Читать книгу Eisenglanz - Florian Kalenda - Страница 9
ОглавлениеDas Verhör
In anderen Siedlungen kamen die Männer im Wohngebäude zusammen, aber Graf Cotapert hatte eine Halle bauen lassen, wo man trank, tafelte und sich besprach. Betten standen nicht darin. Wenn Männer mit großem Gefolge zu Gast waren, konnten ihre Leute die Nacht auf dem Boden im Trockenen verbringen. Sonst schlief hier nur, wer nach einem Gelage einfach liegenblieb.
An diesem Morgen war nichts zu sehen von den langen Tafeln, auf denen an den Abenden der saftige Braten und das fette Kraut hereingetragen wurden. In einer Ecke standen die kreuzförmigen Untergestelle, die Schragen hießen. An den Wänden hingen die bunt bemalten runden Schilde Cotaperts, Hucwalts und ihrer Männer. Waffen waren in der Halle nicht erlaubt.
Kaum zwanzig Männer saßen auf den bloßen Bänken, dazu Tassilo, der Sohn des Dux, den Isanpert in der ersten Reihe erspähte. Cotaperts mit einem strohgestopften Kissen gepolsterter Stuhl stand am Kopfende, wo der Lehmboden höher aufgetragen war, sodass der Graf über alle hinwegblicken konnte. „Wie in einer Kirche“, flüsterte Isanpert Uto zu, der ihn mit einem Blick zum Schweigen brachte.
Es war üblich, dass kein Mann des Stammes Entscheidungen allein traf, er konnte vermögend und einflussreich sein, wie er wollte. Alle Stimmen mussten in einer Versammlung gehört, alle Entscheidungen begründet und gutgeheißen werden. Cotapert erhob sich, um der Sitte zu entsprechen.
„Gott gebe uns seinen Segen“, sagte er. „Unser Heerführer Otilo hat uns seinen Sohn Tassilo anvertraut, und einen Gefangenen zum Verhör. Wir wollen uns dessen würdig erweisen. Lasst Tassilo eure Klugheit sehen. Wie sollen wir vorgehen? Wer soll das Verhör führen? Sprechen wir uns ab, bevor ich den Burschen herbringen lasse.“
„Hängt ihn ans Pfahlwerk“, rief einer, „damit alle sehen, was wir mit friedlosen Männern machen!“
Dem Rufer hatten Räuber im Frühjahr zwei Schafe genommen und die Magd geschändet. Zwar stand nicht fest, ob es die Bande des Filipert getan hatte, aber das war dem Betroffenen gleichgültig. Blut musste fließen, Rache genommen werden.
Er fand keine Unterstützer. „Erst bring die Ernte ein, dann pflüge das Feld neu, nicht umgekehrt“, sagte ein anderer Mann. Ein Toter könne nichts erzählen.
Dann sprach Hucwalt. „Es ist einfach. Wir müssen wissen, wo sie stecken, um sie in ihrem Lager zu überraschen und niederzumachen. Lasst mich ihn verhören. Er wird reden.“
Einige lachten grimmig. „Es wird besser für ihn sein“, rief einer.
Uto stand auf. Umsicht sei vonnöten, sagte er. „Es gibt Hinweise, dass dies keine gewöhnliche Räuberbande ist. Wenn sich Friedlose im Wald zusammenrotten, so niemals in großer Zahl. Ein Dutzend wäre viel. Wenn die Berichte stimmen, hat dieser Filipert drei Dutzend Männer bei sich, nicht weniger als Cotapert hier zu Mohinga. Wie hat er so viele bewegt, ihm zu folgen?“
„Wenn eine Kuh lostrottet, folgt die Herde“, warf einer ein, der als freier Mann mit einer großen Herde an der Ambra siedelte. Uto wies ihn darauf hin, dass in diesem Fall jeder Anführer ein Rind sei, einschließlich Otilos. Der Mann wurde rot und schwieg fortan.
„Vielleicht ist dieser Filipert nicht irgendein davongelaufener Verbrecher“, gab Uto zu bedenken. „Vielleicht stammt er aus einer namhaften Sippe. Es gibt Berichte, dass er nicht wie ein Baiuware spricht. Vielleicht hat er seine Männer mitgebracht, vielleicht wurde er vertrieben. Wir wissen es nicht. Der Gefangene kann uns Hinweise geben. Selbst wenn er nicht zur Bande gehören sollte“, sagte er mit einer Wendung zu Martilo hin, „hat er sie vielleicht belauscht. Er wird uns das eher gestehen, wenn wir ihn nicht bedrohen.“
Hucwalt hörte es mit zunehmender Unruhe. „Ihre Herkunft kann uns gleichgültig sein, wenn Filipert und seine Leute erst erschlagen liegen!“
Andere Männer erhoben die Stimmen. Sie fielen sich ins Wort. Manche gaben Hucwalt recht. Der scharfäugige Liutker schlug sich auf Utos Seite.
Martilo war nicht mit seinem Bruder einverstanden. Es sei nicht christlich, Gewalt gegen einen Mann zu üben, dessen Schuld nicht erwiesen war.
„Aus Furcht vor Filiperts Leuten will er auf den Baum gestiegen sein“, rief Hucwalt aus und lachte. „Welcher Dummkopf wird so etwas glauben!“
„Es war kein Warnruf zu hören“, hielt Martilo seinem Bruder trotzig entgegen.
Cotapert sah es nicht gern, dass seine Söhne uneins waren. „Wer sprechen wollte, der hat gesprochen. Wir sollten beginnen, sonst verhungert der Kerl, bevor wir ihm eine einzige Frage gestellt haben. Seid ihr einverstanden, wenn ich den Gefangenen hereinbringen lasse?“
„Einverstanden“, sagte Otker, der wie alle Huosi für seine Vorsicht bekannt war und mächtigen Männern stets recht gab.
Da die meisten nickten, legte Cotapert nach: „Ich schlage vor, die Befragung meinem Sohn Hucwalt zu übertragen. Er versteht es, Männer zum Sprechen zu bringen. Tassilo wird viel lernen können.“
Wieder stimmten einige laut zu, während zahlreiche andere vernehmlich schwiegen.
Uto stand auf. „Es ist schwierig, in die Herzen der Männer zu blicken. Aber es ist unmöglich, wenn man einen Mann erst einmal mit Klingen und Feuer in Furcht versetzt hat. Darum bitte ich, die Befragung eröffnen zu dürfen. Wenn ich an meine Grenzen stoße, mag Hucwalt übernehmen.“
Ein Murmeln ging durch die Bankreihen. Cotapert hatte als Gastgeber und als Graf den Vorrang vor Uto, der sanft hinzufügte: „Dies ist Dux Otilos ausdrücklicher Wunsch.“
Er neigte den Kopf in Tassilos Richtung. Der Bub, der auf der vordersten Bank verloren zwischen den Männern saß, nickte ernst. „So hat es mein Vater gesagt.“
Cotaperts Mund zuckte. „Es soll sein, wie unser Dux es wünscht. Stell zuerst deine Fragen, Uto. Hucwalts werden folgen.“ Er wandte sich an seine beiden Männer, die gerüstet neben der Tür standen. „Ortwalt, Narto, bringt den Gefangenen.“
Der Mann war nass vom Regen und zitterte. Sein Oberhemd hatte einen Riss, im Gesicht verlief ein blutiger Kratzer. Er war kräftig gebaut, aber die weichen Züge des Gesichts ließen ahnen, dass er nicht älter als siebzehn Sommer sein konnte.
Uto nannte seinen eigenen Namen und fragte nach dem des Mannes. „Firko heiße ich“, lautete die Antwort. Als Uto auch seine Herkunft wissen wollte, sagte Firko: „Von der Tonah komme ich.“ Das besagte nicht viel, die Tonah war ein langer Fluss, überall an ihren Ufern siedelten Männer.
Uto fragte erfolglos nach. Firko, wenn das wirklich sein Name war, wiederholte, er sei kein Räuber, er sei vor den Männern geflohen, an deren Lager er zufällig im Wald vorbeigekommen sei. „Ich habe die Glut ihres Feuers gesehen und gehört, dass sie zurückkamen. Da bin ich auf den Baum geklettert, damit sie mich nicht finden. Er hatte eine dichte Krone.“
„Wenn es so ist“, sagte Uto, „lass mich wissen, wo du herkommst und was du im Wald getan hast.“
Von daheim sei er davongelaufen, sagte Firko. Dann biss er sich auf die Lippen. „Ich bin kein Räuber.“
Hucwalt, dem das Verhör zu lange dauerte, lachte höhnisch.
Uto trat auf Firko zu. Als er die Hand vorstreckte, zuckte der Gefangene, doch Uto ging es nur um die Haare. Er hielt eine Strähne hoch. An den Seiten des Kopfes trug Firko lange Haare. Über der Stirn waren sie höchstens einen halben Finger lang.
Er fragte Firko, wieso er die Haare so merkwürdig trage, und wer sie ihm geschnitten habe.
Hucwalt schnaufte, um zu zeigen, wie überflüssig er die Frage fand.
„Ich war es selbst, der sie abgeschnitten hat. Es ist mir nicht besser geglückt“, sagte Firko. „Ich hatte nur mein Messer und niemanden, mir zu helfen.“
Uto schüttelte den Kopf. „Es sieht nicht nach einem Versehen aus. Nein, ich glaube, man hat dir die Haare in einem Kloster geschnitten. Du hast eine Tonsur getragen, stimmt es nicht?“
Ein Raunen ging durch die Halle. Nur Hucwalt und sein Vater blieben still. Der kleine Tassilo klatschte sich vor Begeisterung über Utos Schlussfolgerung mit einer Hand aufs Knie.
Als Firko nicht gleich antwortete, hakte Uto nach: „Du solltest Mönch werden. Das wolltest du nicht. Davor bist du geflohen.“
Firko nickte vorsichtig. „Das ist keine Untat. Ich bin kein Räuber.“
„So sag uns, wer du bist“, sagte Uto. „Von der Tonah, sagst du. Hast du im Kloster des heiligen Emmeram gelebt?“ Dieser Heilige hatte unweit des großen Flusses vor den Toren der Burg Radaspona ein Kloster errichtet.
„Ihr wollt mich nur wieder dort einschließen!“
„Als Baiuware stehst du vor Männern deines Stammes. Du hast von uns kein Unrecht zu fürchten, wenn du keines verübt hast.“ Erneut fragte Uto nach dem Kloster und der Abkunft. Der Gefangene sah zitternd zu Boden und antwortete nicht.
„Er hat gelogen“, rief Otker empört. „Lasst Hucwalt mit ihm reden!“
In der vorletzten Reihe faltete Dagoprant seine Hände wie zum Gebet, wandte sich um und streckte sie Isanpert entgegen. Isanpert nickte, formte die Hände zu einem Hohlraum, legte die Daumen zusammen und blies sanft auf die Knöchel. Es klang, als rufe ein Käuzchen.
Der hallende Ton aus der hintersten Reihe überraschte alle. So mancher sah nach oben, ob sich wohl ein Vogel unters Dach verirrt hatte. Die stärkste Wirkung hatte der Ruf auf den Gefangenen. Er fuhr herum, blickte suchend in Richtung Tür. Vergeblich.
Dagoprant stand auf. Seine rechte Hand stemmte er in die Seite, mit der linken wies er auf Firko. „Habt ihr gesehen? So zuckt nur ein Mann zusammen, der gewohnt ist, dass man sich mit diesem Ruf gegenseitig vor Gefahren warnt.“ Er drehte sich zu Uto. „Auf diese Weise hat der Späher vom Baum aus seine Gefährten wissen lassen, dass der Dux mit seinen Truppen heranritt, ohne dass es einem von euch auffiel. Es rief nur ein Käuzchen im Wald.“
Er winkte Isanpert, der erneut das Zeichen erklingen ließ. „Nun wissen wir, dass der Mann zu Filiperts Bande gehörte“, sagte Dagoprant und setzte sich.
Martilo blickte traurig drein, als er sich getäuscht sah. Uto fragte Firko einfach: „Kannst du das auch?“
Der hob die Schultern. „Ich kann alle möglichen Vogelstimmen nachmachen. Jeder Bursche kann das bei uns. Sogar manche Mädchen. Ich kann die Vögel anlocken und mit der Leimrute fangen.“
„Wo hast du es gelernt?“, fragte Uto sanft. „Wo kommst du her, Firko?“
Da brach es aus Firko hervor. Seine Familie stammte aus dem Nordgau, dem Land nördlich der Tonah, zwischen der Burg Regina und den Bergen der Thüringer. Am Fluss Regin siedelte Firkos Sippe. Dort ging es ihm gut, solange er jung war und den Vögeln nachstellen konnte.
Der Vater hatte bereits an Stärke eingebüßt, als Firko heranwuchs. Seine älteren Brüder machten die Arbeit, sie waren fleißig und stark. Auf dem Hof hielten sie Schweine und Schafe und Bienen. Besonders der Honig und das Wachs aus den Bienenstöcken erleichterten ihr Leben. Wenn einmal die Getreideernte verdarb und andere hungerten, konnten Firkos Leute sich Korn ertauschen.
Schlechter ging es erst, als Firkos Vater krank wurde. Der Grund mochte harte Arbeit im Freien mitten im Winter gewesen sein, die er sich nicht hätte zumuten sollen, oder auch ein Fluch neidischer Nachbarn, wahrer Hungerleider, sagte Firko. Jedenfalls sei der Vater am Fieber erkrankt und habe so tief gehustet, dass man fürchten musste, er werde seine Seele heraushusten. Nächtelang habe das ganze Haus wachgelegen. Die Mutter sandte nach einem heilkundigen Priester, dem sie für seine Dienste zu Kerzen gedrehtes Wachs und bares Silber versprach. Der kluge Mann nahm erst seine Entlohnung an sich und sagte dann, er sehe wenig Hoffnung. Hier werde nur Beten helfen. Der Herr im Himmel in seiner Barmherzigkeit oder einer seiner Heiligen würden vielleicht ein Wunder wirken. Menschliches Wissen aber stehe in einem solchen Fall vor einer unüberwindlichen Grenze.
Die Mutter wiederholte diese Worte vor den Ihren. In jedem freien Augenblick mussten sie fortan beten. Sie beteten, der Husten möge nachlassen, um ein wenig schlafen zu können. Doch die folgende Nacht war schlimmer als die vorherige. Firko, seine Brüder und seine Schwester wurden die Beine taub. Bald bluteten ihre Knie. Aufzustehen war ihnen streng verboten.
In dieser Nacht schwor die Mutter dem Herrgott einen Eid, wenn er den Vater gesund mache, werde sie ihren Jüngsten ins Kloster geben, zu den Mönchen, die am Grab des heiligen Emmeram ein gottgefälliges Leben führten. Der jüngste Sohn war Firko.
Der Herr im Himmel erhörte die Mutter. Der Husten ließ nach, das Fieber ging und der Vater gesundete.
„Gelobt sei Gott“, ließ Cotapert an dieser Stelle hören. Doch gleich verdüsterte sich seine Stirn wieder. Firko berichtete von Nöten, die er im Kloster ausgestanden habe.
Er sei dort ein Gefangener gewesen, sagte er. Buchstaben sollte er lesen, das seien jene Striche und Haken, die auf geheimnisvolle Weise zu Wörtern würden, wie sie jeder in den Mund nehme. Gesungen wurde mehrmals täglich, und Latein musste er studieren, während draußen heiter die Sonne schien und der Fluss glänzte.
Immerhin gebe es im Kloster einen Kräuter- und Gemüsegarten, sagte Firko. Er habe sich mit den lateinischen Namen der Pflanzen schwergetan, aber keiner der Brüder habe so gründlich das Erdreich umgewälzt wie er. Das habe ihm gutgetan. Allerdings sei es der Bruder Waltrich gewesen, dem der Garten unterstand. Wenn man mit diesem Bruder allein war, sei es unangenehm gewesen, sagte Firko.
Graf Cotapert unterbrach: „Dann bist du davongelaufen?“
Firko nickte.
Cotaperts Augenbrauen zogen sich zu einer dunklen Wolke zusammen. „Eine merkwürdige Art, Gott für seine unergründliche Gnade zu danken. Er hat ein Wunder gewirkt, um deinen kranken Vater ins Leben zurückzurufen!“
„Erlaube, Cotapert“, sagte Uto, „lass den Gefangenen seine Geschichte zu Ende erzählen.“
Firko senkte den Kopf. „Mehr gibt es da nicht. Für ein Kloster eigne ich mich nicht. Ich bin zu dumm für Latein und Biblia und so etwas. Ich habe es nicht ausgehalten.“
Vor einigen Wochen sei er den Mönchen davongelaufen, sagte er. Aus Angst vor Verfolgern habe er sich möglichst weit weg von den steinernen Mauern der Burg im Wald versteckt. Nein, einen Namen habe der Ort nicht. Er habe Rinden, Beeren und Gräser gegessen, auch Eier und die Vögel, die er fing.
Cotapert ging es zu langsam voran. „Im Wald bist du auf Filiperts Bande gestoßen“, donnerte er. „Du hast dich ihnen angeschlossen. Du hast mit ihnen gestohlen und geraubt, gemordet und geschändet, die Kirche gehöhnt und dem Teufel geopfert! Gib es zu!“
Firko blieb stumm.
Uto hob die Hand, um Cotapert zu beruhigen, und fragte sanft weiter: „Haben Filiperts Leute dir zu essen gegeben? Dich an ihrem Feuer sitzen lassen?“ Da Firko nichts sagte, fuhr er fort: „Woher stammt dieser Filipert? Wie viele Männer hat er um sich?“
Der Redefluss des Gefangenen war versiegt. Er saß zusammengesunken auf dem Hocker, versteckte sich unter den eigenen Armen.
„Mir reicht es“, sagte Cotapert. Er lehnte sich auf seinen langen Speer. Seine Stimme bebte. „Ich habe diese abscheuliche Geschichte mit angehört, wie der Teufel einen jungen Menschen aus den Armen Gottes entführt und in die Wildnis lockt.“ Er schüttelte den Kopf, um den Alptraum zu vertreiben. „Es war scharfsinnig von dir, Uto, wie du seine Tonsur erkannt hast. Und erst recht die Sache mit dem Vogelschrei.“ Er nickte in Richtung der hintersten Bank, wo Isanpert saß. „Das alles war hilfreich, und ich danke dir dafür, auch im Namen von Dux Otilo und seines Sohnes Tassilo. Ja, Uto, du hast den Nachweis für die Schuld dieses Mannes erbracht. Rücksicht ist nicht mehr nötig. Ich werde die Befragung fortführen.“
Uto blickte hilfesuchend zu Dagoprant, der stumm blieb. Da hob er bedauernd die Hände und setzte sich.
Cotapert stand auf seinen Speer gestützt vor Firko. Seine eindringliche Rede wurde mit jedem Wort lauter. „Im Kloster des heiligen Emmeram hast du dich gefangen, ja gepeinigt gefühlt. Wenn ich hier mit dir fertig bin, wirst du es dort geradezu gemütlich finden.“
Der Gefangene sprang auf, trotz seiner gebundenen Hände. Er war ein kräftiger Kerl, groß gewachsen. Mit Hucwalt und dessen Faust rechnete er nicht.
Firko stürzte auf den Boden. Er wand sich vor Schmerz und hielt die Hände schützend vors blutende Gesicht. Hucwalt trat ihn in den Unterleib. „Wenn du uns nicht sagst, wer dieser Filipert ist und wo wir ihn finden, wirst du mehr verlieren als ein paar Haare.“
Cotapert nickte traurig. „Gott vergebe dir, mein Sohn“, sagte er zu Hucwalt. „Er bittet uns, sanft zu sein wie die Lämmer. Doch weiß er auch, dass uns dies im Angesicht des Bösen auf dieser Welt nicht immer gelingen kann.“ Er machte das Zeichen des Kreuzes und wandte sich wieder an Firko, der sich auf dem Boden krümmte. „Gott hat uns dazu berufen, dir die Wahrheit über seine Feinde zu entreißen. Wir werden ihn nicht enttäuschen.“
Sie richteten den Gefangenen auf. Cotapert fragte nach dem Lager. Sie hätten in wechselnden Lagern im Wald gehaust, gab Firko zurück. Den Ort könne er nicht angeben. Ob Filiperts Männer friedlos seien? Meistens sei es friedlich zugegangen. Gegen das Recht verstoßen? Er kenne die Gesetze schlecht.
Ob sie geraubt und gestohlen hätten, fragte Cotapert. Firko sagte: „Wenn wir etwas genommen haben, dann stets aus Hunger.“
Firko wurde beschimpft und bespuckt, geschlagen und getreten. Dann ließ Cotapert ein Beil holen. Seine Männer zwangen den Gefangenen, die rechte Hand zur Faust geballt auf eine Bank zu legen. „Jetzt streck einen Finger aus“, sagte Hucwalt. „Sonst verlierst du die ganze Hand.“
Als Firko getan hatte wie geheißen, legte Hucwalt seine linke Pranke eisern auf Firkos, drückte sie auf das Holz. Jeder Versuch, sie wegzuziehen, oder auch nur den Finger, war vergebens – zumal Narto den anderen Arm und Ortwalt den Kopf des Gefangenen eingeklammert hatte.
In der Rechten führte Hucwalt das Beil, schwang es, ließ es mit Wucht auf die Bank fallen, ohne Angst, versehentlich sich selbst zu treffen. Blut spritzte. Nicht seines. Es war Firkos Finger, den er abgetrennt hatte.
Firkos Schrei folgte dem dumpfen Aufprall des Beils auf der Holzbank. „Jetzt wird er zur Vernunft kommen“, sagte Hucwalt und reichte dem Gefangenen ein schmutziges Tuch, um es auf den Fingerstumpf zu pressen.
Cotapert rief eine Magd herein, die mit einem Eimer Wasser das Blut aufwischte. Er möge keine Flecken auf dem Boden seiner Halle, sagte der Graf.
Isanpert bemerkte, wie Martilo seinen bleichen Kopf gesenkt hielt. Auch zu Tassilo sah Isanpert. Der Sohn des Dux hielt den Blick fest auf Cotapert gerichtet. Nur ein Schimmer unter seinen Augen verriet ihn.
„Jetzt wird er mit uns sprechen“, sagte Cotapert zufrieden. Er griff Firkos Kinn. „Nicht?“
„Ja“, sagte Firko.
„Wer ist dieser Filipert?“
Firko zögerte. „Er ist ein großer Anführer.“
„Was heißt das?“
„Er ist es gewohnt, zu befehlen und gehört zu werden. Ganz wie du.“
Cotapert gab ihm eine Ohrfeige. „Vergleich ihn nicht mit mir. Ist er ein Baiuware?“
„Ich verstehe ihn gut, aber er spricht nicht wie ein Baiuware.“
„Ist er ein Alamanne?“
„Das kann sein. Ich habe nicht gewagt, ihn zu fragen.“
„Oder ein Thüringer?“
„Das kann sein.“
„Wie viele seid ihr?“
Firko sah sich um. „Mehr Männer, als hier sitzen, aber nicht mehr, als in diese Halle passen.“
„Wie viele Hände voll?“
„Ich habe nicht gezählt.“
„Wo ist das Lager?“
„Im Wald.“
„Nahe welcher Siedlung?“
„Das wechselt.“
„Ihr kehrt nicht an eine Stelle zurück?“
„Nach jedem Beutezug befiehlt Filipert, das Lager abzubrechen.“
„Wo finden wir Filipert?“
„Ich kann es nicht sagen. Ich weiß es nicht.“
„Überleg es dir. Du wirst die anderen Finger auch noch verlieren. Und dann die andere Hand.“
„Ich würde es sagen. Ich kann es nicht!“
Cotapert zog Firkos Kopf an den Haaren hoch. „Kannst du uns hinführen?“
Firko zögerte. „Ich kann es versuchen. Ich kann euch zum letzten Lager führen. Aber wenn sie nicht da sind …“
„Dann stirbst du“, sagte Cotapert. „Morgen führst du uns hin.“