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Das irdische Karussell
ОглавлениеDamit wird klar, dass wir ohne CO2 in der Luft nicht leben könnten – von der Klimawirksamkeit des Gases ganz abgesehen. Eine paradoxe Situation, aber wir wären nicht entstanden ohne das Gas. Erst das Zusammenspiel von Kohlendioxidproduzenten und -verbrauchern erlaubt die Existenz des Lebens, wie wir es kennen. Die gegenseitige Abhängigkeit hat sich zu einem Gleichgewicht eingependelt, bei dem etwa so viel Kohlendioxid von den Produzenten gebildet wird, wie von den Konsumenten freigesetzt wird. Ein Geben und Nehmen der beiden Gase Sauerstoff und Kohlendioxid.
Damit sind wir bereits beim Kohlenstoffkreislauf. In der Natur findet ein ständiger Austausch des Kohlenstoffs zwischen den verschiedenen Bestandteilen wie Atmosphäre, Ozeane, Wälder und Boden statt. Dadurch entsteht ein Kreislauf, bei dem einerseits die Speicher oder Vorräte eine wichtige Rolle spielen, andererseits die Raten des Verbrauchs und der Erzeugung. Das Gleichgewicht ergibt sich dadurch, dass die Rechnung aufgeht – Eingänge und Abgänge halten sich die Waage. Es findet eine Dynamik statt und damit spielt auch die Zeit eine Rolle. Bei der Aufstellung von Bilanzen geht es stets um Raten – wie viel CO2 entsteht etwa pro Jahr und wie viel wird wieder verbraucht? Das ist mit einem Bankkonto vergleichbar: Was sich gerade auf dem Konto befindet, ist der Vorrat oder das Kapital. Seine Höhe wird von den Bewegungen beeinflusst – welche Beträge werden einbezahlt, welche abgehoben. Sie bestimmen, wie viel Geld gerade in Umlauf ist und wie hoch das Kapital.
Warum sind der Kohlenstoffkreislauf und seine Bilanz für die Diskussion um den Klimawandel so wichtig? Das hat damit zu tun, dass die Menge an Kohlendioxid in der Atmosphäre von all den Prozessen abhängt, bei denen CO2 entweder entsteht oder verbraucht wird. Aber auch der Austausch durch Diffusion trägt zur Bilanz bei. Von den Ozeanen entweicht gelöstes Kohlendioxid in die Atmosphäre und umgekehrt geht das Gas aus der Luft im Wasser in Lösung. Die Bilanz all dieser Prozesse bestimmt den momentanen Gehalt des Gases in der Luft und damit auch seinen Einfluss auf das Klima.
Jetzt wird auch klar, warum der Kohlenstoff im Zentrum steht. In fossilen Energieträgern und in Holz ist eine bestimmte Menge Kohlenstoff vorhanden, die bei Verbrennung CO2 bildet. Die Menge an Kohlenstoff in einem Stück Holz oder einem Kohleklumpen bestimmt die Menge an CO2, die daraus entstehen kann. Umgekehrt verschlucken Pflanzen durch die Fotosynthese CO2 und bilden daraus Holz. Nicht das Kohlendioxid unterliegt einem Kreislauf, sondern der Kohlenstoff. Die Mengen an CO2, die dabei ausgetauscht werden, sind eine Begleiterscheinung dieses so bedeutungsvollen irdischen Karussells.
In Abbildung 3.1 ist der Kohlenstoffkreislauf schematisch dargestellt. Wir haben es mit riesigen Stoffmengen zu tun. Daher rechnen Wissenschaftler mit der Maßeinheit „Gigatonne“. Eine Gigatonne entspricht 1000 Milliarden Tonnen. Um eine Vorstellung der Größenordnung zu bekommen, übersetze ich als Beispiel die Entfernung der Erde zum Pluto in Gigakilometer: Das äußerste Gestirn in unserem Sonnensystem ist rund 5900 Milliarden Kilometer entfernt. Diese Distanz entspricht 5,9 Gigakilometer.
Es lohnt, das Kohlenstoffkarussell etwas näher zu betrachten und die verschiedenen Vorräte und Flüsse zu vergleichen. Daraus ergibt sich ein Bild, wie unser Planet funktioniert, wie das Erdsystem uns alle am Leben erhält und er offenbart, warum wir für einen Anstieg des CO2-Gehaltes sorgen.
Abb. 3.1 Der globale Kohlenstoffkreislauf. Dargestellt sind die Speicher und die wichtigsten Flüsse zwischen ihnen und der Atmosphäre. Pfeile nach unten bedeuten Verbrauch durch CO2-Senken, Pfeile nach oben Hinzufügen aus CO2-Quellen. Die jährliche Zunahme von 3,8 Gigatonnen Kohlendioxid in der Luft ergibt sich aus der Bilanz der zehn Flüsse. Fett gedruckte Zahlen geben Vorräte an. Nach Reichstein (2015) und Global Carbon Project (2016).
Quellen: (1) Diffusion aus den Meeren und Atmung der Lebewesen in den Meeren, (2) Atmung der Lebewesen an Land und Feuer, (3) Diffusion aus Seen und Fließgewässern, (4) Ausstoß als Folge vulkanischer Vorgänge, (5) Verbrennung fossiler Energieträger, (6) Landnutzung und Landnutzungsänderungen, Waldrodungen, Brandrodungen, (7) Ausstoß aus der Zementproduktion.
Senken: (A) Auflösen im Wasser und Fotosynthese, (B) Fotosynthese der Vegetation an Land, (C) chemische Verwitterung von Gesteinen. Doppelpfeile geben einen langsamen Austausch zwischen den Speichern an.