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Das fränkische Königreich von Jerusalem und die Fürstentümer im Heiligen Land Gesta Dei per Francos

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Das Grab war befreit. Das Königreich Jerusalem stand kurz vor seiner Gründung. Doch nicht alles war zum Besten gelaufen und die erste Unternehmung der vereinten Christenheit stand im Zeichen von Uneinigkeit. Zwietracht herrschte unter den Fürsten, zwischen Fürsten und Kämpfern, Rittern und Pilgern, Fürsten und Basileus. In Ermangelung einer Führungspersönlichkeit von unangreifbarer Autorität oder, einfacher gesagt, von jemandem mit herausragenden politischen und militärischen Fähigkeiten taten die Fürsten nichts anderes, als das europäische Drama der feudalen Konflikte im Osten neu aufzuführen. Die Schlimmsten waren diejenigen, die nicht mehr mit einer Rückkehr nach Europa rechneten und bald erkannten, dass sie nichts zu verlieren hatten. Balduin, der mit Frau und Kindern aufgebrochen war, die allesamt die Strapazen der Reise nicht überlebt hatten, versuchte, sich ein unabhängiges Fürstentum im oberen Euphrat-Tal zu schaffen. Und Bohemund, dessen ursprünglicher Plan, sich den Kreuzfahrern als Stellvertreter des Basileus zu präsentieren, gescheitert war, wurde durch die Einnahme von Antiochia wieder zu seinem Hauptgegenspieler. Raimund von Saint-Gilles gab sich als neuer Moses aus – womit er es Adhémar gleichtat, der sich in der Rolle des Aaron gesehen hatte – und schlug sich wiederholt auf die Seite der demütigen Pilger, von denen er im Tausch bedingungslose Unterstützung erwartete. Auf ihn und seine Entourage, vor allem auf seinen Chronisten und Kaplan Raimund von Aguilers, geht die Verbreitung des Kultes um die Heilige Lanze von Antiochia zurück. An deren Echtheit als Reliquie bestanden freilich außerhalb der provenzalischen Gefolgschaft begründete Zweifel. Adhémar selbst hatte deutlich zu verstehen gegeben, dass er der Geschichte keinen Glauben schenkte. Nach seinem Tod wussten die Provenzalen denn auch von Visionen zahlreicher Pilger zu berichten, denen der Bischof im Jenseits beim Abbüßen der Strafe für seine Ungläubigkeit erschienen war.

Das Schauspiel von Fürsten, die sich um den Besitz jeder einzelnen Stadt oder die Aufteilung der Beute stritten, musste das Unrechtsbewusstsein der pauperes erschüttern. Die gärende Unzufriedenheit nutzte mal der eine, mal der andere für die eigenen Zwecke. Der Ausgang der Expedition war indes alles andere als sicher. Eine militärische Unternehmung unter widrigsten strategischen und logistischen Bedingungen, schwerwiegende Fehler wie der, eine Offensive gegen die anatolische Halbinsel im Hochsommer zu unternehmen, keinerlei Kenntnisse über den zu bekämpfenden Feind und keine Klarheit über die zu erreichenden Ziele: Alles schien auf eine Katastrophe hinauszulaufen. Tatsächlich verliefen mehrere darauffolgende Expeditionen, die auf der Welle der Begeisterung übereilt organisiert wurden, verhängnisvoll: der Heereszug, der im September 1100 von Mailand aufbrach und im Sommer 1101 zerschlagen wurde; die Unternehmungen des Wilhelm von Nevers, Wilhelm IX. von Aquitanien, Welf von Bayern und von Ida, Markgräfin von Österreich, die allesamt im selben Zeitraum und im selben Gebiet in Anatolien ihr vorzeitiges Ende fanden. Denn die Türken waren sich inzwischen der Gefahr, die von diesen Invasionen ausging, voll bewusst. In Syrien bot sich den Lateinern hingegen eine Situation, die einen Eroberungsfeldzug begünstigte. Die Kämpfe zwischen Sunniten und Schiiten wie auch zwischen den Emiren von Aleppo und Damaskus hatten dem Vormarsch der Christen den Weg geebnet. Nach dem Verlust von Antiochia war den Fatimiden nichts Besseres eingefallen, als die Lage des Emirs von Damaskus auszunutzen, um ihm Jerusalem zu entreißen, womit sie den Invasoren ihre Sache nur leichter machten. Erst sehr spät und vage erkannte man in Bagdad und Kairo die Gefahr. Ein Vorteil der Kreuzfahrer beruhte auf ihrer strategischen und taktischen Unberechenbarkeit. Militärisch gesehen war das ganze Unternehmen nicht mehr als eine Reihe überfallartiger Angriffe, die unter den Türken verständlicherweise für Verwirrung sorgten. Hinzu kommt der Unterschied in den Kampftechniken. So wie die Franken bei den türkischen Offensiven von den in Wellen vorstoßenden Angriffen der leichten Reiterei und der Bogenschützen überrascht wurden, hatten ihrerseits die Türken der massiven, in Keilformation vorstoßenden schweren Kavallerie nichts entgegenzusetzen.



Schlachtszenen während des ersten Kreuzzuges (Belagerung von Antiochia), Miniaturen aus dem 13. und 14. Jh.

Erst vor den Mauern der befestigten Städte hielt die Flut inne. Die westliche Poliorketik, wie die Kunst der Belagerung und Eroberung von Städten bezeichnet wird, war zu jener Zeit ausgesprochen primitiv: Die Lateiner verstanden sich nicht darauf, den Mauerring einer Stadt so zu belagern, dass der Informationsaustausch nach außen, die Lieferung von Nahrungsmitteln und Ausfälle wirksam unterbunden wurden. Ihre Belagerungsmaschinen waren im Vergleich zu jenen der Sarazenen und Byzantiner, die das Erbe der hellenistisch-römischen Belagerungstradition übernommen hatten, wenig wirksam, außerdem fehlte es ihnen an fähigen Ingenieuren. Nicäa wäre nie eingenommen worden, hätten nicht byzantinische Schiffe den Teil der Stadt abgeschnitten, der dem im Westen angrenzenden Askania-See zugewandt ist, über den die Belagerten Nachschub erhielten. Antiochia war erst nach Monaten vergeblicher Versuche und nur durch den Verrat einer Turmwache eingenommen worden. Und in Jerusalem wären die Belagerungstürme, mit denen die Einnahme der Stadt möglich wurde, ohne die Hilfe der Christen vor Ort und jene der genuesischen Schiffszimmerleute nie errichtet worden. Der Erfolg der Unternehmung, die als »erster Kreuzzug« in die Geschichte eingehen sollte, lässt sich folglich durch eine ganze Reihe zusammenwirkender Faktoren erklären, die sowohl politischer als auch strategischer Natur waren. Die mittelalterlichen Chronisten dagegen sahen den ersten iter hierosolymitanum schlicht als gesta Dei per Francos – die Taten Gottes durch die Franken.

Die große Geschichte der Kreuzzüge

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