Читать книгу 1001 Dattelkeks - Ewa A. - Страница 15
Kapitel 10 Ein ganzer orientalischer Zoo
ОглавлениеVon der Tür zum Audienzzimmer trennten Shanli und Navid nur noch wenige Mädchen, die vor ihnen in der Reihe warteten. Mittlerweile war es Mittag, und unzählige Male hatte Shanli die Wünsche aussprechen müssen, die Navid und sie in Form hielten. Allerdings hatten sie während des Wartens zwei wichtige Erkenntnisse gewonnen. Die eine war: Je öfter Navid ihre Wünsche erfüllt hatte, desto länger hielten die Veränderungen an. Offenbar nahm seine Zauberkraft durch das ständige Wünschen nicht ab, sondern zu. Ihre Rückverwandlung setzte nun nicht mehr abrupt, nach wenigen Augenblicken ein, sondern erst nach geraumer Zeit, und sie ging wesentlich langsamer vonstatten als zuvor. Die zweite Erkenntnis war, dass es sogar ausreichte, wenn Shanli den Wunsch lediglich in Navids Ohr flüsterte und nicht laut aussprach. Da vor und hinter ihnen weitere Bewerberinnen standen, die Shanlis ständige Wünsche gehört hätten, beschlossen sie, auf diese Weise den Zauber auszulösen. Denn zwei tuschelnde Blondinen waren lange nicht so auffällig, wie ein Mädchen, das sich fortwährend laut wünschte, etwas zu sein, was es schon war – nämlich schlank und blond.
Navid trat von einem Fuß auf den anderen. Er hob den Rock an und sah stöhnend auf seine zierlichen Füße. »Diese Riemenschuhe bringen mich noch um. Schau her! Zwischen den Zehen bin ich schon ganz wund!«
Knurrig stauchte Shanli den Dschinn zusammen. »Kannst du jetzt endlich mal aufhören, herumzuheulen. Erst passt dir die Farbe des Kleides nicht. Dann beschwerst du dich über den Schleier. Danach jammerst du, weil dir deine Frisur nicht passt, und nun wegen der Schuhe. Fehlt bloß noch, dass du mich fragst, ob dein Hintern in dem Kleid fett aussieht.«
Erschrocken drehte sich Navid zu ihr. »Tut er das etwa?« Bei dem Versuch, die Ausmaße seines Allerwertesten abzuschätzen, verrenkte er sich beinahe den Hals.
Shanli zog schüttelnd den Kopf ein. Wie konnte ein Dschinn nur so eitel ein?
»Nein, beruhig dich endlich!«, nuschelte Shanli. »Alles perfekt. Du wirst Parviz bestimmt gefallen.« Kurz kräuselte sich ihre Stirn. »Hoffentlich nicht zu gut.« Erneut schüttelte sie den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. »Also, was tust du, wenn du nicht weißt, was du ihm erzählen sollst?«
Navids Oberlippe stülpte sich missmutig hervor, bevor er antwortete: »Dumm kichern und ›Ja‹ sagen.«
»Genau!«, sagte Shanli und atmete durch, denn das nächste Mädchen kam weinend aus dem Audienzzimmer.
Im selben Moment lief ein Trupp prunkvoll gekleideter Diener an der Schlange der Wartenden vorbei. In dessen Mitte stolzierte eine hochgewachsene junge Frau. Deren hochmütige Haltung verriet, dass sie die Tochter eines Emirs sein musste. Auch ihre gen Himmel gereckte schmale Nase ließ Shanli ahnen, dass das Mädchen sehr wahrscheinlich gewohnt war, das zu bekommen, was es wollte. Vielleicht war die junge Frau gerade deswegen eine strahlende Erscheinung und erfüllte sofort den Raum mit ihrer Anwesenheit. Alle Augen waren auf sie gerichtet, was ihr entweder gleich war oder nicht fremd. Ihre wallende Löwenmähne wippte im Takt ihrer entschlossenen Schritte. Der zartgoldene Stoff ihres Kleides war hauchdünn gesponnen, nahezu durchsichtig. Er schmiegte sich an ihre schmale Figur und besonders an ihre Beine, die schier endlos schienen.
»Hallooo! Wen haben wir denn da?«, grölte Navid der stolzen Schönheit hinterher. Er ließ einen eindeutigen Pfiff los, worauf sich die Prinzessin prompt umdrehte.
Neugierig musterte sie die Reihe der Mädchen, aus welcher der Ruf und der Pfiff erklungen waren. Mit einem irritierten Gesichtsausdruck wandte sie sich ab, setzte letztlich ihren Weg fort und wollte mit ihrem Gefolge einfach ins Audienzzimmer einmarschieren.
Zwischenzeitlich rammte Shanli Navid den Ellbogen in die Seite. »Sag mal! Geht‘s noch?«
»Was denn?«, meinte dieser unschuldig dreinblickend und flüsterte enerviert: »Ich bin schließlich immer noch ein Mann, zwar verflucht, aber nicht tot.«
»Aber im Moment bist du ein Mädchen, du Dumpfbacke!«, zischte Shanli vorwurfsvoll zurück. »Außerdem drängelt die Olle sich vor.« Gleich darauf beschwerte sie sich lautstark, mit all den anderen Mädchen, die ebenfalls warteten.
»Hey, du da, was soll das? Stell dich gefälligst hinten an!«
Doch die Prinzessin kehrte sich eine feuchte Sanddüne darum. Ihre Diener drängten die vorderen Mädchen rücksichtslos beiseite und beschützten sie vor wütenden Übergriffen derer, die sich das nicht gefallen lassen wollten. Plötzlich ging die Tür des Bewerbungszimmers auf, und Parviz schritt heraus. Der Schah baute sich zu seiner vollen Größe auf. Mit aufgestützten Händen und einem charmanten Lächeln schaute er in die aufgebrachte Runde. Er genoss sichtlich die bewundernden Blicke und Seufzer, die er den Damen entlockte.
»Was ist das hier für ein Tumult, meine süßen Vögelchen?«
Die zurückgedrängten Mädchen ereiferten sich: »Die hat sich vorgedrängelt!«
»Sie soll sich hinten anstellen, wie wir alle!«
»Was glaubt die, wer sie ist?«
Parviz' Brauen hoben sich, als er die stolze Unruhestifterin inmitten ihrer Diener bemerkte. »Ah, Prinzessin … ähm … Manizeh.« Er deutete mit einem Nicken auf eine Brünette, die eingeschüchtert vor ihm stand. »Ist dies das Mädchen, welches Euch vertritt? Wäre sie jetzt an der Reihe?«
Es war nicht zu übersehen, dass Manizeh ganz und gar nicht damit einverstanden war, dass der Schah ihr keine Sonderstellung einräumte, sondern sie, wie alle anderen auch, warten musste. Allerdings hatte sie nicht selbst in der Schlange gestanden, sondern das brünette Mädchen dafür engagiert, das nun zur Seite trat. Tatsächlich wäre es als Nächstes an der Reihe gewesen. Die Prinzessin nickte lediglich mit einem einseitigen, arroganten Augenbrauenzucken. Kein Wort kam über ihre starren Lippen.
Parviz machte den Weg für sie frei. »Nun denn, kommt herein, Prinzessin, es wird mir eine Ehre sein, eure Bewerbung anzunehmen.«
Die Tür schloss sich hinter ihnen, und ein genervtes Raunen und Stöhnen ging durch die Reihe der Wartenden.
»Uäh! Das ist er? Diesem Schmiernippel soll ich … Ich will gar nicht daran denken!«, würgte Navid hervor und sah aus, als würde er sich gleich übergeben.
Shanli seufzte wohlig. »Ja. Ist er nicht fantastisch? Groß, stark und gerecht.«
Navid schwieg mit vielsagender Miene.
Bald darauf schwebte Prinzessin Manizeh ungerührt mit ihrem Kommando wieder davon, und bald durften auch Shanli und Navid ins Audienzzimmer. Da sie sich als Schwestern vorstellten und beide dem Schah ihre Hand anbieten wollten, ließ man sie gemeinsam vorsprechen.
Wie schon tags zuvor, saß Parviz mit dem Wesir und einem Schreiber vor Shanli. Bloß Aazar, die Mutter des Schahs, war nicht anwesend.
Parviz strahlte sofort über das ganze Gesicht, als die zwei Mädchen den Iwan betraten.
»Welch ein doppelt schöner Anblick! Kommt näher, ihr zwei hübschen Schmetterlinge. Ihr seid wahrlich eine außergewöhnliche Wohltat für meine Augen!«
Während Shanli ins Kichern verfiel, verkrampfte sich Navids Gesicht zu einem unglücklichen Lächeln. Leise konnte die Bäckerstochter ihren Dschinn neben sich lästern hören. »Schleimer!«
Die zwei schlanken Blondinen ließen sich vor dem Thronsessel des Schahs ehrerbietig nieder. Die Bäckerstochter hielt den Kopf gesenkt und strich verlegen über ihr blaues Seidenkleid. Die vielen Glitzersteine, die in den Stoff eingearbeitet waren, brachten ihre ganze Gestalt zum Funkeln, was Parviz nicht entging. Mit einem betörenden Schmunzeln betrachtete er das Mädchen und dann dessen Schwester. Die beiden sahen sich zwar von den Gesichtszügen nicht ähnlich und ihr Gebaren war ebenfalls sehr unterschiedlich, doch beide hatten seidige Locken, die ihn an die sonnengereiften Ähren auf dem Feld erinnerten. Er liebte blonde Frauen, denn sie waren eine Seltenheit in seinem Reich. Vor allem wenn sie noch, wie die eine, grüne Augen hatten. Wie Smaragde leuchteten sie ihm aus dem anmutigen Gesicht des Mädchens entgegen, das ihn seinerseits ernst beobachtete. Die hübsche junge Frau schien dem Schah nicht hochnäsig zu sein, wie die Prinzessin, sondern lediglich erwartungsvoll, vielleicht sogar skeptisch.
»Ihr seid Schwestern? Stimmt das?«, fragte er freundlich.
Die Kleinere antwortete mit einem schüchternen Lächeln. »Ja, Euer Hoheit.«
»Wer von euch ist die Ältere?«, wollte Parviz wissen und bekam sogleich Antwort von der Größeren. »Ich, Schah Parviz.«
Aus ihrer Stimme tönte keinerlei Furcht, eher Trotz. Das war außergewöhnlich und sehr interessant. Normalerweise benahmen sich die Mädchen so, wie die jüngere Schwester: Sie kicherten und himmelten ihn schüchtern an. Aber diese grünäugige Schönheit tat weder das eine noch das andere.
»Deine Augen sind fürwahr funkelnde Edelsteine, mein Herz.«
Entsetzt sah Shanli auf. Da brat ihr doch einer 'nen Storch! Jetzt verdrehte der Dschinn dem Schah den Kopf! So eine Frechheit!
Navid kicherte indessen ein unglückliches: »Hehehe, ja.« Mit einem Blinzeln erhob er auf gezierte Weise seine Hand, um neckisch abzuwinken. »Ihr seid mit ja einer, Schah Parviz.«
»Oho, das hoffe ich doch«, schäkerte Parviz mit ihm weiter, und Shanli konnte nicht anders, als die Augen zu verdrehen.
Dies traute sie sich jedoch nur, weil Parviz es nicht sehen konnte, da sie erneut ihr Haupt gesenkt hatte.
Der Schah grinste breit. »Ihr zwei süßen Täubchen seid also gekommen, um euch als Bräute zu bewerben?«
Shanli hauchte und Navid knurrte: »Ja.«
Parviz' Blick wanderte zurück zu Shanli. Auch sie gefiel ihm. Denn sie hatte nicht nur ein reizendes Gesicht und eine wohlgestaltete Figur, sondern auch eine ebenmäßige Haut, die wie goldener Samt schimmerte. Es juckte den Schah förmlich in den Fingern, zu erfahren, ob sie sich auch so anfühlte.
»Das Schicksal muss es wirklich gut mit mir meinen, wenn zwei solch schöne Schwestern um meine Gunst buhlen. Wie ist dein Name, kleine Perle?«
Verlegen strahlte Shanli Parviz an, der sie nicht aus den Augen ließ.
»Shanli, Herr.«
Der Schah grübelte laut vor sich hin. »Shanli. Shanli?«
Die Bäckerstocher konnte es nicht fassen, erinnerte Parviz sich wirklich an sie. Sie konnte ihre Unruhe nur mühsam verbergen, am liebsten hätte sie ihm mitten ins Gesicht geschrien, dass sie diese Shanli war, die ihm … mit einem Keks fast den Zahn abgebrochen hätte. Nein, das zuzugeben, wäre wirklich eine zu dusslige Idee.
Parviz wandte sich schließlich an den Wesir. »Shanli, der Name kommt mir bekannt vor. Haben wir nicht ein Stachelschwein im Palastgarten, das Shanli heißt?«
Der Riesenschnauzer des Wesirs zuckte. »Möglich, Herr. Allerdings hieß so auch die Zuckerbäckerin, die Ihr zu Euch bestellt hattet.«
»Nein! Die hieß doch Panli. Oder Ramdi? Na, egal!« Er schüttelte den Kopf und widmete dann dem Dschinn seine Aufmerksamkeit, der ihn mit großen Augen anglotzte.
»Und du mein kostbares Juwel. Wie darf ich dich nennen?«
»Navida, wenn es sein muss. Vielleicht habt Ihr ja einen Esel, der so heißt, dann könnt Ihr Euch den Namen besser merken«, erwiderte der Dschinn zynisch.
Parviz' Lachen hallte laut durch die Halle. »Du bist köstlich, Kleines. Ich mag Frauen mit Humor.«
»Was hab ich doch für ein Glück!«, flötete Navid voller Sarkasmus, den jedoch bloß Shanli heraushören konnte.
Parviz grinste, als vollbringe er eine Wohltätigkeit. »Ja, wohl war. Nun – ich nehme eure Anträge an. In zwei Tagen werde ich ein Fest ausrichten, bei dem ich die Bewerberinnen näher kennenlernen will. Ich würde mich freuen, wenn ihr meine Einladung annehmt und gegen Abend im Palast erscheint.«
Shanlis Magen hüpfte im Kreis, und sie musste ihre Lippen zusammenpressen, um nicht laut vor Freude zu jubeln. Navid dagegen hatte keine Probleme mit dem Sprechen und meinte fast schon zu überschwänglich: »Oh, wie wundervoll! Natürlich feiern wir mit Euch, Hoheit. Es gibt nichts, was wir lieber tun würden.«
Außer vielleicht, dir einen Tritt in den hoheitlichen Hintern zu verpassen, führte Navid in Gedanken fort.
Plötzlich stammelte Shanli aufgeregt: »Wir … wir sollten Eure Zeit nicht länger in Anspruch nehmen, Herr. Wir werden uns pünktlich zum Fest einfinden.«
Parviz entließ sie mit einem Nicken, und Shanli erhob sich. Mit tief gebeugtem Kopf verbarg sie ihre Hände hinter dem Rücken und lief rücklings zum Ausgang. Navid tat es ihr gleich, denn auch er hatte bemerkt, dass allmählich die Rückverwandlung einsetzte.
Die Bäckerstochter war heilfroh, die Audienz mit Erfolg bewältigt zu haben. Vor der Tür wünschte sie sich umgehend den Dschinn und sich selbst wieder in Form.
Navid begriff unterdessen, dass Shanli von dem Schah völlig eingenommen war. Niemals würde er gegen diese Vernarrtheit ankommen, die von ihr Besitz ergriffen hatte. Die sonst so schlagfertige Bäckerstochter, die ihre Krallen und haarigen Reißzähne wie ein Raubtier ausfahren konnte, wurde in der Gegenwart des schleimspurlegenden Schahs zu einem rammdösigen Kätzchen, das nicht mehr knurren, sondern höchstens noch lahm schnurren konnte. Ihm blieb allein die Hoffnung, dass Shanli ihm den Wunsch nach Freiheit erfüllte, wenn sie Parviz' Herz erobert hatte. Denn für was bräuchte sie dann noch einen Dschinn? Wenn sie die Gemahlin des Schahs war, besaß sie alles, was man sich wünschen konnte: Liebe, Reichtum und Macht. Vielleicht war der Plan, sie unter Parviz' Haube zu bringen, sogar noch besser als sein alter, bei dem er ihr den Kopf verdrehen sollte? Das Problem war nur, dass der neue Plan nicht so leicht umzusetzen war. Denn Parviz, der Schleimbolzen, jagte allem nach, was keine Hose trug. Ja, wahrscheinlich auch Kamelen. Andererseits … war dieser Weiberheld überhaupt in der Lage, jemand anderen zu lieben – abgesehen von sich selbst? Und wenn ja, dann waren da noch eine ganze Menge anderer Mädchen (allen voran die langbeinige Prinzessin Manizeh, die nicht leicht auszustechen sein würde), die Parviz ebenfalls wollten – und die Prüfungen. Weiß der Wüstengeier, was der Süßholz raspelnde Schah sich da ausgedacht hatte! Allerdings gab es noch eine viel dringendere Frage: Könnte er Shanli irgendwann dauerhaft blond und schlank wünschen? Aber war dies überhaupt noch nötig, wenn sie mit Parviz verheiratet war?