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Expansion und Eroberung

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Über weite Teile des 11. Jahrhunderts boten sich dem christlichen miles Möglichkeiten, sich zu beweisen, insbesondere auf der Iberischen Halbinsel, dem Schauplatz der christlichen Reconquista. Diese Rückeroberung wurde von der Kirche unterstützt, indem sie den daran beteiligten Kämpfern Ablässe analog zu denen der Pilger in Aussicht stellte. Gewiss lässt sich mit dem einen Etikett der Reconquista schwerlich ein Konflikt beschreiben, der rund acht Jahrhunderte währte. Vor langer Zeit war die Halbinsel von arabischen Berbern erobert worden. Im April oder Mai des Jahres 711 durchquerte der Statthalter von Tanger, Ṭāriq ibn Ziyād al-Laythī – in der spanischen Version der Legende Taric el Tuerto –, die Meerenge und ließ Aufstellung nehmen rings um das Gebiet, das nach ihm benannt werden würde: Gibraltar (auf Arabisch Jabal Târiq, Berg des Ṭāriq). Im Oktober 711 fiel Córdoba; nur wenig später wurde Toledo eingenommen, die alte Hauptstadt der Westgoten. 714 waren Saragossa und das gesamte mittlere Ebrotal an der Reihe. Der Vorstoß kam im Westen vor dem Kantabrischen Gebirge zum Erliegen und im Osten in den Pyrenäen, obwohl einige Expeditionen bis ins südliche Gallien vorgedrungen waren. Genau genommen will die fränkische Tradition, dass den Sarazenen von Karl Martell, dem Großvater des künftigen Kaisers Karl des Großen, Einhalt geboten wurde, in der berühmten Schlacht von Poitiers 732 (oder vermutlich 733). In der Schilderung dieses Ereignisses bezeichnet ein anonymer Chronist die christlichen Kämpfer erstmals als Europeenses. Jedenfalls war das von den Muslimen kontrollierte Gebiet – auf Arabisch »al-Andalus« genannt (eine Bezeichnung unsicherer Herkunft, die vielleicht mit dem Namen des germanischen Stammes der Vandalen in Zusammenhang gebracht werden kann, der sich im 5. Jahrhundert dort niedergelassen hatte) – derweil zu einer Provinz des Kalifats von Damaskus geworden, die dank der Einführung neuer Techniken in der Landwirtschaft und eines verstärkten Handels mit den christlich gebliebenen Regionen im Norden florieren sollte.

Den Höhepunkt seiner Blütezeit erreichte al-Andalus unter Abd al-Rahmān I. (756–788), dem Begründer der in Córdoba ansässigen Umayyaden-Dynastie, Abd al-Rahmān II. (822–852), der eine Zentralisierung der Verwaltung auf den Weg brachte, und Abd al-Rahmān III. (912–961), der sich 929 selbst den Titel eines Kalifen verlieh und damit in Konkurrenz zum alten abbasidischen – also ebenfalls sunnitischen – Kalifat von Bagdad und zum fatimidischen – schiitischen – Imam von Kairo trat (den er seinerseits fälschlich als Kalifen bezeichnete). Mit Beginn des folgenden Jahrhunderts büßten die umayyadischen Kalifen einen Großteil ihrer Autorität zugunsten der Provinzgouverneure ein, die sich nach und nach unabhängig gemacht hatten. 1031 zerfiel die Zentralmacht und das Kalifat wurde in zahlreiche Fürstentümer, die sogenannten Taifas, aufgeteilt. Davon profitierten die christlichen Herrscher des Nordens, die die Rivalitäten unter den Machthabern ausnutzend eine Reihe militärischer Operationen durchführten. Ein erster unabhängiger christlicher Herrschaftskern hatte sich unmittelbar nach der muslimischen Eroberung in der Region Asturien im Nordwesten gebildet, begünstigt durch die Zuwanderung aus dem Süden und die Beziehungen zum karolingischen Gallien. Die asturischen Herrscher hatten einstweilen ein immer stärkeres Bewusstsein für ihre monarchische Würde entwickelt, was sich in der Rückbesinnung auf ihre westgotischen Traditionen und darüber auf ihre antikrömischen Wurzeln beispielhaft zeigte. Im 10. und 11. Jahrhundert hatte sich das asturische Reich südlich des Kantabrischen Gebirges ausgedehnt. Die Hauptstadt war von Oviedo nach León verlegt worden, in Richtung der üppigen iberischen Meseta. In der Zwischenzeit bildeten sich im Osten die ersten Keimzellen des navarresischen Reichs, zu dem die Grafschaften Kastilien und Aragón gehörten. Das berühmte Rolandslied aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts schildert Rolands Tod in der Schlacht bei Roncesvalles, das auf dem Pilgerweg nach Compostela liegt:

Graf Roland hört ihr heidnisch Feldgeschrei

und sagt: »Heut leiden wir für Gott den Tod,

der Tod ist nicht mehr fern, ein Feigling der,

der seinen Kopf nicht teuer heut verkauft.

Braucht, edle Herren, die wohl gefegten Schwerter,

das süße Frankreich falle nicht in Schmach! Und kommt mein Kaiser Karl und sieht uns hier, und sieht für unser einen fünfzig Heiden, dann wird er sagen: ›Herr Gott! segne sie!‹«

Ganz Europa kannte diese Verse, sie gehören zu den anrührendsten des Rolandsliedes und wurden von Markt zu Markt, von Burg zu Burg weitergetragen. Wie viele Pilger mögen auf ihrem Weg des heldenhaften Endes des Paladins gedacht haben, während sie die Pyrenäenpässe überquerten?

Die immer wieder aufflammenden Kämpfe gegen die Muslime, die gelegentlich Unterstützung seitens der italienischen Seestädte erfuhren, fanden ihren Höhepunkt in der großen Schlacht bei Las Navas de Tolosa im Jahr 1212 und dauerten schlussendlich bis zum Fall von Granada im Jahr 1492 an. An ihnen beteiligten sich die Sprösslinge eines Lehnsadels, der durch steigende Preise, die aufkommende Geldwirtschaft und sich auflösende Familienvermögen verarmt war. Und so zogen die milites, Ritter, die nichts anderes ihr eigen nennen konnten als ihre Träume, ihre Waffen und ein oder zwei Pferde, in Begleitung von ein paar Dienern auf den Straßen von Europa umher. Der »fahrende Ritter«, die romantische Figur par excellence, war Wirklichkeit, wenn auch bei Weitem nicht so verbreitet, wie die ritterliche Dichtung glauben machen wollte. In der Praxis muss es sich um arme Teufel gehandelt haben, die, abgesehen von der Wegelagerei, keine andere Einkunftsquelle hatten, als sich bei irgendeinem Machthaber als Söldner zu verdingen. Für diese Kriegerschicht bildete die Iberische Halbinsel ein traditionelles Betätigungsfeld, wobei sie sich nicht nur bei Christen verdingten: Krieger, die in der christlichen Lehre erzogen worden waren, traten nicht selten auch in den Dienst arabisch-hispanischer oder maghrebinischer Emire. So war zum Beispiel der Kastilier Rodrigo Díaz (um 1043–1099), bekannt als el Cid Campeador, ein Berufskrieger, der seine Dienste Christen wie Muslimen gleichermaßen anbot. Später stieg er zum Protagonisten einer lateinischen Chronik über sein Leben auf, der Historia Roderici, die wenige Jahrzehnte nach seinem Tod verfasst wurde. Auch im noch berühmteren Cantar de Mio Cid, dem ältesten Werk der spanischen Heldenepik, wurde er besungen.

Aber der Kampf gegen den Islam wurde auch auf dem Mittelmeer und vor allem auf dem Tyrrhenischen Meer ausgetragen, wo die jungen genuesischen und pisanischen Flotten dabei waren, ihre Brückenköpfe in Korsika und Sardinien zu konsolidieren. Nach und nach verdrängten sie aus den von ihnen kontrollierten Gewässern die Überbleibsel der muslimischen Piratenkönigreiche, die im 8. und 9. Jahrhundert entstanden waren und ihre traditionellen Stützpunkte auf den Balearen und an der Nordküste Afrikas hatten. Dieser Kampf um die Vorherrschaft auf dem Meer und um die Absicherung des Warenhandels, der die christlichen Handelsflotten auch zur Eroberung einiger nordafrikanischer Küstenstädte veranlasste, erzeugte – da er gegen die »Ungläubigen« geführt wurde – eine gewisse religiöse Spannung. Diese war vielleicht noch diffus und mit Sicherheit nicht uneigennützig (schließlich handelte es sich um Kriege unter Freibeutern), aber dennoch real. Die Quellen berichten von Tausenden aus Stadt und Land herbeiströmenden Fußsoldaten und berittenen Kriegern, die auf Segelschiffen und Galeeren eng zusammengepfercht mit mitgeführtem Kriegsgerät und Triböcken die feindlichen Küsten anliefen und wild entschlossen waren, zu kämpfen und Beute zu machen. Es sind Merkmale, die die meisten Expeditionen, von denen wir Kenntnis haben, verbinden: von jener der Pisaner gegen Reggio und Messina im Jahr 1005 bis zu den Kampagnen gegen Bona (das antike Hippo und heutige ’Annāba in Algerien) im Jahr 1034 und Palermo im Jahr 1064; von den im pisanisch-genuesischen Flottenverbund durchgeführten Kampagnen gegen Sardinien und Korsika in den Jahren 1015–1116, gegen Mahdia im Jahr 1087 (oder 1088), gegen Valencia im Jahr 1092 und Tortosa im Jahr 1093 über die Kampagne von 1114/15 gegen die Balearen, die die Pisaner allein für sich in Anspruch nahmen, bis zur genuesischen Expedition gegen Almería und Tortosa 1146–1148. So befand sich der Islam im gesamten Westen des Mittelmeerraums, der zu dieser Zeit keineswegs ein einheitliches Ganzes bildete, zum ersten Mal seit den Tagen des Propheten auf dem Rückzug. In den vor Waren und geschäftigem Treiben überquellenden Städten, in den Häfen, in denen sich Schiffe drängten, die die Seewege nach Osten befuhren, beschwor die um den Bischof von Rom neu gegründete Christenheit eine »Kraftidee« herauf, die imstande war, den Namen des Erlösers mit jener Explosion von Energien zu verknüpfen, die sie selbst erfasst hatte.

Die große Geschichte der Kreuzzüge

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