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Kapitel 11 Süßigkeiten der besonderen Art
ОглавлениеDie folgenden zwei Tage vergingen wie im Fluge. Shanli backte wie immer ihre Kekse und verkaufte diese über ihr Küchenfenster. Die Einnahmen waren gering, doch das störte sie nicht, denn dank Navid konnte sie sich alle Zutaten herbeiwünschen, die sie wollte.
Der Dschinn half ihr sogar beim Zubereiten der Köstlichkeiten und sie verzichtete darauf, seine Magie einzusetzen. Es schien, als mache es ihm Spaß, mit den Händen zu arbeiten, obwohl Shanli manchmal über seine verunglückten Kekse schallend lachen musste. Aber Navid nahm ihr das nicht übel, sondern amüsierte sich mit ihr. Ihre frechen Bemerkungen über seine Kunstwerke zahlte er ihr mit gleicher Münze heim, und so kabbelten sie sich in freundschaftlicher Weise.
Shanli zeigte Navid Gewürze, die ihm unbekannt waren, und nötigte ihn, ihre neusten Leckereien zu probieren, was er schnaubend über sich ergehen ließ. Zufrieden grinsend beobachtete sie ihn dann, wie er die Süßigkeiten verspeiste, und wartete gespannt auf sein Urteil. Meistens schmeckten sie ihm gut, was er sich anfangs nur unwillig aus der Nase ziehen ließ. Aber als er bemerkte, wie Shanlis dunkle Augen jedes Mal fröhlich glitzerten, wenn er dies zugab, kamen ihm die Eingeständnisse leichter über die Lippen. Wenn es ihm nicht mundete, probierte sie ebenfalls von den Backwaren und überlegte laut, woran es liegen mochte. Sie fand immer einen Weg, die Kekse doch in kleine Köstlichkeit zu verwandeln. Navid musste lächelnd den Kopf schütteln, wenn sie sich danach selbst lobte und über ihr eigenes Backwerk vollkommen ins Schwärmen geriet.
Währenddessen wollte Shanli, dass er sie immer wieder blond und schlank zauberte, damit die Zeitspanne der Veränderung sich vergrößerte. Manchmal erschrak die Bäckerstochter jedoch, wenn sie ihr blondes Spiegelbild auf einer blanken Fläche entdeckte. Ab und an vergaßen sie aber auch, den Wunsch zu erneuern. Und zeitweise war es Shanli lästig, ständig auf der Lauer zu liegen und daran zu denken. Allerdings mussten sie hin und wieder auch Navid verwandeln, wenn Golroo, Taliman oder Käufer vorbeischauten. Denn wie sollte sie ihnen erklären, dass ein junger Mann bei ihr wohnte, der, wie alle wussten, weder ihr Bruder noch ihr Ehemann war.
Schließlich brach der Abend des Festes an, und Shanli war ein einziges Nervenbündel. Da Parviz erwähnt hatte, er wolle die Bewerberinnen näher kennenlernen, gab sie sich der Hoffnung hin, mit ihm einige Augenblicke allein verbringen zu können.
Stunden hatte sie mit Navid diskutiert, gestritten und herumgealbert auf der Suche nach dem perfekten Kleid. Mittlerweile trug sie ein elfenbeinfarbenes Ensemble, welches reich mit goldenen Stickereien verziert und umsäumt war. Es betonte nicht nur ihre Figur und ihren makellosen Teint, sondern brachte ebenso ihre helle Haarpracht zum Leuchten. Navid bestand darauf, dass sie sich ein Diamantgeschmeide wünschen sollte. Aber Shanli wollte nur den Smaragd tragen, den sie wie die vorigen Tage unter ihrem Kleid verbarg. Navid gelang es lediglich, sie zu einem filigranen Stirnband zu überreden. Ein kleiner tropfenförmiger Brillant ruhte zwischen ihren Augen und funkelte mit ihnen um die Wette. Selbst Navid musste sich eingestehen, dass dieses Schmuckstück eine unvergleichliche Wirkung hatte. Unweigerlich zog es den Blick auf sich, und man versank in ihren schwarzen glänzenden Tiefen. Da Navid dem Schah nicht noch mehr gefallen wollte, bestand er darauf, dass sein Kleid auf keinen Fall grün sein dürfe. Er schwor, sollte der Schah ihn noch einmal wie einen Stein betiteln, würde er ihm besagten in den Rachen stopfen.
So schlappte der Dschinn in der Abenddämmerung, in ein violettes Kleid gewandet, mit der Bäckerstochter den Hügel hinauf.
Das Fest war bereits in vollem Gange, und der größte Teil der Bewerberinnen war schon da. Es mussten an die dreißig Mädchen sein, die in dem Iwan herumschwirrten. Eine breite Marmortreppe führte in den gepflegten und symmetrisch angelegten Palastgarten hinab. Mitten in der Anlage verlief ein langes, rechteckiges Wasserbecken, auf dem unzählige Lichter trieben und sich in der dunklen Oberfläche spiegelten. Palmen und Zypressen waren in Reih und Glied gepflanzt – wie Soldaten, die Wache hielten. Auch die akkurat verlaufenden Wege waren mit Fackeln bestückt und luden zum Flanieren ein. Zelte und Pavillons waren in regelmäßigen Abständen zu finden und boten genügend Gelegenheiten zum Ausruhen. Die weißen Sternblüten des Jasmins waren trotz der hereinbrechenden Dunkelheit noch überall im Park auszumachen. Orangenbäume verströmten ihren süßen Duft und verliehen der lauen Brise, die in den Iwan hineinwehte, eine besondere Frische. Die ausladenden Vorhänge bewegten sich sanft zwischen den monumentalen Arkadenbögen. Lange Tafeln waren über und über mit Speisen beladen. Äpfel, Trauben, Datteln und Kirschen glänzten prall und saftig in wuchtigen Messingschalen. Knusprig gebratene Hühner, Fische und Lammkeulen türmten sich verschwenderisch auf ovalen Platten, in deren gehämmertes Muster sich der ölige Fleischsaft sammelte. Dazwischen standen Schüsseln bereit, in denen heißer Reis und Bulgur dampften, die mit gerösteten Pinienkernen, Mandelblättchen und Korinthen verfeinert worden waren. Baklava, Reismehlpudding, Helva und mit Walnüssen gefüllte Feigen lockten mit ihrem zuckrigen Glanz. Zahlreiche bunte Sitzkissen lagen, unter ausladenden Palmen, im ganzen Saal verteilt. Dienerinnen reichten den Gästen heißen Tee und Mokka, aber auch kühles Wasser und frisch gepressten Saft.
»Hier sind nur Frauen«, flüsterte Navid.
Er schaute sich heimlich um, doch Shanli hörte seine Feststellung wohl nicht, denn sie stand mit verklärtem Gesicht einfach nur da und schwieg.
»Ach, du grüne Dattel! Ich bin in Parviz' Harem gelandet.« Panisch wisperte er: »Shanli, wenn die spitz kriegen, dass ich ein Mann bin, dann war ich das die längste Zeit. Die schneiden mir die Glocken ab.« Aufgrund des erschreckenden Gedankens krochen Navids Hände beschützend vor seinen Schoß, wo gewöhnlich besagte Körperteile zu finden waren.
»Blödsinn!«, murmelte Shanli, die immer noch völlig baff wegen der Pracht des Festes war. »Parviz' hat keinen Harem, das ist nur ein Fest.« Kritisch beäugte sie Navid. »Und von was für Glocken sprichst du überhaupt?«
»Na, von …« Navid verstummte und schüttelte den Kopf. »Vergiss es!«
Plötzlich rumpelte rücklings eine junge Frau gegen ihn, die sich erschrocken zu ihm umdrehte. Sie hatte eine wallende rote Mähne und war aufgrund ihrer hellen Alabasterhaut eine außergewöhnliche Schönheit. Mit zusammengekniffenen Augen betatschte sie Navids Brustbein und ließ ihre Hand weiterwandern, bis sie auf seiner linken Brust lag. Überrascht schnappte das Mädchen nach Luft. Aber anstatt ihre Hand zu entfernen, überprüfte sie ihren Verdacht mit der anderen und setzte diese auf Navids rechten Busen. Synchron drückte sie beide leicht, um dann entsetzt ihre Finger zu entfernen und aufzuschreien: »Oh, Verzeihung!« Sie rückte näher an Navids Gesicht heran, der das alles schweigend und mit versteinerter Miene über sich ergehen ließ. Ihre Nase kräuselte sich, als sie vor seiner weiterplapperte. »Ich dachte … Ihr wärt eine Säule, um die ein Vorhang drapiert ist. Aber anscheinend seid Ihr das nicht.« Sie kicherte einfältig. »Witzig, nicht wahr?«
Parviz erschien neben ihnen. »Ihr zwei Schneckchen, was spielt ihr denn da für ein Spiel? Darf ich mitmachen?«
»Auf keinen Fall!«, meinte Navid, während die Rothaarige fragte: »Schah Parviz, seid Ihr das?«
Nun rückte sie dem Schah auf die Pelle, der sich sogleich bei ihr unterhakte. »Natürlich, meine Blume. Wer sonst? Komm, wir gehen in den Garten«, säuselte er. Kurz wandte er den Kopf zu den blonden Schwestern. »Und um euch zwei Hübschen kümmere ich mich später.«
Damit ließ er sie stehen. Navid wurde schlagartig einiges klar, als er die Kehrseite der rassigen Rothaarigen sah. Sie hatte einen Hintern, der rund wie ein Apfel war und bei jedem Schritt appetitlich wogte. Prompt krabbelten Parviz' Finger von der Taille an abwärts. Frech erkundeten sie, was der Knackpo des kurzsichtigen Mädchens zu bieten hatte.
Navid schnaubte. »Ein feiner Schah, dein Parviz.«
»Ja, stimmt!«, staunte Shanli angetan. »Ihm ist es vollkommen egal, dass sie fast nichts sieht.«
»Ja«, lachte Navid auf. »Er legt auf andere Dinge wesentlich mehr Wert.«
Shanli schmunzelte. »Endlich siehst du ein, dass Parviz wirklich ein guter Mann ist.«
Navids blonde Brauen zogen sich zusammen. »Entweder du verschließt absichtlich deine Augen vor den Tatsachen, oder du bist blinder als die Rothaarige.«
Verärgert starrte Shanli ihn an, um ihn dann zu ignorieren. Missmutig stiefelte sie zur Tafel, wo sie auf ein bekanntes Gesicht traf.
»Simin! Schön, dich hier zu treffen. Parviz hat dich also ebenfalls erwählt?«
Verstört schaute die Tochter des Wesirs sie an. »Entschuldige – wer bist du? Müsste ich dich kennen?«
Entsetzt hielt Shanli den Atem. Verflixt! Wie hatte ihr nur solch ein Fehler unterlaufen können?
»Ich … ich …«
Navid drängte sich auf einmal neben sie. »Wir sind Shanlis Cousinen. Sie hat uns von dir so viel erzählt, dass wir schon glauben, dich selbst zu kennen.«
Simins Gesicht klärte sich. »Ach, die Bäckerstochter? Ja! Ich hatte so gehofft, dass Parviz auch sie erwählen würde. Shanli ist so lieb und lustig. Ich mag sie sehr.«
Shanli entfloh lediglich ein erfreutes Lachen. Doch Navid grummelte nickend: »Oh, ja. Allerdings kann sie auch ein ganz schön gemeines Biest sein.«
Der letzte Satz brachte ihm einen verstohlenen Fußtritt von Shanli ein. Er zuckte leicht zusammen und fuhr ächzend fort: »Wie ich immer wieder feststellen muss.«
Shanli lächelte säuerlich, gewann indessen aber ihre Selbstsicherheit zurück. »Meine Cousine wird bloß unleidig, wenn sie auf verbohrte Trottel trifft, die glauben, immer das letzte Wort haben zu müssen.«
»Ja, solche Leute mag ich auch nicht«, pflichtete Simin ihr bei. »Ihr habt also auch um Parviz' Hand angehalten? Wo kommt ihr her? Ich habe euch noch nie in Al Hurgha gesehen.«
»Aus Hesch Tael«, sprudelte es aus Navid heraus.
»Hesch Tael? Dann seid ihr fast drei Tage durch die Wüste gereist? Wie habt ihr so schnell von Parviz' Suche erfahren?«
»Oh, wir besuchten Shanli rein zufällig. Sie erzählte uns von Parviz' Suche nach einer Braut, und wir packten die Gelegenheit beim Schopfe.« Mit ernster Miene spann Navid die Lüge weiter.
Simin hörte aufmerksam zu und meinte: »Ich freue mich, dass es bei euch geklappt hat mit der Bewerbung. Dass ich Simin bin, wisst ihr ja, aber eure Namen kenne ich noch nicht.«
»Ich heiße Navida«, sagte der Dschinn.
Aber Shanli schaute ängstlich zwischen ihm und Simin hin und her. Was sollte sie nur sagen? Einen falschen Namen anzugeben, würde nur weitere Fragen und Lügen aufwerfen, wenn Parviz sie vor Simin mit »Shanli« ansprechen würde.
Kurz entschlossen stellte sich die Bäckerstochter mir ihrem richtigen Namen vor. Simin legte den Kopf schief und grinste.
»Du hast den gleichen Namen wie deine Cousine? Wohl sehr beliebt in eurer Familie?«
Abermals kam Navid zur Hilfe. »Ja, es war der Name unserer Großmutter.« Und um Simin nicht die Gelegenheit zu geben, noch weitere Fragen zu stellen, übernahm er das Gespräch. »Und, hast du mit Parviz schon deine Unterredung gehabt? Er wollte ja jede der Bewerberinnen heute Abend besser kennenlernen.«
Auf Simins Gesicht spiegelte sich Traurigkeit. »Nein, noch nicht. Ich denke, er wird sich mit mir auch nicht unterhalten wollen. Wir sehen uns ja fast täglich im Palast.«
Navid wirkte überrascht und musterte Simin genauer. »Wieso das? Arbeitest du für ihn?«
Simin grinste betreten, denn wieder einmal würde zur Sprache kommen, wessen Tochter sie war. »Ich bin Wesir Ziars Tochter und diene Parviz' Mutter.«
»Ahh«, meinte Navid und geriet ins Grübeln.
»Hannihanno, anne zusammen! Könntet ihr wohn einen Schritt zur Seite gneiten, damit ich besser an die köstnichen Fneischbännchen herankomme?«, trötete es unerwartet neben ihnen. Eine kleine Schwarzhaarige lächelte sie fröhlich an. »Ich bin übrigens Neinah und komme aus Pannagur.«
Während Simin sich auf die Lippen biss, um nicht naut – äh – laut loszugrölen, verzog Navid schmerzvoll das Gesicht, und Shanli blinzelte perplex.
Das Mädchen bemerkte offenbar das Verhalten jedoch nicht und plapperte munter weiter. »Ihr sonntet euch diese Köstnichkeiten wirknich nicht entgehen nassen. Die gefünnten Manden-Äpfen sind totan necker, und die Ninsensuppe ist einfach unvergneichnich.«
Navid trat schließlich beiseite, damit das Mädchen an die Platte mit den Fleischbällchen gelangen konnte, und fragte sie: »Du meinst, du kommst aus Pallagur.«
Sie blickte Navid zweifelnd an. »Ja, sagte ich doch.«
Shanli hatte nun ebenfalls zwei und zwei zusammengezählt und begriffen, dass das Mädchen kein L aussprechen konnte, sondern stattdessen immer ein N verwendete. Sie nickte aufatmend. »Ach, ja, dein Name ist Leilah.«
Skeptisch kräuselte sich die Stirn des Mädchens. »Nein! Wie kommst du denn da drauf? Bnoß wein ich kein N sprechen kann, gnaubst du, mein Name muss vonner Ns sein?«
Simin rutschte ein Prusten heraus, und Shanli schluckte nervös. »Entschuldige. Ich wollte nicht … ich dachte nur …«
Plötzlich lachte Leilah. »Ha, reingenegt! Natürnich, heiße ich Neinah. Wer heißt schon Neinah?«
Alle vier krümmten sich vor Lachen. Navid war der Erste, der sich wieder fing. »Allerdings könnte es schon passieren, dass Parviz dir diesen Namen gibt, denn anscheinend kann er sich keinen einzigen merken. Abgesehen von dem seines Stachelschweins.«
Leilah nickte vielsagend. »Ja, das ist mir auch schon aufgefannen. X-man musste ich ihm erknären, wie ich heiße und dass ich einen Sprachfehner habe. Ehrnich gesagt wäre ich nicht hier, wenn er nicht so schrecknich gut aussehen würde und ein Schah wäre.«
Simin zuckte mit den Schultern. »Er kann sich die Namen durchaus merken. Er benötigt nur etwas länger Zeit als andere. Um diese Schwäche zu verbergen, benutzt er auch immer Kosenamen.«
»Aha«, sagt Shanli und blickt vorwurfsvoll zu der blonden Dschinni. »Er ist gar kein Schleimer, wie du behauptest, Navida!«
Leilah lachte. »Schneimer?! Haha, wie nustig.«
»Ach, komm, Shanli, schau dir die ganzen Mädchen doch mal genauer an.« Navid platzte der Kragen, und er ereiferte sich weiter: »Parviz achtet nur auf das Äußere. Die Rothaarige, die fast genauso viel sieht wie eine Kichererbse, hat er ausgewählt, weil sie rote Haare und einen Knackarsch hat.« Erbost zeigte er mit dem Finger auf Shanli und sich selbst. »Und uns, weil er auf schlanke Blondinen steht.«
Die schwarzhaarige Leilah nickte. »Ja, das gnaube ich auch. Über die Hänfte der Mädchen hat bnonde Nocken. Und ich bin sichernich nur auserwähnt worden, wegen meines prannen Busens.«
»Ja«, sagte Navid und starrte genau dorthin. »Der Gedanke kam mir auch schon!«
»Und warum bin ich dann hier?«, fragte Simin und schaute die zwei erwartungsvoll an. »Ich habe weder blonde Haare und einen Knackarsch noch eine große Oberweite. Weswegen hat er mich dann ausgesucht?«
»Ja«, murmelte Navid. »Die Frage habe ich mir auch schon gestellt. Du passt irgendwie nicht in sein Beuteschema.«
Simins Augen wurden groß. »Willst du mir sagen, ich bin nicht hübsch genug?«
»Nein«, erwiderte Navid. »Ich habe einen anderen Verdacht, warum du hier bist.«
Shanli wollte schon fragen, welchen Vermutung Navid hege, als Parviz seinen Arm um Simin legte.
»Simin, du siehst heute Abend wunderschön aus. Wie ich sehe, hast du dich mit den Schwestern angefreundet. Ihr redet doch nicht etwa über mich, oder?«
Das einstimmige »Nein, nein!« ließ Parviz nicht einen Moment stutzig werden. Munter wandte er sich an Leilah, der er seine Hand reichte. »Kleine Lilie, du bist an der Reihe. Lass uns spazieren gehen!«
»Ich heiße Neinah und nicht Ninie?«, sagte das schwarzhaarige Mädchen und ließ sich von Parviz fortführen.
»Ja, aber das ist kein Grund, dich zu grämen, Neinah«, konnten sie den Schah noch antworten hören.
Navid schüttelte nur den Kopf, hielt dann jedoch inne und zog Shanli jäh mit sich fort. »Entschuldige uns, Simin. Wir müssen uns kurz die blonden Locken kämmen.«
Eilig zog er Shanli in ein stilles Eck. »Schnell, deine Haarspitzen werden schon schwarz, und ich glaube …«, Navids Augen irrten ratlos umher,«… bei mir baumelt jeden Moment etwas im Freien.«
Hastig murmelte Shanli die Wünsche und meinte danach: »Die ganze Aufregung macht mich hungrig.« Ein verschmitztes Lächeln legte sich auf ihre Züge. »Nass uns endnich von den Köstnichkeiten probieren.«
Navid folgte Shanli mit einem Lachen zu den reichlich bedeckten Tafeln, wo sie sich gleich zwei Teller mit Essen belud. Navid nahm sich lediglich ein wenig Obst und beobachtete Shanli schweigend. Kein Wort kam über seine Lippen, aber der Bäckerstochter fiel sehr wohl sein amüsiertes Mienenspiel auf. Gemeinsam ließen sie sich an einem niedrigen Tisch nieder, um den mehrere dicke Sitzkissen lagen. Shanli stellte ihre Teller ab und nahm sich sofort ein knuspriges Fleischbällchen, welches zur Gänze in ihrem Mund verschwand. Kaum hatte sie ein paar Mal gekaut, begann sie wonnig, mit vollen Backen zu stöhnen. »Oh … ist das gut. Mmmh! Ahh!« Sie schloss selig die Augen und genoss sichtlich jeden Bissen.
Navid beäugte Shanli irritiert. Denn diese Geräusche, die sie von sich gab, erinnerten ihn an etwas … anderes … Sinnliches.
Ganz in ihr Tun versunken, schleckte sie sich die Finger ab und saugte geräuschvoll an den Kuppen.
Navid hielt den Atem an, als er sah, wie sich Shanlis rot glänzende Lippen um ihre Fingerspitzen schlossen und dabei verführerisch kräuselten. Wie es sich wohl anfühlen würde, wenn ihre vollen Lippen ihn … Nein, das durfte er nicht mal denken!
Als nächstes griff Shanli zu einem Stückchen Baklava. Der dickflüssige Zuckersirup tropfte aus dem Strudelteiggebäck heraus und lief ihr über die Hände, bis ans Handgelenk. Shanli wusste sich nicht anders zu helfen, und leckte mit der Zunge die süße Spur fort.
Ein heiseres Krächzen entfloh Navid. Der Anblick von Shanlis rosa Zungen, die sich sanft über ihre samtbraune Haut wand, war zu eindeutig zu viel für einen Mann, der schon lange keine Frau mehr gehabt hatte. Erotische Bilder stiegen in ihm auf, in denen es keine Rolle spielte, ob es ihre oder seine Zunge war, die mit ihrer Haut oder seiner spielte.
Erneut gab Shanli genießerische Töne von sich. Ihr wohliges Brummen und Seufzen lösten eine neue Woge von Verlangen in ihm aus. Unruhig rutschte Navid auf seinem Kissen herum. Sein Atem ging schwerer und schwerer. Was war nur mit ihm los?
Shanli bemerkte Navids seltsam erstarrtes Gesicht. Sein Blick war verhangen, und seine grünen Augen wirkten dunkler als sonst.
Sie schmatzte entschuldigend: »Leilah hatte recht, das Essen ist wirklich lecker.«
»Mmhm«, erwiderte er lahm. »Ich sehe, wie du es genießt.«
»Ja«, nickte Shanli und angelte sich nebenher eine Praline vom Teller. Obwohl sie Schokolade noch nie gesehen hatte, roch sie nur kurz daran und steckte sie sich, ohne Bedenken, in den Mund. »Und das ist das Problem«, mampfte sie und lutschte nebenher die braune Süßigkeit. »Essen ist für mich nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern ein Genuss. Mit allen Sinnen!« Sie riss entzückt die Augen auf, denn die Schokolade schmolz und entfaltete ihren vollen Geschmack. »Du lieber Himmel! Das musst du probieren, Navid.« Abermals schloss sie die Augen und stöhnte im Schmatzen. »Das ist unglaublich!«
Sie schnappte eine Praline und hielt sie Navid vor die Nase. »Na, komm schon, die ist nicht vergiftet.«
Der Dschinn zögerte. Seine Augen glitten langsam über Shanlis Gesicht und blieben auf ein Neues an ihren vollen Lippen hängen. Allmählich öffnete Navid seine. Shanli grinste zufrieden, als sich diese über ihre Finger stülpten und die Praline aufnahmen. Sie beobachtete aufmerksam, wie sich sein Mund schloss.
»Zerbeiße es nicht! Warte! Fühle, wie kühl es ist und die Hitze es nach und nach schmelzen lässt!«, befahl Shanli ihm leise. »Spürst du, wie es auf deiner Zunge ganz … langsam zergeht? Wundervoll, nicht wahr? Zuerst ist es ein wenig herb, aber gleich … überschwemmt eine herrliche Süße deinen Mund.« Gebannt hörte Navid Shanlis Flüstern zu. »Sie dringt in jeden Winkel vor. Nimmt all deine Sinne mit ihrer Lieblichkeit gefangen. Und dann … kommt er: dieser Rausch. Er wird stärker und stärker. Und während dir diese flüssige Wonne die Kehle hinunterläuft, stetig weniger wird, erfasst dich ein dunkles Verlangen nach mehr.«
Navid knurrte: »Ja, ich kann dieses Verlangen spüren, mehr, als mir lieb ist.«
Hätte er jetzt seine männliche Gestalt, müsste er eine steinharte Erregung verbergen. Aber auch jetzt nahm er wahr, wie ein Kribbeln sich in seinem Unterleib ausbreitete. Nie hätte er vermutet, dass ihn die Beschreibung einer Leckerei wolllüstig machen könnte. Nein, gewiss lag es nicht an Shanli!