Читать книгу 1001 Dattelkeks - Ewa A. - Страница 8

Kapitel 3 Walfänger gesucht

Оглавление

»Shanli, Shanli! Wach auf!«

Ein Poltern an der Haustür ließ die junge Bäckerstochter zu sich kommen. Verschlafen rieb sich Shanli die Augen. Bis spät in die Nacht hatte sie in der Küche gestanden und sich an der Zubereitung der neuen Süßigkeit versucht, die den Schah alles vergessen lassen sollte. Das lange Arbeiten hatte sich jedoch gelohnt, denn sie hatte ein süßes Konfekt hergestellt, welches einem im Munde sacht dahinschmolz, während sich die verschiedenen Aromen der Zutaten auf wunderbare Weise entfalteten. Mit Honig und Sesamsaat in den Haaren war sie schließlich vollkommen erledigt ins Bett gefallen, wo sie noch immer lag, obwohl die Sonne bereits fast ihren Höchststand erreicht hatte.

Gemächlich quälte sich Shanli aus ihrem Nachtlager und legte sich eine Decke um ihre Schultern. Mit einem herzhaften Gähnen öffnete sie ihre Fensterläden, um zu schauen, wer der Verursacher des Radaus war. Das gleißende Sonnenlicht ließ sie ihre Augen zusammenkneifen.

Es waren Golroo und Taliman, die vor ihrer Tür standen.

»Guten Morgen. Einen Moment, ich komme gleich hinunter«, rief sie dem älteren Ehepaar zu und machte sich auf den Weg ins Untergeschoss. Dies bestand nur aus einem Raum, der zugleich Backstube und Küche war. Die meiste Zeit des Tages verbrachte sie dort. Das Obergeschoss bestand aus zwei Zimmern, die ihren Eltern und ihr von jeher als Schlafzimmer gedient hatten.

Kaum hatte sie die Haustür geöffnet, fielen Golroo und Taliman aufgeregt über sie her.

»Shanli, hast du die Neuigkeit schon gehört? Du musst dich bewerben. Alle Mädchen sind bereits auf den Weg in den Palast.«

Verständnislos schüttelte Shanli den Kopf. »Wo muss ich mich bewerben? Warum gehen alle Mädchen in den Palast?«

Strahlend verkündete Golroo, was sie in Erfahrung gebracht hatte. »Heute Morgen verkündeten der Ausrufer des Palastes, dass der Schah eine Braut suche und alle unberührten Jungfern des Reiches um ihn werben könnten.«

»Was? Alle?«, fragte Shanli baff.

Begeistert nickte Taliman. »Ja, ja. Das ist deine Gelegenheit, Shanli. Nach dem gestrigen Zwischenfall auf dem Markt weiß jeder, dass der Schah einen Narren an dir gefressen hat. Du musst noch heute in den Palast und ihm deine Hand anbieten.«

Erschrocken schaute Shanli zwischen den alten Eheleuten hin und her. »Der Schah hat höchstens einen Narren an meinen Keksen gefressen, aber nicht an mir.« Leise nuschelte vor sich hin. »Und das hat ihn schon fast einen Zahn gekostet und mich meinen Kopf.«

»Unsinn. Die Männer erzählten, dass er dich eine Schönheit nannte und dir zuzwinkerte«, rief Golroo entzückt.

Taliman fuhr seine Frau an: »Was redest du da, Weib? Unser Schah ist ein feiner Mann, ein kluger Herrscher. Er hält nicht nach Vergänglichem wie Schönheit Ausschau, sondern nach viel wichtigeren Dingen. Die auserwählten Bewerberinnen müssen sich nämlich noch einer Prüfung unterziehen.« Mit einem liebevollen Lächeln wandte er sich an Shanli. »Er hat deinen Mut und dein goldenes Herz erkannt, Mädchen. Und deswegen wirst du sogleich auf den Hügel hinauflaufen und ihm deine Hand anbieten. Omid hätte darauf bestanden.«

Betrübt senkte Shanli den Blick. Ja, ihr Vater hätte wahrscheinlich das Gleiche gesagt. Dennoch konnte sie Talimans Worten nicht ernst nehmen. Wie hätte Parviz ihr »goldenes Herz« entdecken sollen? Welchen Mut? Vielmehr hatte sie ihm vorgeführt, dass sie sich in ihrer Verzweiflung mit Männern prügelte, im nassen Zustand erbärmlich aussah und mit ihren zahnzerschmetternden Süßwaren ein Attentat begehen konnte. Letzteren Eindruck sollte sie jedoch heute ändern können. Aber … vielleicht hatten Golroo und Taliman recht, und Parviz war ihr gegenüber gar nicht so abgeneigt, wie andere ledige Männer es waren? Schließlich hatte er sie angelächelt und nicht ausgelacht, wie es die Händler getan hatten. Während diese sie verhöhnt hatten, gewährte Parviz ihr eine zweite Chance. Er war tatsächlich der erste Mann gewesen, der mit ihr geturtelt hatte. Und das ohne Angstschweiß.

Hmm, sie wollte sowieso in den Palast, um ihm das Konfekt anzubieten, dabei könnte sie doch gleich ihre Bewerbung als Braut einreichen. Wenn Parviz sie nicht als Hoflieferanten wollte, dann möglicherweise als Braut. Oder umgekehrt. Mehr als ein »Nein!« konnte ihr nicht passieren. Doch, eigentlich schon, aber darüber wollte sie jetzt lieber nicht nachdenken, denn sonst würden sie keine zehn Pferde in die Nähe des Palastes bringen.

»Also gut. Ich wollte ihm heute eh eine Kostprobe meiner neuen Süßigkeit bringen. Dann kann ich mir das Spektakel ja mal anschauen.«

Die Nachbarsleute strahlten zufrieden.

»Braves Kind!«

»Tu das, Mädchen.«


Und so kam es, dass Shanli sich, mit ihrer neuen Süßigkeit, in die Schlange der Bewerberinnen einreihte, die vor den Toren des Palastes endete. Es schien, als hätten sich alle heiratsfähigen Mädchen der Stadt eingefunden, um die Braut des Schahs zu werden. Da war Bitu, die Tochter des Schneiders, die mit ihren achtzehn Jahren nicht nur in Shanlis Alter war, sondern auch die gleiche füllige Statur hatte. Zwei Mädchen weiter, vor Bitu, stand Nisra. Sie war das jüngste Kind des Metzgers, aber drei Jahre älter als Shanli. Die schlanke Nisra stach einem sofort ins Auge, da sie hochgewachsen war und die meisten Wartenden überragte. Viele beneideten Nisra um ihre wohlgestaltete Figur, allerdings nicht um den Höcker auf ihrem Nasenrücken und ihre etwas zu lang geratenen Zähne. Es waren jedoch auch viele fremde Gesichter unter den Bewerberinnen auszumachen.

Ein weiteres Mädchen kam angerannt und stellte sich hinter Shanli in der Reihe an. Sie war jedoch nicht aus dem Ort gekommen, sondern aus dem Palast. Augenscheinlich musste sie eine Bedienstete sein. Shanli begrüßte sie mit einem scheuen Lächeln, welches umgehend erwidert wurde.

»Du bist die Bäckerstochter, die gestern die Süßigkeiten in den Palast brachte, nicht wahr?«

»Ja. Woher weißt du das?«, fragte Shanli freudig erstaunt, bis ihr der Grund einfiel, weshalb das Mädchen wissen konnte, wer sie war. »Oh, nein. Es hat sich schon herumgesprochen, dass ich die kleine, dicke Shanli bin, die dem Schah mit einem einzigen Keks fast das Gebiss zerlegt hat?«

Angesichts Shanlis ängstlicher Grimasse musste die Bedienstete laut lachen. »Was? Nein, ich habe dich in der Halle mit dem Korb gesehen, und der Diener sagte mir, dass du vielleicht die neue Hoflieferantin werden würdest.«

Shanli pustete laut erleichtert ihren Atem aus. »Ich dachte schon …«

»War das dein Ernst? Hat dein Keks wirklich Schah Parviz‘ Zähne beschädigt?«, wollte das Mädchen wissen.

»Äh, nein. Nein, das war nur ein Scherz«, erwiderte Shanli mit einem unechten Grinsen. Sie war doch nicht so dumm und würde selbst für die Gerüchte über sich sorgen.

»Ich bin Simin, die Tochter des Wesirs. Außerdem arbeite ich als Aazars Zimmermädchen.«

Shanli betrachtet Simin genauer. »Dein Vater ist Ziar?«

»Ja, und das ist nicht immer ein Zuckerschlecken, glaub mir.«

Unglaublich, dass das hübsche Ding die Tochter des kahlköpfigen Wesirs sein sollte, dessen Gesicht einen in Angst und Schrecken versetzen konnte. Dies lösten entweder seine tiefen Narben oder sein gewaltiger Schnauzbart aus. Ja, es lag wohl eher an seinem gezwirbelten Schnauzer, denn dessen Ausmaße und Ebenmäßigkeit grenzten schon an Zauberei. Das haarige Teil war ihr einfach unheimlich. Simin dagegen zählte zu jenen Menschen, die man auf Anhieb gern haben musste. Sie war nicht außergewöhnlich schön, aber sie besaß eine Natürlichkeit, die sie von innen heraus strahlen ließ. Ihr Lächeln war herzerfrischend. Und all dies machte sie so einnehmend. Bestimmt auch für Parviz. Es war zum Heulen!

»Wieso denn das? Liegt es an seinem Schnauzer?«, fragte Shanli.

Simins Lachen klang glockenhell durch die Luft. »Shanli, du bist wirklich witzig. Nein, er wollte nicht, dass ich dem Schah meine Hand anbiete. Er ist davon überzeugt, dass Parviz mich ablehnt und diese Schmach ihn für immer und ewig verfolgen würde.«

»Oh!«

»Ja, du sagst es«, nickte Simin und rückte dichter an Shanli heran. »Dabei bin ich über beide Ohren in Parviz verliebt. So wie alle hier wahrscheinlich!«

Betroffen verzogen sich Shanlis Lippen, als sie stumm bejahte. Die Mädchen unterhielten sich und schwärmten über Parviz‘ Vorzüge, während Shanli in der Schlange langsam vorrückte. Stück um Stück wurde die Reihe vor ihr kürzer, und immer wieder liefen weinende Mädchen an ihnen vorbei, deren Bewerbung abgewiesen wurde. Irgendwann standen sie im Gang vor der Tür zum Iwan, wo Parviz die Audienzen abhielt. Nisra ging hinein, und Shanlis Magen beschloss spontan, sich zu verknoten. Würde Parviz die Metzgerstochter in die engere Auswahl nehmen?

Für Shanli fühlte es sich an, als wäre nur ein Augenblick vergangen, als Nisra wieder herauskam. Sie versuchte, ihr Gesicht hinter den Händen zu verbergen. Doch ihr lautes, herzzerreißendes Schluchzen war nicht zu überhören. Ohne sich umzuschauen, rannte das Mädchen aus dem Palast. Shanlis Knie wurden weich wie Reismehlpudding. Die arme Nisra!

Dann kamen die nächsten Mädchen an die Reihe. Mit ihren hellbraunen Mähnen hoben sich diese Bewerberinnen von den restlichen ab, die so gut wie alle schwarzhaarig waren. Seltsamerweise kamen diese mit einem euphorischen Lächeln wieder aus dem Saal heraus und verkündeten jedem, auch denen, die es nicht wissen wollten, dass sie der Schah in den engeren Bewerberinnenkreis gewählt hatte.

Simin sah Shanli herausfordernd an. Grimmig fragte sie: »Hast du auch den Verdacht, dass Parviz sich nur Frauen aussucht, die seinen Schönheitsvorstellungen entsprechen? Offensichtlich steht er auf helle Haare.«

»Ja«, erwiderte Shanli bitter. »Wie beinahe alle Männer in Al Hurgha.«

Dann war Bitu an der Reihe. Die Tochter des Schneiders zog laut die Luft ein, bevor sie die Audienzhalle betrat. Shanli glaubte, bereits zu ahnen, was passieren würde. Als einen Moment später Bitu wieder lautstark die Tür hinter sich schloss, war ihre Miene regungslos. Shanli hätte sie am liebsten geschüttelt, um von ihr einen Anhaltspunkt zu bekommen, wie die Audienz ausgegangen war. Aber Bitus energische Schritte und ihr wütendes Schnauben ließen bei Shanli den Verdacht aufkommen, dass sie nicht gut verlaufen sein konnte.

Schließlich wurde Shanli die Tür zur Audienzhalle geöffnet. Ein Engegefühl zog in ihre Brust ein, und sie bemühte sich, weiterzuatmen.

Als Simin ihr »Viel Glück!« zuflüsterte, drehte sie sich seufzend nach ihr um.

»Danke«, wisperte Shanli und schritt über die Schwelle.

Parviz und seine Mutter saßen in zwei üppig verzierten Thronsesseln. Während der Wesir und ein weiterer Mann, der augenscheinlich ein Schreiber war, mit gelangweilten Gesichtern neben ihnen ihre Plätze eingenommen hatten.

Die Miene des Schahs heiterte sich auf, als Shanli näher kam.

»Ah, die Bäckerstochter. Bringst du mir heute deine versprochene Leckerei, die mich alles vergessen lassen soll? Das ist aber nett.«

Shanli kniete nieder. »Ich möchte Euch nicht nur mein Gebäck anbieten, Schah Parviz, sondern auch meine Hand.«

»Was?«, lachte er ungläubig.

Trotz ihres galoppierenden Herzens sprach Shanli es erneut aus. Vielleicht hatte er sie nicht verstanden.

»Ich möchte mich als Eure Braut bewerben.«

Indessen der Wesir und Aazar sie mit stoischer Miene beäugten, prustete der Schreiber leicht vor sich hin.

Parviz jedoch lächelte sie gutmütig an. »Oh, Shari, wie kommst du denn dazu?«

Verwirrt blickte Shanli zu ihm auf. »Nun Ihr … ich dachte … Ihr wart so freundlich zu mir, und ich dachte, dass …«

»Nein, mein Herz!«, unterbrach Parviz sie sanft. Er beugte sich ihr entgegen. »Du hast zwar ein hübsches Gesicht und bist so süß und rund wie deine leckeren Kekse, aber ich kann dich nicht zur Frau nehmen. Das verstehst du doch sicher?«

Er schien wirklich eine Antwort von ihr zu erwarten, weswegen Shanli stumm nickte.

»Schau mich an, Pavi, mein Eheweib muss genauso strahlend schön sein wie ich. Aber weißt du was? Ich mache dir einen Vorschlag. Nimm einfach ab, und dann kommst du noch mal. Es wäre wirklich einfach, sich in dich zu verlieben.«

Fassungslos starrte sie ihn an. War das sein Ernst? Wie sollte sie so schnell abnehmen? Der war ja witzig! Was sollte sie dazu sagen?

Shanlis Kopf schien leer gefegt zu sein, und so holperten die Worte wie von selbst über ihre Lippen. »Wollt Ihr jetzt von meinem Backwerk probieren?«

»Nein, danke. Momentan bin ich sehr beschäftigt, wie du siehst. Ich werde nach dir rufen lassen, sobald ich Zeit habe.«

Shanli schluckte. Das war hart. Sie hatte nicht nur eine Absage bekommen, sondern gleich zwei. Ihr waren schon einige Demütigungen widerfahren, aber diese war die schlimmste. Sie verwandelte ihr Inneres in eine brennende Leere. Ihre Beine waren auf einmal so schwer wie Blei. Überhaupt fühlt sich ihr Körper an, als wäre er eine Last. Wie sehr sie ihn hasste, wie sehr sie sich hasste!

Mit Müh und Not schaffte es Shanli, sich zu erheben. Sie war noch zu schockiert, als dass sie Tränen vergießen konnte. Ihr Kiefer verkrampfte sich, weil sie die Zähne fest zusammenbiss. Sie zog sich mit einer Verbeugung aus dem Saal zurück.

Draußen vor der Tür traf sie wieder auf Simin, deren Augen stumm um eine Antwort baten. Shanlis Verneinen war nicht mehr als ein kurzes Zucken ihres Kopfes. Eilig flüchtete sie aus dem Palast. Floh vor Scham und Schande, in jeglicher Hinsicht abgewiesen worden zu sein.

Sie rannte den Hügel hinunter, durch die engen Gassen Al Hurghas. Und es schien als wolle das Leben sie bestrafen, denn der Händler, der ihr den Platz auf dem Markt streitig gemacht hatte, trat ihr mit einem Kumpan in den Weg.

»Schau an, Omids Tochter. Die ist gut zu Fuß, obwohl sie so fett ist. Willst du womöglich abnehmen?«, verhöhnte der Händler sie laut.

Der andere Mann feixte. »Vielleicht will sie sich wie all die anderen Weiber als Braut des Schahs bewerben?«

Erschrocken warf sie dem Mann einen Blick aus den Augenwinkeln zu. Dies reichte den Männern wohl als Antwort aus, denn sie schlugen sich vor Lachen gegenseitig auf den Rücken.

»Welcher Mann würde die als Frau wollen?«

»Ein Walfänger vielleicht!«

So schnell Shanli konnte, rannte sie nach Hause, doch das Gelächter verfolgte sie und hallte in ihren Ohren fort.

1001 Dattelkeks

Подняться наверх