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3 du?

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Eisregen. Kleine Geschosse wurden vom Himmel gefeuert, vereinzelt begann sich Schnee darunter zu mischen. Jede Straßenlaterne war von einem Heiligenschein umgeben, während ihr zittriges Licht es kaum bis zum Boden schaffte.

Anaïs zog sich die Kapuze ihres Anoraks so weit wie möglich ins Gesicht, die Nase fest im Schal vergraben, der ihre Atemluft warm und feucht zurückwarf. Es war die einzige warme Stelle, die sie irgendwo spüren konnte.

Wenigstens war Mathe ganz gut gegangen. Und sie hatte gleich eine S-Bahn erwischt. Das war doch auch schon was. Sie verließ den Rosenheimer Platz, lief weiter und bog in die kleine Seitenstraße zum Blitz ein.

„Anaïs Palme?“ Der Mann trat so plötzlich aus dem Schatten eines Hauseinganges, dass sie mit einem erschrockenen Laut zurückfuhr.

„Und wenn?“ Sie wollte an ihm vorbei, aber er versperrte ihr grinsend den Bürgersteig.

„Kein Wenn. Komm einfach mit, dann kriegst du unterwegs alles Weitere erklärt, Schätzchen.“

Schätzchen? Das war wohl kaum sein Ernst. Der Eisregen war gerade dabei, ihr in den Kragen zu kriechen, ein Gefühl, das ihr den letzten Humor für so eine Anmache raubte.

„Hör mal zu, du Freak. Ich weiß nicht, woher du meinen Namen kennst, aber ich bin ganz sicher nicht dein Schätzchen und ich gehe genauso sicher nirgendwohin mit dir. Also, lass mich vorbei und vor allem in Ruhe, klar?“ Mit einem schnellen Ausfallschritt auf die Straße wollte Anaïs an ihm vorbei, um im gleichen Moment von einer anderen Hand am Arm gepackt zu werden. „¡Idiota!“, zischte jemand. Anaïs fuhr herum.

„Entschuldigung … Mein Kollege ist etwas ungeschickt, aber wir kommen in der besten Absicht.“

„Und die wäre?“ Ein Blick auf den Sprecher ließ Anaïs’ Magen ein Stück tiefer rutschen. Ihre Finger tasteten nach dem Pfefferspray. Waren es die scharfkantigen, wie mit einem Messer eingeritzten Züge oder der Ausdruck in den Augen, der dem Gesicht etwas Bedrohliches gab?

„Lassen Sie mich los!“ Verdammt - das Pfefferspray musste im Rucksack sein oder sonst wo. Auf jeden Fall nicht da, wo sie es gebraucht hätte. Und warum war ausgerechnet heute so ein scheußliches Wetter? Die Straße lag menschenleer, obwohl sie weiter unten schon den Neonschein des Blitz schimmern sah.

Vergeblich zerrte Anaïs an ihrem Arm, der Mann schien es nicht einmal zu bemerken.

„Also, ich schlage vor, dass wir jetzt einen kleinen Ausflug unternehmen. Komm einfach mit, dann wird alles gut, chica. Na?“

„Was soll der Scheiß? Ihr seid ja irre!“ Anaïs versuchte sich mit Gewalt freizukämpfen. Erfolglos. Die beiden hakten sie jetzt unter, als wollten sie mit ihr einen Spaziergang machen.

„Hilfe!“ Anaïs begann zu schreien. „Hi…“ Die Hand lag so schnell auf ihrem Mund, dass sie sich verschluckte und würgend hustete. Die Finger rochen nach Zigaretten.

„So geht das nicht, Kleine.“ Sie konnte den Atem des Messergesichts an ihrer Wange spüren. „Bevor du weitere Dummheiten machst, können wir dir auch gleich sagen, dass wir deine …“

„He, was geht da ab? Anaïs? Bist du das?“ Bugo stand plötzlich vor ihnen, wischte sich den Regen aus den Augen und starrte sie an. „Moment mal, was macht ihr da mit ihr?“

Anaïs stieß einen erstickten Laut aus.

Bugo reagierte sofort. Mit einem wütenden Aufschrei warf er sich auf den Nächststehenden. Der Mann taumelte unter dem Anprall einen Schritt zurück, der Griff um Anaïs’ Arm lockerte sich und die Hand rutschte von ihrem Mund. Im selben Augenblick hatte sie sich auch schon mit einem Ruck befreit, während sie dem anderen Typen mit aller Kraft gegen das Schienbein trat.

„Weg hier!“ Bugo packte ihre Hand und zog sie mit sich. Sie rannten, bis sie den Club erreichten. Als Bugo die Eingangstür aufstieß, wehten ihnen Musik und Stimmen von drinnen entgegen. „Puh … Was wollten die denn von dir?“

Anaïs warf einen raschen Blick über die Schulter: Die Männer waren verschwunden. „Keine Ahnung! Zwei Verrückte, die irgendwas davon gefaselt haben, ich solle mitkommen oder so … Danke, Bugo.“

Bugo schüttelte den Kopf, dann blickte er nachdenklich in Richtung Tür. „Aber ich kenne die beiden. Glaub ich zumindest, so ganz hundertpro könnte ich es zwar nicht sagen, aber …“

„Was?! Wer sind die?“

„Die Gleichen, die heute Nachmittag vor dem Club gestanden haben.“ Er sah Anaïs mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Wenn du mich fragst, sieht fast nach …“

„He! Macht ihr mal voran, ihr zwei, oder wollt ihr heute als Türsteher arbeiten?“ Paul klatschte auffordernd in die Hände.

„Die zwei Kerle von heute Nachmittag wollten gerade deiner DJane an die Wäsche, Boss!“

„Wem? Anaïs?“ Paul trat schnaubend hinter dem Tresen hervor. „Das sollen die mal probieren, dann kriegen sie es aber mit mir zu tun. Sind die noch da?“

„Nein.“ Anaïs schüttelte den Kopf.

„Na, umso besser. Und du fährst mir heute mit dem Taxi nach Hause, Mädchen, keine Widerrede. Das geht aufs Haus, damit wir uns verstehen. Ist denn überhaupt alles okay mit dir?“ Besorgt blickte Paul sie an.

„Ja, ja, schon gut. Ist ja nichts weiter passiert.“ Anaïs schlüpfte aus ihrem feuchten Anorak und schüttelte sich.

„He, Boss, kommst du mal?“ Gitta, die schon seit der früheren Schicht kellnerte, winkte quer durch den Raum. „Bin schon da.“ Paul tätschelte Anaïs den Arm, bevor er mit einer entschuldigenden Geste verschwand, während Bugo Anaïs aufmunternd zuzwinkerte und zu den Hinterräumen lostrabte.

Anaïs blieb mit hängenden Armen stehen. Die hatten ihren Namen gekannt. Warum hatte sie das Paul nicht gesagt, oder Bugo? Einen kleinen Ausflug. Beide hatten einen Akzent gehabt. Chica. Also wohl spanisch.

Hätte Bugo heute Abend nicht noch mal weggemusst und wäre deswegen überraschend auf der Straße aufgetaucht, wer weiß, was passiert wäre. Was hatte der eine sagen wollen, als Bugo dazwischengeplatzt war? Dass wir deine … Deine was? Und dass die beiden vermutlich heute Nachmittag schon da gewesen waren … Anaïs spürte, wie ihr eine Gänsehaut über den Nacken kroch.

Chicas, das Böse und das Meer

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