Читать книгу Die große Geschichte der Kreuzzüge - Franco Cardini - Страница 25
Auf nach Jerusalem
ОглавлениеWie erklärt sich der Erfolg des ersten Jerusalemkreuzzuges? Eine wirklich gute Frage. Die Christen waren unzureichend bewaffnet, sowohl mit Blick auf die Bedingungen vor Ort, besonders das Klima, als auch im Hinblick auf das übliche Kampfverfahren der Türken. Das beruhte nämlich auf dem massiven Einsatz ihrer berittenen Bogenschützen, die zu blitzschnellen Kehrtwenden imstande waren. Weder kannten die Kreuzfahrer die Gegenden, durch die sie zogen, noch stellte sich der Einsatz von Führern als besonders glücklich heraus. Auch ihre Kenntnisse in der Kunst der Belagerung waren unzureichend, weshalb sich die Unterstützung der italienischen Seeleute, unter denen äußerst erfahrene Schiffszimmerer waren, als entscheidend erwies. Feindseligkeiten und Rivalitäten unter den Baronen brachten das Unternehmen häufig an den Rand des Scheiterns, vor allem als man durch den Tod des angesehenen päpstlichen Legaten Adhémar von Le Puy den entscheidenden Mediator verlor. Hilfreich war sicher der Überraschungseffekt: Die Türken waren von inneren Konflikten zerrissen und in eine Vielzahl von Machthabern aufgesplittert, weshalb sie eine Weile brauchten, um zu realisieren, was vor sich ging. Den Kreuzfahrern kam außerdem zugute, dass sie entlang des Weges auf christliche Gemeinschaften trafen – monophysitische Armenier, Libanesen, Syrer –, die den Zug bereitwillig unterstützten, hauptsächlich, um den Schwarm der Hungrigen wieder loszuwerden. Es wäre zudem ein schwerer Fehler, den Glauben außer Acht zu lassen, die religiöse Euphorie, die messianische Erwartung der Menschen, die sie in einer Atmosphäre angespannter Sinnenschärfung leben ließ, die reich war an Wundererscheinungen. Von den Chronisten wird all dies so gewissenhaft wiedergeben, dass es sich unmöglich als reines Produkt epischer Erfindung abtun lässt. Glaube, Wille, Heroismus – diese Werte darf man nicht vergessen, will man die sozialen, politischen und ökonomischen Beweggründe begreifen, die so viele zum Aufbruch veranlassten.
Die Barone aus dem Westen verfolgten ihrerseits kein genau definiertes Programm. Die Idee der Eroberung Jerusalems erschien vage und nebulös. So selbstverständlich sie uns vorkommt, die wir den Kreuzzug im Nachhinein betrachten – damals wurde sie in erster Linie von den pauperes geteilt, die für die Dimension der Pilgerfahrt besonders empfindsam waren. Mit welchen Mitteln man die Unternehmung durchführen sollte, war ebenfalls unklar. Kein Europäer von damals durchschaute die Komplexität der politischen, strategischen und logistischen Probleme, die eine Durchquerung Anatoliens mit sich bringen würde. Trotz ihrer Antipathie und ihres Misstrauens gegen die Griechen akzeptierten die meisten Lateiner daher die byzantinische Unterstützung. Die anatolische Kampagne lief mit beträchtlichem Tempo an. Am 6. Mai 1097 belagerten die Lateiner unterstützt von einem überschaubaren Kontingent griechischer Soldaten Nicäa, die Perle des seldschukischen Territoriums, während Kılıç Arslan an der östlichen Front gegen die Danischmendiden vorging, einen Zusammenschluss von Turkstämmen, der sich um das Sultanat der anatolischen Stadt Sivas formiert hatte. Am 19. Juni ergab Nicäa sich dem Basileus. Die lateinischen Streiter wurden großzügig belohnt, allerdings auch aufgefordert, unverzüglich ostwärts weiterzuziehen, angeführt von einer griechischen Patrouille, deren Kommando General Tatikios innehatte. Aus Gründen der Manövrierfähigkeit teilte sich das Heer der crucesignati in zwei große Trupps. Die Vorhut unter Bohemund marschierte auf Dorylaion zu, dessen Ruinen nahe der heutigen Stadt Eskişehir liegen. Es war ein strategisch bedeutender Straßenknotenpunkt, von dem man sowohl nach Kappadokien und ins Euphratgebiet als auch ans Mittelmeer gelangte. Am 1. Juli wurden die Lateiner in ihrem Lager am Rande der Stadt von Kılıç Arslans Truppen angegriffen. Die zweite Gruppe unter Adhémar von Le Puy stieß hinzu und konnte die Situation retten. Man entschied, ab jetzt in einem einzigen Heeresverband weiterzuziehen, was Schwierigkeiten wieder anderer Art implizierte, angefangen beim chronischen Bedarf an Vorräten. Der Marsch war lang und qualvoll. Über eine Route, die südlich der großen Salzwüste um den See Tuz über Iconium führte, das man verlassen vorfand, erreichte der Heerhaufen Herakleia (Ereğli), wo es zu einer weiteren Schlacht kam. Trotz des Geschicks der leichten türkischen und turkomannischen Reiterei – insbesondere der ’askar, der Elitetruppe des Herrschers – stellte sich die schwere Kavallerie der Europäer als unschlagbar heraus, was gewiss auch ihrer strengen Disziplin zu danken war.
Belagerung von Antiochia, 1097–1098, Miniatur von Jean Colombe, aus: Sébastien Mamerot, Les Passages d’outremer, um 1474, Paris, Bibliothèque nationale de France. Man beachte den »nördlichen« Charakter der Stadt.
Jean-Joseph Dassy, Robert von der Normandie bei der Belagerung von Antiochia, 1097–1098, 1850, Schloss Versailles, Salles des Croisades.
Allen war klar, dass man von hier aus nach Antiochia ziehen musste, dem eigentlichen Tor nach Nordsyrien. Die Versorgungslage stellte sich allerdings immer komplizierter dar, nicht nur weil das Gebiet durch jahrelange Kleinkriege ohnehin verheert war. Dazu wendeten die Türken angesichts der Schwierigkeit, die lateinische Armee auf offenem Feld zu schlagen, auch noch die Taktik der verbrannten Erde an. Dem Rat ihrer byzantinischen Führer folgend, willigten die Kreuzzügler ein, Syrien über eine längere, doch vergleichsweise bequeme Strecke zu erreichen, die von Cesarea Mazacha über das Antitaurusgebirge nach Marasch führte; von dort ging es weiter über das Amanos-Massiv – die Gebirgskette des Nur Dağları – bis zur Pforte Syriens. Nur Bohemunds Vetter Tankred und Balduin von Boulogne entschieden sich für die kürzere Route, die durch das Kilikische Tor zu den von Christen bevölkerten Städten im kleinen armenischen Reich verlief, von denen sich die beiden Fürsten vielleicht Unterstützung erhofften. Die Führer hatten ihnen von diesem Weg abgeraten, weil er, verstärkt durch die Wetterlage im Herbst, für ein großes Herr unpassierbar sei. Doch den beiden kleinen Kontingenten gelang es, wenn auch unter großen Opfern, alle Schwierigkeiten zu meistern. Balduin stieß in Marasch wieder zum Hauptheer hinzu. Nachdem er seiner sterbenden Ehefrau die letzte Ehre erwiesen hatte, zog er ostwärts weiter in Richtung Euphrat und trennte sich erneut von der Expedition, um das nahe dem heutigen Şanlıurfa (Urfa) gelegene Edessa zu besetzen, das er dem betagten Thoros, dem armenischorthodoxen Herrscher der Stadt, mittels einer Hinterlist entriss. Tankred wiederum stieß vor Antiochia wieder zum Heer der Kreuzfahrer, nachdem er auf dem Weg Mamistra und Alexandretta erobert hatte. Antiochia war damals eine wahre Metropole und vollständig von massiven Mauern umgeben, was selbst das größte Heer vor ein Problem stellte, wollte es sie vollständig umzingeln. 1085 der Herrschaft des Alexios Komnenos entrissen, unterstand die Stadt nominell dem Emir von Aleppo, faktisch hatte jedoch ihr Statthalter Yağısıyan nahezu unbeschränkte Macht inne. Dieser betrieb eine geschickte Pendelpolitik zwischen seinem rechtmäßigen Herrn und dessen Gegnern – Duqāq, Emir von Damaskus, und Kürboğa, Atabeg von Mossul. Die Belagerung begann am 21. Oktober und stellte sich als außerordentlich schwierig heraus. Es war Bohemund, der die Lösung fand, indem er mit einem gewissen Firuz – wohl ein Armenier von Rang –, der für die Verteidigung einiger Türme verantwortlich war, einen Ausfall inszenierte, der es den Normannen ermöglichte, nachts über die Stadtmauer zu gelangen. Am 3. Juni 1098 fiel die Stadt mit Ausnahme der Zitadelle in die Hände der Kreuzfahrer. Am darauffolgenden Tag erreichten Kürboğas Truppen Antiochia und umzingelten die Stadt. Gefangen zwischen zwei Fronten, fanden die christlichen Truppen die Kraft für einen Gegenschlag, auch dank der Auffindung einer Reliquie, die man trotz Zweifeln an ihrer Echtheit als ein Werkzeug der Passion Christi, die Heilige Lanze, identifizierte. Manch einer zog es vor zu fliehen, wie Graf Stephan von Chartres und Blois, dessen öffentliches Ansehen dadurch allerdings dermaßen sank, dass er sich einige Zeit später gezwungen sah, ins Heilige Land zurückzukehren, um die Schmach wiedergutzumachen. Der Flüchtige traf ein paar Tage später in der Nähe von Iconium auf Alexios, der sich gerade anschickte, eine Hilfsexpedition zu organisieren, und überzeugte ihn von der Vergeblichkeit dieses Unterfangens, da die in Antiochia verbarrikadierte christliche Streitmacht im Begriff sei zu fallen. Dies sollte jede Chance auf eine Aussöhnung zwischen Griechen und Lateinern zunichtemachen, weil Letztere die fehlende Hilfeleistung als Rechtfertigung dafür nahmen, die Rückgabe der Stadt nach der Niederlage der feindlichen Truppen am 28. Juni 1098 ebenfalls zu unterlassen. Die Niederlage war einem wilden, verzweifelten Ausfall der crucesignati zu verdanken, die sich in sieben Abteilungen vor der Stadt aufreihten. Der frontale Sturmangriff der schweren europäischen Kavallerie erwies sich als vernichtend. Der Sieg grenzte an ein Wunder und mehr als nur einer der Kämpfer behauptete hinterher, dass weiß gekleidete himmlische Ritter an seiner Seite gekämpft hätten. Die Heldentat sollte in der berühmten Chanson d’Antioche verewigt werden.
Die Entdeckung der Heiligen Lanze, Miniatur von Jean Colombe, aus: Sébastien Mamerot, Les Passages d’outremer, um 1474, Paris, Bibliothèque nationale de France.
Balduin I., Miniatur aus der Estoire d’Eracles, einer französischen Übersetzung der Historia rerum in partibus transmarinis gestarum des Wilhelm von Tyrus (12. Jh.), um 1250, Paris, Bibliothèque nationale de France.
Belagerung von Jerusalem, 1099. Man beachte das Wappen des Königreichs Jerusalem auf der Schabracke des Pferdes: ein goldenes Kreuz, mit vier weiteren Kreuzen in den Quadranten.
Belagerungen von Antiochia und Jerusalem, Miniaturen aus einem Manuskript von 1460 der Historia des Wilhelm von Tyrus (12. Jh.).