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Die Rechtfertigung des Krieges

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Die Idee vom Kreuzzug als Krieg, insbesondere als »Heiliger Krieg«, fand ihren Nährboden zum einen in dem kriegerisch auftrumpfenden Christentum in Byzanz, zum anderen in der Sakralisierung jener Konflikte, mit denen die Christianisierung Ost- und Mitteleuropas zur Zeit der karolingischen und ottonischen Kaiser vorangetrieben wurde. Krieg und Mission, das war eine tragische Liaison, die im letzten Viertel des 8. Jahrhunderts konkrete Formen annahm. Es handelte sich um eine mit Gewalt christianisierte Welt, die zwar in den Institutionen, nicht aber in den Strukturen, in den äußeren Riten, nicht jedoch in den Bräuchen von Grund auf überzeugt werden konnte. Seit den Kriegen, welche die Franken gegen die Sachsen und Slawen führten, war ein Thema von brisanter Aktualität, nämlich die Wahl zwischen Taufe und Tod. Es begegnet später wieder in den chansons de geste, die durchaus als Spiegel für den Kampf gegen einen als Heidentum inszenierten Islam gelten dürfen, aber auch eine dunkle Erinnerung an jene fernen Ereignisse bewahren. Das Christentum, das dieser Auffassung zugrunde lag, war eindeutig alttestamentlich und apokalyptisch geprägt. Darin verbinden sich sakrale und herrscherliche Sphäre: Reliquien werden mit in die Schlacht geführt, Waffen werden geweiht. Und Bischöfe verstehen sich besser auf die Kunst der Truppenaufstellung oder darauf, den Bär in der Höhle aufzuspüren oder dem Wildschwein nachzujagen, als auf die Lehren und Riten des Allmächtigen. Ein Christentum, ererbt von Theodosius und Justinian, geschmiedet mit der barbarischen Wucht der Söhne des Waldes und der Steppe, die sich womöglich in aller Aufrichtigkeit der Taufe unterzogen hatten, dabei jedoch ihre alten Götter, jene Gebieter über Schlachten und Stürme, niemals ganz vergaßen. Ein Christentum ohne Evangelium gewissermaßen – oder zumindest so gut wie ohne. In jedem Fall aber eines, das dem Irenismus Jesu oder den Metaphern des Paulus den brennenden Zorn des allmächtigen Gottes aus der Apokalypse (Offb 19,11–15) oder die Erbarmungslosigkeit des Herrn der Heere im Buch Jesajas (Jes 3,1) und all der Krieger wie Josua, Gideon, David oder der Makkabäer vorzog. Gemetzel und Verstümmelungen wurden als Werke Gottes gelobt, vollstreckt durch die Hand seiner Auserwählten (Ex 32,26–38; 1 Sam 15,3 oder 2 Makk 15,27–28). Aus solchen Geschehen, Visionen und Zeichen würde sich die Vorstellungswelt der ersten Kreuzfahrer nähren.

Dabei war das Christentum in seinen Ursprüngen eine Religion des Friedens. Die Worte Jesu und sein Beispiel – und noch vor ihm die Johannes’ des Täufers – lehrten, sich dem Bösen nicht mit Gewalt zu widersetzen (Mt 5,21–26, 38–48; Mt 22,21; Lk 3,14; Lk 49–53, Joh 18,10–11). Das galt vor allem für den privaten Bereich, dann aber, beginnend mit dem berühmten Satz »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist«, auch für die öffentliche Sphäre. Die neue Religion hatte im Römischen Reich außerordentliche Verbreitung erfahren und sich gegen die ebenfalls auf Erlösung und ewiges Leben ausgerichteten Mysterienkulte wie den Mithraskult durchsetzen können, indem sie ihre Loyalität gegenüber den kaiserlichen Institutionen und somit ihre Vereinbarkeit mit der pax romana unter Beweis stellte. In der langen Zeitspanne zwischen dem 2. und 5. Jahrhundert, in der das römische Heer vor allem Verteidigungszwecke erfüllte, war es möglich gewesen, den christlichen Glauben und sein ausgeprägtes Friedensstreben mit dem Militärdienst in Einklang zu bringen. Wie die Acta martyrium belegen, befanden sich nicht wenige Christen in den Reihen der Legionäre. Wohl sahen einige von ihnen in der völligen Unterwerfung unter den Staat eine Form von Götzendienst, sie stellten aber eine Minderheit dar. Tatsächlich kam es unter den Christen, die im Heer dienten, nicht allzu häufig zu Gewissenskonflikten. Die Unvereinbarkeit zeigte sich eher in den möglichen Kontakten mit den für Götzendienst gehaltenen Kulten, die unter den anderen Soldaten praktiziert wurden. So berichtet beispielsweise Tertullian in De corona, wie ein christlicher Soldat unter Septimus Severus sich weigerte, als sein Haupt in der Zeremonie des donativum zur Belohnung mit Lorbeer bekränzt werden sollte. Nach dem Grund seiner Verweigerung befragt, habe der Soldat dem Tribun geantwortet, er sei Christ – »christianus sum« –, und sei daraufhin unverzüglich in den Kerker geworfen worden.


Leander Russ, Die Grabeskirche in Jerusalem, 1842, Wien, Albertina.

Bald zeigte sich, dass man der anhaltenden Gewalt in der Gesellschaft Rechnung tragen, sich zumindest vor ihr schützen musste. Einen ersten Meinungsumschwung in der Kriegsfrage erlebte die Westkirche, als sich das Kaiserreich allmählich dem Christentum öffnete. Der Einfachheit halber könnten wir Konstantins Sieg über Maxentius in der Schlacht an der Milvischen Brücke zum Symbol dieses Umschwungs erklären. Immerhin hatte er ihn nach einer himmlischen Erscheinung errungen und nachdem man das Christogramm auf dem labarum, der Heeresfahne, angebracht hatte. Ohne hier auf Konstantins sogenannte Bekehrung einzugehen, lässt sich feststellen, dass er den Christen damals eine Reihe von Vergünstigungen zugestand, die wir ideell als die Basis der künftigen Allianz zwischen Kirche und Reich ansehen dürfen. Zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert begannen die Kirchenväter, systematisch über Themen wie Krieg und insbesondere über das Konzept eines gerechten Krieges nachzudenken. Es war dies ein Erbe des Aristoteles, der sich mit der Frage in seiner Politik auseinandergesetzt hatte (I, 8; VII, 14). Dem Philosophen zufolge durfte Waffengewalt kein Selbstzweck sein. Gerechtfertigt war ihr Einsatz zum Schutz des Gemeinwesens, aber auch bei Eroberungsfeldzügen und zur Unterwerfung von Bevölkerungen, die für das Sklavendasein bestimmt waren, oder, vor allem, »um des Friedens willen«. An solche Konzepte knüpften die römischen Überlegungen zum gerechten Kriegsgrund an, von Livius’ causa belli, die im Bündnisbruch verankert war, bis zu Ciceros Gegenüberstellung von bellum iustum und bellum iniustum. Aus der Begegnung der griechischen und römischen Rechtstradition mit der biblisch-jüdischen entsprang die Idee, derzufolge der Umstand, dass der Kaiser nun Christ war, in vollem Umfang legitimierte, für ihn zu kämpfen. Eine Minderheit stand dem Kriegseinsatz der Christen weiter ablehnend gegenüber, ihr Widerstand ließ jedoch mit der Zeit nach. Das christlich gewordene römische Kaiserreich fungierte als der natürliche Beschützer von Gottes Kirche und musste natürlich als solcher selbst auch verteidigt werden. Heiden und Häretiker konnten eine Bedrohung für seine Stabilität darstellen. Eusebius von Caesarea zufolge waren die Laien gehalten, sich in den gerechten Kriegen des Reiches zu engagieren. Ambrosius, Bischof von Mailand und ein ehemaliger kaiserlicher Amtsträger, säumte nicht, Ende des 4. Jahrhunderts das unauflösliche Band zwischen Kaiserreich und Christentum zu betonen: Der Krieg des einen sei der Krieg des anderen. Ihm zufolge waren alle Kriege des Kaisers gerecht, so wie es auch alle Kriege der Israeliten gewesen seien.

Es war vor allem Augustinus von Hippo, der zu Beginn des 5. Jahrhunderts mit Nachdruck auf die Bedrohung hinwies, welche die Barbaren für das Kaiserreich darstellten und die Häretiker, insbesondere die Donatisten, für die Einheit der Kirche. Diese Gefahr rechtfertige den Gebrauch von Waffengewalt, ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch sein Werk De civitate Dei zieht. Der Krieg, so betont unser Autor, sei zwar mit Sicherheit ein Übel; bisweilen stelle er aber ein notwendiges Übel dar, mit dem sich größeres Unglück abwenden oder ein Unrecht wiedergutmachen lasse. Welche Fälle aber legitimieren es, von einem iustum bellum zu sprechen? Ein Krieg ist für Augustinus dann gerecht, wenn er von einer legitimierten Autorität erklärt wird, wenn er dem Wiederherstellen von Frieden und Gerechtigkeit dient, der Verteidigung von Haus und Hof oder der Rückgewinnung unrechtmäßig entwendeten Eigentums. Schließlich muss er noch von Soldaten geführt werden, die frei sind von Hass oder persönlichen Interessen. Weit entfernt also davon, als Alibi für Kriegshandlungen jeglicher Art herzuhalten, ermöglichte die Formel des iustum bellum eine klare Abgrenzung, in welchen Fällen der Gläubige sich beim Gebrauch der Waffe im Recht fühlen durfte. Dies ließ keine anarchische Entfesselung der Gewalt zu, im Gegenteil: Der gerechte Krieg wandte sich gegen die Gewalt selbst, indem er eine ständig überwachte Ausübung von Macht einforderte, die verhindern sollte, dass die Schwachen unterdrückt werden und Unrecht über Gerechtigkeit obsiegt.

Aus augustinischer Sicht ist es ein ausdrücklicher Befehl Gottes, der den Krieg legitimiert. Obschon Krieg eine Frucht der Sünde ist, kann er zu einem Förderer der Tugend werden, nämlich sobald er zugunsten der Opfer eines Unrechts geführt wird und sich auf diese Weise in einen Akt der Nächstenliebe verwandelt. Unter allen Umständen muss der Christ immer und überall friedliebend sein und, auch wenn er Waffen benutzt, als Friedensstifter agieren.

Wilhelm Durandus der Ältere, Bischof von Mende, gab Ende des 13. Jahrhunderts in seinem Pontifikale die sakramentalisierte liturgische Form vor, in der die Zeremonie der Einkleidung zum Ritter (das sogenannte addobbamento), die wahrscheinlich vorchristlichen und auf jeden Fall weltlichen Ursprungs war, vonstattenging. Dabei legte er dem Zelebranten als Wegweiser für den neuen Ritter ein Zitat aus Augustinus auf die Lippen: »Sis miles pacificus«. Dass der christliche Krieger pacificus (ein Friedensbringer) sein solle, war nicht allein auf den Zweck des Krieges bezogen, an dem er mit dem Auftrag beteiligt sein würde, einen gerechten Frieden anzustreben. Um pacificus zu sein, war auch eine bestimmte Weise der Kriegsführung vonnöten. Es hieß, unnötige Gewalt zu vermeiden, nach dem Sieg Hassgefühle und Rachegedanken zu überwinden, keine Taten zu verüben, die nachteilige Folgen für die Schwachen haben könnten, und die Feinde nicht mehr als notwendig zu schädigen. Hier zeichnet sich die wesentliche Problematik des künftigen Kriegsrechts ab: die Unterscheidung zwischen ius ad bellum (welche Gründe zum Eintritt in den Krieg berechtigen) und ius in bello (das Verhalten der Kombattanten während eines Konflikts).

Die große Geschichte der Kreuzzüge

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