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Ungeachtet der starken Präsenz von Amalfitanern, Genuesen und Venezianern in Ägypten und in den Häfen des Byzantinischen Reiches blieben die Mittelmeerküsten der Levante entlegen und schwer erreichbar für Schiffe, die gezwungen waren, in ständigem Sichtkontakt mit der Küste zu navigieren und für Nachschub und Wartungsarbeiten häufig an Land zu gehen. Der Osten lag in weiter Ferne und auf dem Mittelmeer kreuzten meist arabische, berberische und byzantinische Segler. Lange Zeit schlug die Handelsbilanz vor allem zugunsten der Häfen im Süden und im Osten aus: Der Westen kannte bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts ausschließlich die Silbermünze, während im östlichen Mittelmeer und in der muslimischen Welt die Goldmünze weit verbreitet war.

Nicht, dass die Gemeinschaft der Umma frei von Zwist gewesen wäre: Die arabischen Kräfte in ihrem Inneren hatten allmählich und unwiderruflich an Boden verloren. Längst vorbei waren die Zeiten der Eroberung von Ktesiphon, der prächtigen Hauptstadt des Sassanidenreiches in den Jahren 636/37, als die Beduinen nicht merkten, welch unermessliche Schätze ihnen in die Hände gefallen waren. Sie würzten ihre Speisen mit Kampfer – den sie für Salz hielten – und verteilten den fabelhaften Königsteppich, genannt »Frühling des Chosrau«, aus dem Thronsaal des Palastes – in Stücke geschnitten. Das Kalifenreich war für die stolze, aber zahlenmäßig kleine Gruppe der arabischen Aristokratie zu groß geworden. Die Umma räumte zwar der arabischen Tradition einen unbestreitbaren Vorrang ein, der in der privilegierten Rolle der Familie des Propheten und im Gebrauch des Arabischen als heilige Sprache (nicht nur des Gebets und der Theologie, sondern auch des Rechts und der philosophischen Spekulation) zum Ausdruck kam. Zugleich aber erlaubte ihr universalistischer und egalitärer Charakter jedem, der den wahren Glauben annahm, ein vollwertiger Bruder der anderen Gläubigen zu werden, jenseits aller ethnischen, sprachlichen oder sonstigen Unterschiede. Dies ermöglichte Nicht-Arabern, insbesondere den Persern, sich mit der Zeit in der Umma zu etablieren. So vollzog sich in der Beziehung zwischen arabischer und iranischer Welt ein ganz ähnlicher Vorgang, wie er sich im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. zwischen der römischen und der griechischen Welt abgespielt hatte. Wie das mit Waffengewalt eroberte Griechenland den stolzen römischen Sieger unterworfen hatte, so eroberte Persien den wilden arabischen Sieger. Fiel die Eroberung des Sassanidenreichs mit einer Arabisierung Persiens zusammen, so kam es doch auch zu einer Iranisierung des östlichen Islams und des abbasidischen Kalifats, wo der persische Einfluss zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert dominierte. In der Praxis war die zoroastrische Religion (wie auch der Buddhismus und Hinduismus im Sindh) mit jener der »Leute des Buchs« gleichgesetzt worden. Und doch ging vom Islam eine Anziehungskraft aus, die sich nicht nur dadurch erklären lässt, dass er die Religion der Sieger war und die Entscheidung zur Konversion Zugang zur herrschenden Klasse verschaffen konnte. Frisch Bekehrte wurden im Übrigen als mawali (Klienten, Freigelassene) in einem Zustand teilweiser Unterwerfung gehalten; sie mussten sogar – wenn auch unrechtmäßig – weiterhin die jiziya, eine Art Kopfsteuer für dhimmi, entrichten. Diese Situation änderte sich jedoch bald. Die vom östlichen Teil des Reiches ausgehende abbasidische Revolution wurde zum Teil von ebenjenen mawali ausgelöst und unterstützt. Das geschah im Namen einer Bewahrung des reinen, ursprünglichen Islams, den die autokratischen und zentralistischen Entscheidungen der Umayyaden, die hierin als Nachahmer von Byzanz auftraten, verraten zu haben schienen. In jedem Fall entstand aus der byzantinisch-arabisch-iranischen Verschmelzung die große muslimische Kulturtradition, aus der al-Biruni, Avicenna und al-Razi (Rhazes) hervorgingen.

Unterdessen kamen im 10. und 11. Jahrhundert neue Konvertiten aus dem Osten und Nordosten in die Kalifenländer: die Türken, ural-altaische Völker, deren Kultur sowohl den Arabern als auch den indoeuropäischen Iranern fremd war. Es waren Völker, die in der Vergangenheit das Eindringen der Muslime jenseits von Oxus und Jaxartes, wie die Flüsse Amu-Darja und Syr-Darja in der Antike hießen, erbittert bekämpft hatten. Nun war es die ursprünglich turkmenische Dynastie der Seldschuken, Nachfahren eines Khans des 10./11. Jahrhunderts namens Selgiuq, die den geschwächten arabisch-persischen Streitkräften zu Hilfe kam. Im Verlauf des 11. Jahrhunderts gelang es ihnen, die Kontrolle über Persien und den Irak zu erlangen, wobei ihr Anführer es verstand, sich an die Seite des abbasidischen Kalifen zu stellen. Mit dem Titel des Sultans übernahm er zugleich die ehrenvolle Aufgabe, den sunnitischen Islam im Osten zu verteidigen. Für diesen konnte Bagdad angesichts des schiitischen Kalifen von Kairo und des autonomen sunnitischen Kalifen von Córdoba zwar nicht mehr als theokratisch-politische Hauptstadt gelten, aber immerhin als Sitz des Stellvertreters und Nachfolgers des Propheten. Die seldschukischen Sultane mit ihrem System untergeordneter Beamter (agha, beg, atabeg) und ihren über die gesamte anatolische Halbinsel verteilten Vasallenmächten waren in der Lage, das Kalifat, das Zeichen der Erschöpfung zeigte, durch ihre Kampfstärke und ihren Mut aufrechtzuerhalten. Und doch war dies der Beginn jener stocktauben Rivalität zwischen Türken und Arabern, die die Jahrhunderte mit all ihren Bevölkerungsverschiebungen und Veränderungen überleben und letztlich eine bedeutende Rolle in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts spielen sollte. Doch nicht einmal die Türken waren in der Lage, zumindest nicht vor dem 15. Jahrhundert, das große Bollwerk gegen den aufstrebenden Islam im Nordwesten ganz zu bezwingen – das Byzantinische Reich. Die explosionsartige Ausbreitung des neuen Glaubens hatte es allerdings stark geschwächt: Sie hatte ihm Palästina, Syrien, Armenien, Teile der anatolischen Halbinsel, Ägypten, Nordafrika, Kreta und Sizilien entrissen. Der Islam hatte sich in diesen Ländern relativ leicht und rasch ausgebreitet. Die dort lebenden Christen waren zumindest in Teilen Monophysiten, Anhänger einer Konfession, die von den Byzantinern lange Zeit als häretisch unterdrückt und verfolgt worden war, weshalb sie notgedrungen eine muslimische Vorherrschaft bevorzugten. Byzanz sah sich seiner thalassokratischen Stärke beraubt, ohne dass sich das Mittelmeer jedoch vollständig in ein muslimisches Binnengewässer verwandelt hätte. Im 7. und 8. Jahrhundert musste die Hauptstadt wiederholt schwere Belagerungen von muslimischer Seite über sich ergehen lassen. Nach dem Sieg bei Manzikert im Jahr 1071 gründeten die Türken 1080 im Herzen Anatoliens das Sultanat Rūm (so genannt, weil es sich auf byzantinischem, rhomäischem Boden befand) und machten Konya (griechisch Ikónion) zur Hauptstadt. Trotz dieser heftigen Rückschläge hielt die kaiserliche Streitkraft von Konstantinopel stand. Die Geschichte des Mittelmeerraums zwischen dem 7. und dem 10. Jahrhundert ist auch die einer ständigen Konfrontation zwischen Muslimen und Byzantinern. Obwohl es Westeuropäer waren, die die Legenden von Poitiers und Roncesvalles hervorgebracht haben – Letztere poetisch ergreifender, aber historisch weniger korrekt als Erstere –, bleibt die Tatsache bestehen, dass die Wucht der muslimischen Offensive am stärksten Byzanz traf.

Die Lage änderte sich im Zuge des 11. Jahrhunderts grundlegend. Mit Mühe versuchte sich Byzanz gegen den Islam zu behaupten, der vom inzwischen turkisierten Anatolien herandrängte. Zu diesem Zweck verfeinerten die Byzantiner einerseits die Methoden ihrer traditionell geschickten Diplomatie noch weiter, andererseits suchten sie im Westen unablässig nach schwer bewaffneten, im Reiterkampf geübten Barbarenkriegern, die sie dann als Söldner an die im Fluss befindlichen Grenzen Kleinasiens schickten. Auch der Westen erwachte nun aus seinem langen Schlaf und erkannte neue Möglichkeiten zur Expansion neben der kontinentalen Ausdehnung nach Nordosten, die das junge germanische Christentum seit karolingisch-ottonischer Zeit gekennzeichnet hatte. Der Blick richtete sich nun nach Spanien, in den Mittelmeerraum und den Nahen Osten. Für die »Franken«, wie die Westeuropäer von den Muslimen genannt wurden, materialisierte sich der Feind in jenen, die man für gewöhnlich Sarazenen, die »Söhne Sarahs«, oder, näher an der biblischen Geschichte, Agarener (oder Hagarener), die »Söhne Hagars«, nannte. Jenseits der Pyrenäen kannte man sie unter dem lateinischen Namen mauri – da sie aus dem alten Mauretanien stammten – oder, wie die Kastilier und Katalanen zu sagen pflegten, als moros, eine Bezeichnung, der großer Erfolg beschieden sein würde.

Wo immer sie hinkamen, trafen die Europäer auf Sarazenen: in Spanien, wo sie die Wege zu einem der großen Pilgerziele im Westen, dem galizischen Wallfahrtsort Santiago de Compostela, unsicher machten; auf dem Mittelmeer, wo sich die pisanischen und genuesischen Flotten in brutalen Kämpfen aufrieben, um die tyrrhenische Küste vom Alptraum der Piratenüberfälle zu befreien und die Muslime von Korsika und später von den Balearen zu vertreiben; auf der anatolischen Halbinsel, wo normannische Söldner auf die seldschukischen und danischmendischen Türken trafen. Diese andauernde Präsenz des Islams, dem der Gebrauch der arabischen Sprache eine einheitliche Patina verlieh, die aber der ethnischen Vielfalt und politischen Zersplitterung, die ihn kennzeichneten, in keiner Weise entsprach, nährte in der westlichen Christenheit den Eindruck, geradezu umzingelt zu sein. In Wirklichkeit war es umgekehrt: Dass die Muslime entlang einer breiten Front präsent waren, die sich von den Pyrenäen über das Mittelmeer bis zum Kaukasus erstreckte, war nicht ihrem aggressiven Expansionsdrang geschuldet, der sie zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert angetrieben hatte, nun aber zum Stillstand gekommen war, sondern der Wucht und dem Ungestüm, mit dem sich die Europäer über ihre gewohnten Grenzen hinweg ausbreiteten. Es war eine ungestüme Energie, die sich da auf unterschiedliche Weise Bahn brach: von der Zunahme der Pilgerreisen und Handelsgeschäfte über die wiederholten Expeditionen französischer Ritter über die Pyrenäen, um an der Reconquista teilzunehmen, bis hin zur normannischen Diaspora, die ihre kühnen rotschopfigen Krieger mit den großen mandelförmigen Schilden in den Kampf gegen die arabisch-berberischen Muslime Siziliens und die türkischen Muslime Anatoliens führte. In diesem Schmelztiegel muss man den Aufruf verorten, der Christenheit im Osten zu Hilfe zu eilen und zur Rückeroberung Jerusalems aufzubrechen. Es war die Geburtsstunde dessen, was die Moderne voreilig als den »Geist der Kreuzzüge« bezeichnet hat – ein Konglomerat aus Idealen und Praktiken, die sich in ungeahnter Weise entwickeln sollten.

Die große Geschichte der Kreuzzüge

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