Читать книгу Die große Geschichte der Kreuzzüge - Franco Cardini - Страница 12

Die Sakralisierung des Krieges

Оглавление

Die augustinischen Ideen wurden sicher nicht von der gesamten Christenheit geteilt: Im Verlauf der christlichen Geschichte fehlte es nicht an Stimmen, die einen Rückzug aus der Welt forderten und bereit waren, sich den Irenismus auf die Fahnen zu schreiben. Ihr Erbe sollte in jedem Fall sehr lebendig bleiben.

Mit dem Aufkommen der römisch-barbarischen Reiche zwischen dem 5. und 6. Jahrhundert musste die Kirche sich mit neuen Werten auseinandersetzen, die sich nicht einfach ignorieren ließen. Die germanischen Völker räumten dem Krieg einen besonderen Stellenwert ein, ja er besaß in ihren Augen regelrecht sakrale Züge. Dass es in der Kirche ein Bewusstsein dafür gab, beweist die Praxis, in den Schwertgriff Reliquien einzulassen, was mit aller Wahrscheinlichkeit dem Versuch geschuldet war, die Sitten dieser Völker zu christianisieren. Der Brauch begegnet auch im Rolandslied: Wer erinnert sich nicht an das berühmte Schwert Durendal, dessen Heft einen Zahn des Apostels Petrus, Blut des heiligen Basilius, einige Haare des heiligen Dionysius und ein Stück vom Gewand der Jungfrau Maria enthalten haben soll? Um die Neuankömmlinge, angefangen bei ihren Anführern, zu bekehren, hatte die Kirche keine andere Wahl, als ihre Werte anzuerkennen und christlich umzuformen, um im Gegenzug Schutz zu erhalten. Begünstigt wurde dies durch einen aristokratischen Episkopat, der selbst einer Welt angehörte, in der der Gebrauch von Waffen alltäglich war. Diese Verbindung von germanischer und kirchlicher Welt charakterisierte das Gallien der Franken: Sie lässt sich bereits bei den Merowingern, noch mehr bei den Pippiniden und in der Folge bei den Karolingern beobachten. Mit Letzteren schloss die Kirche eine starke Allianz, untermauert von der renovatio imperii, der Wiedergeburt des römischen Reiches im Westen, die durch die Krönung Karls des Großen in Rom am Weihnachtstag des Jahres 800 bekräftigt wurde. Diese Erneuerung wertete die Idee des »legalisierten« Krieges wieder auf, also des von einer legitimen Autorität erklärten Krieges. Die Figur des Kaisers wurde sakralisiert dank der kirchlichen Salbung nach einem Ritus, der dem biblischen Vorbild Sauls folgte und von dem Merowingerkönig Chlodwig eingeführt worden war. Die Aufgabe des Kaisers war eine doppelte: das Reich zu verteidigen und die Kirche. Die zu diesem Zweck geführten Kriege nahmen mithin einen sakralen Charakter an. Wir erinnern an die militärischen Unternehmungen gegen die zwischen Rhein und Elbe angesiedelten Sachsen, die eine dermaßen starke religiöse Komponente besaßen, dass sie als geheiligte Kriege oder Missionskriege bezeichnet worden sind. Den Feldzügen gingen Messen und Fastenzeiten voraus, begleitet wurden sie von der Verkündigung des Glaubens und von der Verpflichtung zur Annahme des Christentums gemäß der in der Diözese Rom geltenden Lehre und liturgischen Praxis. Dessen ungeachtet handelte es sich keineswegs um heilige, von Gott gewollte Kriege. Verschiedene Stimmen – wie Alkuin von York, der Berater Karls des Großen, oder Johannes Scotus Eriugena, der Lehrer seines Neffen Karl des Kahlen – beharrten weiterhin auf der moralischen Überlegenheit des mit geistigen Mitteln geführten Kampfes. Der sakrale Kern der zur Verteidigung der Kirche und, weiter gefasst, der gesamten Christenheit geführten Kriege, die pugna spiritualis der Seele gegen das Böse und die Sünde, sollte sich zwischen dem 9. und 10. Jahrhundert noch stärker ausprägen. Das geschah zeitgleich mit den Einfällen von Sarazenen, Ungarn und Normannen, die sich vorwiegend gegen kirchliche Niederlassungen richteten, wo ganz offensichtlich reichere Beute zu machen war. Eine bewaffnete Verteidigung wurde nun zur Notwendigkeit. Man denke nur an die Plünderung Roms durch die Sarazenen im Jahre 846 und an den darauffolgenden Appell Papst Leos IV. an die Franken. In der kurz nach den Ereignissen verfassten Epistola ad exercitum Francorum bekräftigt der Bischof von Rom nachdrücklich, dass jene, die zur Verteidigung des Apostels Petrus herbeieilten, ohne Schwierigkeiten ins Himmelreich gelangen würden. Neu ist hieran die Idee vom Sündenerlass, die später zu einem konstituierenden Merkmal des Kreuzzuges wurde. Der gleiche Gedanke findet sich in der Antwort, die Papst Johannes VIII. in den 870er-Jahren einigen fränkischen Bischöfen gab, als diese fragten, wie es um das Schicksal derjenigen bestellt sei, die in den zur Verteidigung des Glaubens geführten Schlachten fielen. Sie würden, so erklärte der Papst, die Ruhe des ewigen Lebens finden, weil der Herr so gnädig gewesen sei, durch seinen Propheten zu verkünden: »Zu welcher Stunde auch immer er bereut, ich werde mich nicht mehr an alle seine Freveltaten erinnern.«


Labarum Kaiser Konstantins mit Christusmonogramm, Vatikanische Museen.

Obwohl Reue keineswegs die Sünde ungeschehen machen konnte, die vielmehr weiterhin schwer wog, nahm der Papst dank der ihm verliehenen Autorität für sich die Befugnis in Anspruch, zu vergeben. Dies ist ein wichtiger Schritt in Richtung der Lehre vom Sündenablass, die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts festgeschrieben wurde. Selbst das kirchliche Vokabular wurde den Umständen angepasst, indem es Jesus metaphorisch als siegreichen Krieger darstellte und immer beherzter mit Konzepten wie Loyalität und Rache hantierte. Dies war nicht zuletzt das Ergebnis der Allianz, die im Rahmen einer weiteren renovatio imperii geschmiedet worden war. Deren Protagonist war das Haus Sachsen unter der Führung von Otto I., der Geißel der Ungarn, der 962 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde.

Die Verteidigung der Kirche war auch und vor allem auf lokaler Ebene erforderlich: Kirchen und Klöster bedurften des Schutzes, nicht nur gegen Überfälle von außen, sondern auch angesichts der zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft. Ausgehend von den Klöstern vollzog sich daher ein weiterer Schritt zu einer Sakralisierung des Krieges. Sie zeigte sich beispielsweise in der Verehrung, die man einer Reihe von heiligen Kämpfern, den sogenannten Kriegerheiligen, entgegenbrachte – Merkurios, Sebastian, Mauritius, Demetrios, Georg – oder auch ihrem Archetyp, dem Erzengel Michael, der im Verlauf des ersten Kreuzzuges häufig in Erscheinung treten sollte. Man denke aber auch an die Verehrung für Gerald von Aurillac, dessen Leben Abt Odo von Cluny in einer Vita verewigt hat. Darin entwirft er das Modell eines Ritters, der stets bereit ist, die Armen zu verteidigen. Oder man denke an Fides von Agen: Als Protagonistin zahlreicher Geschichten, in denen sie nicht vor einem grausamen Vorgehen gegen Kleriker und Laien zurückscheut, die sich des Raubes an dieser oder jener Klostergemeinschaft schuldig gemacht hatten, verkörperte die Heilige eine Form der Gewalt, die seitens der Kirche gleichsam abgesegnet wurde. Wie war das möglich? Der wesentliche Grund lag darin, dass Gewalt hier der Verteidigung kirchlicher Besitztümer galt. Diese wurden immer häufiger einem adligen Laien, dem advocatus, anvertraut, dessen Investitur eindeutig sakrale Züge trug. Das Konzept stellt eine bedeutende Etappe in den Überlegungen der Kirche zum Thema Krieg dar – es wird uns später in dem Titel wiederbegegnen, den Gottfried von Bouillon, einer der Anführer des Kreuzzuges, in Jerusalem erhielt: advocatus sancti sepulchri. Die Gewaltbereitschaft einer militarisierten Gesellschaft, an deren Spitze eine kriegerische Aristokratie stand, die von Truppen von milites umringt war, die einen eigenen Stand von Kriegern zu Pferd bildeten, wurde für die Ziele und Interessen dieser Gesellschaft selbst »kanalisiert«. Dafür setzte man seit dem 10. Jahrhundert und vor allem im 11. Jahrhundert lokale oder regionale Instrumente ein. Friedensversammlungen wurden dazu genutzt, die pax Dei (Gottesfrieden) oder die treuga Dei (Waffenruhe Gottes) zu verkünden. Man erklärte die Unverletzlichkeit bestimmter Personengruppen – insbesondere Mönche und allgemein Angehörige des Klerus, dazu die Schwachen, die Witwen, die Armen und Wehrlosen – und bestimmter Orte, in den meisten Fällen Kirchen und Abteien, aber auch Marktplätze. Darüber hinaus war entsprechend den besonderen Momenten im liturgischen Kalender zu bestimmten Zeiten des Jahres, des Monats, der Woche jegliche Form von Kampfhandlungen verboten. Es war die große Abtei von Cluny, die im Herzogtum Burgund die Initiative ergriff und entschied, die Waffenruhe auf die Zeit zwischen Mittwochabend und Montagmorgen einer jeden Woche auszudehnen sowie auf die beiden kompletten Zeitspannen zwischen dem ersten Adventssonntag und der Oktav von Epiphanias und von Aschermittwoch bis zur Osteroktav. Da die Kriege der Feudalherren strikt saisonal waren und hauptsächlich im Frühling ausgetragen wurden, gab es jetzt nur noch wenige Tage, an denen der Gebrauch von Waffen überhaupt erlaubt war – einmal abgesehen davon, dass solche Proklamationen offenbar kaum beachtet wurden.

Damals wurden regelrechte Friedensbünde gegründet, in denen bewaffnete Bürger, bisweilen auf Befehl ihres Bischofs, bisweilen unabhängig von ihm oder sogar gegen seinen Willen und seine Interessen, mit Gewalt den Frieden durchzusetzen versuchten. Dass der Sache ein starker innovatorischer Impuls innewohnte, erkannten diejenigen Prälaten am besten, die der alten Ordnung am treuesten ergeben waren. So der Bischof von Cambrai, der 1023 auf die Einladung seiner Kollegen aus Soissons und Beauvais, einer Liga zur Wahrung des Friedens beizutreten, protestierte, dass nicht einem Mann der Kirche, sondern allein dem Kaiser die Rolle zufalle, die öffentliche Ordnung zu erhalten. Die Friedensbünde, wie beispielsweise die berühmte Liga, die Erzbischof Aimon von Bourges 1038 ins Leben rief, waren dennoch alles andere als Werkzeuge des Friedens. Vielmehr boten sie in vielen Fällen einen Vorwand für Plünderungen und Verwüstungen um ihrer selbst willen. Welch grausame Ironie, dass ausgerechnet das Konzil von Narbonne, das 1054 ausdrücklich verfügt hatte, dass »kein Christ einen anderen töten [darf], da derjenige, der einen Christen tötet, ohne Zweifel Christi Blut vergießt«, ebendiese mörderischen Werkzeuge einsetzen musste, um die Einhaltung der beschlossenen Grundsätze sicherzustellen. Solcherart ist häufig das Los der Pazifisten … Friedensbünde bildeten sich in jedem Fall noch im gesamten 12. Jahrhundert, beseelt von einem mystischen Impetus einerseits und Impulsen aus dem Volk andererseits. In ihnen kommt der Zusammenhang zwischen der Idee einer inneren Befriedung der Christenheit, einer kirchlichen Erneuerung und einer kriegerischen Praxis zum Ausdruck, die darauf abzielte, den Willen Gottes und der Kirche zu erfüllen, und sich dafür, angefangen bei den auf die Fahnen gemalten Symbolen, unter göttlichen Schutz stellte.

Das Papsttum begann seinerseits, die in ganz Europa umherziehenden Ritterbanden durch ein feudales Instrument an sich zu binden: die Vergabe des vexillum sancti Petri, das seinen Träger als Vasallen des Papstes auswies. So verfuhr man beispielsweise mit den Normannen, deren kriegerische Aristokratie auf der Suche nach Ländereien und Geld quer durch den Kontinent zog. Wir finden sie als Söldner in Süditalien, in Kleinasien im Sold der byzantinischen Kaiser, im England der Sachsen. Häufig wurden sie mit Erfolg belohnt: So gelang es zum Beispiel den Hautevilles innerhalb weniger Jahrzehnte, weite Teile des italischen Südens unter ihre Herrschaft zu bringen. Der Herzog der Normandie, Wilhelm der Eroberer, errang sogar die Krone Englands. Die damalige Kirche verlieh den Kriegen einen sakralen Anstrich, indem sie den Kämpfern die Ideale des Dienstes an der christlichen Sache und am Stuhl Petri einschärfte. Von der Iberischen Halbinsel über das Land der Angeln bis nach Sizilien kamen die Eroberer mit dem vexillum in der Rechten daher. Die Petersfahne legitimierte ihre Unternehmungen – zumindest in den Augen des christlichen Westens – und begründete eine Art Lehnsverhältnis zum Bischof von Rom. Doch nicht einmal in diesem Fall handelte es sich um Heilige Kriege. So sehr die Kirche sich auch bemühte, den Berufskriegern legitime Beweggründe für ihr Tun an die Hand zu geben, und sie im Fall eines Sieges zur Demut anhielt, blieb der Krieg an sich doch eine verwerfliche Tat, für die man sich schämen musste. 1070 wurden die Krieger, die vier Jahre zuvor in Wilhelms Gefolge an der Schlacht von Hastings teilgenommen hatten, dazu angehalten, Buße zu tun. Die Vorstellung, dass die Kampfhandlung selbst als Buße dienen konnte, sollte sich erst gegen Ende des Jahrhunderts durchsetzen. Die den Kriegern zu Pferde zuteilwerdende Gunst trug jedoch dazu bei, einer neuen Art von Christuskrieger, dem miles Christi, Gestalt zu verleihen. Diese Bezeichnung, die zuerst im Kontext der psychomachia, des inneren Seelenkampfes, aufkam und für Märtyrer und Asketen verwendet wurde, diente nun zur Benennung jener bellatores, die sich bereit erklärten, ihre Kampfeskraft in den Dienst der Kirche zu stellen. Hier entstand eine neue ritterliche Ethik, die es einem ganzen Stand von Berufskämpfern erlaubte, Kampf und Lebensgefahr als Mittel zur spirituellen Erlösung zu begreifen. Und hierin lag bereits der Kern des Kreuzzuges.

Die große Geschichte der Kreuzzüge

Подняться наверх