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Die Eroberung des Ostens Der Aufruf von Clermont

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Am 12. März des Jahres 1088 wurde Odo de Lagery, vormals Abt von Cluny, zu Papst Urban gewählt, dem zweiten in der Nachfolge Petri dieses Namens. Seine Position war prekär, obwohl die Partei, der er angehörte, als Beförderin der Kirchenreform nur einen Schritt vom Sieg entfernt war. Der Stern Kaiser Heinrichs IV. war im Sinken begriffen, auch wenn sich selbst in Rom noch diverse kaisertreue Gruppierungen um Erzbischof Wibert von Ravenna hielten, dem Gegenpapst unter dem Namen Clemens III. Im Herbst 1094 brach Urban zu einer Reise auf, die ihn in einige wichtige Zentren in Mittel- und Norditalien sowie in Mittel- und Südfrankreich führen sollte. Es galt, seine Parteigänger mittels einer Reihe von Konzilien einzuschwören, auf denen ein für alle Mal die dogmatische und politische Ausrichtung der Kirche und der kirchlichen Lehre geklärt werden sollte. Im März 1095 empfing der Papst während eines Konzils, das in Piacenza tagte, Gesandte des griechischen Kaisers Alexios I. Komnenos. Wahrscheinlich verhandelte er mit ihnen die Wiedervereinigung der beiden Kirchen, die sich in der Folge des Schismas von 1054 aufgespalten hatten. Möglich, dass ihn die Gesandten außerdem um die Entsendung von Truppenkontingenten baten, die als Söldner gegen die in Anatolien vorrückenden seldschukischen Türken eingesetzt werden könnten (»Hilfe zu bringen […] gegen die Heiden zur Verteidigung der heiligen Kirche«, so berichtet es der Chronist Bernold von Konstanz). In der Tat ist nicht auszuschließen, dass der Papst ein bereits von Gregor VII. geäußertes Vorhaben aufgriff und gemeinsam mit den weltlichen und kirchlichen Machthabern, denen er auf seiner Reise begegnete, über eine Expedition in Gestalt einer Bußpilgerreise nachdachte, die vielleicht sogar als Beistand für die Christenheit im Osten gedacht war.


Auf dem Weg nach Clermont weiht Papst Urban II. am 25. Oktober 1095 den Hochaltar der Abtei von Cluny. Rechts: die Mönche mit Hugo von Cluny.

Am 18. November berief Urban II. zur neuerlichen Bekräftigung seiner Autorität ein weiteres Konzil in Clermont in der Auvergne ein, an dem etwa 300 Prälaten teilnahmen. Die Stadt lag an der alten, von Osten nach Westen quer durch Frankreich verlaufenden Straße, die von Lyon nach Saintes führte und Teil des Jakobsweges war. Zeitgleich verbreitete sich das Gerücht, der Papst habe eine Verkündigung von besonderer Bedeutung zu machen, mit der er die Arbeit der Konzilien abzuschließen gedenke. Die Neuigkeit – nach allen Regeln der Kunst in Umlauf gebracht – zog eine derart große Menschenmenge in die Stadt, dass die Versammlung nach Abschluss des Konzils auf ein Feld außerhalb von Clermont verlegt werden musste. Die päpstliche Ansprache, die viele Beobachter für den entscheidenden Anstoß zu jener Bewegung hielten, die keine vier Jahre später zur Eroberung Jerusalems führen sollte, ist uns in fünf verschiedenen Fassungen überliefert. Alle wurden in zeitlichem Abstand zu den Ereignissen verfasst, sind also Interpretationen, die keinen Rückschluss auf ihren authentischen Gehalt erlauben. Die Anwesenheit einiger Gesandter des Grafen von Toulouse und Markgrafen der Provence, Raimund IV. von Saint-Gilles, den der Papst auf seiner Reise in Nîmes getroffen hatte, gibt zu der Vermutung Anlass, dass Urban ihn zusammen mit dem Legaten Adhémar de Monteil, Bischof von Le Puy, zu Anführern der Expedition bestimmen wollte. In jedem Fall kann als gesichert gelten, dass der Papst die ständigen Bruderkämpfe beklagte, die das europäische Christentum erschütterten, und dass er eine Pilgerreise ins Gelobte Land als Mittel zur Reinigung von den begangenen Sünden in Aussicht stellte. Sich aufzumachen zu diesem Ziel würde außerdem die Möglichkeit eröffnen, der von den Ungläubigen bedrohten Ostkirche zu Hilfe zu eilen und geistlichen Lohn zu erwerben. Urban trieben vor allem drei Anliegen: Er wollte zunächst einmal seine Autorität in der Auseinandersetzung zwischen dem Papsttum und jenen Kräften innerhalb der Kirche, die sich der Reform noch entgegenstellten, geltend machen. Er wollte außerdem den europäischen Feudalherren, die sich durch ihr Engagement für die Sache des Kaisers kompromittiert hatten, den Weg einer peregrinatio poenitentialis aufzeigen, die sie mit der Kirche befrieden, sie von ihren Sünden befreien und dem Westen zudem eine kurze Erholungspause verschaffen würde. Und schließlich wollte er dem Kaiser von Konstantinopel Ritter zu Hilfe schicken und auf diese Weise die Beziehungen zur griechischen Christenheit wiederherstellen. In den Chroniken überwiegt jedoch als alleinige Motivation die vom türkischen Vorrücken ausgehende Gefahr. Hören wir zum Beispiel, was der französische Geistliche und spätere Kanoniker der Grabeskirche von Jerusalem, Fulcher von Chartres, zu berichten weiß:


Urban II. predigt den Kreuzzug im Beisein von Philipp I., Miniatur von Jean Fouquet aus den Chroniques de France, 1455–1460, Paris, Bibliothèque nationale de France.

Denn es ist notwendig, dass ihr Euren Brüdern im Osten, die sich in Bedrängnis befinden, auf schnellem Wege die schon erbetene Hilfe bringt. Es sind nämlich – den meisten von Euch hat man es schon gesagt – die Türken, ein persisches Volk, über sie hergefallen und bis zum Mittelmeer vorgestoßen, bis in die Gegend, die sie Brachium S. Georgii (Arm des heiligen Georg, d.h. Bosporus und Marmarameer) nennen, indem sie mehr und mehr die Gebiete der christlichen Romania (gemeint ist das Byzantinische Reich) besetzten; in siebenfacher Kriegsschlacht haben sie sie überwunden, viele getötet oder gefangen, die Kirchen zerstört, das Reich Gottes verwüstet. Ließe man sie noch eine Zeit lang in Ruhe gewähren, dann würden sie noch viele weitere Gebiete der Gläubigen einnehmen. Deshalb ermahne ich Euch mit flehentlicher Bitte, nicht ich, nein Gott, dass Ihr, Vorkämpfer Christi, allen, gleich welchen Standes, den Rittern und dem Fußvolk, den Reichen und den Armen, in häufiger Aufforderung ratet, dass sie beizeiten den Christusverehrern beizustehen sich bemühen, dieses nichtsnutzige Volk in unseren Gegenden auszurotten. Den Anwesenden sage ich es, den Abwesenden tue ich es kund, Christus aber befiehlt es. Allen, die dorthin gehen, wenn sie bei der Reise über Land oder der Fahrt zur See oder im Kampf gegen die Heiden ihr Leben durch den Tod verlieren, wird die Vergebung der Sünden unmittelbar zuteil: das sichere ich den Wegziehenden zu, ich gebe es, durch Gott dazu befugt.

Gewiss, die von den westlichen Chronisten verbreitete Sicht der Dinge, die ebenso die objektive Notwendigkeit der Unternehmung aufzeigen sollte wie den Undank oder vielmehr die Böswilligkeit der Griechen in Konstantinopel – die nämlich keine große Wertschätzung für die von den crucesignati verursachten Unruhen zeigten –, verhüllt die Komplexität der Entwicklungen. Alexios, der seit 1081 auf dem Thron von Konstantinopel saß, hatte viele gute Gründe, um mit den Türken auszukommen, und beinahe ebenso viele, den Lateinern zu misstrauen. Wohl hatte er unter dem Druck der Seldschuken Anatolien verloren. Doch ein Kompromiss war rasch gefunden, auch weil die Türken in eine unübersichtliche Zahl von Machthabern aufgesplittert waren, unter denen dauerhaft Spannungen herrschten. Die ausgefeilte Diplomatie der Byzantiner hatte leichtes Spiel mit ihnen. Umgekehrt waren die Beziehungen des byzantinischen Kaisers zur lateinischen Kirche ziemlich angespannt, hatte er doch seinen westlichen Gegenpart, Heinrich IV., unterstützt. Das Papsttum hatte reagiert, indem es die Invasion der Normannen in Epirus, dem westlichen Ausläufer des Byzantinischen Reichs, beförderte. Angeführt wurde sie von Robert Guiscard, Ritter und Spross einer Familie des niederen normannischen Adels, die weite Teile Süditaliens unter ihre Herrschaft gebracht hatte. Überdies war es ihm gelungen, in das Fürstengeschlecht von Salerno einzuheiraten. Der normannische Angriff war dank des Beistands der Venezianer zurückgedrängt worden, doch Ressentiments und gegenseitige Schuldzuweisungen lebten fort. Außerdem gilt es, an dieser Stelle einige Missverständnisse bezüglich der Situation der Christen, die in den muslimisch kontrollierten Gebieten lebten, auszuräumen. Abgesehen von kurzen und situativ bedingten Episoden waren die Christen allgemein respektiert. Eine solche Ausnahmesituation war etwa die Zerstörung der Grabeskirche, die 1009 durch al-Ḥākim, das Oberhaupt des ismailitisch-fatimidischen Imamats von Kairo, angeordnet worden war. Sie stand in Zusammenhang mit einer sowohl gegen Juden und Christen als auch gegen die muslimischen Sunniten gerichteten Politik der Zwangsbekehrung. Normalerweise aber lebten die Christen in teilautonomen Gemeinschaften, wo sie ihre Religion in Maßen frei praktizieren durften und lediglich zur Zahlung bestimmter Steuern verpflichtet waren. Das waren Bedingungen, von denen die wenigen Muslime, die sich mit einem Leben in den von Christen zurückeroberten Gebieten arrangiert hatten, nicht einmal träumen konnten.


Antoine Rivalz, Raimund von Saint-Gilles nimmt das Kreuz, 1706, Toulouse, Musée des Augustins.

Die Ankunft der seldschukischen Türken um die Mitte des 11. Jahrhunderts und die Durchsetzung ihrer Vorherrschaft in dem Gebiet, das der Obrigkeit des Kalifats von Bagdad unterstand, änderte nichts an der Situation. Die türkische Herrschaft war zwar bedeutend raubeiniger und militärischer als die der Araber. Als Neophyten des Islams zeigten sich die Neuankömmlinge auch weniger tolerant. Doch die Lebensbedingungen der Christen scheinen sich in den von ihnen unterworfenen Regionen nicht substantiell verschlechtert zu haben. Obwohl es den Tatsachen entspricht, dass sich um 1055 eine Reihe besonders brutaler Vorfälle zum Schaden der Pilger aus dem Westen ereigneten, hatte man es etwas zu eilig, sie den Türken in die Schuhe zu schieben, nur weil sie sich zeitlich mit ihrer Machtergreifung deckten. Die muslimische Obrigkeit von Jerusalem erachtete den Kaiser von Byzanz als Schutzherrn über die Christen aller Konfessionen. Ihm getreue Amtsträger hatten entsprechend die Aufsicht über das Heilige Grab und die Ordnungsgewalt über die Pilger inne. Auch als unmittelbar nach dem Schisma von 1054 die lateinischen Kirchen in der Heiligen Stadt zeitweise geschlossen worden waren, geschah dies nicht auf türkisches oder muslimisches Geheiß. Die Anweisung kam vielmehr vom Patriarchen von Konstantinopel. Und ja, beim Betreten der Stadt und beim Besuch der heiligen Stätten war ein Tribut zu entrichten, was zu Machtmissbrauch geführt haben dürfte. Desgleichen werden in den xenodochia – den Hospizen, in denen die Reisenden und Pilger beherbergt wurden – und am Heiligen Grab Provokationen und Schikanen an der Tagesordnung gewesen sein. Mit Blick auf all die Unbill in Form von Abgaben, Risiken und langen Wartezeiten war die Pilgerreise beim besten Willen keine Vergnügungsreise. Unerträglich waren die Bedingungen jedoch auch nicht. Dies beweisen die im Verlauf der zweiten Hälfe des 11. Jahrhunderts deutlich zunehmenden Bußreisen ins Heilige Land. Die von Urban II. beworbene Pilgerfahrt ritt geradezu auf dieser Welle. Der Aufruf zur Verteidigung des Heiligen Grabes konnte auch gar nicht anders als allgemein gehalten gewesen sein: Für das damalige Europa war, was in Asien geschah, größtenteils entweder unbekannt oder unverständlich. Man wusste wenig bis gar nichts über die östlichen Christengemeinden und noch weniger über die Beziehungen zwischen Arabern und Byzantinern, zwischen Arabern und Türken und so fort. Der Islam selbst war ebenfalls weitgehend unbekannt. Man bedenke allein, dass die erste lateinische Übersetzung des Korans und anderer Texte der islamischen Tradition erst Mitte des 12. Jahrhunderts durch den Abt von Cluny, Petrus Venerabilis, in Auftrag gegeben wurde. Der heimkehrende Pilger pflegte von seiner Reise freilich Erzählungen über die Gefahren, Beschwernisse und Demütigungen mitzubringen, die auf das Konto der Ungläubigen gingen. In den chansons de geste wurden sie als Heiden, Götzenanbeter und halbe Dämonen dargestellt. Ob Sarazene, Araber, Berber oder Türke – sie alle waren bestens geeignet, die Rolle des »metaphysischen Feindes« zu übernehmen. Die anhaltende Krise innerhalb der kirchlichen Strukturen, die um sich greifenden religiösen Volksbewegungen mit der gesamten Last der sozialen Probleme, die darin auf konfuse Weise zum Ausdruck kam, die Beredsamkeit der Prediger, die sich an den Rändern der kirchlichen Hierarchien bewegten und auf Jahrmärkten und rund um die Wallfahrtskirchen die Wiedergeburt per ignem prophezeiten, erledigten den Rest. Der Appell von Clermont, an dessen Ende laut der Überlieferung immer wieder der Ruf »Deus vult!« ertönte, tat nichts anderes, als diese Elemente zur Reife zu bringen. Weit über die eigenen Absichten hinausschießend, sah der Papst sich sogar gezwungen, eine ganze Reihe von Vorschriften zu erlassen, um die Teilnahme an der großen Bußreise zu regeln, deren Beginn auf das Fest von Mariä Himmelfahrt am 15. August 1096 festgelegt wurde.


Papst Urban II. predigt den Kreuzzug auf dem Konzil von Clermont, Miniatur von Jean Colombe, aus: Sébastien Mamerot, Les Passages d’outremer, um 1474, Paris, Bibliothèque nationale de France.

Die große Geschichte der Kreuzzüge

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