Читать книгу Eisenglanz - Florian Kalenda - Страница 10
ОглавлениеWie Isanpert aus Mohinga floh
Aus dem Tuch, das Firko gegen seine Hand presste, tropfte Blut. Auf Cotaperts Befehl holte Ortwalt ein Scheit herbei, die Wunde auszubrennen. „Er soll die Nacht überleben“, sagte der Graf. Firkos Schreie gellten weit ins Hügelland an der Ambra hinaus, wo der Wald sie auffing.
Sie sperrten den Gefangenen in ein verfallenes Grubenhaus, den alten Werkzeugschuppen, dessen Wände brüchig waren, das Strohdach nur in Teilen erhalten. Dieses Haus war nicht mehr in Gebrauch. Stattdessen hatte man gleich daneben eine neue Werkzeughütte gebaut.
Ein schwerer hölzerner Riegel hing außen vor der Tür. „Ist er in der Hütte sicher?“, erkundigte sich Tassilo. Er sprach ganz wie sein Vater. „Der Riegel sieht fest aus, aber die Wände sind baufällig.“
Der Graf schüttelte den Kopf. „Er ist an Händen und Füßen gebunden.“
Da die Mittagsstunde vorüber war, ließ Cotapert Bier und Fleisch auftragen. Die Männer griffen beherzt zu. Isanpert aß ein Stück und schob unauffällig zwei weitere in seine Gürteltasche, als Vorrat, wie es seine Gewohnheit war. Dann folgte er Uto und Dagoprant aus der Halle. Draußen regnete es leicht. Sie standen abseits, wo sie niemand hören konnte.
„So ziehen wir morgen wieder in den Wald“, sagte Uto und zuckte mit den Schultern. „Als Otilo die Männer hineinführte, hielt Cotapert das für verlorene Zeit. Jetzt sollen ihm alle folgen.“
„Es ist keineswegs das Gleiche“, sagte Dagoprant. „Er folgt einer Spur.“
„Dieser Bursche wird uns zu einem aufgegebenen Lagerplatz führen. Das wird alles sein.“
„Einen Versuch ist es wert. Zumal Cotapert nicht die Männer von den Feldern holt. Seine Leute müssen reichen.“
Isanpert blickte ängstlich nach dem Tor, sah niemanden und sagte: „Darf ich kurz …“
„Du darfst nicht“, antwortete Uto. Und zu Dagoprant: „Falls wir tatsächlich das Lager des Filipert finden, sind wir zu wenige. Man müsste es vollständig umstellen.“
„Das habe ich eben schon einmal gehört.“ Dagoprant lehnte sich nach hinten, wo die Seitenwand des Webhauses Schutz vor dem Nieselregen bot. „Von Liutker. Er plappert dir alles nach.“
„Das mag sein“, sagte Uto. „Er hat meine Tochter und meine Pferde im Sinn. Er glaubt, wenn er ihr gefällt und mir Honig ums Maul schmiert, dann ist beides so gut wie seins.“
„So ist diese Heirat keine ausgemachte Sache?“, fragte Dagoprant und wischte sich Regenwasser von der Wange. „Er ist immerhin Otilos Sohn.“
„Keineswegs ausgemacht“, sagte Uto. „Was soll mir eine bedeutende Herkunft, wenn sich nichts als Hochmut damit verbindet.“
„Das werde ich im Kopf behalten“, gab Dagoprant zurück.
Isanpert unterbrach erneut das Gespräch, das er nicht recht verstand. „Es ist dringend …“
Uto wandte sich ihm zu, als bemerke er erst jetzt seine Anwesenheit: „Vielleicht kommst du morgen zu deinem ersten bewaffneten Ausritt.“
„Morgen?“ Isanpert schüttelte den Kopf. „Unmöglich! Kann ich dich einen Augenblick sprechen?“
Da sagte Dagoprant, er werde nicht stören. Er habe genug Regen abbekommen.
Sie machten einige Schritte weg von der Halle, in Richtung des alten Werkzeugschuppens, wo niemand sie hören konnte, außer vielleicht dem Gefangenen. Sie sprachen leise. Der dünne Regen fiel sanft auf ihre Haare, ihre Gewänder. Isanpert erzählte Uto, wie er den Priester Fritilo in Gramlinga angetroffen hatte, wie Deso und er die Mutter beschützt hatten und wie der wütende Fritilo in den Speer gerannt war.
Regen lief über Utos Stirn. „Es stimmt, Fritilo muss das Gefolge des Herzogs verlassen haben. Ich habe ihn im Räuberlager nicht gesehen.“
„Er war lange vor euch auf Gramlinga.“
Uto verzog den Mund, als schmerze ihn ein Zahn. „Wurde er hineingebeten? Oder hat er den Hausfrieden gebrochen?“
„Ich habe nirgends ein Ross gesehen. Er muss es im Wald angebunden haben.“
Uto brauchte einen Augenblick, um den Zusammenhang zu verstehen. Dann legte er Isanpert anerkennend die Hand auf die Schulter. „Er wollte nicht, dass jemand von seiner Anwesenheit wusste. Das ist gut beobachtet. Was sagt Ula?“
„Mutter sagt überhaupt nichts, was man verstehen könnte. Sie redet leise vor sich hin. Es scheint, als würde sie uns nicht mehr kennen. Außer Heila.“
„Und Gudo?“
„Er sagt, ich bin an allem schuld. Und dass du vielleicht einen Ort weißt, wo ich mich verstecken kann. Weil ich auf Gramlinga nicht sicher bin.“
„Er hat Angst vor den Mohingara“, sagte Uto, der keinen Feind fürchtete.
„Ja, Angst hat er.“ Isanpert wischte sich Regentropfen vom Hals, bevor sie ihm unters Hemd rinnen konnten.
„Du hast noch nie einen erschlagen?“
„Er war der Erste.“
Uto blickte auf die Truhe am Eingang der Halle. Darin lagen die Waffen der Männer, auch sein Schwert. Isanperts Speer lehnte daneben an der Wand. „Ich erinnere mich an meinen Ersten. Alle klopften mir auf die Schultern. Nachher wurde mir übel.“
Isanpert antwortete nicht, er starrte stumm zum Tor. Uto sprach weiter: „Wenn Gudo hier eintrifft, solltest du besser nicht mehr da sein.“
„Zu spät“, sagte Isanpert leise. Gudo und Engilpert kamen eben durchs Tor.
Gudo führte den Ochsen, der den Karren zog. Engilpert ging nebenher und achtete darauf, dass der Tote nicht herunterrutschte. Hinten an den Karren angebunden ging Fritilos Pferd.
Isanpert machte einige Schritte, hob den Riegel des verfallenen Grubenhauses, öffnete die Tür und schlüpfte zu dem Gefangenen hinein.
„Leg den Riegel vor“, flüsterte er Uto zu. „Sag ihnen, ich sei weggegangen!“
Er zog die Tür zu. Das Letzte, was er durch den Spalt sah, war Dagoprant, der auf Uto zukam.
Das Grubenhaus war winzig, aber wenigstens nicht dunkel. Sanft fiel der Regen durch das löchrige Dach. Isanpert ließ sich ein Stück von dem Gefangenen entfernt auf dem Boden nieder. Er atmete tief, sah Firko ins geschwollene Gesicht, besah die merkwürdige Haartracht. Keiner von ihnen sagte ein Wort.
Dass es ihm auf den Kopf regnete, merkte Isanpert zunächst nicht. Als aber ein großer Tropfen über seine Nase lief, rutschte er an eine Wand heran, über der ein Rest Dach erhalten war, das ihn vor dem Schlimmsten schützte.
Er hörte, wie sie draußen den Toten abluden. Die Menschen von Mohinga liefen zusammen, sie erkannten Fritilo und beweinten ihn. Einer rief, der Mörder werde nicht straflos bleiben. Es war Hucwalts Stimme. Isanpert blickte auf Firko, der zitternd am Boden lag und ein blutiges Tuch gegen seine Hand presste.
Er half ihm, sich aufzusetzen und ebenfalls an jene Wand zu lehnen, wo man ein wenig vor dem Wetter geschützt saß. Sie saßen Schulter an Schulter, Schenkel an Schenkel.
„Das ist etwas wärmer“, sagte Isanpert.
Firko nickte.
„Aber immer noch kalt.“
„Du warst vorhin beim Verhör.“
„Und jetzt suchen sie mich.“ Isanpert lachte leise.
Sie sahen den Regentropfen zu, die auf ihre nackten Füße fielen. Sie hörten Weiber jammern, Männer beten. Kinder wurden weggescheucht. Cotapert gab Befehle. Seine tiefe Stimme übertönte alle. Er sandte Männer aus, Isanpert zu suchen. Es war das erste Mal, dass er den Namen nannte. Weit könne der Kerl nicht sein, fügte der Graf hinzu.
Die Stunden vergingen. Sie schwiegen. Es konnte jemand in Hörweite vorbeigehen. Ein Knecht mit bloßen Füßen machte im Gras keinen Lärm. Sie lauschten.
„Bist du ein Räuber?“, fragte Isanpert leise.
„Was sie Räuber nennen“, sagte Firko verächtlich, als wisse er es besser. „Und du? Hast du einen erschlagen?“
„Ich kann es selbst nicht glauben.“
„Wir haben genommen, was wir brauchten. Im Wald war es besser als im Kloster. Filipert kümmert sich um seine Männer.“
„Zuvor warst du allein im Wald. Allein mit den Wölfen.“
„Die Wölfe habe ich gehört. Ich habe hinter Dornen geschlafen, damit sie nicht zu mir kamen. Mein Bruder sagt, sie greifen keine Menschen an, wenn es Wild zu jagen gibt.“
Nach einer Pause fragte Firko: „Warum hast du ihn erschlagen?“
„Ich habe meine Mutter beschützt, wie der Dux es mir befohlen hat.“
Es raschelte, draußen ging einer nahe vorbei. Es rumpelte. Er suchte Werkzeug im Schuppen nebenan. Unwillige Laute ließen vermuten, dass er nicht fand, was er benötigte. Später kicherte irgendwo eine Magd. Als es zu regnen aufgehört hatte, rief ein Hahn.
Erneut näherten sich Stimmen. „Er scheint ein Alamanne zu sein. Gehen wir hier hinüber.“ Es war die tiefe Stimme des Grafen. „Hast du je gehört, ob ein Mann namens Filipert in Condistat war? Kann er etwas von dem Hort wissen?“
„Nicht hier“, sagte der Mann, mit dem Cotapert sprach. Isanpert zuckte zusammen, als er die Stimme hörte. „Dort drin liegt der Gefangene. Lass uns weiter nach drüben gehen.“
„Und wenn“, sagte Cotapert.
„Der Dux könnte ihn holen lassen“, erwiderte der andere.
„Der Dux hat ihn mir überlassen“, widersprach Cotapert. „Er wird nicht …“ Der Rest des Satzes blieb unverständlich. Die beiden Männer entfernten sich.
Als er sie außer Hörweite wusste, fragte Firko: „Wer war der Mann, mit dem der Graf gesprochen hat?“
„Ich glaube, es war Dagoprant.“
„Wer ist das?“
„Der dicke Mann. Er ist außer meinem Vater der Einzige, der gesehen hat, wie ich mich hier drin versteckt habe.“
„Oh“, sagte Firko. „Er hat dich nicht verraten. Von welchem Hort reden sie?“
„Ich weiß es nicht. Wo ist Condistat?“
„Ich weiß nicht. Aber das weiß ich, Filipert war tatsächlich an diesem Ort. Irgendetwas ist dort geschehen. Vielleicht gab es eine Schlacht. Filipert redet manchmal davon. Wenn du zum Beispiel sagst, dass etwas ungerecht ist, sagt er Dinge wie: Nach Condistat gibt es weder Recht noch Gerechtigkeit.“
„Merkwürdig.“
Firko nickte. „Kannst du meine Fesseln lösen?“
„Willst du davonlaufen?“
„Was sonst.“
„Erst in der Nacht, wenn ich weg bin.“
„Versprochen.“
Isanpert löste die Knoten. Er brauchte lange. Seine Finger waren vor Kälte steif. Hucwalt hatte die Schnur festgezogen.
Firko dankte leise, kniff sich, rieb sich die Arme und Beine, streckte sie vorsichtig aus, stemmte sie in den Boden. „Wir fliehen gemeinsam.“
Isanpert schüttelte den Kopf. „Uto wird mich holen. Er ist mein Vater. Wenn er kommt, tu so, als wärst du noch gefesselt.“ Er griff in seine Gürteltasche und zog Fleisch heraus. „Aus Cotaperts Küche.“ Er gab Firko das größere Stück.
Nachdem er gegessen hatte, tastete Firko im letzten Licht des Tages die Wände ab. An vielen Stellen lag das Flechtwerk frei vom abgebröckelten Putz, an einer war sogar ein Loch. Wenn man das Auge davor legte, sah man in kurzer Entfernung die Wand des Nachbargebäudes. „Wir vergrößern das Loch, bis wir durchpassen. Der Lehm ist feucht und das Geflecht morsch.“
„So machen wir es. Wenn Uto nicht kommt.“
„Anschließend müssen wir über den Pfahlzaun klettern.“
„Irgendwo werden Leitern sein. Sie brauchen welche, um die Dächer auszubessern.“
Die Nacht fiel. Im Hof brannte ein großes Feuer, knisterte und knackte und verbreitete den Geruch von Harz. Irgendwann verlosch sein Schein. In den Häusern wurde es ruhig.
Firko griff sich ein schweres Stück Holz, um den lehmigen Putz von der Wand zu schlagen. Es mochte der Rest eines Dachbalkens sein.
„Du wirst Krach machen“, sagte Isanpert.
Firko hob die Schultern. „Ich muss klopfen.“
Isanpert schüttelte den Kopf und hob einen Weidenast vom Boden auf. „Kratz damit. Das ist leiser.“
Firko sagte nichts, aber er tat wie geraten. Mit der ungeschickten linken Hand führte er den Weidenstock. Er kratzte und schabte und bohrte in den Lehmputz hinein.
Isanpert sah zu, wie das Loch größer wurde.
Schnaufend hielt Firko inne. „Jetzt du.“
Isanpert blickte zur Tür, hob die Achseln. Er nahm das Holz und setzte Firkos Arbeit fort. Bald konnte er den Kopf durch das Loch stecken. Rechter Hand erahnte er ein Eck des Hofs. Es war leer und dunkel.
Erst kratzten und schabten sie wechselweise, dann gemeinsam, denn das Loch war nun breit, sie konnten gleichzeitig die Ränder erweitern. Firko stöhnte bisweilen leise, klagte aber nicht über seine Verletzung. Allerdings überließ er es Isanpert, das unter dem Putz freigelegte Weidengeflecht mit den Händen zu entfernen.
Isanpert riss und zog an den Zweigen. Einige lösten sich, andere brachen. Wieder andere hingen herunter wie ein Vorhang. Firko versuchte hindurchzuschlüpfen. Die Öffnung war nicht groß genug. Sie schimpften fast unhörbar und arbeiteten weiter.
„Das muss reichen“, sagte Firko schließlich. „Die Nacht ist schon halb herum. Haben sie einen Hund da draußen? Am Nachmittag habe ich einmal ein Bellen gehört, aber dann nicht mehr.“
„Es gibt einen großen, alten Hütehund.“ Isanpert dachte nach. „Wahrscheinlich schläft er. Sonst hätte er uns längst gehört und wäre hergekommen.“
„Kennt er dich?“
„Er hat mich heute Morgen fast zerfleischt.“
„Gut, dann geh du zuerst hinaus und schau dich um.“
„Wenn du kommen kannst, rufe ich wie ein Käuzchen.“
„Besser nicht“, sagte Firko. „Sie würden gleich denken, dass du das sein musst.“
Isanpert kroch durch das Loch. Auf der anderen Seite der Wand richtete er sich auf und sah zum Himmel hinauf. Der Regen war nicht zurückgekommen. Er stand in dem engen Durchgang zwischen dem alten und dem neuen Werkzeughaus. Vorsichtig schlich er zum Eck, blickte sich um, umrundete das Haus, ohne im Mondlicht eine Leiter zu sehen, wie er gehofft hatte. Vorne, auf der freien Fläche, glomm ein Rest Glut. Daneben glänzte dicht über dem Boden ein Helm. Eine eingeschlafene Nachtwache lag im Gras.
Isanpert entschied sich für die andere Richtung, schlich Schritt für Schritt in den dunklen Bereich der Siedlung, am Wohnhaus der Knechte und Mägde vorbei. Hinter dem Webhaus fand er, wonach er gesucht hatte: Eine Leiter lehnte, unter dem tiefen Dach vor dem Regen geschützt, quer an der Mauer. Er hob ein Ende an. Sie war zu schwer. Er konnte sie nicht unter dem Stroh hervorziehen, ohne Lärm zu machen, darum legte er das Ende wieder ab.
Ein dumpfer Laut ertönte, als Holz an Holz stieß. Isanpert zuckte zusammen. Eine Weile blieb er hocken und lauschte den Stimmen, den Seufzern und dem Knacken.
Als er glaubte, dass alle wieder schliefen, ging er zurück und berichtete Firko von seinem Fund.
„Wir müssen sie zu zweit anheben, wenn wir Lärm vermeiden wollen. Im Webhaus schläft wahrscheinlich keiner, aber ganz bestimmt in den angrenzenden Gebäuden.“
Firko sagte, er sei froh, nicht mehr warten zu müssen. „Und der Hund?“
„Ich habe ihn nicht gesehen.“
Isanpert führte Firko an der Umzäunung entlang, wo die Schatten am schwärzesten waren. Einmal brach ein Ast, auf den Firko trat, und ein anderes Mal knickte Isanpert um, weil er ein Loch in der Wiese nicht gesehen hatte.
„Hier unter dem Dach ist sie“, flüsterte Isanpert. „Pass auf, dass du nicht am Ried hängen bleibst. Das knackt furchtbar laut.“
Sie gingen in die Knie, jeder packte an einem Ende an. Firkos Mund zuckte, als er mit der verstümmelten Rechten zugriff. Ohne sich abzusprechen trugen sie die Leiter zu einem dunklen Abschnitt des Pfahlwerks, hinter dem Gesindehaus. Vorsichtig richteten sie sie auf, lehnten sie gegen das Holz der Pfähle. Firko setzte den Fuß auf die erste Sprosse.
Da legte Isanpert ihm plötzlich die Hand auf die Schulter. Firko öffnete den Mund. Isanpert schüttelte den Kopf, nahm sein Messer aus dem Gürtel und legte es ihm in die Hand. Dann verschwand er zwischen den Häusern, leise wie ein Schatten und ebenso schwer zu sehen.
Er trat auf den Platz vor der Halle. Das Feuer war heruntergebrannt, der Wachmann lag daneben im Gras. Isanpert näherte sich bis auf wenige Schritte der Glut. Erleichtert hörte er den Mann mit einem Pfeifen durch die Nase atmen. Er ging nach rechts, auf die Halle zu. Seitlich der Eingangstür, kurz vor dem Eck, wo das Dach sich senkte, lehnte sein Speer.
Er streckte die Hand danach aus, als er ein Knurren hörte. Im Schatten des Daches, keine zwei Schritte von dem Speer entfernt, richtete sich der Wachhund auf.
Isanpert griff in seine Gürteltasche. Er kramte eilig, fand aber weder Fleisch noch Speck, um das Tier abzulenken. Der Hund knurrte lauter. Da streckte er ihm besänftigend die Hand hin. „Ruhig, Faho“, flüsterte er. „So heißt du doch, Faho.“
Der Hund leckte die Hand mit rauer Zunge. Isanpert atmete auf. Nicht lange. Im Gras hinter seinem Rücken regte sich der erwachende Wächter.
Das naheliegende, das einzige mögliche Versteck war an der Seite der Halle. Hinter dem Eck, unter dem Rieddach. Zwischen Wand und Gras. Einen Schritt entfernt, dort, wo der Hund stand.
Isanpert hatte keinen Augenblick zu verlieren. Er drängte den Hund beiseite, quetschte sich neben ihn. Sein Blick galt dem Maul, das jederzeit nach seiner Hand schnappen konnte. Oder nach dem Bein, mit dem er Faho wegdrückte.
Der Hund bellte, doch nicht bösartig, sondern freundschaftlich. Er schien zu glauben, dass dieser Junge mit ihm rangeln wollte. Mit der Masse seines Körpers hielt er dagegen, hechelte und schnappte.
Isanpert rutschte neben dem schweren Tierkörper ins Gras. Er wurde fast von ihm begraben.
„Was ist denn, Faho?“, rief der Wächter. „Hast du etwas gerochen, Faho?“
Durch die Grashalme sah Isanpert, wie sich ein Lichtschein ausbreitete. Der Mann hatte ein Scheit aus der Glut gehoben. „Guter Hund“, sagte er und ging auf den guten Hund zu. „Na komm, Faho. Hilf mir suchen.“
Der Hund blieb, wo er war. Neben Isanpert, zwischen Wand und Gras. Er schnüffelte an Isanperts Gürteltasche.
„Wo bist du denn?“ Der Lichtschein fiel auf das Ried.
Isanpert versuchte, den Hund wegzuschieben. Vorsichtig, damit er nicht nach ihm schnappte.
Der Hund blieb. Er leckte die Gürteltasche.
Isanpert drehte sich zur Seite, um ihn für einen Augenblick abzuschütteln. Er öffnete die Tasche, griff hinein, erwischte einen Feuerstein, nahm ihn heraus und warf ihn aus dem Handgelenk in Richtung des Lagerfeuers. Der Stein verschwand zwischen Grashalmen.
Der Hund war der Bewegung gefolgt. Er sprang hin, versuchte zu fassen, was auch immer sich dort im Gras bewegte.
Und er bellte.
Der Mann blieb stehen. „Ist gut, Faho. Wird eine Maus sein“, sagte er und gähnte. „Lass dich von ihr nicht um den Schlaf bringen.“
Faho wühlte Gras und Erde auf. Schließlich beruhigte er sich. Der Mann nickte zufrieden. „So ist es besser.“
Das Ried schimmerte schwächer im Licht. Isanpert wagte einen Blick. Der Mann ging zum Tor hinüber. Da er es verschlossen fand, trottete er im Halbschlaf zur Feuerstelle zurück. „Schlaf weiter, Faho“, brummte er.
Der Hund kam zurück. Er streckte sich neben Isanpert aus, schnupperte an dessen Hand und leckte sie, bis er nicht mehr den kleinsten Hauch von Speck roch.
Lange lag Isanpert zwischen Hund und Wand. Als er endlich, endlich aufzustehen wagte, murrte Faho. Das Tier war ebenso müde wie der Mann, der ein Dutzend Schritte weiter neben der Glut laut schnarchte.
Isanpert trat noch einmal vor die Halle und griff sich seinen Speer. Dann verschwand er in der Dunkelheit.
Firko war nirgends zu sehen. Die Leiter stand, wo sie sie gegen den Pfahlzaun gelehnt hatten.
Isanpert klemmte den Speer mithilfe des Gürtels auf seinem Rücken fest. So hatte er die Hände frei. Ungelenk und steif erklomm er die Sprossen. Er suchte Halt an einer der Spitzen der Stämme, schwang sich hinüber, ließ sich ins regennasse Gras fallen. Kaum dass er sich aufrappelte und zwischen die Bäume trat, hörte er eine Stimme.
„Hier lang“, zischte jemand. Es war Firko, der ihm das Messer reichte. „Bist du wegen des Speers zurückgegangen? Ich hätte verbluten können.“
„Ich wusste nicht, dass es so lange dauert. Du musst die Wunde auswaschen und abbinden …“
„Was glaubst du, was ich die ganze Zeit über gemacht habe!“ Firko zeigte die verstümmelte Hand vor. Tatsächlich hatte er ein Stück Stoff um den Stumpf gewickelt, der von stockendem und geronnenem Blut bedeckt war. „Zieh es fest. Ich kann es mit einer Hand nicht.“
Den Stoff hatte Firko vom Ärmel abgerissen, wie ein nackter Unterarm zeigte. Isanpert kniff die Augen zusammen, wickelte ihn mehrmals um den blutigen Stumpf und zog zu. „Alto fehlt auch ein Finger“, sagte er.
„Wem?“
„Dem irischen Prediger, der mich getauft hat. Bei ihm ist es der Mittelfinger.“
„Hat der Prediger gestohlen?“
„Er wurde so geboren, hat er gesagt.“
Sie folgten einem Trampelpfad, dessen Verlauf sie im Licht eines Viertelmonds kaum erkennen konnten. Zweige schlugen ihnen ins Gesicht. Isanpert sagte: „Besser ist es, wenn du einen Arm nach oben ...“
„Hör mir mal zu“, sagte Firko. „Ich bin oft nachts im Wald gewesen. Also. Folge mir vorsichtig und spar dir den Atem.“
Isanpert nickte. Dann fuhr er zusammen. Ein Käuzchen rief. Es war nicht Firko, es war ein echtes Käuzchen. Er lachte leise.
Firko führte ihn hügelan. Beide atmeten sie schwerer. Die Steigung ließ nach. Das erste Licht des Tages drang durch die Bäume. Zwischen den Ästen, die schon Blätter verloren hatten, tat sich ein weiter Blick auf. Firko bog mit der unverletzten Hand einen Zweig beiseite, um besser zu sehen.
Sie blickten über die fruchtbare Ebene, die sich bis zu den unüberwindlichen Bergen zu erstrecken schien. In der Morgendämmerung stiegen hunderte Rauchsäulen auf.
„Ich wusste nicht, dass es so viele gibt“, sagte Isanpert.
„Berge?“
„Nein, Männer. Sieh dir all die Höfe an!“
„Ja, im Feld siedelt es sich leicht.“
„Irgendwo muss Utos Hof sein. Utinga. Es heißt, dass ihm tausend Pferde gehören.“
Lange standen sie dort. Dann wies Firko zur anderen Seite, auf die Bäume hinter ihnen. „Da liegt ein Gehöft im Wald, ganz nah.“
„Das muss Prunna sein“, sagte Isanpert. „Es gehört dem Cotapert. Ich glaube, seine Leute brennen hier Tonwaren. Siehst du? Da steht ein Ofen. Daneben haben sie Holz aufgestapelt, um ihn zu befeuern.“
„Sogar eine Kirche hat er bauen lassen“, sagte Firko und wies auf ein Kreuz. „Bestimmt kommt er zum Beten her. Hier oben könnte ich es auch.“
Isanpert drückte einen Zweig beiseite und blickte erneut über die Ebene. Firko fragte: „Wirst du nach Utinga gehen?“
„Ja. Uto wird mir helfen.“
„Er hat dir diese Nacht nicht geholfen.“
„Er hat mir geholfen, mich zu verstecken. Aber es stimmt, er ist nicht zurückgekommen. Wahrscheinlich konnte er nicht.“
Isanpert ließ den Zweig zurückschnellen. „Du gehst nicht ins Feld hinab?“
„Nein“, sagte Firko. „Dort unten sind zu viele Männer. Ich werde in den Wald zurückkehren.“
„Zu Filipert?“
„Wenn ich ihn finde.“
„Es wäre schön, ein Vogel zu sein“, sagte Isanpert. „Man hätte immer einen solchen Blick. Man könnte fliegen, wohin man wollte.“
„Von wegen“, sagte Firko. „Sie würden dich auf die Leimrute locken.“
„Vielleicht ein Raubvogel …“
„Bah! Jemand fängt dich, trägt dich ab und zieht dir eine Haube über. Schlägst du einen fetten Hasen, nimmt er ihn weg und gibt dir einen Brocken zur Belohnung.“
Isanpert wiegte den Kopf. „Welches Tier hat es besser?“
„Wölfe“, sagte Firko entschieden. „Sie jagen im Rudel. Jeder beschützt den anderen. Außer den Männern und ihren Hunden müssen sie niemanden fürchten.“
Isanpert nickte. „Ich bin müde wie ein Wolf, der die ganze Nacht gejagt hat.“
Sie schliefen auf feuchtem Moos. Das Keckern der Häher und die Rufe der Tauben hörten sie nicht. Die Sonne hatte fast die Hälfte ihres Wegs zurückgelegt, als sie erwachten.