Читать книгу 1001 Dattelkeks - Ewa A. - Страница 12
Kapitel 7 Unerwünschte Wünsche
ОглавлениеEin Sternenreigen setzte ein, und Shanli fühlte sich, als würde ihr Körper, von den Zehenspitzen an, in ein zu enges Loch gezogen. Als würde sie in einen schmalen Ring gesaugt und zum anderen Ende wieder ausgespuckt werden. Während das Engegefühl ihren Hals erreichte, befürchtete sie für einen Moment, erwürgt zu werden. Doch das beängstigende Gefühl wanderte zügig weiter, und nachdem es ihre Schädeldecke überwunden hatte, gab es ein dumpfes, ploppendes Geräusch, wie wenn man einen vollen Wasserbeutel entkorkte.
Etwas benommen blinzelte Shanli. Sie fühlte sich ungewohnt leicht, als würde sie im Wasser treiben. Sie schaute an sich herab. Die gute Nachricht war, sie war offenbar noch immer eine Frau, denn sie hatte einen Busen. Zwar nicht mehr so gewaltig wie zuvor, aber immerhin war er da. Was aber nicht hieß, dass wieder etwas zwischen ihren Schenkeln baumelte. Schnell fasste sie sich in den Schritt. Erleichterung machte sich in ihr breit. Puh! Alles in Ordnung.
»Was zum Geier machst du da?«, fragte Navid, der sie bisher stumm beobachtet hatte.
Shanli zuckte mit den Schultern. »Ich schau nach, ob nichts dazugekommen ist.«
Dann hob sie ihre Hände an und konnte nicht fassen, was sie sah. Lange, schlanke Finger und ein dünnes Handgelenk. Und auf jeder Seite gleich! Erfreut lachte sie auf.
»Keine Dattelfinger mehr. Ich kann sogar meine Knöchel auf dem Handrücken sehen. Schau dir das an, ich umfasse mein Handgelenk mit zwei Fingern.« Shanli begann, vor lauter Aufregung zu kreischen. »Oh, das ist ja … das ist ja unglaublich.« Sie hob ihr Kleid an, das nun nicht mehr spannte, sondern viel zu weit war. Neugierig betrachtete sie ihre Beine und streckte ihr rechtes aus. »Ich habe schlanke Fesseln. Und meine Waden erst!«
Begeistert raffte die junge Frau den Rock noch höher und bestaunte ihre neuen, wohlgeformten Gliedmaße, ohne einen Gedanken daran zu verwenden, dass ein Mann neben ihr stand. »Sind das nicht wunderschöne Beine? Sieh dir das an. Die sind doch eine Wucht, oder?«
Glücklich strahlend blickte Shanli zu ihrem Dschinn auf, der mit einem ziemlich seltsamen Gesichtsausdruck ihrem Befehl Folge leistete und ihre nackten Beine anstarrte.
»Das … äh … also …«
Grimmig fuhr Shanli ihn an »Was?! Sind sie etwa nicht schön?«
»Doch, doch! Sie sind … wunderschön«, stammelte Navid und schluckte. »Du bist wunderschön.«
Heiliger Bim-Bam, Shanli war wirklich eine Schönheit. Zuvor hatte sie schon ein hübsches Gesicht gehabt, trotz ihrer feisten Wangen, aber nun … Sie war eine Augenweide. Die hohe gewölbte Stirn kam erst jetzt richtig zur Geltung. Selbst ihre Stupsnase, die vorher bereits niedlich war, war nun entzückend. Aber ihre dunklen Augen und ihr süßer Mund wirkten jetzt noch betörender und raubten ihm schier den Atem, wenn er sie betrachtete.
»Ist das wahr?«, fragte Shanli ungläubig. »Ich bin wirklich schön?«
Navid nickte mit einem Schmunzeln. »Ja.« Er reichte ihr eine kleine glänzende Kupferkanne, die über der Kochstelle hing. »Hier, schau dir dein Spiegelbild an.«
Mit einem unsicheren Lächeln nahm Shanli ihm die Mokkakanne ab und betrachtete ihr Abbild. Langsam fuhren ihre Finger über ihr Gesicht. Nach einer Weile ließ sie die Kanne sinken.
»Und jetzt die blonden Haare«, flüsterte sie erwartungsvoll.
Navids Blick wurde kritisch. »Warum? Du bist schön genug Shanli. Der Schah wird sich jetzt schon in dich verlieben.«
Verbissen schüttelte Shanli ihr Haupt. »Nein. Ich will blond werden. Ich wünsche mir blonde … Körperbehaarung.«
Sie wollte nur auf Nummer sicher gehen, nicht dass sie an den Armen und Beinen plötzlich aussah wie ein Affe.
Abermals wehte eine Sternenbrise, und sogleich hob Shanli die Kanne an, um die Erfüllung ihres Wunsches zu überprüfen. Sie hatte tatsächlich eine goldblonde Haarpracht, die herrlich schimmerte. Sogar ihre Wimpern und Augenbrauen waren hell, genau so, wie sie es beabsichtigt hatte. Shanli konnte es nicht fassen. Sie war eine ganz andere Person, eine wunderschöne, schlanke Blondine. Von der kleinen dicken, dunkelhaarigen Shanli war weit und breit nichts mehr zu entdecken. Vielleicht noch eine leichte Ähnlichkeit in den Zügen, die einem jedoch nur auffiel, wenn man wusste, wonach man suchte.
Navid beäugte die neue Shanli mit Argwohn. Sein Zauber war gelungen, sogar mehr als das, er war vollkommen. Aber dennoch gefiel ihm nicht, was er sah. Die dunkle dicke Shanli war weg, und vor ihm stand eine anmutige Schönheit. Obwohl das Mädchen überglücklich wirkte und immer wieder ihren neuen Körper und ihr Gesicht in der Kanne bestaunte, hatte er das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben.
»Das ist wunderbar, Navid. Warum schaust du denn so betrübt? Kannst du dich denn nicht mit mir darüber freuen, dass du meine Wünsche erfüllen konntest, dass alles so geworden ist, wie ich es mir vorstellte?«
»Ich weiß nicht. Ich finde es nicht richtig«, murmelte Navid leise.
Stürmisch konterte Shanli mit einem Kopfschütteln. »Nein. Es ist genau richtig. Parviz wird glücklich sein.«
»Aber … wirst auch du glücklich sein?«
Mürrisch verzog sich Shanlis Mund. »Natürlich. Es geht nur darum, dass ich so bin, wie Parviz es sich wünscht. Wenn er glücklich ist, bin auch ich glücklich.«
Navid musterte sie ernst. »Mag sein. Ich glaube jedoch …«
Navid vollendete seinen Satz nicht, denn er verfolgte, wie Shanli die Kupferkanne wegstellte und den Korb holte, welcher noch immer die Süßigkeiten enthielt, die sie für Parviz zubereitet hatte. Sie stellte ihn auf den Tisch, schlug die Tücher beiseite und suchte sich eine Leckerei heraus, die ohne Umschweife den direkten Weg in ihren Mund fand. Genüsslich schmatzte sie vor sich hin und schien, Navid vollkommen vergessen zu haben.
»Was tust du da?«, fragte er mit runden Augen.
Shanli schaute ihn an, als zweifle sie an seinem Verstand. »Wonach sieht es denn für dich aus? Ich esse. Kennst du das nicht?« Dann glaubte sie, zu begreifen, um was es Navid ging. »Ach so! Du willst auch probieren? Klar, du hast ja seit ein paar Jahrzehnten nichts mehr gegessen. Entschuldige.« Sie hielt ihm den Korb hin. »Hier, was magst du?«
»Nein, nein, nein!«, wehrte Navid ab. »Du hast dich doch gerade schlank gewünscht, und was machst du jetzt?«
Mit offenem Mund, in dem noch die letzten Reste des Marzipankonfekts auszumachen waren, glotzte Shanli ihn an. »Essen!«, war alles, was sie erwiderte.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein? Du wünscht dich schlank und futterst dir gleich wieder einen runden Bauch an?«
Wut tauchte in Shanlis Miene auf, und laut fuhr sie Navid an. »Was, wenn dem so wäre? Ich kann mich ja immer wieder schlank wünschen? Oder darf ich ab jetzt nie wieder etwas essen?« Mit Nachdruck donnerte sie den Korb auf den Tisch.
In einer vorwursvollen Geste deutete der Dschinn auf ihre Figur. »Na, dann brauchst du dich ja nicht wundern, dass du so …« Er brach seinen Satz ab, denn er bemerkte, wie das Gesicht der blonden Shanli allmählich rot wurde vor Zorn
Schnaubend trat sie an Navid heran, um unter seiner Nase lautstark auszurasten. »Was? Na komm, sag es! Spuck es aus! Dass ich so fett bin! Das wolltest du doch sagen.«
Navids ballte seine Hände zu Fäusten. Die Frau war unverbesserlich, unmöglich und rechthaberisch. »Ja, das wollte ich!«, schrie er. »Wenn du ständig Süßigkeiten in dich hineinstopfst, ist es kein Wunder, dass du so dick und rund bist.«
»Weißt du was?«, giftete die schlanke Shanli ihn an und stach bei jeder Silbe mit ihrem Finger auf seine Brust ein. »Das ist mir egal. Sieh her!« Blindlings ging die Blondine zurück an den Tisch, griff in den Korb, nahm sich einen Keks heraus, zeigte ihm diesen und stopfte ihn sich danach demonstrativ ganz in den Mund. Mit dicken Hamsterbacken sprudelte sie wütend weiter und verteilte dabei beachtliche Mengen von Kekskrümeln. »Ich esse, so viel ich will. Und es ist mir egal, was die Leute hinter meinem Rücken tuscheln. Sollen sie doch sagen, dass sie froh sind, nicht so dick zu sein, wie ich es bin. Oder dass es für mich schon längst an der Zeit wäre, abzunehmen. Oder dass ich doch zu Hause bleiben soll, weil mein Anblick sie anekle.« Kaum hatte Shanli den letzten Satz ausgesprochen und den Keks hinuntergeschluckt, war ihre Wut hinfort und nur noch ihre Traurigkeit blieb übrig. Ihre dunkelbraunen Augen, die Navid an Ort und Stelle gefangen hielten, füllten sich mit Tränen. Heiser raunte sie: »Es ist mir egal, was du sagst. Denn es gibt nichts mehr, was mich noch verletzen könnte!«
Das Mädchen wandte sich ab, doch Navid fasste nachihrem Arm. »Shanli, warte! Es tut mir leid.« Langsam drehte sie sich zu ihm um und leise sprach er weiter: »Ich wollte dich nicht beleidigen oder dir wehtun. Ich wollte nur …« Abrupt hörte Navid auf, zu reden, und stierte entgeistert auf Shanlis rechte Wange. Er ließ sie los und murmelte entgeistert: »Oh je, oh je, das ist nicht gut! Das ist gar nicht gut!«
Erschrocken schrie die Bäckerstochter auf: »Was? Was ist nicht gut? So sag doch! Was stimmt nicht mir?«
Navid nahm geschwind die Kupferkanne vom Tisch und reichte sie ihr wieder. »Deine Wange sie … sie …«
Hastig sah Shanli auf das polierte Kupfer und musste beobachten, wie ihre Wange bebte und blubberte, wie kochender Reismehlpudding.
»Nein. Nein. Nein!«, jammerte sie hysterisch.
Es wurde schlimmer und schlimmer. Bis es einen Schnalzer gab und ihre Wange wieder die alt gewohnte pralle Rundung hatte. Shanli schaute Hilfe suchend zu Navid. Der allerdings war viel zu sehr geschockt, um etwas anderes sagen zu können als: »Ach, du liebes Bisschen.«
Seine Augenbrauen rutschten in unterschiedliche Höhen und machten Shanli deutlich, dass ihr Zustand bedenklich war.
Sie japste gerade »Oh, nein, bitte, bitte nicht!«, als es mehrmals hintereinander schnalzte. Wie Mais zu Popcorn ploppte, so sprang auch ihre linke Wange wieder in ihre alte Form. Waden, Schenkel, Bauch und Brüste, eins nach dem anderen folgte. Alles sprang wieder in seinem alten Umfang aus ihrem schlanken Körper hervor, bis Shanli wieder die mollige Bäckerstochter war.
Enttäuscht ließ sie ihre Schultern hängen. »Na, wenigstens bin ich noch blond!«
Navid verzog unglücklich das Gesicht. »Hmm, das würde ich jetzt so … nicht sagen!«
Mit einem Aufheulen schaute Shanli wieder in die Kupferkanne. Ganz allmählich wurden ihre Wimpern und Augenbraune von außen wieder dunkler, bis sie völlig schwarz waren. Sie schaute auf ihre Haarspitzen, wo das gleiche Spiel stattfand. Langsam stieg die Schwärze an ihren Wellen empor bis zum Scheitel. Einen Moment später war sie wieder ganz die Alte. Schwarzhaarig, dick und unglücklich.
Niedergeschlagen seufzte die Bäckerstochter auf. Der Traum, Parviz‘ Braut zu werden, war zum Greifen nah gewesen, und den wollte sie sich nicht nehmen lassen. Verflixt! Nein, sie müsste lediglich darauf achten …
»Du musst mich begleiten!«, sagte Shanli leichthin.
»Wohin?«, fragte Navid.
»Du wirst mich in den Palast begleiten. Ich werde das Amulett ständig bei mir tragen, und wenn ich beginne, mich zurückzuverwandeln, werde ich mich wieder schlank und blond wünschen. Ganz einfach.«
Der Dschinn schüttelte den Kopf. »So einfach ist das nicht. Um deine Wünsche zu erfüllen, muss ich außerhalb des Smaragdes sein.«
Shanli rieb sich über die Stirn und überlegte. Sie konnte schlecht mit ihm im Schlepptau in den Palast dackeln, und das nicht nur wegen seiner unmöglichen lilafarbenen Pumphose. Sie würden aussehen wie ein Paar. So könnte sie nicht um Parviz werben. Sie könnte Navid als ihren Bruder ausgeben. Aber ob man ihnen das glauben würde? Und was, wenn sie in die engere Auswahl gelangte und er sie dann nicht mehr begleiten dürfte? Nein, nein! Das war keine gute Idee. Wenn er jedoch … Genau, das war die Lösung!
»Du wirst mich, als meine Schwester, begleiten. Wir beide werden uns als Braut bewerben.«
»Was?«, rief Navid voller Entsetzen. Ihm stockte der Atem bei Shanlis abstruser Idee. Vehement schüttelte er den Kopf. »Nein! Nie und nimmer werde ich eine Frau und halte um die Hand eines Kerls an! Vergiss es! Was, um Himmels willen, war in diesem Keks drin, dass du solche bescheuerten Ideen hast?!«
Shanlis Augen wurden schmal, und sie stützte ihre Hände auf die Hüften. Ihr selbstgefälliges Grinsen bereitete Navid Sorgen. Äußerst große Sorgen!
»Shanli! Ich warne dich! Tu das nicht! Wehe!«, warnte er sie noch mit eiskalten Augen.
Doch es war zu spät, die Worte verließen bereits ihre Lippen. »Ich wünschte, Navid wäre eine blonde Frau!«