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5. Eigenverantwortlichkeit

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Den Gemeinden steht das Recht der Selbstverwaltung zu. Sie haben das Recht, die soeben beschriebenen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln. Von der eigenverantwortlichen Aufgabenerledigung ist die Erledigung nach Weisung (z.B. einer Aufsichtsbehörde) abzugrenzen. Positiv formuliert ist eine eigenverantwortliche Erledigung der kommunalen Aufgaben gewährleistet, wenn den Gemeinden dabei die sogenannten „Hoheiten“ zustehen.[27]

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Dazu gehören:[28]

die Gebietshoheit als die Befugnis, im Gemeindegebiet Hoheitsgewalt auszuüben;[29]

Beispiel

Durch ein Landesgesetz im Sinne des § 19 Abs. 3 S. 1 GO wird der Ortsteil „Gohr“ von der Stadt Dormagen auf die Stadt Grevenbroich übertragen. Die Stadt Dormagen wendet sich mit einer Kommunalverfassungsbeschwerde an den Verfassungsgerichtshof NRW (Art. 75 Nr. 4 LVerf NRW, §§ 12 Nr. 8, 52 VGHG NRW) und macht eine Verletzung ihrer Gebietshoheit geltend. Das Gericht wird insbesondere zu prüfen haben, ob der Eingriff in die Gebietshoheit der Stadt Dormagen gerechtfertigt ist. Hierfür müsste die Gebietsänderung in einem ordnungsgemäßen Verfahren und aus Gründen des öffentlichen Wohls in verhältnismäßiger Weise erfolgt sein (vgl. hierzu auch die §§ 17 ff. GO). In der Verhältnismäßigkeitsprüfung können insbesondere die Elemente der Gebietsgröße, der Leistungsfähigkeit der Gemeinden, der Einwohnerzahl und auch Fragen von Tradition und Identität eine Rolle spielen.[30]

die Organisationshoheit, als das Recht der Gemeinden, für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten festzulegen sowie ihren Handlungsapparat selbst zu organisieren, einschließlich ihre Organe mit sachlichen und personellen Mitteln auszustatten;[31]

Beispiel

Landesgesetzlich wird in einem Änderungsgesetz zur Gemeindeordnung bestimmt, dass jede Gemeinde ab 10 000 Einwohner künftig einen Seniorenbeirat einzurichten hat, dessen Mitglieder von den Bürgern ab einem Alter von 65 Jahren zu wählen ist. Die Gemeinde Jungbrunnen (15 000 Einwohner) fühlt sich dadurch in ihrer Organisationshoheit beeinträchtigt. Das Änderungsgesetz ist als Eingriff in die Organisationshoheit verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftig: Die Organisationshoheit ist berührt, da die Gemeinde Jungbrunnen verpflichtet wird, einen Seniorenbeirat mit entsprechenden Kompetenzen einzuführen und dessen Wahl zu organisieren. Der Eingriff ist gerechtfertigt, wenn das Änderungsgesetz formell und materiell verfassungsgemäß ist. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit wäre insbesondere der Grad der Beeinträchtigung der Organisationshoheit abzuwägen mit den Vorteilen für das öffentliche Wohl.

die Personalhoheit als Befugnis, das eigene Personal selbstständig auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen;[32]

Beispiel

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist auch für das Auswahlverfahren um Stellen kommunaler Wahlbeamter anwendbar.[33] Sofern beispielsweise eine Bewerberin oder ein Bewerber allein aufgrund des Alters von vornherein aus dem Auswahlverfahren ausgeschlossen wird, kann die Kommune Ansprüchen auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung ausgesetzt sein. Dies illustriert der folgende Beispielsfall:

Die Verwaltungsspitze der Stadt Altenburg, bestehend aus Bürgermeister B, dem Beigeordneten C und der Beigeordneten D, setzt sich aus Personen zusammen, die allesamt das 60. Lebensjahr überschritten haben. Der Rat will daher bei der Neuwahl eines Beigeordneten nur eine geeignete Person wählen, die das 40. Lebensjahr noch nicht überschritten hat. Er hält die Berücksichtigungspflicht älterer Bewerber/innen für einen Eingriff in die Personalhoheit der Stadt Altenburg.

Das AGG beeinträchtigt in der Tat die Befugnis der Stadt, eigenes Personal selbständig auszuwählen, da es bei einer Nichtberücksichtigung älterer Personen negative Konsequenzen aufstellt. Der damit rechtfertigungsbedürftige Eingriff des Bundesgesetzgebers dürfte aber wegen des europa- und verfassungsrechtlichen Altersdiskriminierungsverbotes (Art. 19 Abs. 1 AEUV bzw. Art. 3 Abs. 1 GG) insgesamt verhältnismäßig sein.

JURIQ-Klausurtipp

In Leistungsnachweisen sind bei Fallgestaltungen, in denen der Gesetzgeber den Kommunen gesetzlich vorschreibt, bestimmte Stellen einzurichten (z.B. hauptamtliche Gleichstellungs-, Senioren- oder Behindertenbeauftragte) und zu besetzen, die dadurch betroffenen Hoheiten zu bestimmen (vgl. hierzu auch das Fallbeispiel in Rn. 64). In solchen Fällen wird die Personalhoheit in aller Regel nicht berührt sein, da die Kommunen zwar eine Stelle einrichten und besetzen müssen, aber in der konkreten und individuellen Personalauswahl (Besetzung der Stelle) frei sind. Betroffen sind vielmehr die Organisationshoheit (wegen des gesetzlichen Eingriffs in die Aufbauorganisation) und die Finanzhoheit (wegen der mit der Stellenbesetzung verbundenen Personalkosten, wenn diese nicht nach Art. 78 Abs. 3 S. 1 LVerf NRW übernommen werden). Sofern darüber hinaus das Gesetz den Erlass bzw. die Änderung einer Satzung fordern würde (Pflichtsatzung, z.B. zu den näheren Kompetenzen der einzurichtenden Funkion) kann auch die Rechtsetzungshoheit der Kommune betroffen sein.

die Finanzhoheit als Befugnis zur eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft;[34]

Beispiel

Ein Eingriff in die kommunale Finanzhoheit liegt etwa vor, wenn ein Landesgesetz den Gemeinden neue Aufgaben überträgt und hierfür entgegen Art. 78 Abs. 3 LVerf NRW (striktes „Konnexitätsprinzip“) keine Kostendeckung vorsieht. Gleiches gilt, wenn der Landesgesetzgeber in seinem jährlichen Gemeindefinanzierungsgesetz den Grundsatz des interkommunalen Gleichbehandlungsgebotes nicht beachtet.[35]

Eingriffe sind auch durch Maßnahmen der Exekutive denkbar; etwa bei der Genehmigungsverweigerung von Aufsichtsbehörden für ein gemeindliches Haushaltssicherungskonzept (§ 76 Abs. 2 S. 2 GO) oder der Genehmigungsverweigerung für die Einführung einer bislang im Land NRW nicht erhobenen Kommunalsteuer (§ 2 Abs. 2 KAG NRW).

Die Beachtung der kommunalen Finanzhoheit führt zu einer zurückhaltenden Prüfungspraxis der Gerichte und verbietet auch der staatlichen Finanzaufsicht eine „Einmischungsaufsicht“ in kommunale Entscheidungsspielräume. Dementsprechend dürfen die Verwaltungsgerichte bei ihrer inzidenten Prüfung der Rechtmäßigkeit von kommunalen Steuersatzungen grundsätzlich nicht prüfen, ob der Mitteleinsatz, der dem Finanzierungsbedarf zugrunde liegt (Verwendung der Steuern), als solcher „sinnvoll“ ist. Die Schwelle vom noch zulässigen weiten Gestaltungsspielraum zur unzulässigen rechtswidrigen Steuerbemessung wird erst dann überschritten, wenn öffentliche Mittel verbraucht werden, die wirtschaftlich in keinem Fall vertretbar sind und deshalb ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 75 Abs. 1 S. 2 GO vorliegt.[36]

Die Aufsichtsbehörden sind zudem bei der Prüfung kommunaler Haushalte grundsätzlich darauf beschränkt, eine Reduzierung der Ausgaben bzw. eine Erhöhung der Einnahmen insgesamt anzumahnen, ohne konkrete Mittel oder einzelne Ansätze vorzuschreiben. Die Anweisung zur Erhöhung einer bestimmten Steuer ist daher ein erheblicher Eingriff in die kommunale Finanzhoheit (und Rechtsetzungshoheit) und nur dann gerechtfertigt, wenn es für die Kommune keine Auswahl alternativ zu ergreifender Maßnahmen zur Herstellung einer rechtmäßigen Haushaltswirtschaft gibt.[37]

die Planungshoheit als Befugnis der Gemeinden, die städtebauliche Entwicklung ihres Gebietes zu ordnen und die Bodennutzung in ihrem Gebiet zu planen und zu regeln[38]

Beispiel

Ein landesgesetzliches Verbot für Gemeinden unter 10 000 Einwohner dahingehend, ein Hersteller-Direktverkaufszentrum („Outlet-Center“) mit mehr als 5000 m² Verkaufsfläche auszuweisen, greift in die Planungshoheit entsprechender Gemeinden ein. Ein solcher Eingriff ist auch nicht zu rechtfertigen. Er verstößt vielmehr gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Willkürverbot, da das Verbot nicht durch überörtliche Interessen von höherem Gewicht zu rechtfertigen ist.[39]

Eine Beeinträchtigung der Planungshoheit wurde von der Rechtsprechung auch angenommen für die Ausweisung eines „regionalen Grünzuges“ in einem (Landes-)Gebietsentwicklungsplan im Umfang von 85% des gesamten Gemeindegebietes. Selbst eine solche Einschränkung kann aber nach Auffassung des VerfGH NRW[40] noch verhältnismäßig im Hinblick auf die Siedlungsbelange der Gemeinde sein, wenn ihr noch nutzbare Bauflächenreserven in beträchtlichem Umfang verbleiben.

und die Rechtsetzungshoheit als Befugnis, die Angelegenheiten durch eigene Rechtsetzung „zu regeln“ (vgl. Wortlaut des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG). Hierzu gehört insbesondere die Satzungsautonomie. Mittels Satzung können die Kommunen ihre Angelegenheiten abstrakt-generell regeln (siehe hierzu ausführlich unter Teil 1.G).

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Staatliche Hoheitsakte, die diese Hoheiten bei der örtlichen Aufgabenerledigung einschränken oder diese den Gemeinden gar entziehen, greifen in die eigenverantwortliche Aufgabenerledigung und damit in den Schutzbereich des Selbstverwaltungsrechts ein. Zwar wird nicht die eigentliche Aufgabe entzogen (geschützter Kompetenzbereich), aber die Aufgabenerledigung („Art und Weise“) beschränkt.[41]

JURIQ-Klausurtipp

Bei der Prüfung des Schutzbereiches reicht es aus, eine Betroffenheit der kommunalen Hoheiten durch einen staatlichen Hoheitsakt festzustellen. Die Art des Eingriffs sollte unter dem nachfolgenden Prüfungspunkt „Eingriff“ abgehandelt werden. Davon wiederum zu trennen ist die Frage, ob der Eingriff auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. So stellen z.B. gesetzliche Vorgaben, die die Gemeinden bei der Bauleitplanung zu beachten haben, wie das Baugesetzbuch oder die Baunutzungsverordnung, immer auch Beschränkungen der gemeindlichen Planungshoheit dar. Sofern diese Anforderungen aber verhältnismäßig sind und den Wesensgehalt (Kernbereich) der kommunalen Selbstverwaltung nicht überschreiten, sind sie verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

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