Читать книгу Eisenglanz - Florian Kalenda - Страница 4
ОглавлениеUnerwartete Gäste
Der Himmel verdunkelte sich. Isanpert führte es auf den nahenden Herbst zurück, der schon wieder kürzere Tage brachte. Seine Aufmerksamkeit galt einem Eschenast. Er schabte die Rinde herunter, um ihn als Speerschaft zu verwenden.
Eigentlich war die Hitze zu drückend für den Windstoß, der ihm die Haare ins Gesicht wehte. Er ließ das Messer sinken. Um ihn lagen die Schweine träge, statt auf dem Waldboden nach den ersten herabgefallenen Eicheln und Eckern zu suchen.
Rufend lief Deso den Pfad herunter: „Komm, Isanpert! Es wird gleich regnen, sagt Vater.“
„Regnen? Nicht bei der Hitze“, sagte Isanpert, der sich mit dem Wetter auskannte.
„Es weht kräftig aus Westen her“, widersprach sein kleiner Bruder. „Gleich bricht es los.“
Wirklich, ein Wind kam auf. Fauchend drang er in den Wald ein, fuhr durch die Bäume und rüttelte an den morschen Ästen. Isanpert steckte das Messer in den Gürtel und trieb die Schweine zusammen.
Er zählte. Neun Tiere mussten es sein. Der Lärm machte sie unruhig. Mit einem Stock versuchte Deso zu verhindern, dass sie von dem schmalen Weg abwichen, den die Brüder über die Jahre gebahnt hatten und der bei allen nur Schweinepfad hieß.
Ein Schwein rannte quiekend ins Unterholz. Deso wollte es einfangen, aber Isanpert rief ihm zu, erst müssten sie die anderen zurückbringen.
Gegen den Wind gelehnt lief Isanpert neben der Herde. Auf der Rodung galt es, den Hanfstrick zu heben und das Gatter zu öffnen, bevor eines der Schweine in Richtung Haus oder zu den Äckern ausriss. Sie scheuchten die Tiere in die Umzäunung. Der Regen setzte ein, als Isanpert eben den Strick über den Pfosten legte.
„Geh hinein“, rief er seinem Bruder zu. Er selbst kehrte um, rannte mit dem Wind im Rücken den Pfad hinunter, suchte im Platzregen nach Spuren, sah unter Büsche und konnte gerade noch ausweichen, als ein morscher Ast von einer Eiche brach, der mehr wiegen mochte als er selbst.
Er wischte sich das Wasser aus dem Gesicht. Hinter sich hörte er etwas schnaufen, fuhr herum. Es war nicht das Schwein, es war Deso, der lieber seinem Bruder als dessen Anweisungen gefolgt war. Isanpert seufzte.
Mit schweren Kitteln und leeren Händen kehrten sie zum Hof zurück. Das Herdfeuer brannte, Rauch hing unterm Dach. Ihre Mutter Ula rührte einen Gerstenbrei in einer Schüssel, die sie in die Glut gestellt hatte. „Ihr seid ja ganz nass“, sagte sie.
„Weiß ich“, sagte Deso, zog den Kittel aus und schüttelte seine Locken, dass die Tropfen stoben. Er hockte sich zu Füßen der alten Gisla auf den Boden aus gestampftem Lehm, der die Feuerstelle umgab. Mit nassen Fingern erstickte er einen Funken, der aus der Glut gesprungen war.
„Aber doch nicht am Herd“, rief die Mutter. „Setz dich nach hinten, damit du mir nicht im Weg bist.“ Sie wies mit dem Arm in Richtung des Vaters, der ein Flechtwerk ausbesserte. Es grenzte einen für Vorräte und Werkzeuge vorbehaltenen Bereich ab. Dort hatte das Haus einen niedrigen Hintereingang.
Hinter dem Flechtwerk stand Isanpert. Von seinem grünen Kittel tropfte das Wasser. Er merkte es nicht, er war damit beschäftigt, Stricke an beide Enden des entrindeten Asts zu binden. Den einen Strick wand er um einen Querbalken, den zweiten knotete er um einen Stein, als Gewicht, damit das Holz gerade blieb, während es trocknete.
Als er zufrieden war, streifte er seinen nassen Kittel ab, breitete ihn auf dem Boden aus und zog einen alten, engen an, den er aus einer Kleiderkiste nahm.
„Morgen werden wir wieder Löcher stopfen müssen“, sagte Gudo, der Herr des Hauses.
Isanpert richtete den Blick nach oben. Das strohgedeckte steile Dach schwankte im Wind. „Ich kann es machen. Es ist noch etwas trockenes Ried im Schuppen.“
Draußen tobte der Sturm. Stämme ächzten, schwere Äste brachen und polterten auf die Erde. Für einen Augenblick wurde alles von einem Schrei übertönt.
„Was war das?“, fragte Deso.
„Das war kein Mann“, sagte Gudo.
„Ein Weib war es auch nicht“, warf Gisla ein.
„Bestimmt ein Wolf“, sagte Deso.
Noch einmal ertönte das Geräusch, ein Ton, schrill und doch tief, der sich lang zog, dann abbrach.
„Das war kein Wolf“, sagte Isanpert. „So etwas habe ich im Leben nie gehört.“
Alle gaben ihm recht, nur die alte Gisla war sich nicht sicher.
Sie hatten Grund, sich zu fürchten. Einsam stand die Siedlung. Der Wald drängte von allen Seiten heran. Im Wald lebten wilde Tiere und üble Männer. Erst diesen Sommer hatte ein Bär zwei Rinder gerissen.
Sie waren zu wenige. Es brauchte viele starke Arme, um im Wald zu siedeln. Mehr als ein Dutzend Männer waren sie früher gewesen. Vier Wohnhäuser hatten hier gestanden. Eines war abgebrannt, zwei verrotteten langsam. Weil die Ernten schlecht waren, die Ähren schmal blieben und die Äpfel klein, waren die Männer weggegangen.
Zu acht lebten sie auf Gramlinga: Gudo, seine alte Mutter Gisla und sein Weib Ula. Dann die Kinder: Isanpert und Deso und die kleine Heila. Schließlich zwei Leibeigene, Engilpert und Leuba.
Der Schrei kam vielleicht gar nicht aus dem Wald. Die Straße vor dem Tor verband den Bischofssitz Frigisinga mit den Ländern der Alamannen. Gramlinga lag einsam, aber es zogen doch täglich Männer vorbei, Händler, berittene Boten, Kriegerscharen, Pilger oder Flüchtlinge.
Ja, der Schrei konnte von der Straße kommen. Jemand konnte in Not sein. „Wir müssen nachsehen.“ Ula blickte zu ihrem Ältesten. Isanpert nickte. An Gudo vorbei lief er nach hinten, in den Vorratsraum. Auf einem Brett lag dort, geölt und in ein Tuch gewickelt, ein Sax. Er nahm das einschneidige, armlange Schwert und kehrte in den Wohnraum zurück.
„Legt lieber einen Riegel vor“, sagte Gudo. Gramlinga hatte nicht einmal ein Pfahlwerk, um Feinde abzuhalten. Nur ein Etter, ein Flechtzaun, umgab die Häuser, die Schuppen, den Brunnen.
Bevor jemand den Rat befolgen konnte, öffnete sich die Tür. Ein Windstoß fuhr durch das Haus. Alle drehten die Köpfe. Nasse Gestalten schoben sich herein.
Der erste Mann war groß und breit gebaut, mit einem Schwert gegürtet und von oben bis unten mit Blut bespritzt. Das Regenwasser hatte nicht alles abspülen können. An der Spitze seiner krummen Nase, ja sogar zwischen seinen blonden Haarsträhnen hingen rote Tropfen. Er rief in den Raum: „Guten Abend!“
Sie starrten ihn erschrocken an. Mit all dem Blut sah er aus wie ein Krieger, der eben aus der Schlacht kommt. Dann wandten sich ihre Blicke den Männern dahinter zu. Die kleine Heila flüsterte: „Ein Elf und ein Zwerg!“
Der zweite Mann war schmal und blass und hoch wie eine Birke. Er trug die schwarzen Haare am Hinterkopf lang. Nur von der Stirn bis zu den Ohren lag die Kopfhaut frei, was die Ohren noch schmaler, ja spitz wie Hörner wirken ließ. Von seinen Augen gingen tiefe Falten aus. Er mochte vierzig Sommer oder mehr erlebt haben. Es ließ sich schwer schätzen, weil die Höhlen um die Augen schwarz gefärbt waren.
Den Dritten hätte man im ersten Augenblick für ein Kind halten können, denn er war weitaus kleiner gewachsen als seine Begleiter. Seine vornehme Kleidung, das ernste Gesicht und der durchdringende Blick wiesen ihn als Mann von wenigstens zwanzig Sommern aus.
Der Vierte schloss die Tür. Hinter seinen Begleitern fiel er nicht weiter auf, war er doch von durchschnittlicher Statur. Sein von einem dünnen blonden Bart gerahmtes Gesicht wirkte gefällig, aber nicht auffällig. Auf der Brust trug er ein großes Kreuz aus Bronze zum Zeichen, dass er zum Kirchendienst geweiht war.
„Ich hätte gerne ein Stück Tuch, um mich zu reinigen, bevor ich mich und meine Begleiter vorstelle“, sagte der erste Fremde in die Stille hinein.
Das löste die Starre. Ein Wasserkrug wurde gereicht, eine Sitzbank herbeigeschafft. Gisla nahm einen halbwegs sauberen Lumpen von einem Hängeregal. Isanpert schob den Sax unter eine Bettstatt. Gudo sagte nach einem Räuspern: „Guten Abend, kommt herein!“
Die kleine Heila wandte sich ab und drängte sich ängstlich an Isanpert. Der nahm sie in die Arme und sagte leise: „Das sind auch nur Männer!“ Als das nicht genügte, um das Kind zu beruhigen, richtete er zum Beweis das Wort an den Anführer der Gäste. „Wieso bist du so blutig?“
Der Mann lachte: „Das ist nur Pferdeblut.“ Er wischte sich mit dem Lumpen über Gesicht und Haare. Dann sprach er Gudo in einem förmlichen Ton an.
„Wir bitten um gastliche Aufnahme in diesem Haus. Das Unwetter hat uns auf der Straße überrascht. Wir drei Brüder begleiten diesen Prediger“ – er wies auf den dünnen Mann mit den schwarzen Augenlidern – „nach Frigisinga. Heute hatten wir gehofft, bis an die Ambra zu meinem Vater zu reiten. Das Unwetter hat uns überrascht, mein Ross ist durchgegangen und hat sich auf der elenden Straße das Bein gebrochen. Ich habe sein Brüllen mit dem Schwert beendet. Leider zu eilig. Der Regen hat das Blut schön über mein Wams verteilt.“ Er zeigte wieder seine Zähne. „Ich nehme an, ihr kennt uns?“
„Ihr seid die Cotapertssöhne“, rief Isanpert. Für den vorlauten Einwurf strafte ihn Gudo mit einem finsteren Blick. Der blonde Krieger nickte. „Die sind wir. Der Sippe der Mohingara gehören wir an, aus dem Geschlecht der Fagana. Ich bin Hucwalt, meine Brüder heißen Martilo und Fritilo. Es war Fritilo, der in der Finsternis diesen Hof entdeckt hat.“ Der zuletzt eingetretene Mann mit dem Kreuz auf der Brust nickte knapp.
Gudo senkte demütig den Kopf. „Es ist eine Ehre für uns, euch unter unserem Dach zu beherbergen und unsere geringe Habe mit euch zu teilen.“
„Auch von Bischof Alto aus Irland werdet ihr gehört haben“, fuhr Hucwalt fort und zeigte auf den Mann mit den schwarzen Augenhöhlen. „Seit Jahren zieht er durchs Land und predigt den rechten Glauben.“
Gudo winkte Leuba, sie solle Bier bringen. „Jetzt erkenne ich dich.“ Er war Hucwalt auf Heereszügen und an Markttagen begegnet.
Hucwalt kam Gudos rundes, bärtiges Gesicht ebenfalls bekannt vor. „Bist du nicht ein Knecht des Uto von Utinga?“
Gudo wurde rot. „Dem Uto gehört diese Hube, wir leisten mit ihm die Heerfolge, doch von der Knechtschaft hat er mich befreit.“
„Wohin führst du aber den Zehnten ab?“, wollte Hucwalt wissen. Und er nickte zufrieden, als er Gudos Antwort hörte: „An die Kirche Sankt Martin zu Piparpah, die dein Vater erbaut hat.“
Ja, sie waren fast Nachbarn. Die Martinskirche lag nur einen kräftigen Fußmarsch von Gramlinga entfernt. Auch Cotaperts Hof an der Ambra war in weniger als einem Vormittag zu erreichen. Isanpert erinnerte sich an den zwergenhaften Sohn des Grafen. Er hatte ihm vor Jahren einmal gegenübergestanden. Damals hatten sie die gleiche Größe gehabt.
„Meine Brüder haben in den letzten Jahren nicht viel Zeit an der Ambra verbracht“, erklärte Hucwalt. „Fritilo wurde im Kloster in den christlichen Glaubenssätzen unterwiesen. Vor wenigen Wochen ist er zurückgekehrt, uns Baiuwaren das Evangelium zu predigen. Auch unseren Kleinen, Martilo“ – er deutete mit dem Finger auf den Zwerg – „konntest du lange nicht in dieser Gegend sehen. Er hat zwei Jahre bei fränkischen Verwandten zugebracht. Kein Wunder, wenn du ihn nicht erkennst. Obwohl er nicht gewachsen ist.“
Auch wenn Hucwalt auffordernd in die Runde blickte, wagte niemand zu lachen. So dankte er für die gastliche Aufnahme und setzte sich.
„Was ist ein Fagana?“, fragte Deso leise.
Sein Vater gab zurück: „Das ist eine alte Sippe, und so vornehm, dass doppelte Buße zahlen muss, wer einen von ihnen zu Schaden bringt.“
Deso dachte einen Augenblick nach. „Essen sie dann auch doppelt so viel wie andere?“
Gudo hörte es nicht. Er war aufgestanden, den Bierkrug entgegenzunehmen, den die Magd brachte. Wie es das Gastrecht vorsah, überreichte er ihn mit einem Trinkspruch.
Hucwalt trank. Dann gab er den Krug Fritilo. „Du bist zwar der Jüngste, aber immerhin ein Mann Gottes.“ Der Priester versuchte, verzog den Mund und reichte das Bier hastig weiter. Martilo nippte und bat um etwas Wasser. Hucwalt ließ sich nichts anmerken. Er nahm den Krug erneut und leerte ihn bis auf den Grund.
Den Prediger Alto mit den seltsamen schwarzen Augen vergaßen sie. Er hatte sich neben den Kindern auf dem Lehmboden niedergelassen und beantwortete Desos Frage: „Heute haben wir alle großen Hunger, denn wir haben ein großes Stück Wegs zurückgelegt. Auch mir wird die Mäßigung schwerfallen, und ich bin kein Fagana, ja nicht einmal ein Baiuware.“
Deso sah Alto mit offenem Mund an, wie er umstandslos auf dem Boden saß. Er rutschte um eine Handbreit zurück. Leise fragte er seinen Bruder: „Ist ein Bischof nicht so etwas wie ein Herzog?“
„Mehr wie ein Graf, glaube ich“, antwortete Isanpert.
„Seit vielen Sommern bin ich kein Bischof mehr“, erklärte Alto, der sie gehört hatte.
Ula trat an den hageren Mann und die Kinder heran. „Es freut mich, dich nach all den Jahren wieder in diesem Haus zu sehen, Alto. Du wirst dich gewiss nicht erinnern, aber du hast meinen Ältesten getauft.“
Alto sagte in einem zugleich knurrenden und singenden Ton: „Ich weiß es noch genau. Es war vor dreizehn Sommern, als ich meine Wanderschaft eben erst begonnen hatte.“ Dann wandte er sich dem jungen Mann zu. „Isanpert, so habe ich dich getauft. Glänzend wie Eisen. Heute sehe ich, der Name war gut gegeben. Ich selbst heiße Alto, weil mir ein Finger fehlt an der Hand, die dich segnete.“ Er hob die Rechte, deren Mittelfinger nur ein Stummel war. „Alto heißt Glied in Irland. Mir fehlt eines am Finger, also gab man mir diesen Namen. Aber auch im Lateinischen passt er auf mich, denn ich bin wirklich größer als manche.“
„Das ist mir damals entgangen“, sagte Isanpert. „Ist der Segen vollständig, wenn an der Hand ein Finger fehlt?“
„Er ist immer so vorlaut“, seufzte Ula.
Alto machte ein ernstes Gesicht. „Keine Sorge, Gottes ganze Gnade passt auch in halbe Finger.“ Dann fragte er nach den Namen der beiden jüngeren Kinder.
Strahlend antwortete Ula: „Ich weiß noch, du liebst die Namen und ihre Bedeutungen. Mein Zweitgeborener heißt Deso. Gudo hat den Namen gewählt. Es ist der seines Vaters.“
„Es war sein väterliches Recht“, sagte Alto.
„Bei Isanpert habe ich mich durchgesetzt“, erklärte Ula ein wenig zu entschieden. Jeder im Haus hörte es. Hucwalt lachte, Gudo runzelte die Stirn. Fritilo betrachtete sie wie ein Jäger, der im Unterholz auf ein seltenes Tier gestoßen war.
Es musste niemanden wundern. Ulas Haut war weißer als Schnee auf einem Ast, und sie hatte gerade Zähne, ohne Lücken oder braune Stellen. Ihre Haare waren wie gesponnenes Gold, wenn die Sonne daraufscheint. Kein Mann konnte an ihr vorübergehen, ohne sich zu freuen, selbst jetzt noch, da sie im sechsundzwanzigsten Sommer stand und drei Kinder geboren hatte.
Sie errötete und fuhr leiser fort: „Unsere Kleine haben wir Heila genannt, denn es war eine schwere Geburt. Wir mussten um sie fürchten und waren froh, als sie am Ende heil zur Welt kam.“
„Gewiss nicht nur um sie“, sagte Alto und streichelte dem Mädchen über den Kopf.
Ula stand auf, geräucherten Schweinespeck aus dem Lager zu holen. Die Gäste blickten ihr nach. Als sie mit der Schwarte wiederkam, lobte der Zwerg Martilo die schön gearbeitete Spange, die ihr Kleid zusammenhielt, aber sie hörte ihn nicht, denn sie lachte über eine Bemerkung, die der stille blonde Priester Fritilo ihr zugeraunt hatte.
Gudo antwortete für sie: „Unser Herr Uto hat ihr die silberne Spange geschenkt. Ihr wisst vielleicht, sie ist auf Utinga aufgewachsen, dem Hof seiner Sippe. Was da glänzt, sind Glasperlen. Sie trägt sie nicht oft. Für unseren Hof ist sie eigentlich zu schön.“
Hucwalt sah Gudo an. Der Herr des Hauses war ein gedrungener Mann mit einem lockigen braunen Bart im Gesicht. Dann ging sein Blick zu Isanpert, dessen glattes, dunkelblondes Haar auf die Schultern fiel, wie es nur bei erwachsenen Männern üblich war.
„Ist dein Sohn nicht im Mannesalter?“
„Freilich ist er es“, bestätigte Gudo. „Schon seit letztem Jahr.“
Da wagte Ula, ihm zu widersprechen. „Seit diesem Jahr erst.“
Keiner von ihnen hätte sagen können, dass seit Christi Geburt 747 Jahre vergangen waren. Nur die Abfolge der Jahre seines eigenen Lebens, die Ereignisse all der Sommer und Winter hatte jeder im Kopf.
„Ich glaube, du hast dich verzählt“, erwiderte Gudo. „Ist es nicht schon sein vierzehnter Sommer?“
„Ich bin seine Mutter, wie sollte ich mich verzählt haben!“
So genau wollte Hucwalt es gar nicht wissen. „Warum hast du ihn nicht an deiner Stelle ausgeschickt, um an Utos Seite dem Heer zu folgen?“
Gudo räusperte sich verlegen, denn wirklich hatte er gehofft, den Sommer auf dem Hof statt auf einem Pferderücken zu verbringen. Aber sein Weib hatte ihn gebeten, noch einmal selbst mit dem Heer zu ziehen, Isanpert noch ein Jahr zu Hause zu lassen. Er hatte nicht gern Streit mit ihr.
Bevor ihm eine Antwort in den Sinn kam, ließ seine Mutter, die alte Gisla, ihre kratzende Stimme hören: „Volljährig ist der Isanpert. Es wäre wirklich Zeit gewesen.“
„Ich wollte ja“, rief Isanpert.
Ula wandte sich flehend an Hucwalt. „Du hättest ihn im Frühjahr sehen müssen, mit seinen dünnen Armen. Wir hätten ihn in den sicheren Tod geschickt. Darum hat Gudo beschlossen, ihm wenigstens ein weiteres Jahr zu geben. Isanpert war fleißig. Die Arbeit hat ihn kräftiger gemacht. Nächsten Sommer kann er mit Uto dem Heer folgen.“
„Im Gemüsebeet schießt das Unkraut stets am schnellsten hoch“, ereiferte sich Gisla und hustete. Das hatte sie in letzter Zeit häufig. Ula reichte ihr den Wasserkrug. Die Alte nahm ihn nicht. Sie werde ohnehin nicht im Bett sterben, sagte sie, dazu gebe es zu viel Gewalt in der Welt.
Der Priester Fritilo sah Gudo verächtlich an, der offenbar vor seinem Weib kuschte. Hucwalt grinste. „Seid ihr aber nicht viel zu wenige? Gleichgültig, wer dem Heer folgt, der andere ist mit dem Knecht nur zu zweit, um zu pflügen und zu schlachten und Holz zu hauen. Von Bedrohungen ganz zu schweigen. Ich wundere mich über Uto. Er kann euch hier draußen nicht schützen.“
Erneut räusperte sich Gudo. Ja, Hucwalt hatte recht. Uto, dem der Hof gehörte, war ein bedeutender Mann aus dem Geschlecht der Hahilinga. Er lebte fern, jenseits des Flusses Isura, in einer Siedlung, die nach seinem Großvater Utinga hieß. Um von dort nach Gramlinga zu reiten, benötigte Uto einen ganzen Tag, wenn er das Ross nicht schonte. Den weiten Weg hätte er nur wegen der einen Siedlung auf sich nehmen müssen. Uto gehörten tausend Rösser und einige Dutzend Höfe, aber keiner lag in der Nähe von Gramlinga.
Gelegentlich machte Uto große Worte, er wolle die verfallenen Häuser wieder aufbauen, weitere Männer in Gramlinga ansiedeln. Schließlich gebe es in der Umgegend viele blühende Huben. Warum sollte gerade an diesem Fleck der Ackerbau nicht gelingen.
Von diesen Vorhaben erzählte Gudo den Gästen. In der Zwischenzeit, sagte er, mochte es ein Vorteil sein, dass Vorbeiziehende den zur Hälfte verfallenen Hof kaum eines Blicks würdigten. Gäste habe man selten, darum sei heute ein besonderer Tag, den man zu feiern gedenke.