Читать книгу Seewölfe Paket 34 - Fred McMason - Страница 10

6.

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Mit einer geschickt geschleuderten dünnen Wurfleine hatten die Seewölfe die Ankertrosse der „Zuiderzee“ getroffen. Der Lederbeutel wirbelte um die dicke Trosse und wickelte sich auf. Es war ganz leicht, das Heck der Schebecke heranzuziehen, ohne den Anker loszubrechen. Dries Versteeg und Swieten, der Schiffszimmermann, hievten ein Fäßchen an Backbord der Karavelle in die Höhe.

„Der Kapitän hat gesagt, daß sich auch unangenehme Gespräche mit einem Schluck gutem Wein besser führen lassen!“ rief Piet Straaten auf holländisch.

„Stimmt“, meinte Hasard. „Was darf ich darüber hinaus tun, damit Sie in guter Ruhe und Sicherheit in See gehen können – mit Verspätung?“

„Ihre Zimmerleute können mir helfen“, schlug Willem van Stolk vor. „Zuerst einen Schluck. Ein Glück, daß wir keine Eile haben. Und Sie, Kapitän Killigrew?“

Wenn sie ihn kannten und wußten, daß er der Seewolf war, dann ließen weder van Stolk noch Lemmer etwas davon erkennen. Der Koch schlug den Stopfen aus dem Faß und klapperte mit den Bechern.

„Nur zu“, sagte der Seewolf. „Einen vollen Becher für jeden. Auch für mich, bitte.“

Dann rief er zur Kuhl der Schebecke hinunter: „Ferris Tucker soll mit Werkzeug und allem, was er braucht, den Niederländern helfen. Es sieht schlimm aus, wenigstens im Heck. Los, beeilt euch.“

„Aye, aye, Sir.“

Hasard lehnte sich gegen das Schanzkleid und sagte: „Wir kommen aus Surat. Ein Hafen, der uns allerlei Unglück und Verdruß brachte, denn wir stießen auf einen Landsmann. Ruthland mit der ‚Ghost‘ also jemand, von dem wir alles andere erwarten durften als Betrug und Verrat. Wir sind hier im Auftrag unserer Königin, um Handelsbeziehungen anzuknüpfen.“

„Wir auch“, sagte der Erste. „Uns schickte die Vereenigte Oast-Indische Compagnie. Und was tat dieser Engländer, daß Sie Ihre Culverinen laden mußten?“

Während Hasard berichtete, in welche tödliche Gefahr ihr Schiff und die Crew durch Ruthland gebracht worden waren, betrachtete er die Besatzung des Kauffahrers. Ihre Anzahl schätzte er auf ungefähr dreißig Mann. Sie sahen ausgeschlafen und gepflegt aus. Ihre Kleidung war sauber und teilweise neu. Das Schiff erweckte einen tadellosen Eindruck, es war perfekt aufgeklart und bereit, in See zu gehen. Selbst Haar und Bärte der Holländer glänzten frisch gewaschen und waren sorgfältig gestutzt.

Die Holländer hörten schweigend zu. Sie schienen jedes Wort zu glauben.

Schließlich sagte der Seewolf grimmig: „Wir verloren Ruthland im Monsunregen aus den Augen. Er muß sich hier, nördlich von Surat, versteckt halten. Und weil wir sicher waren, daß er ohne Warnung uns sofort unter Feuer nehmen würde, sprachen unsere Geschütze zuerst. Das ist die häßliche Geschichte, Kapitän van Stolk.“

Mittlerweile war ein halbes Dutzend Seewölfe an Bord gestiegen und kümmerte sich mit Sägen, Leim und Bohrern um die ersten Schäden. Der zersägte Baumstamm schlug ins Wasser.

Vom Quarterdeck rief Ferris Tucker, der rothaarige Hüne: „Alles zu überholen, Sir! Die ‚Zuiderzee‘ ist schöner als zuvor, wenn wir fertig sind!“

„Wann seid ihr fertig?“ erkundigte sich Hasard und dachte an die Stunden der Verzögerung.

„Um Mittag herum, Sir.“

An Deck der Schebecke klarte Al Conroy zusammen mit den Zwillingen und Don Juan die Geschütze auf. Al bestand darauf, sie wieder zu laden. Die Crew saß auf dem Achterdeck und auf der Back und kaute das frische Brot der Köche.

„Und was wollen Sie tun, um diesen gewissenlosen Schurken seiner gerechten Strafe zuzuführen?“ fragte Willem van Stolk.

Das Fäßchen war nicht mehr voll gewesen, jetzt gluckerten nur noch vier halbe Becher aus dem Spundloch. Auch die holländische Crew half mit, das zersplitterte Holz auszusägen, neue Teile einzusetzen und in Form zu bringen. Der letzte Wein wurde ausgeteilt, und Piet Straaten warf das leere Faß vorsichtig seinen Kameraden zu.

„Ich bin nicht ganz sicher, ob ich das Richtige unternehme“, erklärte der Seewolf nachdenklich. Er blickte über die leere Wasserfläche. „Ich werde die ‚Ghost‘ weiterverfolgen.“

Der Nebel war vollständig verschwunden. Die Sonne des späten Morgens stach herunter.

„Im Süden? Richtung Goa?“

„Ja, Kapitän. Wenn sich Ruthland hier aufgehalten hat, ist er jetzt wahrscheinlich auf und davon.“

Nach einer Weile sagte er warnend: „Wenn Sie die ‚Ghost‘ sehen, dann, das ist mein Rat, gehen Sie auf Gegenkurs, oder verholen Sie sich irgendwohin. Der Kerl ist zu jeder Schandtat fähig. Bei uns hat er schon den Beweis dafür angetreten. Wir verfolgen ihn weiter.“

„Das würde ich an Ihrer Stelle ebenfalls tun, Mister Killigrew“, bestätigte Martin Lemmer und nickte.

Hasard schaute sich die Zerstörungen durch seine Schiffsgeschütze an und sah, daß Ferris Tucker und seine Helfer mit den Holländern gut und schnell zusammenarbeiteten. Unter Deck ringelte sich der Rauch unter den Leimtöpfen und dem Pech hervor und mischte sich mit der frischen Seebrise.

Hasard begann jetzt seine Müdigkeit zu spüren, schließlich war er fast die ganze Nacht auf den Beinen geblieben.

„Solange das hier dauert“, sagte er und schüttelte die Hand des Kapitäns und des Ersten, „verhole ich mich in meine Koje. Ich glaube, wir können beide gegen Mittag ablegen.“

„Scheint so, Kapitän Killigrew.“

Über die Jakobsleiter des Holländers enterte er auf die Kuhl ab, ließ sich eine Kleinigkeit zu essen geben und verschwand schweigend unter Deck. Er war bald eingeschlafen, aber durch seinen ersten Traum geisterte Ruthland, dessen Karavelle aus allen Rohren feuerte.

Während Hasard versuchte, eine Mütze voll Schlaf zu finden, unterhielten sich die Mitglieder der beiden Mannschaften über Fahrwasser, Inseln und Küstenbewohner.

Die Schebecke und die „Zuiderzee“ waren etwa gleichzeitig losgesegelt. Auch die Holländer versuchten, an diesen Küsten Fuß zu fassen, um am Reichtum teilzuhaben. Der Gewürzhandel, so drückte es der Kapitän aus, vertrüge viele Kauffahrer. Die Portugiesen mit ihrem Handelsstützpunkt in Goa hatten sozusagen ein Monopol darauf.

„Es ist alles andere als leicht“, sagte Ben Brighton und faßte die bisherigen Erfahrungen zusammen, „mit den Leuten hier ins Geschäft zu kommen. Die moslemischen Herrscher haben die Macht. Aber das, was die Portus leisten, schaffen wir auch.“

„Die Küsten, wenigstens hier im nördlichen Teil, laden leider nicht mit guten Häfen und großen Städten ein. Mit den wenigen Fischern und Holzfällern, die wir bisher getroffen haben“, antwortete Lemmer, der Erste, bedächtig, „können wir kaum gute Geschäfte tätigen.“

„Das ist auch unsere Meinung, Mister“, bestätigte Don Juan. „Und natürlich auch die Ansicht dieses Ruthland. Aber wir haben den Auftrag des königlichen Hofes.“

Ein Dutzend Seeleute beider Crews arbeiteten an der Beseitigung der Schäden. An vielen Stellen leuchtete das frisch eingesetzte Holz, es stank nach Leim und Pech. Die Deckschraper knirschten auf dem hellen Plankenholz, Ferris Tucker packte den Zugbeitel mit beiden Händen und glättete eine Relingsleiste an Backbord.

„Dieser Umstand scheint Ruthland nicht beeindruckt zu haben“, meinte Antony Leuwen. „Euer Rat ist also, einen Hafen weiter im Süden anzulaufen und es dort zu versuchen?“

„Richtig“, sagte Old Donegal. „Jeden anderen Hafen, nur nicht Surat am Tapti-Fluß.“

„Habt ihr gute Karten?“ fragte Greefken neugierig.

Dan O’Flynn zog die Schultern in die Höhe und schüttelte den Kopf. „Reichlich ungenau. Es fehlen viele Namen. Auch diesen Wirrwarr von Inseln und Halbinseln im Golf von Cambay haben wir auf der Karte nicht gefunden. Wir zeichnen unsere eigenen Karten. Wir sind also auch nicht klüger als Sie, Kapitän van Stolk.“

Die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht. Beide Schiffe wiegten sich ruhig in den niedrigen Wellen der Bucht. Obwohl Hitze und Gelassenheit in diesen Stunden das Leben an Bord der Schiffe bestimmten, blieb eine gewisse Unruhe.

Die Seewölfe dachten an die „Ghost“ und daran, daß Ruthland ihnen entwischt sein könnte. Sie fieberten alle danach, die Hetzjagd wiederaufzunehmen, trotz der Ungewißheit, wo sich Ruthland versteckte. Immer wieder hob Ben Brighton den Kopf und sah nach, wie weit Ferris mit seinen Helfern war.

„Wir werden Ihren Rat annehmen, Mister Brighton“, sagte Willem van Stolk nachdenklich. „Wenn wir uns aus dem Golf herausgekämpft haben, was beim Monsunwind nicht ganz so schnell geht, versuchen wir unser Heil im Süden, auf Bombay zu.“

„Oder darüber hinaus“, brummelte Edwin Carberry. Er inspizierte, die Hände auf dem Rücken, das Deck der Schebecke.

Der Stückmeister war nach dem Glasen ebenfalls unter Deck verschwunden. Die Culverinen standen in Reih und Glied, die Mündungen verschlossen und in Segeltuch vertäut. Die Köche hatten Geräte, Kessel und Geschirr gereinigt und verstauten jetzt die trockenen Mucks und Schalen.

Batuti und Roger Brighton fierten ein Bündel Werkzeuge über das Schanzkleid der „Zuiderzee“ ab.

„Seid ihr etwa schon fertig?“ rief Big Old Shane von der Back. „Wurde ja auch Zeit, Mister Tucker!“

„Nur nicht motzen!“ rief der Schiffszimmermann zurück. „Nichts tun, nur dumm zuschauen und dann noch antreiben. So haben wir Holzkünstler es gern, nicht wahr?“

„Schon gut“, antwortete Old Shane. „Ruthland ist inzwischen halbwegs in Goa.“

„Noch lange nicht.“

„Wir sind schneller“, sagte Dan O’Flynn mit Bestimmtheit. „Vielleicht erleben wir auch mal eine Nacht ohne Dauerregen.“

Der Schimpanse Arwenack keckerte aufgeregt, als Batuti über die Jakobsleiter der „Zuiderzee“ abenterte. Jack Finnegan und Smoky räumten die Werkzeuge unter Deck und verstauten sie an den gewohnten Plätzen.

Ben Brighton winkte dem holländischen Kapitän zu. „Wir werfen die Leinen los, einverstanden?“

„Natürlich. Gute Fahrt – und viel Glück bei der Jagd!“

Nacheinander sprangen die letzten Seewölfe an Deck der Schebecke. Die Holländer zogen die Jakobsleiter über die Planken der Bordwand hoch. Hasard junior ging zur Back und löste das Ende der Landleine. Ben, der Erste, gab halblaut seine Kommandos.

Das Ruder wurde bemannt, der Rudergänger stellte das Ruderblatt gerade. Wieder stakten die Männer mit den Riemen, die Leinen wurden losgeworfen und aufgeschossen.

„Will sich Dad nicht von seinem neuen Freund verabschieden?“ fragte Jung Philip seinen Bruder.

„Laß ihn schlafen. Er wird sowieso viel zu früh wieder wach und schikaniert uns“, erwiderte Jung Hasard und winkte grinsend ab.

Die Schebecke glitt fast lautlos zuerst zurück, schwang dann das Heck nach Steuerbord und drehte, während die Rahruten knarrend herumschwangen und die Geitaue knirschten, zögernd den Bug zum offenen Meer. Die Seewölfe stemmten sich viermal, fünfmal gegen die Riemen, dann hatte die Schebecke Schwung genug, um langsam aus der Bucht driften zu können. Eine Windbö fuhr in die Segel und ließ sie killen.

Don Juan hielt die Ruderpinne und winkte kurz in die Richtung der „Zuiderzee“.

„Hast du dich mit Hasard abgesprochen, Ben?“ fragte er. Auch die Mannen des Kauffahrers holten die Landleinen ein und drehten das Ankerspill. „Ich meine, wegen des neuen Kurses.“

„Klar. Aus dem Inselgewirr hinaus und nach Süden“, erklärte Ben und gab ruhig weitere Kommandos. Die Segel füllten sich und wurden getrimmt.

Die Schebecke lag auf Kurs. Don Juan schaute sich um und sagte: „Gut so. Vielleicht schnappen wir die ‚Ghost‘ noch vor Sonnenuntergang.“

Der Wind war keineswegs stark, aber er wehte aus dem nördlichen Sektor. Darüber hinaus war er kühler als sonst um diese Zeit. Die Schebecke nahm schnell Fahrt auf und verließ den Bereich der Bucht, segelte in drei Kabellängen Entfernung am Landvorsprung vorbei und geriet für die Holländer außer Sicht.

Francis Ruthland und Hugh Lefray standen nebeneinander auf dem Quarterdeck, wölbten die Handflächen hinter den Ohren und lauschten. Der harte, krachende Donner des fernen Geschützfeuers hatte aufgehört.

Mit einem unbehaglichen, wütenden Unterton in der Stimme sagte der Kapitän: „Wenn hier auf See, zwischen den Inseln, jemand seine Geschütze leerfeuert, dann …“

Lefray nickte. Der Wind wirbelte sein dunkelblondes Haar durcheinander. Er stierte aus einem gesunden und einem blinden Auge in die Richtung, aus der dieser überraschende Lärm aufgeklungen war.

„… dann kann es nur dieser dreimal verdammte Seewolf sein!“ vollendete er den Satz des Kapitäns. „Er hat uns verfolgt, das wissen wir. Daß er so nahe ist, das höre ich gern. Los, das ist genau das, was ich brauche.“

„Endlich“, knurrte Ruthland. „David kriegt heute noch etwas zu tun.“

Der Wind wehte aus Norden und änderte immer wieder seine Richtung. Nach dem Passieren einer Landenge blies er aus Nordnordosten. Die Karavelle lag auf Südkurs. Nachdem Lefray und der Kapitän einen langen Blick des Einverständnisses gewechselt hatten, deutete Ruthland mit einer schwungvollen Gebärde zum Kielwasser der „Ghost“.

„Alles klar zum Anluven!“ schrie er. „Nach Backbord, um die Insel herum.“

„Aye, aye, Sir!“ brüllten die Kerle zurück. Sie hatten auf die Kommandos schon seit dem Donner des ersten Schusses gewartet.

Die Karavelle segelte unter Vollzeug und mit achterlichem Wind auf die nächste Passage zu. An Steuerbord schien eine Halbinsel weit vorzuspringen, denn die lehmigen Dünen und der struppige Buschwald ließen nicht erkennen, ob zwischen Festland und dieser schmalen Landzunge eine Durchfahrtsmöglichkeit existierte.

An Backbord lag eine kleine, runde Insel, in deren Mittelpunkt eine Gruppe besonders großer Bäume wuchs. Auf einigen kahlen Ästen hockten riesige Reiher und schienen ausschließlich zu der Karavelle zu starren. Der Wind, dessen einzelne Böen nicht nur kalt und trocken waren, sondern auch Schaumdreiecke auf die Wellen türmten, fing sich zwischen Landzunge und Insel wie in einem Trichter und heulte in der Takelage. Mit schäumender Bugwelle schnitt die „Ghost“ durchs blaugrüne Wasser.

Die Segelcrew holte die Schoten dichter. Die Karavelle legte sich nach Steuerbord über und drehte in Lee der Insel hoch. Langsam schob sie sich an Sandbänken vorbei, auf denen Krabben und Krebse umherkrochen. Es brauchte nicht gelotet zu werden, aber der Ausguck auf der Back hielt nach Untiefen Ausschau.

„Gut freihalten von der Insel!“ schrie der Erste.

„Verstanden“, gab der Rudergänger zurück.

Der Wind fiel eine Weile lang von querab ein, dann waren die Segel getrimmt und standen klar.

Die „Ghost“ stampfte, große Mengen Gischt aufwerfend und mit weiß schäumendem Kielwasser, nach Osten und ging hinter der letzten Schlickzone hoch an den Wind. Der Kapitän suchte die Kimm ab. Weder Segel noch der Rauch eines brennenden Schiffes waren zu sehen.

Die Insel, die an Backbord achtern kleiner zu werden schien, war offensichtlich unbewohnt. Vor der Karavelle öffnete sich eine große Bucht. Als Ruthland durch den Kieker mehr Einzelheiten erkennen konnte, entdeckte er Steuerbord voraus, winzig klein, eine Anzahl von Segeln.

„Fischer“, murrte er enttäuscht. „Immer diese Affen mit ihren stinkenden Nußschalen.“

David Lean enterte den Niedergang hoch und wartete, bis Ruthland das Spektiv absetzte.

„Geschütze und Drehbassen feuerbereit“, meldete er mit einem schwer zu deutenden Grinsen. „Sollen wir die Musketen auch laden, Sir?“

Ruthland schätzte die Chancen ab, innerhalb einer kürzeren Zeitspanne auf die Schebecke zu treffen. Er schüttelte den Kopf.

„Alles bereithalten“, sagte er schließlich. „Oder siehst du den Engländer?“

„Nein, Sir.“

„Wenn du deine Rohre klar hast, genügt’s mir. Zuerst müssen wir die Bastarde finden, klar?“

„Aye, Sir.“

Der Stückmeister zog schweigend wieder ab. Die „Ghost“ segelte einen weiten Schlag nach Nordosten, auf die Fischer zu. Eine halbe Stunde später wurde der Kurs wieder geändert, und nun lag Nordwesten an. Unruhig und ungeduldig peilten Ruthland und sein Kumpan jeden Punkt der Kimm an.

„Dieser Wind aus dem nördlichen Sektor“, sagte Lefray nach einer Stunde, in der sie unverändert in guter Fahrt in nördliche Richtung kreuzten und die Wellenhöhe zunahm, „gefällt mir gar nicht, Francis.“

Ruthland lachte rauh und erwiderte: „Mir auch nicht. Aber wir haben keinen anderen. Hast du Angst vor einem Sturm?“

„Nicht unbedingt. Die letzten Wochen hatten wir nur, bis auf ganz wenige Ausnahmen, Regen und Wind aus Südwesten. Nach den Karten gibt es im Norden hinter den Buchten und Flußmündungen nur Wüsten und Gebirge. Warum ist der Wind, wenn er aus Gebirgen und Wüsten weht, derart kalt?“

„Wenn wir vor der Themsemündung wären, könnte ich’s dir sagen, Hugh“, erwiderte Ruthland und zuckte mit den Schultern. Der Blick seiner hellen Augen heftete sich auf die prallen Segel und dann auf Lefray. „Spätestens heute nacht gibt’s wieder Schlagregen und Nebel. Und die Gebirge sind verdammt weit weg. Ein paarmal haben wir geglaubt, Berge zu sehen. Aber es können auch Wolken gewesen sein. Von einer Wüste hast weder du noch ein anderer was gesehen. Ich schon überhaupt nicht. Allerdings wäre mir Starkwind aus dem südlichen Sektor auch verdammt lieber.“

„Verfluchter Seewolf“, knurrte Lefray und wandte sich ab.

Bis kurz nach dem Mittagsglasen kreuzte die Karavelle auf Nordkurs zwischen den Mangroven und Inseln, Halbinseln und Bänken. Je weiter sie vorstießen, desto mehr entfernten sich die Ufer. Die „Ghost“ steuerte offenbar jenen Teil des nach Osten abknickenden Golfes an, an dem laut Karten die Hafenstadt Khambhat liegen sollte. Allerdings waren die Eintragungen alles andere als genau.

Ruthlands Laune wurde von Stunde zu Stunde schlechter. Die erzwungene Untätigkeit versetzte ihn in Unruhe, seine Wut darüber, daß er die Schebecke noch immer nicht gefunden hatte, setzte ihm zu.

„Dieser Killigrew“, sagte er leise, mit belegter Stimme, zu seinem einäugigen Kumpan, „liefert sich mit einem anderen Schiff ein Feuergefecht. Wenn wir ihn bald stellen, sind wir zwei gegen ihn.“

Ohne jeden Zweifel suchte nicht nur er, sondern die gesamte Crew die Auseinandersetzung. Sie wußten, wie gut David Lean zielte und traf. Aber wieder war es Lefray, der die überzeugte Sicherheit seines Kapitäns nicht teilte.

„Francis“, sagte er ebenso wütend wie der Kapitän, „wir haben nur ein paar Explosionen gehört. Vielleicht hat Killigrew ein Fischerdorf unter Feuer genommen. Das Ganze hörte sich nicht wie ein ernsthaftes Feuergefecht an.“

„Ist mir egal“, knurrte Ruthland. „Killigrew schießt nicht auf Fischerhütten. Vielleicht hat ihn ein Schiff der Moguln oder von einem anderen Padischah aufgestöbert. Oder ein Portu. Was weiß ich! Wenn er nicht versenkt wurde, finden wir ihn.“

„Hoffentlich bald.“

Obwohl in den nächsten Stunden die Crew der Karavelle an Schoten und Brassen schufteten und das Schiff sich weiter in die Bucht vorarbeitete, zeigten die Spektive nur weitere Einzelheiten der Ufer, die sich kaum von den bisherigen Bildern unterscheiden. Die Flottille der Fischerboote war längst achteraus hinter einem Teil der buchtenreichen Uferlandschaft verschwunden. Trotz des Windes aus Norden trieben die Wolken von Westen nach Osten die Sonne verschwand und tauchte auf, in ständigem Wechsel. Wieder schien die Jagd auf den Seewolf völlig offen zu sein.

Willem van Stolk hielt sich mit beiden Händen am Rahmen der Tür seiner Kammer fest und grinste selbstzufrieden, als sein Rundblick beendet war. Die „Zuiderzee“ hatte jedes Stück Leinwand gesetzt und segelte genau auf Südkurs. Alle Segel standen prall voll, hinter dem Heck gurgelte und rauschte das Kielwasser. Eine Schar Möwen begleitete die Karavelle. Vor zwei Stunden war Mittag geglast worden.

Van Stolk wandte sich an den Bootsmann und sagte laut, um die Windgeräusche zu übertönen: „Ein ehrenwerter Kapitän, dieser Mister Killigrew. Die Engländer sagen wohl ‚Gentleman‘ dazu, mit Recht, wie ich finde.“

Antony sah dem Koch zu, der quer über die Kuhl tappte und den Rum zum Quarterdeck brachte.

„Der beste Rat, den wir seit Wochen erhielten. Wir laufen gute Fahrt, Willem. Heute abend werden wir diese engen Passagen und alle unwichtigen Inseln weit achtern gelassen haben.“

„Gottlob“, erwiderte der Kapitän. „Ein schnelles Schiff, die Schebecke. Wo ist sie? Vor zwei Stunden war sie noch zu sehen.“

„Sie sind schneller als wir“, erwiderte der Bootsmann. „Weitaus schneller.“

Stundenlang waren sie hintereinander gesegelt, und während dieser Zeit hatte sich der Abstand zwischen der Schebecke und der „Zuiderzee“ ständig vergrößert. Jetzt war das schlanke Schiff mit den Dreieckssegeln hinter der Kimm verschwunden. Im Südwesten bildete sich über dem Wasser bereits wieder eine dunkle Wolke. Jetzt sah sie aus wie ein schmales Band am Ende des Blickfeldes.

Der Kapitän wies zu dem dunklen Streifen, der sich über der Kimm im Südwesten aufbaute.

„Ein seltsames Wetter“, murmelte er und schwenkte den letzten Schluck Rum in der Muck. „Nordwind, Monsunwolken und hoch am Himmel diese weißen Sommerwolken. Baut sich ein Sturm auf?“

„Ist schon möglich“, gab der Bootsmann zu. „Wir kennen die Gewässer hier nicht.“

„Man sollte einen Fischer fragen“, schlug Willem van Stolk grinsend vor.

„Weit und breit keiner zu sehen.“

Irgendwo an Backbord voraus, eine oder zwei Tagesfahrten entfernt, mußte Surat beziehungsweise die breite Mündung des Tapti-Flusses liegen. Das hatten sie von der Crew der Schebecke erfahren. Der Versuch, Einblick in deren Karten zu nehmen, war ein solcher geblieben. Sie wußten wohl auch nichts Genaueres, so wie die Holländer. Aber Killigrew schien in dieser Beziehung ein Schlitzohr zu sein, der sich nicht überlisten ließ.

„Wir finden die Küste wohl auch ohne Fischer. Ihre Sprache verstehen wir sicher nicht“, sagte der Bootsmann. „Willst du abends an den Strand, in eine Bucht oder einen geschützten Winkel verholen?“

Der Kapitän nickte und peilte den Stand der Sonne an. „Ja, natürlich. Irgendwo an Backbord.“

„Verstanden, Kapitän. Kann ich mich ein, zwei Stunden aufs Ohr hauen?“

„Selbstverständlich, Antony“, sagte van Stolk. „Bis zum Abend wird sich nichts Besonderes abspielen.“

„Alles klar.“

Die beiden Männer nickten einander zu. Antony Leuwen enterte den Niedergang ab und beugte sich mit seinem Oberkörper, bevor er die Kuhl verließ, weit über das Schanzkleid. Er schien die Wellen einer schweigenden und gründlichen Untersuchung zu unterziehen. Dann zog er in einer halbwegs hilflosen Bewegung die Schultern in die Höhe und tauchte unter Deck ab.

Willem van Stolk grinste ihm hinterher.

„Die Compagnie hat keine Ahnung“, murmelte der Kapitän etwas später, „wie schwierig hier alles ist.“

Die Karavelle jagte über die Wellen, der nächsten Regennacht im Monsun entgegen. Irgendwie fühlte sich der Niederländer seit dem Augenblick erleichtert, als die Männer der Killigrew-Crew zusammen mit Swietens Mannen die Schäden dieses einseitigen Feuergefechts beseitigt hatten.

Der Kurs lag an. Keiner an Bord wußte im voraus, was die nächsten Wochen bringen würden.

Die Seeleute der „Ghost“ hatten ein solches Wetter noch nie erlebt. Zumindest erinnerte sich keiner daran.

Die Karavelle stampfte und schlingerte durch hohe, unablässig anrollende Wellen. Gischt wurde vom heulenden Wind von den Wellenkämmen gerissen. Der Wind fauchte abwechselnd aus Norden, Osten und Südwesten heran. Drei Stunden vor dem letzten Tageslicht hatte sich der Himmel wieder dunkel gefärbt. Die blaugrauen Regenwolken hingen tief und schoben sich von Südosten unaufhaltsam höher. Noch regnete es nicht, aber es würde nicht mehr lange dauern.

„Das wird eine höllische Nacht!“ schrie Ruthland durch das Knarren, Jaulen und Krachen. „Wir müssen einen sicheren Ankerplatz finden!“

„Dort drüben, Francis.“ Lefray zeigte nach Backbord. Das Ufer war an dieser Seite höchstens eine Meile entfernt. Das Steuerbordufer war hinter den hochgehenden Wellen und dem Schleier aus Gischt und Wassertropfen nicht mehr zu erkennen. „Wir müssen die Jagd aufgeben. Wenigstens für heute. Die Nacht stehen wir nicht durch, wenn’s so weitergeht.“

„Du hast recht.“

Der Nordwind hatte sie gezwungen, den Kurs zu ändern. Überdies hatten sie das nördliche Ende der Bucht erreicht und die Schebecke nicht gesehen. Die Karten schienen zwar die tiefen Landeinschnitte richtig wiederzugeben, aber auf ihnen war längst nicht jede Bucht verzeichnet. Bis jetzt hatte die „Ghost“-Crew jedenfalls vergeblich gesucht.

„Dicht unter Land halten. Wir suchen einen Ankerplatz!“ schrie der Erste.

„Aye, Sir.“

Die Karavelle krängte weit nach Steuerbord. Die Regenwolken erreichten die Sonne und schoben sich vor die rötliche Scheibe. Schlagartig nahm die Helligkeit ab. Der Bug der Karavelle schwenkte zögernd nach Backbord, die Rahen knarrten laut, als die Segel getrimmt wurden. Die „Ghost“ stampfte auf die langgestreckten Dünen hinter der Brandung zu.

Im Südwesten fiel der erste Regen aus den Monsunwolken. Breite Streifen ließen die Kimm im Grau versinken. Die nächste Bö heulte von Westen heran und ließ die „Ghost“ weit nach Backbord überholen. Die Segel fingen zu killen an, bis der Rudergänger das Schiff wieder auf den richtigen Kurs brachte.

Francis Ruthland peilte zum Ufer hinüber. Sein Gesicht zeigte, daß er keineswegs zufrieden war mit dem, was er durch den Kieker sah. Die Dünen gingen in einen sandigen Strand über, die Brandungswellen überschlugen sich auf dem flachen Hang und zischten weit über die Flanken der Hügel aus Sand und Lehm. Kümmerliche Büsche wuchsen auf den Dünenkronen.

Ruthland war sich so gut wie sicher, daß die Wassertiefe für einen sicheren Unterschlupf zu gering war. Obendrein gab es auf den nächsten Meilen des Strandes nicht den geringsten Schutz vor dem Wind.

Er rief den Rudergänger an. „Südkurs, Michael. Das Ufer taugt nichts.“

„Verstanden, Kapitän.“

Glücklicherweise drehte der Wind innerhalb der nächsten halben Stunde und wehte, wieder kalt und trocken, aus Norden. Trotzdem rückten die Regenschleier drohend näher. In den Wolken riß ein Loch auf und blutrotes Licht ließ einen gewaltigen Wolkenturm im Südosten aufleuchten.

„Gewitterwolke!“ rief Lefray gegen den Sturm.

„Auch das noch“, stöhnte Ruthland.

Eine Stunde lang kämpfte sich die Karavelle nach Süden, während der Wind mehrmals seine. Richtung änderte. Die Wellen waren noch nicht so hoch, daß sie eine wirkliche Gefahr darstellten, aber die Oberfläche ließ Kreuzseen erkennen. Eine Dünung baute sich auf, die das Schiff torkeln, in den Wellentälern versinken und hoch auf die Wellenkämme steigen ließ. Die schweren Schauer von Spritzwasser kamen von Steuerbord und Backbord, meist vom Bug und, seltener, über die achteren Aufbauten.

Die Crew trimmte unentwegt die Segel. Die „Ghost“ konnte sich von den Untiefen freihalten, und langsam zog eine Küste vorbei, die wenig Gutes versprach. Hinter den Dünen schien es nicht einmal Eingeborenenhütten zu geben.

Coughlan klammerte sich auf der Back, über dem Kranbalken des Ankers, ans Schanzkleid und starrte nach unten. Er versuchte zu sehen, ob sie genug Wasser unterm Kiel hatten. Das Lot und die aufgeschossene Leine hingen über seiner Schulter.

Jetzt hatte Ruthland ein anderes Problem, als den Seewolf zu suchen. Er mußte verhindern, daß sie in der Nacht vom Kurs abkamen, das sichere Tiefwasser verließen oder auf Legerwall getrieben wurden.

Die Sonne war vollständig verdeckt. Der Wind aus dem nördlichen und westlichen Sektor ließ nach, während sich sowohl die Monsunwolken als auch das turmartige Gebilde der Gewitterwolke vergrößerten.

„Hugh“, sagte Ruthland und hoffte möglichst bald am Ende der Dünen und des Sandstreifens eine Bachmündung oder eine Bucht zu entdecken, „das sieht nicht gut aus.“

„In einer Stunde spätestens ist der Regen über uns“, antwortete Lefray. Sie waren seit der Morgendämmerung nicht aus den Stiefeln gekommen und total erschöpft. „Dazu das Gewitter. Wenn wir keine Bucht finden, müssen wir wieder aufs Meer hinaus verholen.“

„Sehe ich ein“, entgegnete Ruthland. „Aber bisher hatten wir immer Glück.“

Auch die Mannschaft war unruhig geworden. Immer häufiger warfen sie lange Blicke voller Besorgnis zum Strand hinüber. Die Dünen schienen höher geworden zu sein, auch der Bewuchs nahm zu. Einzelne Bäume schoben sich hinter dem Sand in die Höhe. Nicht ein einziger Vogel war in der Luft, die Tiere schienen den aufziehenden Sturm zu fürchten.

„In gut einer Stunde ist es unmöglich, zu sehen, wohin wir segeln.“

„Wissen wir, Francis“, erwiderte Lefray und schüttelte sich, als ein Schauer von Tropfen sein Gesicht traf.

Die Verbände der „Ghost“ knarrten und knirschten. Noch reichte der Wind, um das Schiff in guter Fahrt durch die Wellen zu schieben. Wieder hoben Ruthland und Lefray ihre Spektive. Die Sicht wurde in dem rötlichen Zwielicht immer schlechter, aber am Ende dieses Strandabschnittes schoben sich kantige Felsen zwischen den Dünen bis zum Wasser vor.

„Vielleicht gibt es ein Loch für uns hinter den Felsbrocken!“ rief Ruthland, als er die hochschießenden Brandungswellen und den Gischt an den zerklüfteten Steinen erkannt hatten.

„Abwarten.“

Es war ein Wettrennen zwischen Dunkelheit und der Hoffnung, doch noch einen Ankerplatz zu finden, der gegen allzu hohe Wellen, gegen Sturm und Gewitter schützte. Die Zeit schien viel zu langsam zu vergehen, die Karavelle näherte sich dem äußersten Punkt des Ufers mit der Langsamkeit einer Schildkröte – so schien es den Kerlen.

Die Felsen bildeten ein kleines Kap. Als die „Ghost“ näher stampfte, stellte sich heraus, daß die Dünen flacher wurden, daß aus den einzelnen Felsen eine schräge, wuchtige Felsplatte wurde, in der ein breiter Spalt klaffte, so breit wie die „Ghost“ lang war.

Hinter der Felsplatte begann ein niedriger Wall aus Büschen, dann erstreckte sich bis zur Kimm nur eine Landschaft aus Dünen und schräg ansteigendem Sandstrand.

Lefray richtete schweigend und voller neuer Hoffnung den Kieker auf die Stelle und erkannte, daß sich hinter dem Spalt ein kleiner Fjord im Fels öffnete, dessen Wände doppelt so hoch aufragten wie die Masten der Karavelle.

„Das ist es, Francis!“ brüllte Lefray begeistert.

Der Kapitän hatte den Einschnitt im selben Augenblick entdeckt. Sofort rief er seine Befehle aus. Die Karavelle verschwand wieder in einem Wellental, der rettende Felsdurchbruch senkte sich hinter den Wellenkamm.

Die „Ghost“ schüttelte sich, als der Rudergänger sie nach Backbord zwang. Die ersten Regentropfen, nur ein leichter Schauer, prasselte in die Segel und auf die Planken, aber der Wind hatte nachgelassen.

Kommandos und Bestätigungen hallten über das Deck. Die Segel wurden backgebraßt, und in einem Viertelkreis, stampfend und gischtend, schwang der Bug herum. Der Bugspriet zielte genau auf die Mitte der Passage zwischen den Felsen. Im Bereich der Brandung sprangen gerundete Klippen und Brocken weit ins Wasser vor, die Felswände und der Hintergrund des kurzen Fjordes waren zerrissen und zerklüftet.

„Genug Wasser unterm Kiel!“ rief Coughlan von der Back.

Wieder wurden die Riemen losgebändselt und in Bereitschaft gehalten. Die Karavelle verlor an Fahrt. Der Wind aus Südwesten packte das Schiff, während die Segel aufgegeit wurden.

„Recht so. Wir schaffen es!“ rief Ruthland.

„Kurs halten!“ tönte der Ruf von der Back.

Die Karavelle hatte die Richtung geändert, sie glitt geradeaus durch die Wellen, genau auf die Mitte des Durchlasses zu. Drei Männer rannten zum Bug, enterten zur Back auf und klarten Anker und Ankertau auf. Der Regen wurde heftiger, als die beiden Seiten des Schiffes die schweren Brecher der Brandung gegen den Fels schmetterten, sich donnernd aufwarten und über den Stein in die Höhe zu klettern schienen. Eine Weile hob die „Ghost“, schob sie auf die Passage zu und hindurch.

„Anker klar zum Fallen!“ brüllte Ruthland.

Die Brandung war lauter als Geschützdonner. Plötzlich glitten die Felswände rasend schnell vorbei. Im letzten Licht sahen die Engländer, daß der Felsenkessel höchstens zwei Kabellängen Durchmesser hatte und das fast schwarz scheinende Wasser überraschend ruhig war, fast ohne Wellen. Die Tropfen plätscherten herunter, der Regen wurde dichter.

„Fallen Anker!“ befahl Lefray.

Klatschend verschwand der Anker im Wasser. Knapp zehn Faden Ankertau schlängelten sich durch die Klüse, die Trosse wurde kurz belegt. Dann faßte der Anker Grund, das Schiff schwojte, vom eigenen Schwung getragen, nach Backbord und glitt in die Mitte des Felsenkessels. Es war unnatürlich ruhig geworden, nur das Geräusch des fallenden Regens nahm zu. Es gab nur noch einen Rest Tageslicht, als die Blicke der Crew die Felswände musterten.

„Flut“, sagte Coughlan scharf.

Es gab an den Felsen nur die Markierungen von Springtiden. Das Wasser hatte in dem unregelmäßig runden Kessel den Stand erreicht, der für die Flut galt. Fast alle waagerechten Markierungen und Ablagerungen waren bedeckt.

„Gebt noch fünf Faden zu. Dann belegt die Trosse“, sagte Lefray.

„Aye, Sir.“

Als das Tau ausgesteckt war und die Crew im strömenden Regen die Segel belegte, hatte die „Ghost“ fast gedreht und den Bug zur Passage hin geschwenkt. Ein kurzer Stoß ging durch das Schiff, dann ertönte ein mörderisches Knirschen und Ächzen.

Die Seeleute wurden von den Beinen gefegt und rutschten auf den nassen Decksplanken aus. Aus dem Inneren des Rumpfes ertönten laute, knackende Geräusche. Dann kippte die „Ghost“ um ein oder zwei Fuß nach Steuerbord und rührte sich nicht mehr.

Francis Ruthland schloß die Augen und fing zu fluchen an.

Die Karavelle saß fest. Nach den Geräuschen und dem Verhalten des Schiffes zu urteilen, hatte sich der Kiel nicht im Schlick festgefressen, sondern zwischen Unterwasserfelsen geschoben.

Hugh Lefray und Coughlan fluchten noch lauter als der Kapitän.

Und das auch noch bei Flut und in der Dunkelheit! Dazu im warmen Regen, der so dicht war, daß man vom Heck die Back nicht mehr sehen konnte.

Und natürlich verfluchten sie alle den Seewolf, der sie in diese Lage gebracht hatte.

Seewölfe Paket 34

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