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Im Auftrag des Dux

Auf das Sommergewitter folgten sonnige Tage, ohne dass die Hitze zurückkehrte. Die Bäume warfen kräftige Schatten, als sich eines Morgens eine Kriegerschar Gramlinga näherte. Ein Mann mit glänzendem Helm führte sie an.

Es war Isanpert, der den Mann, den Glanz und das Gefolge zuerst erspähte. Ula hatte ihn losgeschickt, Anzündholz zu sammeln, Reisig und Zapfen. Warum er dafür einen Baumwipfel erklettern musste, blieb sein Geheimnis. Von dort oben konnte er weit die Handelsstraße entlangblicken. Die Krieger kamen aus jener Richtung, in der Frigisinga lag.

Isanpert fiel mehr den Baum hinab, als dass er rutschte. Er rannte zum Haus, wo seine Mutter mit der Hacke die Erde im Gemüsebeet lockerte. Kaum zu Atem gekommen, berichtete er. Mindestens dreißig Mann zögen die Straße herauf. Viele säßen auf Rössern und seien gerüstet.

Ula wollte es nicht glauben. „Nicht um diese Jahreszeit“, sagte sie.

Gisla schalt Isanpert: „Das ist doch wieder einer deiner Streiche, du Lausbub!“ Als ihr Vorrat an Schimpfwörtern zu Ende ging, waren Pferdehufe zu hören.

Ein einzelner Reiter kam in Sichtweite, bog von der Straße ab, ritt auf den Hof zu. Er musste über dreißig Sommer hinaus sein. Ein schmales Gesicht hatte er, glatte dunkelblonde Haare und einen ernsten Zug um die Mundwinkel. Dieser Mann sah aus, als überließe er nichts dem Zufall. Dem Eindruck wirkte nur ein Dutzend Sommersprossen entgegen. Es war Uto aus der Sippe der Hahilinga. Er war Herr von Gramlinga und aller, die dort wohnten.

Uto grüßte, ohne abzusitzen. Er bat, Gudo zu holen. Der Dux habe beschlossen, das trockene Wetter zu nutzen und eine Schar zu mustern, erklärte er. Otilo wolle die Straße sichern und nach Möglichkeit die Räuber aufspüren, die in der Gegend ihr Unwesen trieben.

Gudo war mit Engilpert zu einem Platz im Wald gegangen, wo Holz lagerte, das nun gehackt und im Winter verfeuert werden sollte. Deso rannte los.

Stille kehrte ein, als seine Schritte verklangen. Selbst die Häher schwiegen einen Augenblick. Ein Sperber setzte sich auf einen vergessenen Zaun, der noch ein Stoppelfeld umgab. Utos Blick lag auf Ula.

Sie lächelte still. „Kann ich dir etwas zu trinken bringen“, sagte sie dann. „Willst du nicht absitzen. Du warst lange nicht da.“

„Nein“, sagte Uto fast erschrocken. „Nein. Ich will nur Gudo mitnehmen. Wir werden in wenigen Tagen zurück sein. Ich hoffe, ihr könnt ihn entbehren.“

„Was den Hof angeht, kommen wir zurecht. Die Buben sind fleißig“, sagte Ula. Uto nickte. Dann schwiegen sie wieder und sahen sich an. Isanpert stand daneben und hielt den Mund.

„Er wird gleich hier sein“, sagte Ula nach einer Weile.

„Wer?“ Uto fuhr auf. „Ah, Gudo. Das ist gut. Einige der Männer sind ungeduldig. Sie glauben nicht an den Erfolg und fürchten um ihre Ernte.“ Er wandte sich Isanpert zu. „Du bist jetzt groß“, stellte er fest, um im nächsten Augenblick Ula zu fragen: „Warum ist er so mager?“

Sie seufzte. „Es schlägt ihm nichts an.“

„Ich habe immer etwas zu essen in der Gürteltasche, für Notfälle.“ Isanpert klopfte auf das rissige Leder. „Kann ich mitkommen, wenn ihr gegen die Räuber zieht?“

„Du hast nicht einmal eine Waffe“, sagte Ula.

„Ich kann mich leise im Wald bewegen und auf Bäume klettern. Vielleicht finde ich ihr Lager. Hucwalt sagt, Räuber sind im Wald schwer aufzuspüren.“

„Das sagt er allerdings ständig.“ Uto zog die Brauen hoch. „Habt ihr hier etwas von diesen Männern gesehen?“

Als Isanpert verneinte, fuhr Uto fort: „Nehmt euch in Acht und flieht, falls ihr irgendwelche Anzeichen seht. Dieser Filipert soll eine große Schar bei sich haben. Sie würden von Gramlinga nicht viel übrig lassen.“

Isanpert sagte, eine so große Zahl Männer müsse Spuren hinterlassen, er habe aber keine gesehen. Auch von dem Bären, der im Sommer die Kühe gerissen hatte, gebe es weder Fährten noch Losung mehr zu finden.

„Der Bär ist nach Süden weitergezogen, wenn es der war, den Adalperts Leute vor ein paar Tagen erlegt haben“, sagte Uto. „Genug geredet, ich höre den Dux.“ Er ließ das Ross wenden und einige Schritte in Richtung der Straße machen.

Ula drehte sich um und verschwand ins Haus, ohne ein Wort zu sagen. Isanpert, der mit Gisla zurückblieb, murmelte: „Er hat nicht nein gesagt.“

„Es war ihm die Mühe nicht wert“, gab das alte Weib zurück. „Er hält nichts von dir.“

Dann vergaßen sie ihren Zank. Beide blickten erwartungsvoll auf die Stelle, wo die Straße zwischen den Bäumen hervortrat.

Der Anführer des Stammes hieß lateinisch Dux. In der Volkssprache, dem Diutisk, sagte man Heerführer oder Herzog. Dux Otilo war es, der den Stamm der Baiuwaren anführte, ein blonder Mann mit einem Kinnbart, hohlen Wangen und knapp über der Stirn geschnittenen Haaren, die seitlich auf die Schultern fielen. Er war oft fröhlich, aber manchmal richtete er seine Augen in die Ferne, als sehe er dort, was anderen verborgen blieb. Sein Mund wurde dann zu einem Strich.

Heute ritt er an der Spitze einer Kriegerschar, tief im Gespräch mit zwei Reitern an seiner Seite. Überrascht stellte Isanpert fest, dass er beide kannte: Der eine war Hucwalt, der Krieger, der kürzlich auf Gramlinga zu Gast gewesen war. Neben Hucwalt ritt dessen Vater, der grauhaarige Graf Cotapert. Die Gesichter der drei ließen erahnen, dass sie nicht einer Meinung waren, worüber sie auch sprechen mochten. Das hinderte zumindest den Dux nicht, freundlich zu lächeln.

Etwa fünf Dutzend Männer hatte Otilo bei sich, darunter zwei Dutzend zu Pferd. Diese ritten je zu zweit oder zu dritt nebeneinander. Die Fußtruppen bildeten dahinter einen wilden Haufen. Von dort hörte man Scherze und Spottrufe.

Mit einigem Abstand folgte zuletzt eine Gruppe von noch einmal vier Reitern. Zwei davon saßen unbeholfen auf ihren Rössern. Kreuze auf ihrer Brust machten sie als Priester erkennbar. Auch der dritte der Nachzügler trug ein Kreuz an einer Kette um den Hals. Es war Fritilo. Er hatte als Mann aus einer der großen Sippen früh zu reiten gelernt und beherrschte sein Ross. Obwohl zum Priester geweiht, hing ein Schwert von seinem Gürtel.

Neben Fritilo ritt dessen Bruder Martilo, der im Sattel längst nicht so klein wirkte wie stehend. Die beiden hatten bemerkt, dass sie nach Gramlinga zurückgekehrt waren. Sie deuteten in Richtung des Hofes und scherzten darüber.

Uto erklärte dem Dux, Gudo rüste sich und werde folgen. Es spreche nichts dagegen, inzwischen weiterzureiten. Otilo aber entschied, mit Rücksicht auf die Fußtruppen kurz zu rasten. Die Männer bildeten einen Kreis um ihren Anführer.

Sie waren kaum einen Augenblick gestanden, da erschien Ula mit Krügen in beiden Händen. Hucwalt winkte sie ärgerlich beiseite, doch auch der Dux hatte sie bemerkt. „Lasst das Weib durch“, rief er. „Ich habe Durst wie ein Ochse.“

„So sind die Weiber, sie kosten einen Mann seine Zeit“, brummte Hucwalt, der Ula nicht aus den Augen ließ.

Ein junger Bursche, der nahebei stand, hatte es gehört: „Denkst du so, Hucwalt? Dass die Weiber einem nur Zeit stehlen? Kein Wunder, dass du immer noch keinen Erben hast.“

Einige lachten darüber. Manche drehten sich beiseite, damit Hucwalt ihr Lachen nicht bemerkte. Andere schüttelten missbilligend den Kopf. Niemand wagte es, dem Rufer den Mund zu verbieten, auch wenn sein Ross nicht kräftig wirkte und das Leder seiner Rüstung an etlichen Stellen zwischen den Metallringen hervortrat. Er hieß Liutker. Jeder wusste, dass er Otilos Sohn von einem Kebsweib war, geboren lange vor der Heirat des Dux mit Hiltrut.

Ula war stehengeblieben. Cotaperts Rappenstute verstellte ihr den Weg. „Lass besser einen Knecht vorkosten“, sagte der Graf ernst zu Otilo. „Um sicher zu sein.“

„Ich will versuchen“, rief wieder jener Liutker. „Ich wette mein Leben, dass in dem Bier kein Gift ist.“

„Mutig bist du, Liutker, aber verschwenderisch mit deinem Leben“, gab Otilo zurück. „Allzu häufig setzt du es aufs Spiel. Vor einigen Tagen hörte ich, wie du zu Radaspona einem Mädchen sagtest, du würdest notfalls für sie sterben.“

Viele lachten. Nur Uto sah missbilligend auf Liutker. Auch ein Bub, der neben Liutker ritt, blickte ernst. Vielleicht hatte er den Witz nicht verstanden. Er mochte im sechsten Sommer stehen, war also viel zu jung für einen Heereszug. Isanpert hatte ihn zuerst gar nicht bemerkt. Jetzt trafen sich ihre Blicke. Unwillkürlich nickte Isanpert dem unbekannten Buben zu, der sich sehr aufrecht auf seinem Ross hielt, genau wie die erfahrenen Reiter.

„Vorkosten wird nicht nötig sein. Ich rate trotzdem ab“, sagte Hucwalt, als das Gelächter verklungen war. „Wir haben kürzlich im Unwetter hier auf der Hube Zuflucht gesucht und wurden als Gäste bewirtet. Ich will die Wahrheit sagen: Das Bier war nicht vergiftet, aber es schmeckte übel und war wenig bekömmlich. Noch zwei Tage später gingen mir grässliche Winde ab.“

Otilo legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich bin froh, Männer mit weit reichenden Kenntnissen um mich zu haben. Aber in manchen Fällen ist es die Pflicht eines Dux, sich selbst einen Eindruck zu verschaffen, statt sich auf die Zunge anderer zu verlassen. Macht Platz für das Weib!“

Aus den hinteren Rängen von Otilos Gefolgschaft drang zustimmendes Murmeln. Cotapert und Hucwalt bildeten eine Gasse, durch die Ula herantreten konnte. Isanpert hielt sich dicht hinter ihr. So gelangte auch er in den innersten Kreis der Männer und sah aus nächster Nähe, wie der Dux den Krug entgegennahm.

Als er ihn an die Lippen hob, rieb sich Isanpert gespannt die Nase. Drüben vor dem Haus verkniff sich die Magd Leuba mit Mühe ein Lachen. Das Bier, das sie auf Gramlinga vor einigen Wochen gebraut hatten, schmeckte wirklich streng.

Der Herzog wischte sich den Mund ab. „Sehr gut“, sagte er in Richtung von Hucwalts zweifelndem Gesicht und wandte sich dann zu Uto: „Stimmt’s nicht?“ Der antwortete: „Ich hatte noch keine Gelegenheit.“ Otilo reichte ihm den Krug. Uto trank, sichtlich bemüht, keine Regung zu zeigen. Dann nickte er.

Ula hielt dem Dux den zweiten Krug hin. „Wir haben auch köstliches Wasser, nicht aus dem Brunnen, sondern frisch vom Bach, um den Geschmack des Bieres hinunterzuspülen.“

Dux Otilo lachte, nahm einen großen Schluck Wasser und sagte zu Uto: „Ich sehe, diese Hube liegt zwar fernab deiner anderen Güter, aber sie liefert dir außergewöhnlichen Ertrag.“

Uto rang um die rechte Antwort. „Noch nicht. Aber wenn hier wieder vier oder fünf Häuser bewohnt sind, wenn ein Dutzend Männer sie bewirtschaftet, lohnt es sich für mich, häufiger vorbeizukommen.“

„Ich wundere mich, wie ein Mann dem Feind gegenüber so stürmisch, aber Weibern gegenüber so vorsichtig sein kann. Du wärst ein Narr, nicht herzukommen, denn hier leuchtet die Sonne goldener als andernorts.“ Otilo neigte den Kopf vor Ula. Sie errötete.

Die meisten Männer lagen ohne Hemmungen bei anderen Weibern, holten sich eine Magd ins Lager, wenn ihnen danach war, in der Fremde, aber bisweilen sogar auf dem eigenen Hof. Gab es uneheliche Söhne, hielten sie sie in ihrer Nähe, übertrugen ihnen Aufgaben und Ämter und hinterließen ihnen oft sogar einen kleinen Erbteil, stolz auf das Blut von ihrem Blut.

Uto war anders. Er lächelte nicht.

Gudo kam endlich herbeigeeilt. In der Hand hielt er noch die Axt, mit der er Holz gehackt hatte. Er bemerkte es und blickte auf das Werkzeug, als hätte er es nie gesehen, bückte sich und legte es sanft ins Gras. Verlegen stand er vor seinem Herzog und zupfte einen Spreißel aus der Handfläche.

„Dann kann es weitergehen mit diesem sinnlosen Ritt.“ Hucwalt ließ sein Ross einen Schritt machen. „Bringen wir es zu Ende, damit wir uns um die Ernte kümmern können.“

Otilo beachtete ihn nicht. Er bat den verwirrten Gudo, sich zu rüsten und ihnen anzuschließen. Dann richtete er sich im Sattel auf und erhob die Stimme, dass ihn alle hören konnten. „Ganz recht, es ist die Zeit der Ernte. Schwer bepackt ziehen Händler und Bauern über die Straße. Ich halte es für unsere Pflicht, sie zu schützen und die Räuber aufzustöbern oder wenigstens zu vertreiben. Die unzufriedenen Stimmen habe ich vernommen.“ Seine Augen richteten sich auf Cotapert und dessen Sohn Hucwalt. „Ich weiß, dass für euch gerade jetzt die arbeitsreichste Zeit ist.“

Er ließ den Blick über die Schar schweifen, bis zur hintersten Reihe der Fußtruppen. Die Männer merkten, dass sie alle angesprochen waren, und verstummten.

Der Dux fuhr fort: „Manche fragen sich, ob dieser Ritt nötig ist. Auf viele von euch wartet die Hofarbeit. Das Getreide muss eingefahren, eingelagert, ein Teil gegen Salz getauscht werden, um für den Winter gerüstet zu sein. Genügt es nicht, wenn Gott uns schützt, fragen einige. Nein, antworte ich ihnen.“

Ein Murmeln ging durch die Menge. Gottes Hilfe genügte nicht? Der Dux, der in Glaubensdingen für den ganzen Stamm zu entscheiden hatte, redete nicht wie die Priester.

„Ich werde eure Zeit so kurz wie möglich in Anspruch nehmen, hört ihr? Wir reiten einen Angriff gegen die Räuber und kehren dann zu unseren Höfen zurück.“

Otilo sprach zu den Fußtruppen. Diese Männer waren Freie, die kleine Höfe bewirtschafteten: Huben, die gerade ihre Sippe versorgten. Männer wie Gudo, die selbst mit der Kraft ihrer Arme den Pflug ins Erdreich drückten, anders als Cotapert und seine Söhne, die ihre Knechte aufs Feld schickten.

„Dieser eine Angriff ist nötig. Gott steht den Männern bei, die sich selbst helfen“, rief der Dux ihnen zu. „Wir werden nicht zulassen, dass man uns ausraubt. Wir werden die Ernte absichern, bevor wir sie einfahren. In zwei Tagen, ich gebe euch mein Wort, in zwei Tagen schon kehren wir um. Ob wir bei unserer Jagd Glück haben oder nicht. Zum mindesten werden wir diese Übelmänner zurücktreiben, sie einschüchtern und sie merken lassen, dass sie auf unserem Land sind, das wir verteidigen. Wir beweisen ihnen, dass Gott auf unserer Seite ist. Das sind wir den Unsrigen schuldig.“

Die Männer raunten. Manche riefen ihre Zustimmung heraus. Freilich gab es solche, die nachdenklich schwiegen. Als der Beifall verklungen war, sagte Isanpert in die Stille: „Kann ich nicht mitkommen?“

Seine Stimme trug gut, wenn sie einmal nicht umschlug. So wie jetzt. Alle Augen wandten sich ihm zu.

„Du bist zu jung“, sagte Gudo schnell. Dem Dux erklärte er: „Nächstes Jahr wird er erstmals zur Heerschau reiten.“

Uto schickte sich an, etwas zu sagen, aber Ula kam ihm zuvor: „Bis dahin wächst Isanpert hoffentlich noch, damit ihm der Helm nicht über die Augen rutscht.“

„Ich bin nicht zu jung, ich bin dieses Jahr ins Mannesalter gekommen.“ Isanpert sah zu dem Buben hinüber, der neben dem vorlauten Liutker auf einem prächtigen Falben saß, aber doch so viel jünger war als er.

Dux Otilo folgte seinem Blick. Dann stieg er vom Ross. Er legte Isanpert die Hände auf die Schultern, blickte ihm ins Gesicht und sagte: „Wundere dich nicht. Das dort ist mein Sohn Tassilo.“ Tatsächlich, er sah ihm ähnlich mit seinem schmalen Kinn. „Isanpert heißt du also. Ich danke dir, Isanpert. Solche Männer wie dich brauche ich. Ich – und eines Tages auch Tassilo.“

Isanpert gab sich Mühe, dem Dux in die Augen zu sehen, der weitersprach. „Tassilo ist noch zu jung für den Kampf. Wenn er mich heute begleitet, so nicht als Krieger, sondern um zu lernen. Du aber bist schon ein waffenfähiger Mann. Und ein mutiger. Im nächsten Jahr werden wir zusammen reiten. Heute gebe ich dir eine andere Aufgabe. Schütze deine Tiere, dein Haus und deine Sippe, schütze ganz besonders deine gütige Mutter vor allem Übel. Gott wird dir dabei helfen.“

Isanpert nickte, da er Angst hatte, seine Stimme könnte kippen, wenn er sich laut bedankte. Der Dux wandte sich Gudo zu. Man werde langsam weiterreiten, sagte er, und die Männer auf den nächsten Höfen verständigen. Gudo solle nachkommen, wenn er sich gerüstet habe.

So zogen sie davon. Es dauerte lange, bis sich alle in Bewegung gesetzt hatten. Isanpert sah ihnen nach. Er hörte die unberittenen Männer Otilo rühmen. Gudo hatte inzwischen seinen Sax, seinen Helm und ein ledernes Wams herbeigeholt und schloss sich an.

„Für dein Weib kannst du Gott dem Herrn danken“, sagte einer zu ihm. Ein anderer ließ sich im Vorübergehen von Ula den halbvollen Bierkrug reichen, den er auf einen Zug leerte.

Zuletzt ritten die Priester und der Zwerg an Gramlinga vorbei. Fritilo lenkte sein Ross von der Straße, kam heran. Ula ging ihm entgegen, und er sagte ihr einige Worte, die Isanpert nicht verstand, denn Deso bedrängte ihn mit Fragen über den Dux.

An diesem Tag musste Isanpert zur Arbeit angetrieben werden, sonst hätte er immer nur wechselweise von den Ereignissen des Vormittags erzählt und mit einem Stecken herumgefuchtelt, als wäre es ein Schwert. Engilpert und Deso ließen sich gern ablenken. Die Weiber dachten anders. Gisla mahnte, es sei Holz zu hacken, und Ula erinnerte an die Teller, die Isanpert zu drechseln begonnen hatte, um sie den Nachbarn als Tauschware anzubieten. Er drechselte recht geschickt.

Noch am nächsten Morgen sprach er über nichts anderes. „Weißt du noch, Deso? Du hast mich neulich gefragt, ob Gott uns bei Gefahr einen Engel schickt. Otilo hat uns darauf eine Antwort gegeben. Als hätte er die Frage gehört. Wir sollen selbst auf uns und auf den Hof und alle aufpassen, hat er gesagt. Gott hilft uns dabei.“

In Desos Augen erlosch der Zweifel nicht. „Ein Engel hat ein Flammenschwert. Wir haben nicht einmal eins aus Eisen, weil der Vater den Sax braucht, um die Räuber zu erschlagen.“

„Das wird sich schon finden. Gott kann Holz in Eisen verwandeln, wenn er will. Wir müssen üben und stark werden, so stark wie Hucwalt.“

„Oh. So stark wie Hucwalt werde ich nie.“

Deso und Isanpert hüteten wieder die Schweine im Wald. Sie sollten auch Eicheln und Bucheckern in einem Korb sammeln, als Vorrat für den Winter. Ein fettes Schwein war die beste Rücklage für üble Tage.

Dies beanspruchte einen kleineren Anteil ihrer Zeit, als Ula wohl meinte, die sie ausgesandt hatte. Aus gestürzten Stämmen und Ästen hatten die beiden Schweinehirten längst eine Einfriedung unter einigen Eichen gemacht. Dort konnten die Schweine wie in einem Gehege herumstreifen, ohne dass man sie ständig im Blick haben musste. Die Eicheln sammelten die Buben mit einem Rechen, den Isanpert mit besonders langen, dichten Zinken versehen hatte, auf einem Haufen. Es war dann zwar noch nötig, sie zwischen Zweigen und Blättern herauszulesen, aber längst nicht so aufwändig, wie sie einzeln mit der Hand aufzuklauben.

Den schweren Korb setzten sie anschließend auf einen einfachen Karren mit zwei Rädern. Um die Last abzusichern, hatten sie Löcher in den hölzernen Boden des Karrens gebohrt. Hier ließen sich Keile einstecken, die ein Abrutschen des vollen Korbs verhinderten, wenn man den Karren nicht zu wild über den schmalen Pfad zog.

So war nur Heila mit ihrer eigentlichen Arbeit beschäftigt: Ula hatte ihr erlaubt, ihre Brüder zu begleiten, wenn sie Flachs und Spindel mitnahm und fleißig spann. Garn für Stoffe konnten sie auf Gramlinga nicht genug haben.

Isanpert baute einen Speer. Eine verrostete eiserne Spitze hatte er im Frühjahr gefunden. Nicht ganz zufällig. Im letzten Winter hatten zwei Sippen, die Männer aus Piparpah und die aus Gibinga, einen alten Streit ausgetragen. Isanpert war ihnen heimlich gefolgt und hatte sich den Ort des Waffengangs gemerkt. Nach der Schneeschmelze war er hingegangen und hatte den Boden nach verwertbaren Dingen abgesucht. Nun rieb er das Metall der Spitze, bis es glänzte, passte das Schaftende an und versuchte die ersten Stöße.

„Täuschung, Treffer!“, rief er. Seinem Gegner, einer Rotbuche, war es nicht gelungen, rechtzeitig auszuweichen. Die Spitze steckte fest, der Schaft schwang zitternd nach.

„Mal sehen, ob es hält, wenn du ihn herausziehst“, sagte Deso. Die Speerspitze war mit Widerhaken versehen, aber der Schaft hielt. Nur mit Wurfversuchen klappte es nicht recht.

„Du musst ihn besser ausgleichen.“ Deso ließ sein Schnitzwerk fallen. „Darf ich auch mal?“

„Das heißt nicht ausgleichen, sondern gewichten“, sagte Isanpert, „und es ist nicht so einfach, wie du denkst.“ Er gab Deso die Waffe, dem sie bis zu den Haarspitzen reichte. Der jüngere Bruder stieß wild nach dem älteren, angefeuert von Heila. Isanpert wehrte die Angriffe mit einem dicken Ast ab.

„Der Speer ist gar nicht schwer, den kann sogar Heila führen“, sagte Deso, aber die hob nur ihre vollen Hände zum Zeichen, dass sie für solche Spiele keine Zeit hatte.

„Trotzdem ist er fest“, behauptete Isanpert, „wenn du ihn gegen einen Steinwall rammst, bricht eher der Kopf als der Schaft.“

Deso versuchte, den Holzschaft zu biegen. „Nicht genug Kraft?“, fragte Isanpert.

„Er ist wirklich fest. Aber wofür brauchst du einen Speer? Du sollst doch nächstes Jahr den Sax bekommen.“

„Du hast Hucwalt gesehen. Wie viele Waffen hatte der? Im Gürtel eine zweischneidige Spatha und ein Messer, dazu zwei Speere aufs Ross gebunden!“

Deso nickte und machte sich wieder an seine Arbeit. „Habt ihr es bemerkt? Martilo und Fritilo haben eine lange, gerade Nase wie ihr Vater, der Graf. Nur die von Hucwalt ist anders, auch lang, aber krumm, wie eine Wurzel.“ Er deutete auf den Boden. „Ungefähr so.“

„Wahrscheinlich ist sie im Kampf gebrochen.“ Isanpert nahm Deso den hölzernen Dübel aus der Hand, an dem dieser schnitzte und schnitzte, ohne auch nur hinzusehen. „Den musst du noch mal machen. Da ist fast nichts mehr übrig.“

„Oder er ist vom Ross gefallen“, rief Heila, die sich mit solchen Stürzen auskannte. Sie hatte im Frühjahr versucht, ein Kalb zu reiten. Seit diesem Zwischenfall hielten ihre Eltern sie von allen Tieren fern. Nur das Geflügel durfte das Kind füttern.

Isanpert sagte: „Habt ihr gesehen, wie reich sie sind? Eine Spatha, wie Hucwalt sie trägt, ist schwierig zu schmieden. Und unglaublich teuer. Damit kann man viel besser kämpfen.“

„Ich dachte, es kommt auf Gottes Beistand an“, sagte Deso.

„Bestimmt hat sein Bruder sie gemacht“, sagte Heila. „Alle Zwerge sind Schmiede.“ Beim Spinnen und Weben bekam sie oft Gislas Geschichten zu hören.

Isanpert widersprach. „Martilo schmiedet Spangen und Ringe aus Gold und Silber. Keine Schwerter, und auch keine eisernen Beschläge für Pflugscharen wie unseren.“ Er war im Frühjahr dabei gewesen, als Uto und Gudo das wertvolle Schmiedewerk in Frigisinga abholten, und hatte es selbst am Pflug befestigt. „Morgen pflügen wir das hintere Feld. Hoffentlich zieht der Ochse. Es ist mühsam genug, wenn man ihn nicht ständig antreiben muss.“

Deso rieb sich über die schmutzige Stirn. „Nächstes Jahr musst du solche Sachen nicht mehr machen.“

„Trotzdem wäre es besser, wir hätten einen zweiten Ochsen. Oder auch noch ein Pflugmesser aus Eisen.“ Isanpert warf eine letzte Ladung Bucheckern in den Korb. „Ich geh den leeren, und den Speer stelle ich auch weg. Passt auf die Ferkel auf, die sind noch so klein, die kommen überall durch.“

Er zog den Karren holpernd über den Schweineweg nach Gramlinga. Am Hintereingang des Wohnhauses stellte er ihn ab.

Dann hielt er inne, weil er ein Geräusch hörte.

Er horchte ins Haus hinein. Etwas stimmte nicht.

Ein zweites Geräusch übertönte das erste. Von hinten kamen Schritte. Tapsige Schritte. Isanpert drehte sich um. Es war Deso. Natürlich.

Deso zuckte verlegen mit den Achseln. „Heila sagt, sie kommt allein …“

„Still“, sagte Isanpert. „Hörst du?“

Ein Ächzen war zu hören, ein Stöhnen. Sie schlüpften durch die kleine Tür ins Haus. Nun standen sie zwischen Werkzeug und Vorräten. Das Geräusch war ganz nahe.

Durch die Lücken im Weidengeflecht sahen sie den Priester Fritilo. Über ihre Mutter gebeugt. So nah, den Kopf zurückgeworfen. Sein Gürtel samt Schwert lag auf dem Boden. Sie zuckte wie unter Schmerzen.

Was er da tat, begriffen sie nicht. Aber eines wussten sie. Das Gesetz stellte es unter Strafe, einem fremden Weib den Rock zu heben. Der Diakon hatte es in Sankt Martin gepredigt.

Deso zischte: „Er tut ihr weh!“

„Wir müssen sie beschützen. Der Dux hat es uns aufgetragen“, flüsterte Isanpert und fasste seinen Speer fester. „Du musst mir helfen. Du läufst hin und haust ihm mit der Hand auf den Rücken. Möglichst fest, dass er es spürt. Dann rennst du schnell weg, hier an mir vorbei nach draußen. Hab keine Angst, ich halte ihn auf. Du musst ihn nur herlocken.“

Deso nickte stumm und ging auf Zehenspitzen in den Raum hinein. Isanpert folgte ihm vier Schritte weit. Hinter der Trennwand aus Weidengeflecht suchte er den Boden ab nach einer großen Ritze zwischen den Brettern, die er schon längst mit Lehm hatte verfugen wollen. Er schob den Speer hinein. Auf einer Bohle lag der Speer auf, die andere stützte von hinten.

Das Stöhnen war unerträglich. Er versuchte, es nicht zu hören.

Dann ging alles ganz schnell.

Deso lief leise nach vorn. Seine kleinen Fäuste trommelten auf den Rücken des fremden Mannes, der sich so tief über die Mutter beugte. Im nächsten Augenblick schrie er auf. Ein Ellenbogen hatte ihn getroffen. Seine Nase blutete. Er rannte.

Schritte folgten ihm, schwere Schritte. Er huschte durch die Öffnung, zwischen dem Pflug und dem Mehlsack hindurch. Er musste sich nicht ducken, um durch die niedrige Türöffnung zu laufen. Schon war er im Freien.

Isanpert richtete sich auf. Die Speerspitze hielt er unter den Arm geklemmt. Sie war nicht zu sehen für Fritilo. Ja, im Halbdunkel des Hauses erkannte Isanpert das zornerfüllte Gesicht des Fremden. Fritilo lief auf ihn zu, ein Holzscheit in der Hand.

Fritilo verfolgte Deso, aber der war fort. Fritilo stürzte sich auf Isanpert, schwang das Scheit. Isanpert wich zurück. Zugleich griff er nach hinten, fasste den Speer mit der Hand. Hielt ihn auf Bauchhöhe. Noch einen halben Schritt zurück. Fritilo war heran.

Fritilo öffnete den Mund, um zu schreien. Hervor kam Blut, das Blasen warf. Das Holzscheit krachte auf Isanpert. Dann fiel Fritilo über ihn, Blut strömte über ihn. Der Speer hatte gehalten. Fritilo hatte sich mit Wucht selbst aufgespießt.

Immer noch schrie jemand, hörte nicht auf zu schreien. Es war Ula. Und als sie nicht mehr schreien konnte, brach sie zusammen, in der Blutlache, neben Fritilo und Isanpert.

Die alte Gisla half Ula auf und führte sie nach draußen. Leuba war davongelaufen. Engilpert stammelte „o Gott, o Gott“. Gisla befahl ihm, endlich still zu sein und Isanpert vors Haus zu bringen. Anschließend schickte sie ihn zum Brunnen. Sie brauche Wasser, sagte sie. Viel Wasser.

Und sie wusch sie. Erst Ula, dann Isanpert, der sich nach schwachem Widerstand ihrem eisernen Griff fügte. Dabei murmelte Gisla. Niemand verstand, was sie sagte, zu wem sie eigentlich sprach: zu sich selbst, zu Ula und Isanpert oder zu irgendwelchen Gestalten aus der Vergangenheit, die sie einst gekannt hatte und deren Schicksale ihr jetzt wieder lebendig vor Augen traten.

Auch die blutige Kleidung wusch sie, walkte sie mit unerwarteter Kraft, um alles Rote aus den Stoffen zu spülen.

Engilpert brachte wie befohlen eine Decke für Isanpert. „Was machen wir mit dem Toten?“

„Er muss aus dem Haus“, sagte Gisla. „Nimm ein Brett als Bahre und wälz ihn darauf. Dann könnt ihr ihn leichter tragen. Ist Ula jetzt still?“

Engilpert hatte sie wie ein Kind in ihr Bett getragen. „Sie wimmert im Schlaf. Bretter liegen hinten, ich suche ein breites ... für den Toten.“

„Sag Leuba, sie soll die Kuh melken. Warme Milch beruhigt. Wir brauchen viel Milch.“

Isanpert saß in seine Decke gewickelt und starrte auf ein Huhn, das vergeblich versuchte, einen Zugang zum Gemüsebeet zu finden. „Er hatte hier nichts verloren“, sagte er.

Gisla nickte.

Eisenglanz

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