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Brautwerbung

Eines Tages kam Dagoprant nach Utinga. Schnaufend rutschte der dicke Mann mit dem gelben Hemd aus dem Sattel, rieb sich den Hintern und sagte, nur zu Fuß zu gehen sei schlimmer.

Isanpert grüßte er wie einen alten Freund und bat ihn, noch einmal den Ruf des Käuzchens nachzumachen. Zum Gastbier sang er ein Lied von König Thietrihs Kampf gegen die Hunnen. Dann führten sie ein Gespräch, er und Uto. Sie saßen im Wohnhaus und sprachen lange, während alle anderen draußen in der Herbstsonne oder in einem der Grubenhäuser ihrer Arbeit nachgingen.

Isanpert wäre gerne dabeigesessen. Wie auf Mohinga beim Verhör. Er hatte geholfen, dem Gefangenen die Zunge zu lösen. Von Olko wusste er einiges über die Stämme und die Männer, die sie führten. Er war nicht mehr so einfältig wie einen Monat zuvor. Er hätte mit ihnen beraten können. Sie fragten ihn nicht. Er war zu jung.

Auf Rihhos Geheiß ölte Isanpert die ledernen Geschirre für Rösser und Ochsen, die Zügel und die Riemen. Der Tiegel mit dem Öl war nahezu leer. Er ging Nachschub holen. Dabei kam er so dicht an der verputzten Wand des großen Hauses vorbei, dass er gar nicht anders konnte, als sich dagegen zu lehnen, das Ohr aufzulegen und Brocken ihres Gesprächs aufzuschnappen.

Er hörte den Namen Waltrut. Dagoprant kam im Auftrag eines Mannes, der sie freien wollte. Wer es war, verstand Isanpert nicht. Später sah er Uto mit dem Mädchen sprechen.

Am Abend lauschten sie Dagoprants Liedern. Utos Leute und ihre Weiber saßen bis spät am Feuer, und auch die Knechte und Mägde verließen die große Halle nicht, bis Dagoprant sagte, jetzt sei er wirklich zu heiser und ihm falle kein Lied mehr ein.

Schon am nächsten Morgen brach er wieder auf. Isanpert holte sein Ross herbei: eine kleine Stute, weiß mit einigen braunen Flecken und einem robusten Rumpf. Das Tier ließ sich willig zu seinem Herrn führen. „Sie passt zu dir“, sagte Isanpert.

Dagoprant schüttelte den Kopf. „Nur der Größe nach.“ Pferde waren nach seiner Meinung ein notwendiges Übel. Lieber stehe er mit beiden Beinen auf der Erde, aber so komme man nicht voran, sagte er. „Vorankommen muss ich. Zu Mohinga wollen sie das Ergebnis unseres Gesprächs wissen.“

„Warum hast du mein Versteck nicht verraten, als sie mich suchten?“, fragte Isanpert. „Wo doch die Mohingara deine Freunde sind.“

„Das ist nicht meine Art“, schnaufte Dagoprant. „Ich bin auch Utos Freund. Und deiner. Dazu war es besser für Cotapert. Vielleicht hätte er etwas Dummes getan und am nächsten Tag bereut. Oder einer seiner Söhne.“

Isanpert ging in die Knie, legte die Hände ineinander und half beim Aufsteigen.

Auch wenn Tietgart es gern gehabt hätte, beschränkten sich die Gespräche der nächsten Tage nicht aufs Nützliche und Fromme. Vielerlei Gerüchte gingen um. Waltrut würde heiraten, da waren sich alle einig. Nur wen? Konnte es ein Mann aus der reichen Huosi-Sippschaft sein, die an der Ilma siedelte? Otkers jüngerer Bruder Reginolf war unverheiratet.

Oder doch Liutker aus Altham. Der Sohn eines Kebsweibs, nun ja, so war die Welt, so waren die Männer. Ein wahrhaftiger Nachfahre Agilolfs war Liutker. Nein, er konnte es nicht sein. Statt einen Boten vorzuschicken wäre er selbst gekommen, um seine Absichten mit Uto zu besprechen, das galt als sicher. Auch wussten manche, er habe es sich mit Uto verscherzt.

Einer nannte den neuen Bischof von Frigisinga namens Joseppus als möglichen Bräutigam. Ein anderer behauptete, dass Bischöfe nicht heiraten dürften.

„Wie soll das denn gehen“, fragte Olko ungläubig. „Alle Tage ohne Weib zu schlafen.“

„Na, Weiber haben die Bischöfe schon“, bekam er zu hören, „nur Hochzeit dürfen sie nicht halten.“

Alle nahmen an, dass Hulda etwas wusste. Wenn Waltrut Hilfe brauchte, rief sie stets nach Hulda. Die Magd saß still neben Isanpert und flickte einen Riss in einer Wolldecke. Das Gerede schien sie kaum zu hören. Wenn jemand sie nach ihrer Vermutung fragte, wer wohl Waltrut Bräutigam sei, stammelte sie, das werde sich gewiss bald zeigen.

Nach Isanperts Meinung erkundigte sich niemand. Er höhlte mit dem Schnitzmesser einen Suppenlöffel aus und ging immer wieder durch, was er gehört hatte. Auf seiner Stirn zeichneten sich Sorgenfalten ab.

Anderntags rief Uto ihn zu sich. „Ich habe eine gute Nachricht. Ich habe mich mit den Mohingara geeinigt. Ich werde ihnen ein Wergeld zahlen für ihren toten Bruder. Damit wird die Sache abgegolten sein. In einer Woche oder zwei kannst du nach Gramlinga zurückkehren. Sag Gudo, dass er keine Sorge mehr haben muss.“

Er wartete auf Isanperts Antwort, doch der blieb stumm. „Eine Schwierigkeit bleibt“, fuhr Uto schließlich fort. „Die Mohingara kommen in den nächsten Tagen nach Utinga. Ich werde ihnen ein Fest geben zum Zeichen unserer Freundschaft. Hucwalt ist bisweilen unberechenbar. Es wäre klug, dich für diese Zeit auf einen anderen meiner Höfe zu bringen.“

Isanpert biss sich auf die Lippen.

„Du schweigst?“

„Es wäre gegen unser Abkommen, wenn du mich wegschickst.“

„Nicht weg, nur in Sicherheit“, sagte Uto nachdenklich. „Nun gut. Ich will dir genauso wenig Unrecht tun wie ihnen. Unser Abkommen gilt. Du bleibst hier, bis die Sache geklärt ist. Halte dich nur von Hucwalt fern.“

Wenn man Isanperts Haare schnitt, befand Uto, würden Cotapert und seine Söhne ihn unmöglich wiedererkennen. So konnte er an der unteren Tafel mitfeiern, bei Olko und Utos anderen Leuten.

Freie Männer trugen lange Haare, die die Schulter berührten. Die Haare würden nachwachsen. Isanpert war einverstanden, um wenigstens einmal bei den Kriegern zu sitzen, mit ihnen zu feiern, bevor er nach Gramlinga zurückkehren musste.

Tietgart schnitt ihm die Haare. Sie tat es ungern. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass Rihho die Haare bereits ausfielen. Ihr Mann war so viel älter als sie.

Anschließend bestand sie darauf, Isanpert den Bart zu schaben. Er wachse in flaumigen Büscheln, sagte sie, und müsse wirklich einmal herunter. Dann werde er gleichmäßiger nachwachsen. Es war das erste Mal, dass ihm der Bart geschabt wurde.

Zwei Tage lang geschah nichts. Isanpert hoffte, die Mohingara hätten es sich anders überlegt.

Am dritten Tag fochten sie auf der festgetretenen Erde neben dem Waffenhaus. Olko griff Isanpert mit schnellen Hieben an. Er setzte Schlag auf Schlag, ohne auszuholen. Isanpert musste unter der Wucht jedes Mal einen Schritt zurück tun. Er schnaufte, seine Arme wurden schwer. Aber das war nicht der Grund, warum er mitten im Schwertkampf innehielt.

„Pass auf, du Rindvieh“, rief Olko. „Beinahe hätte ich dich übel getroffen.“

Isanpert zeigte zum Hoftor. Niemand anderes als die Brüder Hucwalt und Martilo ritt hindurch. Sechs Männer begleiteten sie. Vier trugen Waffen, die anderen mochten Knechte sein, die sich um Tiere und Ausrüstung zu kümmern hatten. Mit diesem Gefolge stellten die Brüder ihre Bedeutung und ihr Vermögen zur Schau. Dagoprant schloss den Zug ab.

Olko stieß einen Pfiff aus. „Wer hätte es gedacht. Ich jedenfalls nicht. Das gibt eine ganz besondere Hochzeit.“

Isanpert wich hinter das Grubenhaus zurück, in dem die Waffen lagerten.

„Wo läufst du hin? Wir sind mitten im Kampf. In der Schlacht kannst du auch nicht davonlaufen!“

Isanpert blieb, wo er war. „Du hast neulich gesagt, Cotaperts Familie sei von hoher Abkunft und mit den Franken befreundet. Warum sollte Waltrut nicht seinen Sohn heiraten?“

„Freilich. Reich und angesehen sind sie. Aber schau selbst“, sagte Olko. „Er reicht ihr nicht einmal bis zum Kinn.“

Isanpert wagte einen Blick um die Ecke. Die Mohingara waren von ihren Pferden gestiegen. Uto, Clementia und Waltrut begrüßten sie. „Du meinst, der Zwerg will Waltrut heiraten? Nicht Hucwalt?“

Olko setzte die Spitze seines Sax auf den Boden und lehnte sich darauf. Es war eine stumpfe Übungswaffe. „Hucwalt ist längst verheiratet. Wie ich gehört habe, bringt sein Weib jedes Jahr eine Tochter zur Welt. Fünf Mädchen haben sie … Warum im Namen Christi versteckst du dich vor ihnen?“

„Ich habe ihren Bruder erschlagen“, sagte Isanpert.

Olko sah ihn ungläubig an. „Wann?“

Isanpert erzählte.

„In einer Lücke im Boden aufgesetzt! Nicht dumm. Wenn du gesagt hättest, du hast ihn erstochen, hätte ich dir kein Wort geglaubt. Es gehört Kraft dazu, einen zu erstechen.“ Olko kratzte sich am Bart. „Bleib bloß weg von ihnen. Hucwalt ist ein jähzorniger Mann. Er lässt sich so leicht von keinem Gedanken aufhalten. Und er ist ein besserer Kämpfer, als sein Bruder es war. Einer der besten.“

Isanpert nahm wieder Verteidigungshaltung ein, hob Schild und Schwert. Er versuchte, trotz des Gewichts an den Armen auf den Zehenspitzen zu stehen, zu tänzeln, um schnell mit der Antwort zu sein.

Olko teilte aus. Schläge gingen auf Isanperts schweren Holzschild nieder, der sich stetig senkte. Überraschend riss Olko den Arm herum, schlug seinen Sax gegen Isanperts, der etliche Schritt weit flog.

„Ich ergebe mich“, sagte Isanpert.

„Ein so ungestümer Kämpfer wie Hucwalt wirst du nie. Aber vielleicht bist du klüger als er.“

Wenig später rief Uto alle Männer und Weiber, alle Knechte und Mägde des Hofes vor dem Wohnhaus zusammen. Zu seiner Rechten stand seine Tochter Waltrut, zur Linken Martilo, der klein gewachsene Sohn des Grafen Cotapert. An Waltruts anderer Seite strahlte Clementia mehr als ihre Tochter. Hucwalt grinste zufrieden neben Martilo.

Es war nicht Utos Art, lange zu reden. „Packt die Vorräte aus, holt Bier und Wein. Schlachtet Schweine und Ochsen, backt Brot und Pasteten. Wir werden feiern, wie wir seit dem Christtag nicht mehr gefeiert haben. Und im Frühjahr könnt ihr euch auf ein noch größeres Fest freuen, denn Martilo aus der Sippe der Mohingara wird meine Tochter Waltrut zum Weib nehmen.“

Uto trat beiseite. Martilo versuchte, Waltrut zu küssen. Die Braut gab sich Mühe, würdevoll auszusehen. Im falschen Augenblick richtete sie den Kopf auf. Der Kuss landete auf ihrem Kinn. Es ging zum Glück im Trubel unter. Nur wenige sahen es und lachten.

Beifällig wurde mit dem Fuß gestampft und gejauchzt. Ein Fest! Wer sollte sich da nicht freuen. Ein Tag, an dem man sich vollfraß und volllaufen ließ. Ein Abend ohne den nagenden Hunger, mit dem sie an jedem anderen Abend zu Bett gingen.

Das Fleisch musste gebraten werden. Sie machten sich an die Arbeit. Gebraut, gebacken und geschlachtet hatten sie auf Utos Anweisung seit Tagen. Jetzt wussten sie endlich, für wen.

Uto brachte die Gäste zu ihren Plätzen. Isanpert betrat den Raum mit den Letzten. An der oberen Tafel sah er Hucwalt auf einem Ehrenplatz, an der Seite von Clementia, die ihm die besten Stücke reichen würde. Martilo saß neben Waltrut. Er sprach in einem fort zu ihr. Sie lächelte mit weit geöffneten Augen.

Isanpert setzte sich zu Olko. Beruhigt stellte er fest, dass ihn keiner der Mohingara sehen konnte, ohne sich zu verrenken.

Uto stand auf. „Das heutige Mahl ist nur ein Vorgeschmack. Wenn Martilo im Frühjahr meine Tochter Waltrut heiratet, werden wir mehr Bier, süßeren Wein, weißeres Brot und fettere Schweine genießen. Für diesmal müssen wir uns mit bescheideneren Speisen begnügen.“

Einige schmunzelten, denn gerade wurden üppig gefüllte Schüsseln hereingetragen. Martilo lachte laut. Er schien außergewöhnlich froh.

„Leider sind wir nicht vollzählig“, fuhr Uto fort. „Besonders vermissen wir Martilos Vater Cotapert.“

Hucwalt erhob sich, um als Ältester der Mohingara zu sprechen. Isanpert duckte sich. „Unser Vater bedauert es selbst. Er hat einen lästigen, aber dringenden Gang zu tun. Der neue Bischof erhebt Ansprüche auf unsere Kirche Sankt Martin zu Piparpah. Unbegründet natürlich. Aber ich will euch nicht mit Rechtssachen langweilen. Unser Vater bat uns, euch seine Grüße und sein Einverständnis zu übermitteln.“

„Bei der Hochzeit im kommenden Jahr wird Cotapert sich nicht durch Geschäfte entschuldigen können“, sagte Uto. „Heute werden wir seinen Anteil unter uns aufteilen.“ Er hob einen bronzenen Kelch mit rot leuchtenden Steinen und trank daraus, bevor er ihn Hucwalt reichte.

Hucwalt nahm ihn, trank aber nicht gleich. „Noch ein Mann fehlt an dieser Tafel. Es ist mein Bruder Fritilo. Allzu früh ist er gestorben. Auf sein ewiges Gedächtnis trinke ich.“

In dem Kelch war gewürzter Wein aus dem Langobardenreich, rot und süß und kräftig. Mit dem sauren Rebsaft von der Clana, der Isura oder auch der Tonah konnte man ihn gar nicht vergleichen. Immer wieder füllte Rihho nach. Martilo erzählte, ein ähnliches Fass habe Adalpert, der berühmte Mann aus der Sippe der Huosi, einer der Ersten des Stammes, einst von einer Reise nach Roma mitgebracht. Wer einen Schluck davon nehme, müsse Gott für ein solches Geschenk des Himmels danken, sagte Martilo. Vorsichtig trank er und fragte Uto, wie er an den Wein gekommen sei, ob er Handelsverbindungen über die Alpes hinweg unterhalte?

Uto lächelte. Dieses Geheimnis müsse er auch vor gern gesehenen Gästen geheim halten. „Wenn du erst Mann meiner Tochter sein wirst, Vater meines Enkels und mein eigenes Fleisch und Blut, werde ich es dir verraten.“

Martilo lachte und bat seinen Bruder, den Wein langsam zu trinken.

Am unteren Tisch saßen die nicht begüterten Freien aus Utos Gefolgschaft. Vor ihnen stand ein mit Bier gefüllter Krug aus gebranntem Lehm. Olko reichte ihn Isanpert. „Trink“, sagte er, „denn dies ist Festtagsbier, und so etwas Gutes wird es lange nicht mehr geben.“

Isanpert trank. Aus dem Augenwinkel beobachtete er Olko, der sich seinen Gefährten zugewandt hatte und zwinkerte. „Du glaubst wohl, ich vertrage kein Bier“, sagte er.

„Aber was“, sagte Olko, „ein kräftiger Kerl wie du.“

Die Tischgenossen lachten. Sie wussten, dass Festtagsbier stärker eingebraut wurde als gewöhnliches und zu Kopf stieg, wenn man sich nicht versah. Isanpert mochte groß sein für sein Alter, stark war er nicht.

Isanpert hörte die Männer über Olkos Scherz lachen und begriff das als Warnung. Wenn ihm Olko den Krug zureichte, nahm er zwar stets einen Schluck, aber nur einen kleinen.

Am oberen Tisch trug Dagoprant Lieder vor. Alle hörten hin, als er von dem Helden Hiltiprant und seinem Sohn Hatuprant sang, die zwischen zwei Heeren aufeinandertrafen, ohne sich zu erkennen. Das nächste Lied handelte von der Königin Rosemund, die ihren Gatten Alboin erschlagen ließ, aus Rache, weil er ihren Vater getötet hatte.

Alle waren sich einig, die langobardischen Lieder seien die besten, voller Blut und Fehden und Schlachten. Die Worte hätten einen Klang wie Trommelwirbel, sagte Uto. Nur Clementia fand die Geschichte von Rosemund unpassend.

Waltrut lauschte Martilo, ohne zu ermüden. Bisweilen errötete sie. Einmal rief sie Hulda herbei, ein Band festzuziehen, das sich an ihrem Kleid gelöst hatte. Martilos Blick fiel auf die hölzerne Spange, die Huldas Kleid zusammenhielt. „Eine feine Schnitzerei“, sagte er. Hulda errötete. Waltrut erklärte, einer der Knechte habe sie gemacht.

„Er hat eine Begabung dafür“, sagte Martilo. „Vielleicht kann ich morgen einmal mit ihm sprechen. Ein so geschickter Knecht wäre eine Zierde für unseren Hausstand, wenn wir erst verheiratet sind.“

„Ja, vielleicht morgen“, sagte Waltrut.

Olko trank reichlich Bier. Ihm war kein Rausch anzumerken. Höchstens dass er lustiger war und mehr redete, als es seine Gewohnheit war. Sein Weib überzog er mit freundlichem Spott und nahm sie im nächsten Augenblick auf seinen Schoß, um ihr seine Zuneigung zu zeigen.

„Sie reden über die Spange, die ich geschnitzt habe“, sagte Isanpert, der das Geschehen an der oberen Tafel mit Augen und Ohren verfolgte.

Olko lachte. „Ihr werdet glänzend miteinander auskommen, der Bräutigam und du.“

Je mehr Wein und Bier flossen, desto hitziger redeten die Männer. An der unteren Tafel kam es zu einigen Faustschlägen. Olkos fester Griff vermochte, die beiden Streithähne zu beruhigen.

An der oberen Tafel wandte sich das Gespräch der Zukunft des Stammes und seiner Nachbarn zu. Ein jeder redete, als wäre er der Dux und wüsste am besten, was zu tun war.

„So kann es doch nicht weitergehen!“, hörte man Hucwalt rufen. „Wir und die Franken sind Brüder, wie Martilo und ich und … Wir müssen zusammenhalten! Für ein friedliches Miteinander brauchen wir einen Mann, der beide Stämme führen kann …“ Sein Blick galt Uto, der zuhörte, aber nicht ein einziges Mal nickte.

Hucwalt redete sich in Schwung, nur verlor er das Ziel aus den Augen. Er fing Sätze an, die er nicht beendete. Einzelne Worte brachte er noch hervor, verstummte und sah sich hilflos um. Martilo half ihm darüber hinweg, indem er Beifall bekundete.

Isanpert fragte Olko: „Was hat er gesagt? Ein Greif soll beide Stämme anführen?“

„Grifo, hat er gesagt. Nicht der Vogel, sondern der Name.“ Olko hielt das Gänsebein hoch, an dem er nagte, und lachte dröhnend. „Hast du nicht von ihm gehört? Der alte Karl, der Haushofmeister der Franken, hatte nach Pippin und Karlmann einen weiteren Sohn. Der hieß Grifo. Es soll sein Lieblingssohn gewesen sein, weil er ihn der Swanahilt gemacht hat, der schönen Schwester unseres Dux.“ Mit Hilfe des Gänsebeins veranschaulichte Olko, was er meinte. Als das Gelächter der Umsitzenden verklungen war, fuhr er fort: „Manche im Heer hatten die Hoffnung, dass Grifo eines Tages über die Franken herrschen könnte und über die Baiuwaren auch. Über das Volk seines Vaters und das seiner Mutter.“

„Warum sollte denn ein Mann beide Stämme anführen! Das wäre ja, als hätte einer zwei Eheweiber.“

„Wer hätte nicht gern zwei Eheweiber.“ Olko riss mit den Zähnen ein Stück Fleisch ab. „Aber im Ernst. Wenn du ein reicher Mann wärst wie Cotapert und hättest Land bei den Franken ebenso wie diesseits der Tonah, so hättest du auch zwei Herren, es zu schützen: den König der Franken und den Dux der Baiuwaren. Angenommen, der König und der Dux zögen gegeneinander in den Krieg, könntest du nur verlieren. Vor allem, wenn du zum falschen Mann hältst.“

„Dieser Grifo ist tot?“

„So gut wie.“ Olko wischte sich die Finger am Kittel ab. „Seine Brüder haben ihn aus dem Weg geschafft. Die sauberen Hausmeier Pippin und Karlmann. Ihn abzustechen und in den Fluss zu werfen, werden sie sich nicht getraut haben. Also sitzt Grifo in einer Mönchszelle und betet zum Herrgott, dass der seine Brüder durch eine Sieche dahinraffen lässt …“

Oben hatte Hucwalt den Faden wiedergefunden. „Schon einmal“, rief er, „haben Pippin und Otilo ihren Streit ausgefochten. Wir sind für sie in den Kampf gezogen und hatten am Ende am meisten zu leiden! Die Schlacht wurde nahe meinem Gehöft Pahara geschlagen. Ich habe vier Dutzend Rinder verloren. Unsere Knechte haben sie weggebracht, unsere Hütten niedergebrannt. Unser Silber und unsere Vorräte haben Franken genommen. Als wären wir nicht ihre besten Freunde, sondern Heiden. Weil die Anführer keine Freunde waren!“

„Lass die Zukunft des Stammes für einen Augenblick“, bat Uto. „Wir sitzen hier zusammen, um friedlich zu feiern, dass dein Bruder und meine Tochter heiraten werden. Es steht nicht in unserer Macht, Franken und Baiuwaren zu einem Volk zu vereinigen ...“

„Grifo ist der Mann dafür“, rief Hucwalt.

„… aber unsere Familien werden wir vereinigen, die Mohingara mit den Hahilinga von Utinga.“

Clementia bat den Priester, einige Worte zu sprechen, um das verlobte Paar zu ermutigen und zu erbauen.

„Nicht dass sie es sich anders überlegen“, rief ein Witzbold von der unteren Tafel hinauf.

„Das werden sie, wenn sie sehen, wie du dich jeden Tag mit deinem Weib zankst“, rief sein Nachbar. Die beiden hätten zu raufen begonnen, wenn Olko nicht eingeschritten wäre.

Der Priester erhob den Blick zum Strohdach. In der Volkssprache lobte er Gott für Speise, Trank und seinen Schutz des Hauses. „Wir danken dir für deine Milde, Herr. Nicht allen ist es bestimmt, enthaltsam zu leben wie die Heiligen. Darum hast du uns die Ehe gegeben, in der Mann und Weib einander beiwohnen zur Vermehrung des Stammes. Treu sollen sie vereinigt bleiben bis ans Ende ihres Lebens, dann wird Gott sie mit Nachkommen segnen.“

Clementia sah Uto forschend ins Gesicht. Er zeigte keine Regung. Dagegen ging Hucwalt das Wort des Priesters so zu Herzen, dass er wieder laut wurde: „Ha, wenn sie treu sind, segnet der Herr sie mit Nachkommen, sagst du! Und wenn nicht? Muss ein Mann einem Weib treu sein, das ihm keinen Erben schenkt? Ist er lebenslang gekettet an das unfruchtbare, nutzlose Weib? Du tust dir leicht, Priester – du hast keine Höfe und kein Gold, um sie deinem Sohn zu hinterlassen!“

Maximinus entgegnete, einem Paar, das sündlos und in gutem Einvernehmen lebe, werde Gott einen Erben schenken. Es dürfe die Hoffnung nie aufgeben. Die Wege des Herrn seien unergründlich. Martilo verhinderte eine erneute Gegenrede seines Bruders, indem er Rihho den bronzenen Kelch aus den Händen nahm und Hucwalt mit einem Trinkspruch zureichte.

Das Feuer war niedergebrannt. Unter der Tür trat ein kalter Lufthauch ein und zog durch den Raum, ohne die Gerüche vertreiben zu können. Es roch nach gebratenen und erbrochenen Speisen, nach frischem und verschüttetem Bier, nach schwitzenden Männern und erhitzten Weibern. Clementia aber fröstelte von der Zugluft. Da sie weder links noch rechts einen Knecht sah, den sie nach Feuerholz schicken konnte, stand sie unwillig auf, einen zu suchen.

Sie ging hinunter in Richtung Tür, aber sie traf weder Knechte noch Mägde. Alle waren davongelaufen, in der Hoffnung, dass man sie zu dieser Stunde nicht vermissen werde. Niemand war da, den Clementia beauftragen konnte.

Fast niemand. Ihr finsterer Blick fiel auf Isanpert an der unteren Tafel. Da wurde er noch finsterer. „Heda“, rief sie ihn an, „lass den Krug stehen und geh Holz zu holen. Das Feuer ist heruntergebrannt. Unsere Gäste sollen es warm haben.“

Isanpert sah sie überrascht an. „Uto hat aber …“

„Geh schon“, rief Clementia. „Tu nicht, als wäre es das erste Mal. Und merk dir, mein Wort ist so gut wie Utos. Nun mach! Ich will nicht länger frieren.“

Isanpert stand zögerlich auf. Olko brummte: „Gute Entscheidung.“ Clementia drehte sich zufrieden um. Jemandem zu befehlen, hatte ihr gutgetan.

Isanpert ging hinaus an die kühle Luft und lud einen Korb voll Brennholz. Zum Glück war er vorsichtig gewesen mit dem starken Bier. In fast gerader Linie kehrte er ins Haus zurück, rumpelte mit dem Korb gegen den Türpfosten, aber niemand bemerkte es. Als er seine Last an der oberen Tafel vorbeischleppte, wandte er den Kopf ab.

Dagoprant beschrieb eben eine Schlacht, die sich vor hundert Jahren zugetragen hatte, als wäre er mittendrin gewesen. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Jeder bemühte sich, nichts zu verpassen und gleichzeitig kluge Bemerkungen aus seinem Erfahrungsschatz anzubringen.

Niemand achtete auf einen Knecht, der einen Korb Holz brachte. Unbemerkt erreichte Isanpert die Feuerstelle. Er legte zwei Scheite auf und schichtete die anderen zu einem Haufen. Als er sich erhob, um den Korb wegzubringen, flammte die Glut auf. Der Schein erleuchtete sein Gesicht.

Hucwalt blickte zum Feuer. „Den habe ich schon einmal gesehen“, sagte er undeutlich.

Martilo kannte seinen Bruder, er bemerkte den drohenden Ton in seiner Stimme. Er drehte sich um und sah Isanpert sich abwenden.

„Das ist doch“, sagte Hucwalt.

„Trink“, sagte Martilo. „Trink auf meine anstehende Hochzeit und auf unsere großzügigen Gastgeber.“ Er betonte die Wörter Hochzeit und Gastgeber.

„Nicht wahr, so ist es besser“, sagte Clementia zu ihrem Nachbarn Hucwalt. „Ich habe wegen des Luftzugs ein wenig Holz nachlegen lassen. Wir wollen nicht frieren.“

Hucwalt starrte Isanpert mit offenem Mund hinterher. Doch Dagoprant schilderte eben den entscheidenden Zweikampf. Das lenkte ihn ab.

„Waren nicht noch gebratene Vögel da?“, fragte Olko.

„Gute Frage“, sagte sein Gegenüber, ein Mann namens Atto, der schon mit Utos Vater in den Kampf geritten war. „Wenn ich trinke, bekomme ich Hunger.“ Er griff nach einer vorbeigehenden Magd, um sie zu fragen, wo das Federvieh hingekommen sei. Es war Hulda, deren Hüften er umklammerte. Hilfesuchend blickte sie zu Isanpert.

„Bei mir ist es umgekehrt“, sagte Isanpert. „Vom Essen bekomme ich Durst. Wo ist denn das Bier hin?“ Er musste übersehen haben, dass der Krug vor Atto stand.

„Nimm“, sagte Atto, ließ Hulda los und reichte ihm mit beiden Händen den schweren Krug. „Wenn du abwechselnd isst und trinkst, kannst du die ganze Nacht weitermachen.“ Er wollte Hulda wieder fassen und auf die Bank ziehen, aber er langte ins Leere. Sie hatte sich geschwind entfernt.

Viele Schüsseln waren inzwischen leer und der Boden voller Knochen. Hucwalt erhob sich, um erneut zu sprechen. Martilo zog ihn am Gewand, und auch Uto bedeutete ihm, sich doch bitte zu setzen. Keinem gelang es. „Nein, nein. Ich sage nichts über die Zukunft des Stammes, liebe Freunde“, versprach Hucwalt. „Ich habe etwas anderes auf dem Herzen. Wir feiern ein junges Paar, das sich bald vereinigen wird zur Freude ihrer Sippen. So hat es Uto gesagt. Wer will ihm da widersprechen.“

Das Wort „Sippen“ auszusprechen fiel ihm nicht leicht.

„Ich wünsche ihnen Kinderglück. Viele Söhne. Genug, um eine eigene Dekurie zu stellen. Ja, wir Krieger rechnen in Dekurien. Wie viele sind das? Mindestens so viele, wie ein Mann Finger an seinen Händen hat!“ Er streckte seine Hände hoch. Er hatte noch alle zehn Finger.

„Sie sollen die stärksten Kämpfer sein, die gescheitesten Priester, die besten Reiter. Die Stützen des Herzogtums. Wie ich und meine Brüder.“

Er stutzte und verbesserte: „Mein Bruder.“

Martilo sah den Schatten auf Hucwalts Stirn. „Schön gesagt, Bruder. Ich danke dir. Setz dich, wir wollen einen Schluck Bier trinken, gegen den Durst …“

Hucwalt hörte ihn nicht. Er sprach weiter. „Wenn ich schon dabei bin, will ich eines Mannes gedenken. Er hatte die beste Veranlagung. Nur das Jenseits plagte ihn. An das Weltgericht hat er uns erinnert, zu gottgefälligen Taten ermahnt. Nicht, weil er streng war. Er fürchtete um unsere Seelen.“

Der Redner wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Er wollte uns drüben wiedersehen. In ihm brannte das Feuer des Glaubens. Seine Aufgabe erfüllte ihn. Wisst ihr, von wem ich spreche? Von meinem Bruder. Er fehlt mir wie niemand anderes auf der Welt. Fritilo hieß er, heimtückisch wurde er ermordet –“

Hucwalt verstummte. Er blickte sich suchend um, sah Isanpert am untersten Tisch mit den einfachen Männern des Hofes zusammensitzen –

Schwankend stand Hucwalt und murmelte, „den Gefangenen hat er auch befreit, um den Dux gegen uns aufzubringen“ –

Er sprang vor, wie ein Wolf, der ein Huhn gackern hört, riss im Vorübergehen den Bratspieß an sich, noch heiß von der Glut, über der er gedreht worden war, das spürte er gar nicht –

Hucwalt stach den langen Spieß in das Holz eines Firstständers, dass das Dach wackelte und man Angst um das Haus haben musste. Dass er nur den Ständer traf, war Martilo zu verdanken. Der Zwerg hatte den Ausbruch seines Bruders vorhergesehen und schneller als alle gehandelt. Er griff nach dem Kelch. Als Hucwalt mit dem Bratspieß nach Isanpert stach, goss Martilo ihm einen Schwall des roten Römerweins ins Gesicht. Nur deshalb verfehlte Hucwalt sein Opfer.

Männer eilten herbei. Fünf hielten Hucwalt fest, andere versuchten, ihn mit Worten zu beruhigen. Martilo erinnerte ihn an das Gastrecht, das ihm verbiete, hier und jetzt für den Gestorbenen Rache zu nehmen.

Als er zur Ruhe gekommen schien, ließen sie ihn los. Der Wein tropfte ihm dunkelrot vom Kittel.

Entrüstet ergriff Uto das Wort. Er sei enttäuscht, sagte er. Ein solches Verhalten sei eines Gastes an einem christlichen Hof nicht würdig, und gar noch unter Verwandten.

Da geriet Hucwalt erst recht wieder in Wut und schrie, Silber mache den toten Bruder nicht lebendig. Die Heirat des einen Bruders werde nur möglich sein, wenn der Mörder des anderen seine gerechte Strafe erhalten habe. Schwankend wandte er sich ab.

Mit einem Zittern in der Stimme sagte Martilo, sein älterer Bruder könne keinesfalls für die Sippe sprechen, das könne nur sein Vater Cotapert. Hucwalt werde am nächsten Tag sicher Vernunft annehmen. Für heute sei vielleicht schon zu viel geredet worden.

Uto antwortete, es gebe nichts weiter zu sagen. Der Hausfrieden sei gebrochen. Waltrut weinte. Clementia führte sie zu Bett.

Isanpert schlief in dieser Nacht unruhig, sah immer wieder nach der Tür und vermied es, zum Wasserlassen nach draußen zu gehen.

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