Читать книгу Welt am Abgrund - Ewald Weber - Страница 25

Wenn ich ausatme, enthält mein Atem rund 4 Prozent Kohlendioxid. Das ist 100-mal mehr als in frischer Luft – eine gewaltige Anreicherung. Es ist frisch gebildetes Kohlendioxid, in meinem Körper entstanden und als Abfallprodukt des Stoffwechsels entsorgt. Entstanden ist es durch die Energiegewinnung in meinen Zellen, durch das Aufschließen der Nahrung und das chemische Verbrennen der Kohlenhydrate.

Es wäre spannend, sich an die Fersen eines der CO₂-Moleküle zu heften und es zu verfolgen. Es schwirrt in der Luft herum und geht auf eine Reise mit unbestimmtem Ziel. Vielleicht wird es vom Wind fortgetragen und steigt bis in die höchsten Höhen der Atmosphäre. Dort verweilt es vielleicht ein paar Wochen, vielleicht auch ein paar Jahrhunderte. Möglich, dass es dabei weit herumkommt. Vielleicht wird es flugs nach Afrika verfrachtet, von den Winden in den Regenwald gebracht und dort vom Blatt eines Baumes verschluckt. Dann ist es um das Molekül geschehen, es beendet seine Existenz. Zusammen mit Wasser baut der Baum es in ein Zuckermolekül ein. Das Kohlenstoffatom und die beiden Sauerstoffatome haben nun neue Nachbarn und sind Teil eines viel größeren Moleküls geworden. Dasselbe könnte aber auch ganz in meiner Nähe geschehen, vielleicht nimmt das Blatt eines Johannisbeerstrauches mein Molekül auf und verwendet es für den Fruchtzucker in einer Beere. Wenn dann eine freche Amsel an den Beeren nascht und das Fruchtfleisch verdaut, wird aus dem Kohlenstoffatom meines ursprünglichen CO₂-Moleküls wieder ein neues, das den Schnabel verlässt und wiederum in der Luft umherfliegt.

Oder meinem Molekül widerfährt ein anderes Schicksal und es klatscht auf dem Indischen Ozean auf, wo es in Lösung geht und von einer Alge aufgenommen wird. Es kann auch sein, dass das Teilchen in die Nadel einer Kiefer am Rande eines Moors gelangt, in das Holz eines Astes eingebaut wird, der dann abbricht und im Moor landet. Dort versinkt er und bleibt Tausende von Jahren erhalten, eine pflanzliche Moorleiche. Dann sagen Biologen, dass Kohlendioxid in der toten Biomasse gespeichert ist. Das Wort gespeichert ist nicht wörtlich zu verstehen, denn im Holz befinden sich keine Kammern mit Kohlendioxid. Gemeint ist, dass der Kohlenstoff und der Sauerstoff des Moleküls in neue Moleküle eingebaut worden sind. Wenn der Kohlenstoff meines CO₂-Teilchens im Holz steckt und das Holz nicht verbrannt wird, ist es dem Kreislauf entzogen. Darin besteht die Bedeutung der Kohlenstoffspeicher wie Bäume und Hochmoore. Auch ein Hochmoor speichert aufgenommenes Kohlendioxid in der Biomasse der Torfmoose, die sich in der Tiefe nicht zersetzen: Der Kohlenstoff bleibt erhalten.