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Der evangelische Patient

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Es wird Zeit, dass wir auf jenen Patienten zu sprechen kommen, um den es in diesem Buch gehen soll. Wo liegen die Parallelen zwischen dem Kranken am Teich Betesda und dem »evangelischen Patienten«, der protestantischen Kirche? Wir zögern etwas, diesen Punkt näher auszuführen. Schließlich wollen wir unser Nest nicht beschmutzen und fragen uns, wie wir der Kirche, die wir schätzen und lieben, hier einen Spiegel vorhalten können, ohne sie bloßzustellen und zu beschämen. So ganz vermeiden lässt sich das vermutlich nicht. Deshalb ist uns wichtig, dass wir uns selbst von diesem schmerzhaften Blick in den Spiegel nicht ausnehmen. Die Kirche, von der wir reden und die der Heilung bedarf, ist nicht »irgendwo da draußen« oder »irgendwer anders«, sondern das sind erst einmal wir selbst. Und in diesem Sinne bitten wir Sie auch, dieses Buch zu lesen.

Was also verbindet den Kranken am Teich Betesda mit dem »evangelischen Patienten«? Zunächst einmal sehen wir eine Parallele in der Beschreibung seiner Krankheit als »Kraftlosigkeit« (astheneia). In der Tat scheint Kraftlosigkeit ein Grundproblem unserer Evangelischen Kirche zu sein. Zwar ist sie immer noch ein starker Player in der Gesellschaft, wenn es beispielsweise um sozialdiakonische Fragen geht, um Mitsprache in Rundfunkräten und Ethikkommissionen, um das Engagement von über einer Million ehrenamtlich tätiger Menschen. Und doch ist die Kirche in Westeuropa heute in vielerlei Hinsicht erstaunlich kraft- und wirkungslos.

Äußerlich lässt sich diese Diagnose relativ einfach belegen: Jahr für Jahr treten etwa eine viertel Million Menschen aus der Evangelischen Kirche aus. Die Tendenz scheint derzeit eher zu steigen. Gleichzeitig nimmt der Gottesdienstbesuch ab. Die Finanzkraft schwindet, und wir haben in vielen kirchlichen Berufen ein Nachwuchsproblem. Lassen wir es bei diesen kurzen Hinweisen. Zumindest äußerlich gesehen ist es eindeutig, dass die Kirche schwächer wird und nicht stärker.

Innerlich sieht die Sache aber leider nicht besser aus. Im Gegenteil: Immer weniger Menschen können sich mit dem identifizieren, was wir als Kirche tun oder sagen. Das gilt nicht nur für die Menschen außerhalb der Kirche, sondern auch für unsere eigenen Mitglieder. Als »Indifferenz« bezeichnet die letzte (fünfte) Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung diese Einstellung der mit Abstand größten Gruppe innerhalb der evangelischen Bevölkerung: Kaum jemand kennt mehr die Bibel oder lebt gar mit ihr – und zwar bis in unsere Kirchenvorstände hinein. Die meisten Evangelischen beten höchstens noch in Notzeiten. Und das »Allgemeine Priestertum«, demzufolge alle Getauften berufen sind, das Evangelium weiterzugeben, findet kaum irgendwo mehr statt. Auch diese Liste ließe sich problemlos erweitern.

Es ist mit Händen zu greifen, dass unsere Kirche ihre Kraft verloren hat. Das macht sie als »evangelischen Patienten« vergleichbar mit dem Kranken aus unserer Geschichte. Und die große Frage ist, wie wir aus dieser Situation herauskommen. Ganz offensichtlich kann dies nicht aus eigener Kraft geschehen – Kraftlosigkeit ist ja gerade das Krankheitsbild, um das es in unserer Geschichte geht. Zwar kommt auch diese Erzählung an einen Punkt, an dem der Kranke aufgefordert wird, etwas zu tun. Aber zuerst muss er sich auf einen (etwas unangenehmen) Dialog mit Jesus einlassen. Er muss seinem Zustand ins Auge schauen und zudem die bisherigen Rezepte, nach denen er versucht hat, gesund zu werden, loslassen und sich ganz und gar dem Wort Jesu anvertrauen.

Der evangelische Patient

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