegeben, stürmten die Rüpel davon, ohne sich nochmals umzudrehen.
Shanli schluckte geschockt, während Navid voller Abscheu seine Hand an seinem der Kleid abwischte.
»Igitt, das ist ja ekelhaft. Das nächste Mal schnappe ich ihn besser am Kragen als an der Nase.«
»Ja, das solltest du. Und ich sollte dich wieder zur Frau wünschen.«
Das tat Shanli dann auch gleich, und so setzten sie ihren Weg fort.
Navid schüttelte derweil grübelnd den Kopf. »Unglaublich, was manche Männer glauben, sich erlauben zu können.«
»Mmh, du hast ja keine Ahnung, was ich mir sonst anhören muss«, entgegnete Shanli.
Navid schaute sie von der Seite an. »Schlimmer als das?«
»Naja, sie wollten mich zwar nie anfassen oder in irgendeiner Weise bedrängen, aber dafür … durfte ich mir ihre netten Kommentare anhören, zu meiner Figur.« Betreten blickte Shanli kurz zu ihm hinüber.
Navid wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er erinnerte sich daran, dass er mit seinen Gemeinheiten über Shanlis Unförmigkeit ebenfalls nicht hinterm Berg gehalten hatte, sondern gleich damit über sie hergefallen war, und das auf vielerlei Weise. Selbst als sie bewusstlos am Boden gelegen hatte, war ihm eine Unflätigkeit über die Lippen gekommen.
Betroffen flüsterte Navid: »Tut mir leid, Shanli.« Und er bemerkte, dass er sich sowohl für seine eigenen Beleidigungen als auch die der anderen entschuldigte.
Shanli grinste, und dennoch war ihr anzusehen, dass ihr ganz und gar nicht danach zumute war. »Ach, was soll's! Ich bin es gewohnt.«
Dieser Satz hallte in Navid fort, schmerzte ihm auf der Seele und machte ihn obendrein zornig. Warum achteten die Menschen bei ihrem Gegenüber immer zuerst auf das Äußere? Wieso lernten sie denjenigen nicht erst kennen, bevor sie sich ihre Meinung bildeten? Und warum glaubten sie, demjenigen noch ihre verletzenden Gedanken unter die Nase reiben zu müssen? Hatten wir alle es denn nicht schwer genug, auf die eine oder andere Weise? Sah nicht jeder seine eigenen Makel selbst jeden Tag und vielleicht noch viel schlimmer, als sie in Wirklichkeit waren? Ja, er wusste, warum die Menschen diese gemeinen Dinge taten und warum er selbst es getan hatte. Auch in seinem früheren Leben als Mensch. Er hatte es getan, aus dem traurigen Grund, sich auf diese Weise besser fühlen zu können als der andere.
Der Dschinn und die Bäckerstochter gelangten am Palast an. Auch an diesem Tag warteten bereits viele Mädchen vor den Toren, in der Hoffnung, Parviz' Gattin werden zu können. Ein großer farbenfroher, gackernder Pulk von jungen Frauen tummelte sich aufgeregt vor dem Eingang. Manche von ihnen schienen sogar vor Ort genächtigt zu haben. Einige trugen Banner bei sich, worauf sie ihre Liebe zu Parviz bezeugten oder den Willen, ihm einen Sohn zu gebären.
»Was geht denn hier vor sich?« Navids Erstaunen war maßlos. »Wegen eines einzigen Kerls drehen die Mädechen durch?«
Shanlis Augenbrauen zogen sie vorwurfsvoll zusammen. »Kannst du das nicht verstehen? Es ist die Chance für jede Frau, egal aus welchen Verhältnissen sie kommt, einen gut aussehenden Mann abzubekommen, der nicht nur Geld, sondern auch Macht hat.«
»Aha!«, erwiderte Navid und verschränkte die Arme vor seinem weiblichen Vorbau, den er einen Moment verwirrt betrachtete, da er ihm in die Quere kam. »Es geht dir also doch um den Reichtum und nicht um die Liebe. Ich habe es geahnt!«
»Nein!«, wehrte Shanli ab, um kurz darauf kleinlaut einzulenken. »Es ist schon Liebe. Aber wenn ich die Möglichkeit habe, etwas zu verändern, warum sollte ich diese dann nicht wahrnehmen?«
Navid legte den Kopf schief. »Von welchen Veränderungen sprechen wir?«
Unschuldig blickte Shanli drein. »Naja, zum Beispiel, dass auch Töchter einen Marktplatz von ihrem Vater erben können oder dass Frauen, auch ohne einen Mann, Handel auf dem Markt betreiben dürfen.«
Navids Stirn schlug Falten und aufgebracht fuhr er sie an: »Deswegen stehen wir hier? Darum geht es? Dass du auf dem Markt deine Backwaren verkaufen kannst?«
»Nein, natürlich nicht!«
»Wieso hast du das nicht gleich gesagt? Du hättest dir die Satzung nur verändert wünschen müssen!«
Shanli schüttelte den Kopf. »Abgesehen davon, dass ich Parviz liebe, würde eine Hochzeit mit ihm all meine Problem auf einen Schlag lösen. Ich hätte genügend Geld weiterzubacken …«
»Was als Gemahlin des Schahs nicht mehr nötig wäre«, funkte Navid dazwischen.
»Ich liebe es aber, zu backen! Selbst wenn Parviz mich heiraten würde, täte ich es noch täglich.« Diese Antwort war Navid bloß ein Kopfschütteln wert. »Und ich könnte alle Zutaten kaufen, die ich möchte, ohne mir Gedanken um die Kosten machen zu müssen. Ich könnte die Vorschriften des Marktes ändern lassen, damit es anderen Frauen nicht gleich wir mir ergeht. Endlich wären sie unabhängig von einem Mann, könnten selbst für ihren Unterhalt aufkommen und würden nicht Verwandten zu Last fallen oder einen Mann heiraten müssen, den sie nicht wollen.«
Navid schmunzelte. »Warum willst du diese Änderung erreichen, wenn es dich dann gar nicht mehr betrifft?«
»Ich … weiß nicht. Einfach so, weil ich es eben tun will. Ich kann doch nicht mit Scheuklappen durchs Leben laufen und nur das tun, was gut für mich ist.«
Navid schwieg. Zu gern hätte er Shanli gefragt, warum sie das nicht könnte, aber keine Silbe kam über seine Lippen. Er wollte ihren entsetzten Blick nicht sehen, den sie ihm bestimmt zuwerfen würde, wenn sie seine Einstellung erkannte, die sich hinter dieser Frage verbarg. Insgeheim wusste er, dass nämlich genau dieser Egoismus ihn zu dem gemacht hatte, was er jetzt war: einem Dschinn, der verflucht war, jedem zu dienen, der das Amulett in seinen Besitz gebracht hatte – das Schmuckstück, dessen Eigentümer er selbst einst gewesen war.