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Die Odyssee der Kaufleute

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An der Expedition nahmen in unterschiedlicher Form auch die italienischen Städte teil, deren Rolle – ob Seestädte oder nicht – häufig vor dem Hintergrund wirtschaftlich-kommerzieller Faktoren gesehen wurde. Nicht zu Unrecht: Die Eroberung der syrisch-palästinensischen Küste fungierte tatsächlich als Katalysator für den Handel mit dem Osten, indem sie den Transfer von Menschen und Gütern zwischen den verschiedenen Mittelmeerküsten allgemein begünstigte. Zu den herausragenden und gut dokumentierten Akteuren zählen die Einwohner aus Bari und Florenz, außerdem Genuesen, Mailänder, Pisaner und Venezianer, nicht zu vergessen die Kreuzzugsbeteiligung kleinerer Zentren, wie sie durch zahlreiche Chroniken bezeugt ist. Ohne Frage war ihr Expansionsdrang zumeist von einem starken religiösen Eifer aufgeladen, in dem sich ein antisarazenischer Impetus mit der Gewissheit göttlicher Gunst vermischte. Doch blieben nicht vielleicht die Hauptziele des Kreuzzuges – die Befreiung des Heiligen Grabes und der Beistand für die Ostchristen – vergleichsweise hinter den Gewinnmöglichkeiten zurück, die sich durch die politische Kontrolle der syrisch-palästinensischen Küste eröffneten? Die Antwort muss Ja lauten, wenn wir ex post auf die Ereignisse schauen und sie im Licht der zahlreichen Handelsprivilegien betrachten, die die Städte vonseiten der fürstlichen Kreuzfahrer im Gegenzug für ihre Flottenhilfe erhielten. Aber bei einer aufmerksamen Betrachtung dieser Privilegien wie auch der Transitströme auf dem Mittelmeer wird deutlich, dass das Gebiet, das Genuesen, Pisaner und Venezianer lange Zeit am stärksten frequentierten, Ägypten war. Die Einrichtung von fondaci – Handelsniederlassungen – oder gar von regelrechten eigenen Quartieren in den wichtigsten Küstenstädten würde erst mit der Zeit erfolgen. Die italienische Beteiligung an der Kreuzfahrerbewegung ist vielmehr vor allem im Kontext der von Urban II. und seinem Nachfolger Paschalis II. vorangetriebenen Kirchenreform zu lesen. Beide Päpste waren bestrebt, wirtschaftlich bedeutende Städte an sich zu binden, und wussten um die Notwendigkeit logistischer und militärischer Unterstützung, wenn die Unternehmung gelingen sollte. Sehr wahrscheinlich bilden Frömmigkeit, Millenarismus, Hunger nach Land, soziale Spannungen in der oberen Mittelschicht und blanke Gier die Facetten der Entscheidung, das Kreuz zu nehmen, nur unzureichend ab; ein jeder hatte seine ganz persönlichen Gründe.

Der Fall Genuas ist dafür recht exemplarisch. Caffaro di Caschifellone, der erste Chronist der Stadt, war Augenzeuge der Ereignisse, die er im Prolog seiner Annales wie auch in einem eigens verfassten kleineren Werk De liberatione civitatum Orientis festhält. Nach seinem Bericht fand in Genua die Predigt zu der von Papst Urban initiierten Unternehmung zwischen Sommer 1096 und den ersten Monaten des Jahres 1097 in der Klosterkirche San Siro statt. Die Bischofskirche unterstand nämlich dem kaisertreuen Bischof Ogerio, dem der Papst einen eigenen Kandidaten entgegensetzte: den Propst von Mortara Airaldo. Die Anstrengungen mündeten in mehrere erfolgreiche Expeditionen. Eine erste Flotte, bestehend aus zwölf Galeeren und einem weiteren Schiff, legte im Juli 1097 mit rund tausend Personen an Bord ab, unter ihnen viele hochgestellte Genuesen (»multi de melioribus Ianuensium«), und landete vier Monate später in Antiochias Hafen Sankt Simeon, dem antiken Solino, das nahe der Mündung des Orontes lag. Die Operation war im Vorfeld mit Raimund von Saint-Gilles abgestimmt worden, der den Kreuzfahrertruppen Nachschublieferungen über das Meer zusicherte. Im darauffolgenden Jahr rüsteten die Pisaner eine gut 120 Schiffe starke Flotte aus, die unter dem Kommando von Bischof Dagobert, dem künftigen Patriarchen von Jerusalem, segelte. Gleichzeitig stachen die Genuesen mit nur zwei Galeeren in See, die unter dem Befehl von Guglielmo Embriaco und seinem Bruder Primo standen. Die Schiffe transportierten wahrscheinlich eine Pilgergruppe, die nach Jerusalem reisen wollte. De facto sollte sich ihr Beitrag, genau wie der der ligurischen Schiffszimmerleute, noch als entscheidend für die Eroberung der Heiligen Stadt herausstellen. Eine weitere Expedition wurde 1100 ausgerüstet und endete im folgenden Jahr mit der Einnahme von Arsuf und Cäsarea. Diesmal stand hinter dem Projekt der neue Papst Paschalis II., der auch die Bistümer im Nordwesten Italiens zu einer Beteiligung bewegen wollte. Der Bischof des Erzbistums Mailand, Anselmo IV. da Bovisio, dem das Bistum Genua als Suffraganbistum unterstellt war, setzte sich höchstpersönlich an die Spitze einer Expedition zu Land, die sich mit einigen Truppen aus dem nördlichen Europa zusammenschloss, aber in Anatolien zerschlagen wurde.

Die genuesischen Expeditionen des folgenden Jahrzehnts hatten einen anderen Charakter. Die von den Kreuzfahrerfürsten gewährten Privilegien und die Zuteilung von Handelsniederlassungen und Quartieren in den wichtigsten Küstenstädten sorgten dafür, dass sich das Ziel der Reise änderte, standen doch nun kommerzielle Vorteile in Aussicht. Die Eroberung der syrisch-palästinensischen Küste brachte einige Probleme mit sich, und nicht zuletzt mussten die Niederlassungen vor Ort organisiert werden. Auch wirtschaftlich gesehen bot das Gebiet keinen interessanten Markt. Aus geopolitischer Perspektive handelte es sich hingegen um eine strategisch wichtige Region, die eine Kontrolle der Kommunikationskanäle im südöstlichen Mittelmeer möglich machte. Genuesen und Pisaner entwickelten diverse Strategien, um in den Genuss von Privilegien, Steuerbefreiungen, Handelsniederlassungen oder ganzen Quartieren in den wichtigsten Anlaufhäfen zu kommen. Dafür pflegten sie enge Beziehungen mit den Baronen in Outremer und involvierten diese in eine zwanglos praktizierte Politik, die ganz auf dem Besitz jener Flotte beruhte, die für das Überleben der im Heiligen Land neu entstehenden Herrschaftsgebilde entscheidend war. Die Chronisten beider Städte sprechen mit Stolz von den Erfolgen, auch in wirtschaftlicher Hinsicht, die ihre cives erzielen konnten, und führen diese Erfolge auf rein religiöse Beweggründe zurück. Tatsächlich ist es unmöglich, wirtschaftliche Ambitionen und religiösen Impetus klar voneinander abzugrenzen – zumal es zwischen beiden Polen reichlich Raum für Positionen irgendwo in der Mitte gab. Gut möglich, dass religiöse Erfordernisse und materielles Interesse als zwei Seiten derselben Medaille erachtet wurden. Und doch zögern manche Chronisten wie Albert von Aachen nicht, gerade die Italiener für ihre Geldgier zu erwähnen. Laut seiner Schilderung hielten Genuesen und Pisaner nach der Eroberung von Akkon 1104 die Kapitulationsvereinbarungen nicht ein, die mit der lokalen Obrigkeit getroffen worden waren. Getrieben von ihrer Gier sollen sie die Einwohner angegriffen und ein Blutbad angerichtet haben. Wir haben keinen Anlass, diese Behauptungen anzuzweifeln. Es waren typische Verhaltensweisen für eine Gesellschaft, die gewohnt war, ihre Streitigkeiten mit Gewalt zu lösen.

Die große Geschichte der Kreuzzüge

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