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1. Normativer Maßstab
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Bei der Bestimmung des Schutzbereiches der kommunalen Selbstverwaltung ist die maßgebliche Norm festzustellen. Art. 28 Abs. 2 GG ist bindend für sämtliche Hoheitsträger. Art. 78 Abs. 1 LVerf NRW kann dagegen als landesrechtliche Norm gemäß Art. 31 GG nicht den (höherrangigen) Bundesgesetzgeber binden.
Beispiel[7]
Das (einfache) Bundesgesetz über die Errichtung der SGB II–Arbeitsgemeinschaften sah eine gemischte Aufgabenträgerschaft der Kommunen und der (Bundes-)Agentur für Arbeit vor. Verfassungsrechtlicher Maßstab für eine Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie ist für den Bundesgesetzgeber nicht Art. 78 LVerf NRW, sondern ausschließlich Art. 28 Abs. 2 GG. Aufgrund der nachträglich erfolgten Regelung des Art. 91e Abs. 1 GG ist die Errichtung solcher gemeinsamer Einrichtungen (mittlerweile) verfassungsrechtlich legitimiert.
Bei Landesgesetzen sind Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 78 Abs. 1 LVerf NRW nebeneinander zu berücksichtigen. Dies folgt aus der verfassungsrechtlichen Vorgabe, dass die landesverfassungsrechtlichen Garantien mit Art. 28 Abs. 2 GG in Einklang stehen müssen.[8] Art. 78 LVerf NRW hat hinsichtlich des geschützten Kompetenzbereiches einen etwas weiteren Anwendungsbereich als Art. 28 Abs. 2 GG, weil Art. 78 Abs. 2 LVerf NRW die gemeindliche Kompetenz nicht nur auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft beschränkt, sondern die Gemeinden und Gemeindeverbände grundsätzlich für alle Verwaltungsangelegenheiten in ihren Gebiet für allein zuständig hält, sofern die Gesetze nicht etwas anderes bestimmen.
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Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 78 Abs. 1 und 2 LVerf NRW sind Kompetenzschutzvorschriften zugunsten der Kommunen.[9] Behauptet also eine Kommune, dass ein Hoheitsakt mit Art. 28 Abs. 2 GG bzw. Art. 78 Abs. 1 LVerf NRW unvereinbar sei, so macht sie geltend, dass ihre Kompetenz missachtet werde. Die verfassungsrechtlichen Vorschriften verstärken die Kompetenzvorschriften zu einem subjektiven Recht der Kommunen.[10]
Umgekehrt darf sich die Kommune bei ihren Handlungen auch nur innerhalb dieses Kompetenzrahmens bewegen. Insbesondere bei amtlichen Äußerungen von Kommunalorganen mit Eingriffswirkung in Rechte Dritter ist die Zuständigkeit der Kommune zu beachten. Zusätzlich sind hierbei die rechtsstaatlichen Anforderungen an hoheitliche Äußerungen, also das Sachlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsgebot zu wahren.[11]
Beispiel[12]
Auf dem Gebiet der kreisfreien Stadt Düsseltal betreibt der eingetragene Verein „Nationale Kameraden“ (NK) eine Tagungsstätte. Auf der geplanten Jahreshauptversammlung sind aufgrund der Tagesordnungspunkte und der Rednerliste wieder Äußerungen führender Vereinsvertreter zu erwarten, die sich für „ausländerfreie Zonen“ in Düsseltal aussprechen und das „Ideal“ einer „ethnisch homogenen Volksgemeinschaft“ propagieren. Daraufhin ruft auf der Internethomepage der Stadt Düsseltal das Bündnis „Düsseltal bekennt Farbe“ am gleichen Tag zu einem „friedlichen und gewaltfreien“ Protest gegen die geplante Vereinssitzung auf. Im Einzelnen heißt es in dem vom Oberbürgermeister unter Angabe seiner Amtsbezeichnung unterschriebenen Aufruf: „Wer sich mit ausländerfeindlichen Parolen gegen unsere Verfassung richtet und so das Ansehen unserer Stadt schädigt, ist bei uns nicht willkommen…Wir fordern deshalb alle Düsseltalerinnen und Düsseltaler zum friedlichen, gewaltfreien und kreativen Protest gegen den Verein NK auf und am Tage der Vereinssitzung an der Kundgebung des Bündnisses teilzunehmen, um friedlich gegen diesen Verein und dessen Inhalte zu protestieren“. Der Verein NK sieht in dem Aufruf einen Verstoß gegen das amtliche Neutralitätsgebot, betrachtet sich in seinem Gleichbehandlungsrecht (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie in den Grundrechten auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 und Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) verletzt und begehrt eine Unterlassung derartiger Äußerungen.
Es ist in einem solchen Fall zu prüfen, ob der Verein NK gegen die Rechtsträgerin des Oberbürgermeisters, also die Stadt Düsseltal, einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch hat. Voraussetzung hierfür ist, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in ein subjektives Recht des Vereins vorliegt.
Zunächst müsste der Aufruf des Bündnisses „Düsseltal bekennt Farbe“ der Stadt als hoheitliches Handeln zugerechnet werden. Dies ist hier nach den Umständen anzunehmen, da der Aufruf auf der amtlichen Homepage der Stadt erschien und der Oberbürgermeister nicht als Privatperson, sondern unter Angabe seiner Amtsbezeichnung und somit in amtlicher Eigenschaft unterschrieben hat.
Hierdurch müsste rechtswidrig in ein subjektives Recht des Vereins eingegriffen worden sein. Als betroffenes subjektives Recht ist zum einen das Grundrecht der Meinungsfreiheit betroffen, da der Oberbürgermeister öffentlich dazu aufgerufen hat, gegen die nicht verbotene Vereinssitzung zu demonstrieren. Dadurch wird der Verein in der Verbreitung der von ihm vertretenen Auffassungen beeinträchtigt. Infolge des öffentlichen Aufrufs zur Demonstration anlässlich der Vereinssitzung soll der Verein NK zudem in seinen Vereinsaktivitäten behindert werden, so dass auch die Vereinigungsfreiheit berührt ist. Zudem könnte ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Form des amtlichen Neutralitätsgrundsatzes vorliegen. Aus dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG) folgt insoweit, dass die Willensbildung vom Volk zu den Hoheitsorganen zu erfolgen hat (von unten nach oben) und nicht umgekehrt. Daraus ergibt sich für alle Hoheitsorgane die grundsätzliche Pflicht zur politischen Neutralität.
Allerdings ist nicht jede Teilnahme von Hoheitsträgern am öffentlichen Meinungsbildungsprozess rechtswidrig. Maßgeblich hierfür ist vielmehr, ob die Stadt für die in Rede stehende Thematik überhaupt gesetzlich zuständig ist und bei dem ihr zuzurechnenden Aufruf das Sachlichkeits-, Neutralitäts- und Verhältnismäßigkeitsgebot beachtet wird.
Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 78 Abs. 1 LVerf NRW beschränken die Stadt und ihre Organe auf die Wahrnehmung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Der dafür erforderliche Ortsbezug folgt vor allem daraus, dass die Jahreshauptversammlung in Düsseltal stattfinden soll. Der Verein betreibt dort sogar eine ständige Tagungsstätte, in der die maßgeblichen Vereinssitzungen abgehalten werden. Schließlich betreffen die Äußerungen der führenden Vereinsvertreter teilweise auch konkret die Stadt Düsseltal, da dort unter anderen von der Einrichtung von „ausländerfreien Zonen in Düsseltal“ die Rede ist.
Das rechtsstaatliche Sachlichkeitsgebot verlangt, dass Tatsachen zutreffend wiedergegeben werden und Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen. Der amtliche Aufruf ist sachlich formuliert und enthält keine unnötige Herabsetzung des Vereins, z.B. durch aggressive, unsachliche, symbolische (etwa durch absichtliche Verdunkelung des Rathausgebäudes[13]) oder gar diffamierende Äußerungen (keine Schmähkritik).
Grundsätzlich unterliegen die Äußerungen von Amtsträgern in dieser Eigenschaft dem Neutralitätsgebot. Das Neutralitätsgebot dient dem Schutz der Chancengleichheit der politischen Parteien und der kommunalen Wählervereinigungen. Gegenüber politischen Gruppierungen, die nicht als politische Partei oder Wählervereinigung organisiert sind und sich nicht an politischen Wahlen beteiligen, besteht keine vergleichbare Interessenlage.[14] Da es sich bei dem Verein NK weder um eine politische Partei noch um eine kommunale Wählervereinigung handelt, ist das Neutralitätsgebot im vorliegenden Fall nicht anwendbar.
Aus den Verhältnismäßigkeits- und Demokratieprinzipien folgt zudem, dass Amtsträger in der öffentlichen Diskussion Vertreter anderer Meinungen weder ausgrenzen noch gezielt diskreditieren dürfen, solange deren Positionen die für alle geltenden rechtlichen Grenzen nicht überschreiten, namentlich nicht die allgemeinen Strafgesetze verletzen.[15] Im Regelfall überschreitet deshalb der Aufruf eines Amtsträgers, an einer Gegendemonstration teilzunehmen, seine Äußerungsbefugnisse.
Nach den Umständen des hier vorliegenden Einzelfalls[16] dürfte hingegen der Aufruf die Anforderungen der Verhältnismäßigkeits- und Demokratieprinzipien gleichwohl noch gewahrt haben. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Oberbürgermeister mit seinem Protestaufruf inhaltlich einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck – namentlich den Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung – verfolgt. Die Äußerungen führender Vereinsvertreter richten sich in erheblichem Umfang hiergegen, da darin ausländischen Einwohnern grundlegende Freiheitsrechte aberkannt werden und das dort vertretene Ordnungsideal diametral der parlamentarischen Demokratie widerspricht. Der Oberbürgermeister ruft insbesondere nicht zu rechtswidrigem Handeln gegen den Verein auf – was dem Unterlassungsanspruch ohne Weiteres zum Erfolg helfen würde –, sondern wendet sich mit sachlich und objektiv vertretbaren Erwägungen inhaltlich gegen die Bestrebungen des Vereins und fordert zum friedlichen Protest dagegen auf.
Mangels rechtswidrigem Eingriff in ein subjektives Recht des Vereins NK sind damit die Voraussetzungen für den öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch nicht erfüllt.
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Im Folgenden wird grundsätzlich auf die höherrangige Bestimmung des Art. 28 Abs. 2 GG abgestellt. Die Erwägungen gelten mit der dargestellten Erweiterung auch für Art. 78 Abs. 1 LVerf NRW.
Es ist hierbei zu berücksichtigen, dass beide Bestimmungen in ihrer jeweiligen Verfassung (GG bzw. LVerf NRW) nicht isoliert stehen, sondern im Zusammenhang mit den grundlegenden Staatstrukturprinzipien, wie sie für den Bund (Art. 20 GG) und für die Länder (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG) gelten, gesehen werden müssen. Auch diese sind geeignet „das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung zu bestimmen“[17] und deshalb mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie verbunden. Deshalb sind kommunalbelastende Verstöße gegen die Staatsstrukturprinzipien und deren Konkretisierungen (z.B. Vertrauensschutz, Willkürverbot) in Korrelation mit dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht zu sehen und können dieses verletzen.
Beispiel[18]
Bei der Verteilung staatlicher Leistungen (z.B. allgemeiner Finanzausgleich oder Konsolidierungshilfen) müssen die Bundesländer das interkommunale Gleichbehandlungsgebot beachten, welches im Einklang mit Art. 28 Abs. 1 und 2 GG aus dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht in Verbindung mit dem rechtsstaatlich determinierten Gleichheitssatz folgt. Das interkommunale Gleichbehandlungsgebot gebietet, einzelne Kommunen nicht sachwidrig zu benachteiligen. Wäre dies in Nordrhein-Westfalen der Fall, könnte sich die Kommune mit einer kommunalen Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts (Art. 78 Abs. 1 LVerf NRW) an den Verfassungsgerichtshof NRW wenden.