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Konzentration auf die Gegenwart

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Der relativ rasche Wechsel von den Zukunftsträumen und der Lust an der Zukunftsplanung einerseits zur Zukunftssorge bis hin zur apokalyptischen Angst andererseits scheint zu einer gewissen Ermüdung des Zukunftsdenkens geführt zu haben. Als ich eine Studentin nach ihrer spontanen Einstellung zum Thema „Zukunft“ fragte, antwortete sie mir, Zukunft sei für sie eigentlich kein Thema, sie habe keine großen Pläne oder Hoffnungen, „noch nicht einmal Angst“. „Ich lebe jetzt“, sagte sie.

Auch dieser Wandel wurde in der Öffentlichkeit sichtbar. Kurz vor der Jahrhundertwende wurde für die Zigarettenmarke „West“ mit dem Slogan geworben: „The Taste of Now“. Auf einem der riesigen Plakate sah man zwei junge Frauen in einem öligen Teich. Obwohl die Brühe ihnen schon fast bis zum Hals stand, genossen sie, alles andere vergessend, ruhig ihre Zigarette – und demonstrierten damit den „Geschmack an der Gegenwart“.

Als später der Werbespruch abgewandelt wurde in „The Power of Now“, fiel mir der Song der Olympischen Spiele in Atlanta (1996) ein: „The Power of the Dream“. Mit diesem Gesang hatte man in der Martin-Luther-King-Stadt Atlanta an die große Vision von der Überwindung der Rassenschranken erinnert, mit Bildern von Sportlerinnen und Sportlern aus allen Erdteilen belegte man stolz die Wirkkraft von Martin Luther Kings berühmter Rede „I have a dream“.10 Ich gehe davon aus, dass in beiden Fällen (bei der Zigarettenreklame und bei der Olympia-Werbung) jeweils ein cleveres Public-Relations-Unternehmen im Hintergrund stand, das den Nerv einer Zeitströmung zu treffen wusste. Und genau deshalb finde ich diese kurzen Formulierungen so aufschlussreich: Im Wechsel von „The Power of the Dream“ zu „The Power of Now“ lässt sich ein radikaler Mentalitätswechsel veranschaulichen.

Dazu gibt es eine Parallele in neueren geistlichen Liedern, Texten und Meditationen. Einen ähnlichen Stellenwert, wie ihn vor drei Jahrzehnten Aufbruchs- und Befreiungsgesänge hatten, nehmen heute Einstimmungen zur Konzentration auf den gegenwärtigen Augenblick und auf die eigene Mitte ein, wie etwa der rasch beliebt gewordene Taizé-Gesang „Bei Gott bin ich geborgen, still, wie ein Kind“11 oder ein Text von Andreas Gryphius (1616–1664), der mir in letzter Zeit auffallend häufig begegnete: „Mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen. Der Augenblick ist mein…“.12

In vielen geistlichen Übungen heute verbindet sich mit der Konzentration auf den gegenwärtigen Augenblick die Konzentration auf die eigene Mitte. Vielleicht kann man sagen: Während für die Spiritualität der sechziger und siebziger Jahre das Politische Nachtgebet mit seinen Impulsen zu konkreten gesellschaftlichen Veränderungen ein epochales Charakteristikum war, sind heute etwa die „Reise nach innen“ zur Findung der eigenen Mitte und das Stillwerden zur Wahrnehmung der Gegenwart epochaltypische Frömmigkeitsformen.

Dies ist natürlich eine extrem holzschnittartig vereinfachende Darstellung. Ich schreibe sie nicht auf, um zu werten oder eine Epoche gegen die andere auszuspielen, sondern um die möglichen Konturen eines (in Wirklichkeit viel differenzierteren) Wandels zu erkennen, und um meine Frage zu verdeutlichen: Was wird aus unserer Hoffnung? Gehört zur Hoffnung nicht das Interesse an der Zukunft? Gehört zu ihr nicht auch der Wille, die kommende Wirklichkeit mitzugestalten?

Was können wir hoffen?

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