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3.4 Nuklearstrategien: Abschreckung, massive Vergeltung, Kuba, und flexible response 3.4.1 Die Entwicklung der nuklearen Abschreckung: Grundsätze und massive Vergeltung

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Es wurdeAbschreckung (nuklear) bereits abmassive Vergeltung Mitte derflexible response 1950er Jahre deutlich, dass das alliierte Ziel der 90 einsatzbereiten Divisionen nicht gehalten werden konnte. Daher spielten NuklearwaffenAtomwaffen1 früh eine Rolle in den VerteidigungsplanungVerteidigungsplanungen der NATO (Bockenförde 2013, 37ff.; Pedlow 1997, XVII). Dabei ging es zunächst weniger um atomare LangstreckenraketeLangstreckenraketeICBM (Nuklearwaffe)n (Inter-Continental Ballistic MissileICBM (Nuklearwaffe)s, ICBMICBM (Nuklearwaffe)s), die sich noch in der Entwicklung befanden, sondern primär um den Einsatz von Langstreckenbombern. Während die vorhergehenden strategischen Konzeptestrategische Konzepte der NATO bisher nur verklausuliert den Einsatz von AtomwaffenAtomwaffen vorsahen, formulierte das 1957er Strategische Konzept erstmals klar die Prinzipien zur Nutzung von NuklearwaffenAtomwaffen: AtomwaffenAtomwaffen sollten nicht als erstes Mittel eingesetzt werden, aber ihr Einsatz war in der Verteidigungsdoktrin auch nicht ausgeschlossen (NATO 1957; Bockenförde 2013, 40). So sollte die NATO nach Auffassung des US-amerikanischen Außenministers John Foster DullesDulles, John F. eine Politik verfolgen, „AtomwaffenAtomwaffen als konventionelle Waffen gegen die militärischen Ziele des Gegners anzusehen, wo und wann auch immer das vorteilhaft sein würde.“ (DullesDulles, John F., zitiert nach Pedlow 1997, XVII). Dies sei mit Blick auf die konventionelle Unterlegenheit der NATO in Europa nur folgerichtig (NATO 1957, 9, Art. 13.c).

NebenAbschreckung (nuklear) diesen ÜberlegungenNuklearstrategie zum Einsatz von NuklearwaffenAtomwaffen auf dem Gefechtsfeld oder zumindest der AbschreckungAbschreckung (nuklear) durch sie2 stellt das Strategische Konzept von 1957 eine Doktrin der massiven Vergeltungmassive Vergeltung (massive retaliationmassive retaliationmassive Vergeltung) auf. Den Schlüssel zur Vermeidung eines totalen nuklearen Kriegs sahen die Planer*innen in der Sicherstellung einer ZweitschlZweitschlagsfähigkeitagsfähigkeit (Brodie 1959, Kap. 6). Der Einsatz von NuklearwaffenAtomwaffen durch die Sowjetunion wurde so lange als unwahrscheinlich angesehen, wie der Westen sicherstellen konnte, dass ein russischer Erstschlag zur massiven Zerstörung der UdSSR durch westliche ZweitschlZweitschlagsfähigkeitäge führen würde (NATO 1957, 11, Art. 18). Gleichzeitig wurde aufgrund dieser beiderseitigen Gefahr davon ausgegangen, dass sowjetische Aktionen häufig kleinerer und konventioneller Natur sein würden, um bewusst einen totalen Nuklearkrieg zu vermeiden. Folglich mussten dadurch erhebliche konventionelle Verteidigungskräfte aufrechterhalten werden, was sozusagen die europäische Gegenleistung zur US-amerikanischen Nuklearkapazität war. Die NATO-Strategie war somit nicht eine reine massive Vergeltungmassive Vergeltungsstrategie, aber die Möglichkeit zur Begrenzung von Kriegen, also solchen ohne Einsatz von strategischen NuklearwaffenAtomwaffen mit ihren enormen Folgen für Zerstörung und Menschenleben, wurde gleichzeitig als schwierig angesehen, weil man sich so strategisch seines effektivsten, nuklearen Vorteils beraubte (Brodie 1959, 309ff.; Pedlow 1997, XX).3 Die konventionellen Kräfte sollten deutlich machen, dass ein Angriff der Sowjetunion den gefährlichen Weg in einen totalen, nuklearen Krieg bedeuten würde (Snyder 1961, 6, 126ff.). Sie hatten also eine Stolperdrahtfunktion (engl. tripwire, s. Brodie 1959, 252f.), die der Nuklearstratege Herman Kahn (1960, 34ff.) auch als eine Form der AbschreckungAbschreckung (nuklear) (deterrenceAbschreckung (nuklear)) ansah, weil sie auf den Zusammenhalt und Entschlossenheit der/des Bedrohten gegenüber zu aggressivem Verhalten eines Gegners beruht. Ein gutes Stück der nuklearen AbschreckungAbschreckung (nuklear)sdoktrin basiert somit auf den Prinzipien der Unsicherheit, was bei ihrem Einsatz ausgelöst werden würde (Deudney 2018, 338f.; Snyder 1961, 27ff.), und der Glaubwürdigkeit sowie Überlegungen zu Zielen und möglichen Handlungen des Gegners (Snyder 1961, 12ff.). Bockenförde (2013, 29) beobachtet, dass durch diese Form der AbschreckungAbschreckung (nuklear) seit den 1960er Jahren eine gewisse Stabilität der Auseinandersetzung entstand (s. auch Deudney 2018, 340). Hew Strachan erläutert, dass dies daran liegt, dass Strategie im Nuklearzeitalter kriegsverhindernd und somit zu gewissen Teilen passiv sein musste:

„The meaning of strategy had now changed. Conventional strategy was a strategy of action; it prepared for war and then implemented those preparations. Nuclear strategy was a strategy of dissuasion; it prevented war.“ (Strachan 2005, 43)

Snyder nutzt auch die Gegenüberstellung von AbschreckungAbschreckung (nuklear) und Verteidigung, um auf die neue Sicherheitssituation im nuklearen Zeitalter hinzuweisen:

„Essentially, deterrenceAbschreckung (nuklear) means discouraging the enemy from taking military action by posing for him a prospect of cost and risk outweighing his prospective gain. Defense means reducing our own prospective costs and risks in the event that deterrenceAbschreckung (nuklear) fails.“ (Snyder 1961, 3)

Somit ergibt sich auch die Konsequenz, dass AbschreckungAbschreckung (nuklear) bereits zu FriedenFriedenszeiten stattfindet, Verteidigung aber erst im Krieg (Snyder 1961, 4). Wenngleich es also insgesamt eher um Kriegsverhinderung ginge, sei die wichtigste Form der AbschreckungAbschreckung (nuklear) immer noch sehr aktives militärstrategisches Planen und Rüsten, sowohl im nuklearen als auch im konventionellen Bereich (Kahn 1960, 18ff.).

Die Verschiebung zu einer auf nukleare AbschreckungAbschreckung (nuklear) fokussierten Strategie der NATO fand parallel zur Entwicklung der akademisch-strategischen Diskussion darüber graduell ab Mitte der 1950er Jahre statt und setzte darauf, Krieg gar nicht erst stattfinden zu lassen, weil er am Ende des Tages im Nuklearzeitalter zu gefährlich war (Brodie 1959, Kap. 8; Niedhart 2014, 12). Die meisten NATO-Partner sahen in konventionellen Kräften die Garantie einer glaubwürdigen TerritorialverteidigungTerritorialverteidigungLandesverteidigung, während andere aus Kostengründen stärker auf nukleare AbschreckungAbschreckung (nuklear) setzten, vor allem bis zur russischen Entwicklung der AtombombeAtomwaffen (Pedlow 1997, XIX; s. auch Brodie 1959, 201f.; Snyder 1961, 44, 46f., 121; Heuser 1995, 53f.).4 Die AbschreckungAbschreckung (nuklear)sdoktrin sollte ultimativ die Intentionen des Gegners im eigenen Sinne beeinflussen. Gefechtstaktiken mit nuklearen Elementen wurden von den Alliierten aber dennoch durchdacht, um im Angriffsfall der konventionellen Überlegenheit der Sowjetunion etwas entgegensetzen zu können. Die Strategie der NATO wird daher häufig als ein Zwitter aus einem amerikanisch-britischen nuklearen Schwert und einem kontinentaleuropäischen, konventionellen Schild beschrieben (Snyder 1961, 3, 10, 120ff.).

Ballistische Trägersysteme (Raketen) für NuklearwaffenAtomwaffen
Abk. Waffentyp Reichweite
SRBMSRBM (Nuklearwaffe)s Short Range Ballistic MissileSRBM (Nuklearwaffe) ballistische KurzstreckenraketeSRBM (Nuklearwaffe) < 1.000 km
MRBMs Medium Range Ballistic MissileMRBM (Nuklearwaffe) ballistische MittelstreckenraketeMRBM, IRBM 1.000-3.000 km
IRBMIRBM (Nuklearwaffe)s Intermediate Range Ballistic MissileIRBM (Nuklearwaffe) ballistische MittelstreckenraketeMRBM, IRBM 3.000-5.500 km
ICBMICBM (Nuklearwaffe)s Intercontinental Ballistic Missile ballistische Interkontinentalrakete > 5.500 km

Tabelle 11:

Ballistische Trägersysteme für NuklearwaffenAtomwaffen (Quelle: Davenport (2017), Gillis (2017, 63f.), eigene Darstellung)

Die Nukleare TriadeNukleare Triade: Die strategischen NuklearwaffenAtomwaffensysteme der USA
Abk. Waffensystem Reichweite
ICBMICBM (Nuklearwaffe)s Intercontinental Ballistic Missile landgestütze Interkontinentalrakete Nukleare TriadeNukleare Triade 13.000 km
SLBMSLBM (Nuklearwaffe)s Submarine-launched Ballistic Missile U-Boot-gestützte ballistische Rakete > 7.400 km
Strategic bombers strategische Bomber 11.000-16.000 km

Tabelle 12:

Strategische NuklearwaffenAtomwaffen der USA (Quelle: Kristensen (2015), Watson (2017), eigene Darstellung)

Anzahl gefechtsbereiter und in Reserve gehaltener NuklearwaffenAtomwaffen (Erstbesitz) (Jahr des ersten AtombombeAtomwaffenntests/ erster einsatzfähiger Waffe) [Anzahl der gefechtsbereiten Sprengköpfe]*
USA (1945/ 1945) UdSSR/ RUS (1949/ 1949) UK (1952/ 1953) FR (1960/ 1964) CHN (1964/ 1964) ISInternational Staff (IS, NATO)R (?/ 1967) IND (1974/ 1998) PAK (1998/ 1998) NKO (2006/ ?)
1945 2 (1949) - - - - - - -
1950 299 5 (1953) - - - - - -
1960 18.638 1.627 105 (1964) (1964) (1967) - - -
1970 26.008 11.736 375 36 75 8 - - -
1980 24.104 30.665 500 250 205 31 - - -
1990 21.392 32.980 350 505 232 53 (1998) (1998) -
2000 10.577 12.188 280 470 232 72 13 12 (2008)
2010 5.066 5.215 225 300 240 80 80 90 <10
2020 3.800 [1.750] 4.313 [1.572] 195 [120] 290 [280] 320 90 150 160 35
* Zahlen der SIPRI-Jahrbücher sind meist höher, da das SIPRI auch ausgemusterte Sprengköpfe mitzählt.

Tabelle 13:

Anzahl gefechtsbereiter und in Reserve gehaltener NuklearwaffenAtomwaffen (Quelle: Kristensen und Korda (2020), Kristensen et al. (2020), Kimball (2019), eigene Darstellung)

Ab den 1960er Jahren herrschte zwischen den beiden Polen ein Gleichgewicht des SchreckensGleichgewicht des Schreckens (balance of terrorbalance of terrorGleichgewicht des Schreckens), in dem die Sowjetunion die USA und umgekehrt hätten auslöschen bzw. beträchtlichen Schaden an Territorium und Bevölkerung zufügen können. Zu diesem Gleichgewicht trugen auch Frankreich und das Vereinigte Königreich bei. Nachdem es bereits mit dem USA im Rahmen deren Manhattan-ProjektManhattan-Projekt (Nuklearprogramm)s, das die US-amerikanische Atomwaffe hervorbrachte, kooperiert hatte, entwickelte Großbritannien ab 1945 allein weiter, zündete seine erste Atomwaffe im Jahr 1952 und baute danach eine Atomstreitmacht auf. Großbritannien verlässt sich bis heute auf US-amerikanische ballistische Trägerraketen, die es mit selbstentwickelten Sprengköpfen bestückt und auf eigenen strategischen U-Booten5 stationiert (Görtemaker 1979, 56ff.; Schrafstetter 2010, Kap. 1; Yost 1984, 50). Das Vereinigte Königreich besitzt ca. 120 einsatzbereite AtomwaffenAtomwaffen. Frankreich hatte seit 1951, vor allem aber unter dem Antrieb des ehemaligen Weltkriegsgenerals und späteren Staatspräsidenten Charles de Gaullede Gaulle, Charles den Erwerb von NuklearwaffenAtomwaffen vorangetrieben, sodass Frankreich 1960 seine erste AtombombeAtomwaffen zündete und in den Jahren danach eine unabhängige AbschreckungAbschreckung (nuklear) und Nuklearstreitmacht, die sogenannte force de frappeforce de frappe (Frankreich) (Schlagkraft), entwickelte (Tertrais 2007, 71ff.). Zunächst basierte die französische Nuklearstreitmacht auf Bombern, während in den 1970er Jahren auch landgestützte ballistische Raketen und strategische U-Boote mit Nuklearraketen entwickelt wurden. Heute besitzt Frankreich keine Boden-Boden-Raketen mehr, sondern nur noch ca. 300 luftgestützte und seegestützte AtomwaffenAtomwaffen auf strategischen U-Booten (Kristensen und Korda 2019). Strategische Unterseeboote haben eine zentrale Rolle in der Sicherung der ZweitschlZweitschlagsfähigkeitagsfähigkeit, da sie nur schwer auffindbar sind und die nuklearen KapazitätenKapazitäten (militärische) eines Landes somit verteilen und vor Angriffen schützen (Brodie 1959, 218, 285). Dadurch wird das zweite Prinzip der AbschreckungAbschreckung (nuklear) implementiert: Glaubwürdigkeit der ZweitschlZweitschlagsfähigkeitagsfähigkeit (ibid., 273ff.). Die Entwicklung und der Erhalt eigener AtomwaffenAtomwaffen sind bis heute für beide Länder ein Zeichen ihres MachtMachtstatus in der internationalen Politik, von grandeurgrandeur (Frankreich) und empireempire (GB) (Grosser 1986; Schrafstetter 2010, 27, 37f.; Tertrais 2007, 76). Neben der AbschreckungAbschreckung (nuklear)skomponente gegenüber Gegnern sind sie aber vor allem auch ein Unterpfand der eigenen, nationalen Unabhängigkeit. Durch die SuezSuez(krise)krise mussten sowohl Frankreich als auch Großbritannien lernen, dass ihr eigener MachtMachtstatus nicht mehr dem früherer Kolonialzeiten entsprach. Die NuklearwaffenAtomwaffen sollten deshalb die ultimative souveräne Entscheidungsfähigkeit der Nation in sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen herstellen (Schrafstetter 2010, 33f.; Vaïsse 2009b, 79ff.; Yost 1984, 49f., 54f.). Neben anderen Problemen war die nukleare Unabhängigkeit ein Grund für das französische Verlassen der integrierten Militärstruktur der NATO in den Jahren 1966/67 – eine Entscheidung für eine Sonderstellung, die Frankreich bis 2009 beibehielt (Irondelle 2009).

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