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Auf Utinga

Uto war ein ernster Mann mit einem schmalen Kinn und Sommersprossen, der die Reiterei des Herzogs in die Schlacht führte. An kalten Tagen trug er einen roten Mantel um die Schultern. Weil er mutig und großzügig war, bewunderten ihn die Männer und folgten ihm gern.

Für gewöhnlich handelte Uto schnell und entschlossen. Wenn er bei der Jagd eine Spur aufgenommen hatte, verfolgte er sie ohne Zögern, wie die Hundemeute, die den Jäger begleitet. So kannten ihn seine Kampfgefährten. Im Gefecht stürzte er sich auf die stärksten Feinde, in den dichtesten Schildwall. Kam einer nach Utinga, um Pferde zu kaufen, sagte ihm Uto, was er dafür wollte und blieb dabei. Er ließ nicht mit sich handeln. Es war ein angemessener Preis.

Nur manchmal, wenn Uto Zeit zum Nachdenken hatte und zwei Möglichkeiten gegeneinander abwägen musste, die ihm gleichwertig schienen, begann er zu grübeln. Es war nicht Angst, die ihn zaudern ließ, sondern der Wunsch, alles ganz und gar richtig zu machen. Tage konnten vergehen, in denen er überlegte, ob ein neuer Brunnen gegraben oder doch besser ein Pfahlwerk verstärkt werden sollte.

In jungen Jahren war solches Zögern selten vorgekommen. Sein Weib Clementia jedoch verstand es, Utos Sicherheit durch Einwände aufzuweichen. Sie stellte es so hin, als sei gerade ihr Wunsch die einzige Möglichkeit, die ein Mann überhaupt nur in Betracht ziehen könne. Wenn ihr keine guten Gründe einfielen, schob sie die göttliche Weltordnung vor. Der Hofpriester Maximinus stand auf ihrer Seite.

Einmal ins Grübeln gekommen, war Uto erleichtert, wenn sein Weib ihm die Entscheidung abnahm. Es lohnte sich nicht, sich den Kopf zu zermartern.

Uto hatte manches für Clementia aufgeben müssen, besonders aber eine Magd namens Ula, die am Hof seiner Sippe, in Utinga, aufgewachsen war.

Er kannte Ula von klein an. Sie war einige Jahre jünger als er, eine zuverlässige und fleißige Magd. Die Eltern lobten sie, die Schwestern kamen gut mit ihr aus. Uto fand sie außergewöhnlich hübsch, so hübsch, dass er kaum von ihr lassen konnte, als sein Vater es an der Zeit fand, ihn mit Clementia zu verheiraten.

Uto musste sich von Ula trennen, aber er sorgte für sie, gab sie einem fähigen Mann zum Weib: dem Gudo, einem Knecht, den Uto aus diesem Anlass in die Freiheit entließ. Gudos Kinder würden somit als Freie geboren.

Niemand war überrascht, auch Gudo nicht, als Ula nur sechs Monate später mit einem Buben niederkam, den sie Isanpert nannte. Großzügig überließ ihnen Uto einen kleinen Hof namens Gramlinga, die Felder zu bebauen und Vieh zu züchten. Er verfügte, dass ihm diese Hube keine Abgaben zu liefern habe, kein Mehl, keinen Schinken und kein Gemüse. Auch keine handwerklichen Erzeugnisse forderte er ein. Wohl aber sollte Gramlinga alljährlich im Mai einen Mann stellen, der mit ihm dem Heer des Dux folgen konnte. So war sichergestellt, dass Ulas Sohn Isanpert, sein Sohn, eines Tages an seiner Seite reiten würde im Gefolge des Dux. Uto hatte vor, ihm rechtzeitig beizubringen, was er wusste.

Über die Jahre redete Clementia ihm das aus. Auf Isanpert ruhte Gottes Segen nicht. Uto holte ihn nicht an seinen Hof, um ihn Reiten und Kämpfen zu lehren. Er wählte den einfachen Weg. Er versuchte, Gramlinga zu vergessen. Er ritt nur hin, wenn ihm bisweilen Ulas Bild unerträglich vor den Augen stand.

Jetzt war Isanpert von selbst nach Utinga gekommen. Er konnte ihn nicht wegschicken. Er hatte ihm schon zu Mohinga nicht helfen können. Isanpert stand vor ihm. Er musste ihm helfen. Er wollte es auch. Er hatte es immer gewollt. Zugleich wusste Uto, er handelte sich Ärger ein. Täglich würde Clementia ihre Unzufriedenheit zeigen.

Isanpert stand schmal und müde vor Uto. Zwei Tage hatte er für den Weg nach Utinga gebraucht, auf Höfen um einen Löffel Suppe gebeten, sich durchgefragt, gehungert, auf den Speer gestützt die Isura gefurtet. An Mut und Entschlossenheit fehlte es ihm nicht, das sah Uto. Aber die Mohingara suchten ihn. Der Gefangene des Dux war mit ihm geflohen. Wenigstens wusste keiner, dass sie zusammen in der alten Hütte gewesen waren. Keiner außer Dagoprant. Und der hatte nichts gesagt.

Isanpert war nach Utinga gekommen. Mit seinem Speer in der Hand stand er vor dem Tor. Mutig war er gewesen. Verzweifelt sah er aus. Er fragte Uto nicht, was in Mohinga geschehen war. Warum er nicht nachts gekommen war und den Riegel gehoben hatte. Uto erzählte ihm dennoch, wie Cotapert vor seinem toten Sohn Fritilo niedergekniet war. Wie Hucwalt sein Schwert zog und auf Gudo losging. Wie Martilo ihn zu beruhigen versuchte.

Sie hatten ihn nicht aus den Augen gelassen. Er konnte nicht zur Hütte gehen, den Riegel heben, ohne ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Er war froh, Isanpert dort drinnen erst einmal in Sicherheit zu wissen. Am nächsten Morgen wäre ihm schon etwas eingefallen, sagte er. Dazu kam es nicht. Ein Wächter entdeckte das Loch in der Wand.

Uto verschränkte die Arme. „Du hättest ihn nicht losbinden sollen.“

„Wir haben die gleichen Feinde“, sagte Isanpert.

„Die Mohingara sind nicht unsere Feinde“, widersprach Uto. „Sie zählen zu den ersten Männern des Stammes. Sie sind berühmt und reich und haben ein großes Gefolge. Wir werden diesen Streit beilegen. Ich zahle Cotapert ein Wergeld für seinen Sohn.“

Isanpert rieb getrockneten Schlamm von seinem Unterarm. „Ein Wergeld für die Mohingara? Das ist nicht gerecht. Es war seine Schuld. Fritilo kam als Dieb, er ist als Dieb gestorben.“ Dann nahm er sich seine schwarzen Fingernägel vor.

„Es ist vielleicht nicht gerecht, doch ist es notwendig“, sagte Uto. „Zunächst aber muss ich entscheiden, was mit dir geschehen soll.“ Sein Blick blieb an einem braunen Fleck auf Isanperts Kittel hängen. „Warum bist du hergekommen?“

Isanpert dachte nicht lange nach. „Drei Dinge will ich von dir erbitten, die du leicht gewähren kannst.“

Uto forderte ihn auf, die drei Dinge zu nennen. Er wolle die Bitten erst hören, bevor er sie gewähre.

„Erstens bitte ich um Essen und ein Dach über dem Kopf. Lass mich hierbleiben, denn nach Gramlinga kann ich nicht zurück.“

„Das ist nicht viel verlangt“, sagte Uto. „Bis wir den Streit beigelegt haben, bekommst du hier ein Bett und einen Platz an der Tafel. Was noch?“

Isanperts zweite Bitte war, sich im Schwert- und Reiterkampf üben zu dürfen. Er brauchte einen Lehrmeister. Ein erfahrener Kämpfer sollte ihm helfen, sich zu verbessern, ihn auf seine Fehler hinweisen und ihm die Bewegungen zeigen, mit denen man einen Gegner überraschen konnte, ihn entwaffnen oder abdrängen und was es dergleichen zu wissen gab. „Ich will Dux Otilo nicht enttäuschen, wenn ich ihn das nächste Mal treffe. Er hat gesagt, ich soll mich üben.“

„Dass du dich mit den Waffen übst, war immer mein Wunsch“, sagte Uto. „Keiner wird dir so viel beibringen können wie Olko. Er soll täglich in den Morgenstunden mit dir fechten.“

„Zuletzt sollst du nicht ohne mich in den Kampf ziehen“, bat Isanpert. „Lass mich an deiner Seite reiten.“

„In der Hinsicht wollen wir abwarten, ob Olko mit dir zufrieden ist“, erwiderte Uto. „Dieses Jahr wird es ohnehin keine Kämpfe mehr geben.“ Er drückte die Fingerspitzen gegeneinander. „Auch ich habe drei Bitten an dich. Erstens sollst du mit einem Platz im Gesindehaus vorliebnehmen, bei den Knechten, damit kein Neid entsteht.“

„Einverstanden“, sagte Isanpert.

„Zweitens wünsche ich, dass du nach deinen morgendlichen Waffenübungen, bei der Arbeit auf dem Hof hilfst. Mein Verwalter Rihho wird dir sagen, was zu tun ist. Du sollst ihm in allem Folge leisten, ohne zu murren.“

„Das ist nur billig“, sagte Isanpert.

„Dann kommen wir zu meinem dritten Wunsch. Ich verlange dir ab, dass du dich nicht über deine Stellung erhebst und nicht vorlaut den Mund aufmachst. Vor allem meinem Weib Clementia gegenüber, die es dir sehr verübeln würde. Aber auch zu meinen beiden Söhnen und meiner Tochter sollst du mit der gebührenden Ehrerbietung sprechen – und nicht, als wärest du ihresgleichen.“

„Wenn du es wünschst, soll es so sein“, sagte Isanpert. Er durfte bleiben.

Rihho war ein gedrungener Mann mit einem braunen Bart, durch den er sich mit fettigen Fingern fuhr, während er sprach. Er und sein Weib Tietgart beaufsichtigten die Leibeigenen auf Utinga. Er befehligte die Knechte. Sie herrschte über die Mägde.

„Du wirst mir demnächst mehr über Gramlinga erzählen“, sagte Rihho. „Ich habe schon lange den Wunsch, mich dort einmal umzusehen. Uto sagt, die weite Reise lohne sich nicht. Zugegeben, ich habe hier genug Arbeit. Kannst du anpacken?“

Rihho ließ sich Isanperts Hände zeigen. Er war zufrieden, als er die Hornhaut sah, aber er wunderte sich über die vielen Narben und Schnitte.

„Das kommt vom Schnitzen“, sagte Isanpert.

„Kein Zeichen großer Geschicklichkeit“, schnaufte Rihho. „Aber ich weiß einige Aufgaben für dich.“

Mit einem starken Burschen namens Muto sollte Isanpert noch an diesem Tag Getreidesäcke auf einen Ochsenwagen heben, der sie am nächsten Morgen zur Mühle fahren würde. Muto war so groß wie Isanpert, aber zweimal so breit. Er packte die schweren Säcke und warf sie kraftvoll auf den Wagen. Dann musste er auf Isanpert warten, denn weil der Wagen hohe Seiten hatte, kamen sie nur im Wechsel an die Ladefläche heran.

Um sich einen Sack aufzuladen, zog Isanpert an einem Ende, packte am anderen an und schwang ihn auf den Rücken. Nicht immer gelang es im ersten Versuch. Anschließend musste er sich drehen und recken, um die Last rücklings auf der Holzfläche abzulegen.

Die Wartezeit vertrieb sich Muto, indem er den neuen Mann auf dem Hof hänselte, ihm seinen Mangel an Kraft vorhielt. Freilich nur, solange ihn sonst niemand hören konnte. Er wusste, dass Isanpert Utos Sohn von einer Kebse war. Ein in Ungnade gefallener, sonst hätte man ihm nicht solche Arbeit zugemutet.

Schwere Dinge schleppen gehörte fortan zu Isanperts häufigsten Aufgaben. Die Küchenabfälle ließ man ihn eimerweise zu den Schweinen bringen, und auf der Weide sollte er immer wieder die Rossbollen zusammenschaufeln, weil es der beste Dünger fürs Gemüsebeet war. Das machten nicht einmal Knechte gern.

Isanpert gab Rihho bisweilen Widerworte. Er murrte über ungeliebte Arbeiten oder schlug ihm Wege vor, wie man Aufgaben leichter bewältigen konnte. Nie beschwerte er sich über die Rossbollen. Er war froh um die Zeit, die er bei den Rössern verbrachte. Zwar fürchtete er die großen Tiere, doch hatte er den Entschluss gefasst, sich an sie zu gewöhnen. Je mehr er um sie war, desto schneller würde es gehen. Isanpert wollte ein Reiter werden.

Eine andere von Isanperts Aufgaben war es, die Rösser von der Weide zu holen, wenn jemand aus Utos Sippe oder einer seiner Männer ausreiten wollte. Mit einem Seil in der Hand näherte er sich ihnen. Jedes Mal liefen sie weg, er lief hinterher und warf im Laufen die Schlinge. Vergeblich. Der Herbst war mit Wind und Regen gekommen. Die Böden waren nass und tief. Isanpert stolperte oder rutschte aus. Einmal verfehlte ein Huf nur knapp seinen Kopf.

Er lernte, die Rösser zu unterscheiden und sie zu führen. Die Auffälligeren hatten Namen wie Wunniwint oder Zwinkougi. Einen sanftmütigen Hengst nannte man Lindi. Eihapful hieß wegen seines rotgefleckten Fells so. Schade nur, dass ihm Rihho keine Zeit zu Reiten ließ.

Jeden Morgen übte Isanpert mit den Waffen. Den erfahrenen Krieger mit dem stumpfen Schwert zu treffen, war fast unmöglich, wenn Olko es nicht ausnahmsweise absichtlich zuließ, um seinen Schüler zu ermutigen. Isanpert trug täglich neue blaue Flecken davon, die ihn nachts auf dem harten Lager wachhielten.

Das Bett im Gesindehaus teilte Isanpert sich mit Muto. „Er ist kräftig gebaut, aber du bist umso schmaler“, sagte Rihho, „da wird es mit euch passen.“

Muto war nicht glücklich über seinen neuen Bettgefährten. Weil ihm als Knecht Schläge und Schlimmeres drohten, wenn er aufbegehrte, beließ er es bei stummem Widerstand, einer feindseligen Schweigsamkeit. Nachts machte er sich so breit wie nur möglich.

Warm und dunkel war es im Gesindehaus. Sie heizten mit qualmendem Torf, der ohne helle Flamme brannte. Holz war in der Ebene nicht wie auf Gramlinga im Überfluss vorhanden. Was man an Brennholz schlug, wurde im großen Haus drüben verbrannt, wo der Herr und die Seinen schliefen.

Im Hof stand ein alter Birnbaum. Isanpert nahm einen Ast an sich, den der Herbststurm heruntergebrochen hatte. Abends, und wenn Rihho gerade keinen Auftrag hatte, schnitzte er aus dem dicken Ende eine Gewandspange, deren Enden er mit den Köpfen von Ungeheuern schmückte.

Die Knechte und Mägde, mit denen Isanpert zusammensaß, blickten kaum einmal zu ihm herüber. Sie kannten sich seit Jahren und hatten viel miteinander zu bereden, wenn sich eine Gelegenheit ergab.

Gelegenheiten gab es selten genug. Utinga war ein schweigsamer Hof. Die herrische Tietgart führte im Gesindehaus Aufsicht. In ihrer Anwesenheit waren nur zwei Arten von Gesprächen gestattet, fromme und nützliche. Alles andere musste warten, bis sie das Haus verließ.

Am dritten Abend von Isanperts Aufenthalt setzte sich eine Magd zu ihm, eine kleine Gestalt namens Hulda. Sie wollte seine Schnitzarbeit aus der Nähe betrachten, wie sie erklärte. „Gern“, sagte Isanpert.

Kurz wurde es still im Raum, doch Hulda war ein unscheinbares Mädchen und leicht zu übersehen. Bald geriet ihre Annäherung an den Fremden in Vergessenheit, zumal Tietgart endlich hinausgegangen war und Tratsch ausgetauscht werden konnte.

„Sind das zwei Drachen an den Enden?“, fragte Hulda.

„Ich weiß es nicht“, sagte Isanpert, „ich habe solche Figuren auf einer anderen Spange gesehen. Ich finde, sie sehen den Rössern auf Utinga ähnlich.“

„Sie sind furchtbar“, sagte Hulda. Isanpert lächelte. Sie fügte schnell hinzu: „Aber wie geschickt du sie gemacht hast, das ist wunderbar.“

„Wenn dir die Spange gefällt, kannst du sie haben.“

Hulda sagte, das ginge nicht, die Schnitzerei sei zu wertvoll. Isanpert drückte sie ihr in die Hand. „Es war nur ein Zeitvertreib. Sei vorsichtig, sie ist aus Birnenholz. Es wird brüchig, wenn es trocknet. Am besten reibst du sie mit Leinöl ein.“

So kam es, dass Isanpert abends oft mit Hulda sprach. Von ihr hörte er einiges über die Männer und Weiber auf Utinga. Tietgart etwa war als Tochter eines von Utos Rosshirten geboren. Hulda hatte sie noch als ein fröhliches Mädchen erlebt, bis Rihho sie vor zwei Jahren zum Weib nahm. Seither war sie so streng. „Was soll sie machen“, sagte Hulda.

Auch andere Mägde und Knechte wechselten nun gelegentlich ein Wort mit Isanpert. Aber weder er noch einer von ihnen hatte viel zu sagen. Seine Hauptbeschäftigung in Mußestunden blieb das Schnitzen.

Nach ein paar Tagen fand Isanpert heraus, dass auch sein Lehrmeister Olko erzählen konnte, wenn er wollte. Es begann damit, dass Olko seinen Schüler tadelte: „Wenn du deine Waffe so tief hältst, schlitzen dich die Sachsen auf, bevor du überhaupt in die Abwehrhaltung kommst!“

„Hast du gegen Sachsen gekämpft?“, fragte Isanpert.

„Freilich! Das war vor“, Olko benutzte die Finger zum Zählen, „vor vier Jahren. Setz dich einen Augenblick hin, dann kann sich dein schlapper Arm ausruhen. Die Sachsen sind wilde Kerle, grässliche Heiden, die ihre Götter unter Bäumen anbeten und ihnen das Blut ihrer Gefangenen opfern. Die Eichen wachsen dann besonders hoch hinauf, sagen sie.“

„Leben die Sachsen nicht weit von hier?“

„Nicht so weit, wie es dir lieb sein kann. Aber es stimmt, ihr Wald grenzt nicht an unseren. Ich war damals mit dem Heer der Franken unterwegs. Der Heerführer war ein gewisser Pippin. Ja, Heerführer war er. Nicht König, wie du vielleicht meinen würdest. Stattdessen geben sie ihm die Titel Dux und Hausmeier. Er verwaltet das Reich und den Palas für einen König, den wir nicht zu Gesicht bekommen haben. Vielleicht gibt es gar keinen.

Dieser Hausmeier hat uns gesagt, dass die Sachsen sich den Franken unterworfen haben, aber dann wieder aufsässig geworden sind. Dafür wollte er sie bestrafen.“

Isanpert verstand nicht, warum es für einen Baiuwaren von Bedeutung sein sollte, wenn die Sachsen sich gegen diesen Hausmeier erhoben. „Warum bist du mit den Franken geritten und hast für sie gekämpft?“

„Ich sehe, von der Heerfahrt verstehst du auch nichts. Hast du je von Agilolf reden gehört? Nur seine Nachfahren können die Baiuwaren anführen, heißt es. Dieser Agilolf war ein Franke. Na?“

„Dann ist unser Dux“ – Isanpert stockte – „auch ein Franke.“

„So ist es. Darum sind die Franken unsere Verbündeten. Unsere mächtigen Verbündeten. Sie sind so etwas wie ein großer Bruder, dem man besser nicht widerspricht.“

„Ich habe keinen großen Bruder“, sagte Isanpert.

„Lass mich ausreden, wenn du fragst! Wir müssen auf die Franken hören, wenn sie befehlen. Dieser Pippin hat im Namen seines Königs von Otilo zwei Zenturien für den Feldzug gegen die Sachsen angefordert. Zenturie, das ist römisch und bedeutet hundert Mann. Also zweimal hundert. Das ist zweimal ziemlich viel. Er hat sie bekommen. Ich war einer davon.“

Isanpert wollte wissen, ob der Dux selbst mitgeritten war. Olko erklärte ihm, dass Dux Otilo so gut wie jeder andere springen musste, wenn der König der Franken oder sein Hausmeier es wollte. Aber nein, in jenem Jahr hatte Pippin nur die zweimal hundert Mann angefordert. Otilo war mit den übrigen Männern, darunter Uto, in die Berge gezogen, um dort die Heiden zu bekehren.

Isanpert stellte sein stumpfes Übungsschwert einer Assel in den Weg, die auf seine nackten Füße zustrebte. „Von wem hast du Befehle empfangen, wenn der Dux nicht da war und Uto auch nicht?“

„Wir waren dem Cotapert unterstellt. Ihm gehört viel Land im Feld, an der Ambra und an der Straße nach Augusta.“

„Ich kenne den Grafen, er hat bei uns die Gerichtsbarkeit.“ Die Assel war ausgewichen. Isanpert fegte sie mit der Schwertspitze beiseite. „Wer ist mächtiger, er oder Uto?“

„Uto hat mehr Rösser, Cotapert mehr Männer.“ Olko lachte und rieb sich die Hände. „Stell dir vor, der Cotapert wollte einst eine Prinzessin der Franken heiraten. Er hat sie nicht bekommen. Aber trotzdem. Pippin hat ihn nach dem Zug gegen die Sachsen mit Huben beschenkt. Reich war er schon vorher. Den Reichen folgen die Männer, denn sie haben am meisten zu geben.“

Isanpert wollte noch mehr fragen, Olko ließ ihn aber nicht. „Wenn du irgendwann mit einem Schwert umgehen kannst, solltest du es mit den Reichen halten. Nur für sie lohnt es sich zu kämpfen. Dahin ist es noch ein weiter Weg. Auf!“

Uto hatte zwei Söhne von Clementia, die Hildpert und Paulus hießen. Isanpert lachte über den Namen des Jüngeren. Hulda erklärte ihm, Paulus sei ein heiliger Mann gewesen. Utos Weib hatte sich den Namen gewünscht. Sie kam aus einer besonders christlichen Sippe, aus Strupinga an der Tonah. Darum hatte Clementia selbst einen so seltsamen Namen.

Hildpert und Paulus hatten beschlossen, dass sie Isanpert nicht leiden konnten. Wenn sie ihm ohne Zeugen begegneten, spuckten sie in seine Richtung und rannten davon. Kein Tag verging, ohne dass sie ihm einen Streich spielten, eine Schnecke unter seine Decke legten oder seine Schnitzarbeit versteckten, die er achtlos auf einer Bank liegen hatte lassen. Einmal entdeckte er ein Stück faulen Apfel in seiner Gürteltasche, den er gewiss nicht selbst dort vergessen hatte. Er wusch sie aus, legte das Leder zum Trocknen in die Sonne und dachte nicht mehr daran. Obwohl sie nicht die einfache, freundliche Art von Deso hatten, waren es Kinder.

Es gab auch eine Tochter, ein lebhaftes rothaariges Mädchen namens Waltrut. Sie war schon volljährig. Mit wem man auch sprach, alle sagten, es sei Zeit, dass Waltrut heirate.

Auf Utinga war es üblich, jeden Sonntag frühmorgens die Messe zu hören. Die Kirche stand mitten auf dem Hof. Uto und Clementia hatten einen eigenen Priester. Der kleine, schwarzhaarige Mann hieß Maximinus. Den Namen trug er erst seit der Weihe. Er war ein Freigelassener. Uto war für seine Ausbildung aufgekommen. An den Sonntagen predigte Maximinus. Unter der Woche half er seinem Herrn. Weil er rechnen, lesen und schreiben konnte, führte er Aufzeichnungen über die tausend Rösser, neugeborenen Fohlen und alle Verkäufe. Fast täglich kamen Männer, um Rösser zu kaufen oder zu ertauschen.

Jeder am Hof musste die Messe besuchen. Gespräche wurden getadelt. Isanpert stand in der letzten Reihe, wie er es von Sankt Martin zu Piparpah gewohnt war. Von hinten konnte er die anderen beobachten. Neben ihm döste Muto an die Wand gelehnt.

Die lateinischen Gebete hörte Isanpert gern. Ihm missfiel nur, dass er nicht vor den Herrgott treten durfte, wie er war, sondern am Vorabend baden musste. Dann stellten die Mägde vier große Holzzuber in den Hof, oder, falls es regnete, ins Wohnhaus. Zuerst waren die Herrschaften an der Reihe. Immer wieder brachten die Leibeigenen in Holzeimern Wasser herbei, das sie in einem vom Herdfeuer umgebenen Kessel erwärmt hatten. Anschließend badeten die freien Männer, darunter Rihho und alle Krieger, die an Utos Hof lebten, mit ihren Weibern und Kindern.

Isanpert badete mit den Knechten, wenn das Wasser längst kalt war und grau und nicht mehr nachgefüllt wurde. Er richtete es so ein, dass er als Letzter an die Reihe kam. Dann war er unbeobachtet und konnte sich aufrecht in den Zuber stellen, statt sich hineinzulegen. Das Wasser reichte ihm auch so bis über die Knie. Er goss sich einige Handvoll über Arme und Beine, Leib und Hals und Gesicht. Das reichte, wie er fand. Wenn er Pech hatte, kam Tietgart vorbei, nannte ihn einen Schmutzfink und schüttete ihm einen Eimer des kalten Wassers über den Kopf. „Die Haare müssen sauber werden“, behauptete sie, „sonst weint der Herr im Himmel.“

Isanpert gewöhnte sich an alles, an das Baden und das Beten, die Platzkämpfe mit Muto und die Streitereien mit Rihho, die Übungen mit Olko und die abendlichen Gespräche mit Hulda, die nicht hübsch, aber freundlich war. Er gewöhnte sich daran, dass ihn Clementia übersah, so gut sie es konnte, wenn er auf Rihhos Befehl Feuerholz ins große Haus brachte. Er wusste nach zwei Wochen, wie er jeden zu nehmen hatte. Nur Waltrut blieb ihm ein Rätsel.

Das Mädchen sah die ersten Tage an ihm vorbei. Eines Nachmittags trat sie an den Brunnen heran, als er gerade Wasser schöpfte, um die Pferdetränke zu füllen. Schweigend beobachtete sie, wie er den Eimer hinunterließ und wieder hochzog. Sie wischte sich eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und fragte, als sähe sie ihn zum ersten Mal: „Du bist Vaters Kebssohn, oder?“

„Ich heiße Isanpert und bin der Sohn des Gudo und der Ula. Ich diene Herrn Uto auf Gramlinga, einer Hube oberhalb der Clana, an der Straße, die zu der Burg Augusta führt.“

„Dort dienst du meinem Vater ja nun nicht“, gab sie zurück. „Du bist schließlich hier. Und ich frage mich, warum.“

„Ich gehe, wohin Uto mich schickt“, sagte Isanpert. „Er möchte, dass ich hier mit Olko kämpfen lerne.“

„Ein Schwert schwingen kann man überall. Aus irgendeinem Grund bist du an der Clana nicht mehr erwünscht. Hattest du Streit mit deinen Geschwistern?“

„Mein Bruder Deso und meine Schwester Heila sind liebe Kinder“, sagte Isanpert. Mit einem Lächeln fügte er hinzu: „Alle meine Geschwister waren nie anders als freundlich zu mir.“

Sie legte den Kopf schief. „Also war es etwas mit einem Weib. Hast du eine Magd verführt? Oder die Nachbarstochter?“

Isanpert wurde rot. Es war zur Zeit der Frühjahrsaussaat geschehen. Jeder war auf den Feldern gewesen, um zu pflügen, zu säen, zu rechen und zugleich die Tiere nicht zu vernachlässigen. Isanpert half Engilpert, den Pflug zu führen und recht tief ins Erdreich zu drücken. Erst längs, dann quer. Deso trieb den Ochsen an. Sogar die keuchende alte Gisla mit ihren lahmen Schritten und die kleine Heila mit ihren Goldlöckchen, die sonst nur spinnen durfte, alle waren seit der Frühe auf den Äckern, als Isanpert in einer Furche umknickte. Der nackte Fuß schwoll an. Er verbarg es erst, stützte sich auf den Ochsen. Ula sah es aber doch.

Weil Leuba die Kräuter und ihre Wirkung gut kannte, bat Ula sie, mit dem Buben zum Haus zu gehen, den Fuß zu säubern und ihm einen Umschlag zu machen. Dann sollte Leuba so schnell wie möglich zurückkehren, Isanpert aber sollte wenigstens diesen einen Tag ruhen.

Isanpert ließ es geschehen, dass Leuba ihn wusch und mit einem Tuch abtrocknete, von oben bis unten, nicht nur den Knöchel. Sie trug zerriebene Arnika-Blätter auf die Schwellung auf, legte einen Verband an, half ihm aufs Lager und kümmerte sich mit robuster Entschlossenheit um sein Wohlergehen. Isanpert dankte ihr die Mühe schlecht. Ab jenem Tag war er darauf bedacht, auf der Bank nie mehr neben Leuba zu sitzen, immer ein wenig Abstand zu halten. Vor allen Mädchen und Weibern war er seither auf der Hut.

„Da habe ich es wohl getroffen“, sagte Waltrut. „Komm nicht auf dumme Gedanken. Bei uns am Hof gibt es keine solchen Geschichten. Da passen wir auf. Außerdem würde keine unserer Mägde so einer mageren Vogelscheuche wie dir auch nur einen einzigen Blick gönnen.“

„Keine Sorge“, sagte Isanpert. „Ich habe gar keine Zeit für deine Mägde. Morgens übe ich mit den Waffen. Nachmittags gibt mir Rihho so viel Arbeit, dass ich kaum zum Reiten komme. Ich würde wirklich lieber reiten als deine Mägde ansehen.“

Waltrut stemmte die Arme in die Hüften. „Du denkst wohl, ich habe keine Ahnung. Aber ich weiß Bescheid. Obwohl es dir angeblich an Zeit fehlt, scheust du keine Mühe, der Hulda Geschenke zu machen!“

Da sagte Isanpert, er denke gewiss nicht schlecht von ihr. Im Gegenteil scheine es ihm, als ob Waltrut vieles über Heimlichkeiten zwischen Männern und Weibern wisse. Und er fragte sie geradeheraus, ob sie sich mit einem Mann treffe.

Entrüstet erklärte sie: „Mein Vater wählt meinen Bräutigam.“

„Vielleicht einen gewissen Liutker?“

Waltrut tat, als müsse sie lachen. „Man merkt, dass du fremd bist. Sonst würdest du etwas so Dummes nicht sagen. Herrin über Altham zu sein, das wäre wirklich erbärmlich.“

„Altham? Wo ist das?“

„Aha! Du tust also nur so, als würdest du dich auskennen“, sagte Waltrut. „Altham ist der nächste Hof in Richtung Sonnenaufgang. Es ist Liutkers schäbiger Hof.“

„Immerhin günstig gelegen“, sagte Isanpert. „Ist er nicht mit dem Dux verwandt?“

„Nur ein Kebssohn.“ Waltrut wickelte eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger. „Und sieht aus wie eine Krähe.“

Isanpert hielt dagegen, er habe Liutker gesehen, an Otilos Seite. Keinesfalls glich er einer Krähe. Den Späher auf dem Baum hatte er entdeckt. Alle hatten gut von ihm gesprochen.

„Du redest zu viel“, sagte sie, „das geht dich überhaupt nichts an. Aber das eine sage ich dir, du brauchst der Hulda gar nicht immer diese Blicke zuzuwerfen, das ist vollkommen aussichtslos. Die kannst du dir aus dem Kopf schlagen!“

Schnell ging sie fort, um das letzte Wort zu behalten. Brunnenwasser hatte sie keines geschöpft. Isanpert rieb sich die Stirn. „Gut zu wissen“, sagte er laut, obwohl sie es nicht mehr hören konnte.

Eisenglanz

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