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Kapitel 2 Gefährliche Kekse
ОглавлениеShanli war noch nie zuvor in ihrem Leben im Palast gewesen. Schon von außen war das weiße Prachtgebäude mit seinen vier hohen Türmen, den Hunderten von Arkaden und den gewaltigen Zwiebeldächern beeindruckend. Aber von innen war der Palast schlichtweg atemberaubend. Immer wieder musste Shanli an die Decke starren, die in weiter Ferne zu thronen schien. Über und über war die Kuppel mit einem filigranen Muster verziert. Stuck in Ranken, Blüten und Schnörkel prunkte verschwenderisch an Decke und Wänden. Der Fußboden war eine spiegelnde Fläche aus wolkenweißem Marmor.
Um ihrer Aufregung Herr zu werden, atmete Shanli tief durch. Sie hatte eine kleine Auswahl an Leckereien eingepackt, von der sie glaubte, dass sie ihr am besten gelungen war. Dass eine Sorte davon Schah Parviz oder seiner Mutter Aazar besonders gut schmecken würde, konnte sie nur hoffen. Ungeduldig ruckelte sie auf ihrem Stuhl umher und sah sich eingeschüchtert um.
War ihr Backtalent wirklich so gut, um es mit dem derzeitigen Hoflieferanten aufnehmen zu können? Sicherlich benutzte er nur das teure Rosenwasser aus Apunqur. Sie dagegen bereitete es selbst zu und sammelte dafür die zarten, rosaroten Blütenblätter der kniehohen Buschrosen, die sie vor den Toren von Al Hurgha fand. Bestimmt war der Hoflieferant ein alter, erfahrener Bäcker, der nur doppelt gemahlenes Mehl verwenden würde. Oh, nein, sie würde sich nur blamieren.
Genau in diesem Moment, als die Angst Shanli zu überwältigen drohte, kam ein Diener daher.
»Folge mir. Schah Parviz und sein Mutter trinken nun ihren Mokka. Sie möchten deine Süßigkeiten kosten.«
Hastig erhob sich Shanli mit ihrem Korb und folgte dem Diener durch die Halle, einen langen Gang entlang, zu einem Iwan. Von dieser halb offenen Halle aus hatte man einen herrlichen Blick auf den gepflegten Garten des Palastes. Die gigantischen weißen Vorhänge schwebten wie rauschende Wasserfälle im warmen Wind und verliehen dem Raum etwas Unwirkliches. Der Schah und seine Mutter saßen halb liegen auf niedrigen Ottomanen. Auf zierlichen Tischen hatte man ihnen den Mokka griffbereit zur Seite gestellt.
Der Diener verbeugte sich. »Schah Parviz, die Bäckerstochter.«
Parviz hob erfreut den Kopf. »Ah, ja! Tritt näher – Bäckerstochter.«
Shanli ging langsam auf Mutter und Sohn zu. Sie schluckte und klammerte sich ängstlich an den Korb, der mit seinen Backwaren den Schlüssel ihrer Zukunft enthielt.
Während der Schah ihr entgegenlächelte, verzog seine Mutter, Aazar, keine Miene. Nicht nur der kalte Blick der älteren Frau ließ Shanli verzagen, sondern auch deren Erscheinung. Aazar war trotzt ihres Alters, das bei Anfang vierzig liegen musste, die schönste Frau, die Shanli je gesehen hatte. Sie hatte eine hohe, gewölbte Stirn, die in eine edle, schmale Nase überging. Ihre Augenbrauen waren feine Bögen, über eindrucksvollen Augen, welche eine leichte Schräglage hatten. Ihre wallenden Locken waren von einem fast durchsichtigen Schleier bedeckt. Trotz ihrer weiten, kostbaren Kleider war zu erkennen, dass sie gertenschlank war. Shanli schätzte, dass Aazar ihr mit Leichtigkeit auf den Kopf spucken könnte, wenn sie auf ihren schier endlosen Beinen stand und es darauf anlegen würde. Abgesehen davon hatte Parviz‘ Mutter ausgesprochen grazile Hände und nicht solche Dattelfinger wie sie.
Wie sollte diese Frau, die augenscheinlich sehr auf ihre Figur achtete, an ihren reichhaltigen Leckereien Gefallen finden? Aazar sah wahrlich nicht danach aus, als würde sie irgendetwas tun, was ihrem Aussehen schadete. Im Ganzen wirkte sie kühl und verbittert. Es war ein Wunder, das Parviz eine solche zuversichtliche und einnehmende Ausstrahlung hatte. Wahrscheinlich kam er mehr nach seinem Vater als nach seiner Mutter.
Der Schah winkte Shanli zu sich. »Komm, zeig uns deine Ware.«
Eilig wuselte das Mädchen zu dem jungen Herrscher und kniete vor ihm nieder. Shanli schlug die Tücher beiseite und holte die Süßigkeiten hervor, die sie sogleich Parviz darreichte.
Ein Schmunzeln floh über sein Gesicht. »Das sieht alles sehr lecker. Ähm, wie war noch gleich dein Name?«
»Shanli, Hoheit«, erwiderte die Bäckerstochter und blinzelte verwirrt.
»Genau, Shanli. Shanli, ja, welche deiner Köstlichkeiten würdest du denn empfehlen?«
Unruhig schaukelte das Mädchen auf ihren Knien. »Nun, es kommt darauf an, was Ihr bevorzugt. Wenn es eher etwas Frisches und Fruchtiges sein soll, solltet Ihr diese probieren.«
Ohne die Backwaren zu berühren, deutete Shanli auf kleine Halbmonde, welche mit hauchdünnen Orangenstreifen kunstvoll verziert waren. »Das sind Mandelkekse mit einem fruchtigen Orangenaroma. Falls Ihr jedoch einen herberen Geschmack bevorzugt, munden Euch jene vielleicht besonders gut. Das ist Mandelkonfekt, das winzige Knusperperlen aus kandierten, zerstoßenen Mokkabohnen enthält. Und wenn Ihr lieber Pikantes mögt, so habe ich hier Ziegenkäsekringel mit einem Hauch Honig und einer Prise Kreuzkümmel«
»Beeindruckend, nicht wahr, Mutter?«
Aazar legte den Kopf schief und unterzog Shanli einer strengen Musterung. »Ja, tatsächlich scheint sie wesentlich mehr Fantasie zu besitzen als unser bisheriger Bäcker.«
Ein Grinsen huschte über Shanlis Gesicht. »Danke, Euer Hoheit.« Anscheinend war diese herbe Schönheit doch keine Kostverächterin.
Mit einer Verneigung hielt sie Aazar das Gebäck vor die Nase und zeigte auf braune, kreisrunde Plätzchen. »Darf ich Euch noch diese Gewürzkekse ans Herz legen. Sie enthalten eine fein abgestimmte Mischung aus Muskatblüte, Piment und Kardamom. Sie schmecken nicht nur gut, sondern sind auch eine Wohltat für den Magen und eine schmackhafte Bereicherung zu Eurem Mokka.«
Aazar schaute Shanli tief in die Augen, bevor sie mit spitzen Fingern nach einem der Gewürzkekse angelte. In Mäuschen-Manier begann sie, an dem Keks herumzuknabbern. Gebannt warteten Parviz und Shanli auf Aazars Urteil. Schließlich nickte die Schah-Mutter, und nachdem sie hinuntergeschluckt hatte, meinte sie: »Wirklich vorzüglich. Du bist eine talentierte Bäckerin.«
Shanli stieg sofort die Röte ins Gesicht, und als sie bemerkte, wie Parviz sie voller Stolz anlächelte, senkte sie schüchtern ihren Blick.
»Nun, Fanli …«
»Shanli, Euer Hoheit«, berichtigte das Mädchen den Schah flüsternd.
Dieser erwiderte daraufhin: »Gesundheit!« Danach brachte er Shanli mit seinem Lächeln schier um den Verstand und fuhr fort: »Also, von welchen Keksen soll ich kosten? Ich mag es ausgesprochen süß, und du scheinst mir auf diesem Gebiet eine wahre Kennerin zu sein.«
Shanli schaffte es fast, sich das Kichern zu verdrücken. Allerdings wurde aus dem Lachen ein Grunzen, weshalb sie Parviz schnell mit den Leckereien ablenkte. »Diese Marzipankugeln sind dann genau das Richtige. Sie enthalten nicht nur Feigen- und Dattelstückchen, sondern sind auch von einem gezuckerten Rosenblatt umhüllt.«
»Mmmh! Was für eine Versuchung«, brummte Parviz und versank dabei in Shanlis Augen, während er sich gleichzeitig eine Marzipankugel griff.
Ein tonloses Hecheln entfloh der Bäckerstochter, denn kein Mann hat sie jemals mit dem gleichen Hunger betrachtet wie ihre Süßigkeiten.
Gemächlich schob der Schah die Leckerei in seinen Mund. Nicht einen Moment wich sein Blick von Shanli, die kurz vor einer Ohnmacht stand.
Wie war es möglich, dass sie innerlich schier verbrannte, nur weil sie ihm beim Essen zuschauen durfte?
Parviz ließ sich die Köstlichkeit erst im Munde zergehen. Doch dann biss er in mahlenden Bewegungen zu, was ein jähes Ende fand.
»Autsch!«, schrie er auf und verzog schmerzhaft das Gesicht.
Shanli stockte vor Schreck der Atem. Mit schreckensweiten Augen wurde sie Zeugin, wie er angewidert den Inhalt seines Mundes auf den Boden spuckte.
»Beim Barte des Propheten, was war das? Ich habe mir fast den Zahn ausgebissen.«
Entsetzt nahm die Bäckerstochter wahr, wie Parviz sich den Mund abwischte und Blut an seinen Händen fand.
»Das … Das tut mir entsetzlich leid. Das … das kann nur ein winziges Stückchen einer Mandelschale gewesen sein«, stammelte Shanli und warf sich mit bebender Brust vor dem Schah nieder.
Sie wusste genau: Keiner vergoss ungestraft das Blut des Herrschers. Ihre Stimme zitterte, als sie Parviz anflehte: »Verzeiht mir, oh gütiger Schah. Niemals wollte ich Euch verletzen. Was kann ich tun, um Euch die Schmerzen vergessen zu lassen? Ich werde alles tun, was Ihr verlangt.«
»Du blutest. Wie schlimm ist es, mein Sohn? Muss ich den Hakim rufen?«, fragte Aazar besorgt.
»Nein, ich denke nicht«, wehrte Parviz undeutlich ab, denn er prüfte mit seiner Zunge, ob seine Zähne Schaden davongetragen hatten.
Nach wie vor kauerte Shanli in unterwürfiger Haltung am Boden und traute sich gerade noch, Luft zu holen.
Lange nicht mehr so freundlich wie zuvor, hörte sie Parviz sprechen: »Ohne Zweifel sind deine Süßigkeiten die besten, die ich jemals gegessen habe. Allerdings sind sie auch die gefährlichsten. Es wird wohl besser sein, ich verschone meine Zähne vor deinem Backwerk.«
Shanlis Herz wollte aus ihrer Brust springen, so trommelte es. Wieso hatte sie dieses elende Schalenstückchen nicht in dem Mandelmehl entdeckt? Warum musste der Schah ausgerechnet diese Marzipankugel wählen? Sie hatte ihre einzige Chance verspielt, durch eine seltendämliche Unachtsamkeit.
Vorsichtig sah Shanli auf und musste Parviz mürrisches Gesicht ertragen. Und eh Shanli sich‘s versah, purzelten ihr die Worte aus dem Mund: »Bitte, Euer Hoheit, gewährt mir eine zweite Chance. Ich verspreche Euch, nie wieder, wird eine Nuss- oder Mandelschale in meinen Süßwaren zu finden sein. Beim Grab meines kürzlich verstorbenen Vaters schwöre ich Euch, dass ich Euch eine Delikatesse kredenzen werde, die Euch alles vergessen lassen wird.«
Heimlich sagte sich Shanli, dass sie diesen Schwur leichter erfüllen könnte, als vermutet, denn schließlich vergaß der schöne Parviz ja alle Nase lang ihren Namen.
Der Schah schnaufte resignierend. »Na gut. Du sollst deine zweite Chance haben. Komme wieder, wenn du diese Delikatesse zubereitet hast. Aber wehe dir, Shanli, sollte ich erneut mein Blut schmecken, dann will ich dich nie wieder in meinem Palast sehen.«
Betrübt verzog sich Shanlis Gesicht. »Ja, Schah, Parviz. Ich werde an nichts anderes mehr denken.«
Warum erinnerte er sich auf einmal an ihren Namen? Sie konnte nach ihrem Versprechen nur hoffen, dass der Schah einen Zufallstreffer gelandet hatte.
Shanli stand auf und rückwärts laufend entfernte sie sich von dem Herrscherpaar, in einer andauernden Verbeugung.
Erst als sie den Iwan verlassen hatte, richtete sie sich wieder auf und konnte frei atmen. Was hatte sie da nur angestellt?
Aazar betrachtete ihren Sohn, der der Bäckerstochter hinterherschaute. Parviz war ein stattlicher Mann geworden und erwies sich immer wieder als weiser und gütiger Herrscher. Was jedoch ein Ding der Unmöglichkeit war, war sein Vergnügen daran, jedem weiblichen Wesen den Kopf zu verdrehen. Wie er es eben wieder mit dieser unförmigen Bäckerstochter getan hatte. Parviz genoss in vollen Zügen die zum Teil kopflose Bewunderung der Frauen. Ja, er wusste sehr genau um sein Aussehen und seine Macht, die er über die Weiber hatte. Selbst die alten Dienerinnen fingen zu kichern an, wenn er sie in die Mangel nahm.
Oft genug hatte sie ihrem Sohn gesagt, dass diese Spielereien eines Schahs nicht würdig wären. Doch auf diesem Ohr schien Parviz taub zu sein. Sie war es leid, ihm Vorträge zu halten. Mit seinen fünfundzwanzig Jahren war er alt genug, bald selbst einen Sohn zu haben. Ja, sollte sich doch sein Eheweib um dieses Problem kümmern. Er bräuchte nur eine Frau, die ihm den Verstand raubt, sodass er nicht mehr das Bedürfnis hatte, andere Weiber in zerstreute Hühner zu verwandeln. Dennoch musste die Braut gewissen Anforderungen entsprechen und auf Leib und Seele geprüft werden. Nur, wo sollte sie diese eine spezielle Frau für ihren Sohn finden?
»Parviz, ich denke, es ist an der Zeit, dass du dir eine Braut suchst«, sprach Aazar unvermittelt das Thema an.
Verblüfft schaute der Schah auf. »Mutter, wie kommst du denn jetzt auf diese Idee?«
»Weil du dieser Bäckerstochter wie ein verliebter Gockel hinterherstarrst und langsam für einen Nachfolger sorgen solltest.«
Parviz setzte sich auf. Sein Gesicht zeigte grimmige Unentschlossenheit. »Und wen sollte ich deiner Meinung nach heiraten? Die Bäckerstochter?«
»Eine, die du liebst, die dir eine treu ergebene Ehefrau und zugleich eine pflichtbewussten Herrscherin sein kann. Sie muss mehreren Ansprüchen genügen.«
Hoffnungslos schüttelte der Schah den Kopf. »Und wo soll ich diese Frau finden?«
Aazar grinste hinterhältig. »Nicht du wirst sie finden, sondern sie dich. Wir werden im ganzen Land verkünden, dass du eine Braut suchst. Jede Frau kann um dich werben. Aber du wählst dann nur jene aus, die dir gefallen. Und ich werde diese Auswahl einigen Prüfungen unterziehen. Die Gewinnerin erfüllt dann, so Allah will, alle Anforderungen, die wir stellen.«
Parviz schmunzelte. »Eine großartige Idee, Mutter. Lass sofort die Nachricht verkünden: ›Schah Parviz sucht eine Braut!‹«