Читать книгу Seewölfe Paket 34 - Fred McMason - Страница 11

7.

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Don Juan de Alcazar faltete das weiße Tuch auseinander und begann, sein Gesicht, das Haar und den Hals abzutrocknen. Seewasser biß in den Augen und schmeckte bitter auf den Lippen und der Zunge. Zwei Tranfunzeln brannten ruhig und verströmten gelblichweißes Licht. Der Spanier achtete sorgfältig darauf, daß er von seiner Jacke keine Wassertropfen auf Dans Karten schleuderte, als er sie vorsichtig auszog.

„Mittlerweile sind wir von der Tapti-Mündung wohl nicht mehr allzuweit entfernt, Dan?“ fragte er. „Wir haben, trotz der Suche und des Aufenthaltes, fast immer eine gute Geschwindigkeit herausgesegelt.“

Dan O’Flynn hatte an seinen Karten gearbeitet, seine flüchtigen Notizen eingetragen, Inseln eingezeichnet und seine Bemerkungen hinzugefügt: Zeichen, Wörter und Abkürzungen. Er hob den Kopf, legte die Feder weg und blickte in die dunklen Augen Don Juans.

„Wir sind noch ein gutes Stück davon entfernt. Im Norden der Mündung, natürlich.“

Er zeigte auf die Stelle, die er errechnet hatte.

Don Juan setzte sich auf die Koje Dans und streckte die Beine aus. Die Schebecke hob und senkte den Bug in den langen Wellen, die Geräusche des Regens, der auf die Decksplanken hämmerte, trommelte und prasselte, wirkten ebenso einschläfernd wie die warmen Lichter über Dans Kartentisch.

„Und Ruthland ist uns auch wieder entwischt. Nicht einen Masttopp von der ‚Ghost‘ haben wir gesehen. Ich meine, wir sollten diese Hetzjagd aufgeben.“

„Ich glaube nicht“, entgegnete Dan mit einem schiefen Grinsen, „daß du mit diesem Vorschlag große Begeisterung bei Hasard und der Crew auslösen wirst.“

Don Juan lachte kurz. „Glaube ich auch nicht. Trotzdem wäre es das Vernünftigste. Zwischen den vielen Inseln können wir vermutlich einen Monat lang suchen, ohne ihn zu finden. Aber das weiß wohl jeder an Bord.“

„Er ist uns im Regen entwischt“, sagte Dan und lehnte sich zurück.

„Im Regen werden wir ihn vermutlich auch finden, schätze ich.“

„Abwarten, Dan.“

Die Seewölfe hatten die Schebecke mehr als acht Stunden lang auf Südkurs halten können, trotz des drehenden Windes. Sie waren, nachdem der Holländer achteraus außer Sicht geraten war, an der Steuerbordseite des Golfes geblieben, hatten Landzungen und Inseln passiert, waren gegen den Wind aufgekreuzt und hatten immer wieder besorgt zum Himmel aufgeschaut. Das Gewitter, auf das sie seit zwei Stunden warteten, hatte sich verzogen oder lauerte noch hinter den Regenschauern.

Dan O’Flynn spreizte die Finger der rechten Hand und griff die Strecke ab, die seine Karte zeigte.

„Wenn Hasard die ‚Ghost‘ nicht entscheidend trifft – ich meine natürlich das segensreiche Wirken unserer Culverinen –, dann haben wir an der Küste keinen ruhigen Tag mehr. Das weiß ich, Juan.“

Dan war überzeugt, daß es sich so verhielt; der Hundesohn Ruthland würde es immer wieder versuchen, bis er Erfolg hatte.

„Ich will mich ja nicht drücken …“, meinte Don Juan.

Dan unterbrach ihn: „Das denkt keiner.“

„… aber wahrscheinlich finden wir ihn an jeder anderen Stelle schneller als hier im Norden. Das ist meine feste Meinung, die ich Hasard auch schon ein paarmal gesagt habe.“

Don Juan hörte seinen Magen knurren. Gleichzeitig roch er, was die Köche in ihren Töpfen und Kesseln brutzelten und kochten.

„Und was meint der Kapitän?“ wollte Dan wissen, obwohl er die Antwort zu kennen glaubte.

„Der Kapitän ist noch immer überzeugt, daß wir Ruthland bald aufstöbern. Aber er hat auch schon halb eingesehen, daß wir an der falschen Stelle suchen. Ruthland ist auf und davon, nach Süden. Er kann sich leicht ausrechnen, daß seine Karavelle gegen unsere zwölf Culverinen keine wirkliche Chance hat. Auch das weiß jeder. Oder etwa nicht?“

„Doch. Besonders Al Conroy.“ Dan grinste und drehte den Federkiel zwischen seinen Fingern.

„Heute nacht wird er wohl einigermaßen ruhig schlafen.“

„Das, hoffe ich, gilt für alle“, sagte Don Juan und lauschte auf die Geräusche des Regens. „Von braunhäutigen Fischern bewacht, oder was immer die Kerls zu tun haben.“

„So ist es.“

Die Schebecke war, noch bevor der Regen richtig losgebrochen war, in eine große, ruhige Bucht gesegelt. Die Rauchsäulen kleiner Feuer hatten den Seewölfen den Weg gezeigt. Als das Schiff etwa den Mittelpunkt der halbmondförmigen Bucht erreicht hatte, konnten die Arwenacks die winzige Ansiedlung und etwa ein Dutzend kleiner Boote, die Hälfte davon mit Mast und Segel, am Ufer zwischen den Pfählen erkennen.

Eine erste Schätzung hatte ergeben, daß rund fünfzig Eingeborene hier lebten. Hinter den Büschen und Bäumen des Ufers erstreckte sich eine hügelige, sandige Fläche.

„Vielleicht haben die Fischer die Karavelle gesehen“, meinte Don Juan, als er aus der Richtung der Kochstelle einen Wortwechsel, Fußtrampeln und das Klappern von Mucks und Schalen hörte.

„Uns haben sie ganz sicher nicht übersehen“, entgegnete Dan und faltete sorgfältig seine Aufzeichnungen zusammen, bevor er die Karte zu einer Rolle drehte und verstaute.

„Ich frage sie morgen früh“, sagte Don Juan.

Morgen früh, dachten sie beide und grinsten in sich hinein, sprachen sie ebensowenig die Sprache der Eingeborenen wie die Fischer Englisch oder Spanisch beherrschten. Vielleicht schafften es die Zwillinge, wenn sie Hände und Füße zur Hilfe nahmen, mit den Eingeborenen zu kauderwelschen.

Durch das Gluckern und Plätschern der Wellen, die gegen die Planken schlugen, durchs Knarren und Knistern der Verbände und das unverändert laute, gleichmäßige Rauschen des Monsunregens hörten die Seewölfe klar und deutlich: „Backen und Banken – für heute zum letztenmal!“

„Endlich“, murmelte Don Juan. „Ich hoffe, daß die Fischer nicht an Bord kommen und eingeladen werden wollen.“

Bis auf die Wachen befanden sich alle Mannen unter Deck. Die Bug- und Hecklaterne verbreitete schwachen Lichtschein. Langsam schwojte die Schebecke an der Ankertrosse und beschrieb einen Halbkreis, als die Strömung den Rumpf ergriff. Niemand rechnete damit, daß draußen im Regen die Karavelle Ruthlands vorbeigleiten, ihre Besatzung das Licht sehen und zu feuern anfangen würde.

Dennoch waren die Arwenacks darauf vorbereitet, trotz Monsunregen und undurchdringlicher Finsternis.

Ruthland riß sich, nachdem er sich mühsam beruhigt hatte, Jacke und Hemd vom Körper, schleuderte sie auf seine Koje und zog sich um. Dann stieg er wieder an Deck. Während ein Teil der Seeleute versuchte, Fackeln und Lampen an Deck zu bringen und sie vor dem Regen zu schützen, überschlugen sich in Ruthlands Kopf die Gedanken und Überlegungen.

„Ausgerechnet bei höchstem Wasser“, fluchte er vor sich hin. Das Schiff saß noch immer fest, die Neigung des Decks hatte sich nicht verändert.

Steuerbord lag tiefer als Backbord. Der zitternde Lichtschein von blakenden Fackeln spiegelte sich auf dem nassen Deck.

Hugh Lefray brüllte von der Back nach achtern:

„Kapitän! Wenn wir die Kanonen und Ballast nach Steuerbord verholen, dann legt sich die ‚Ghost‘ noch weiter über!“

„Wenn’s reicht. Fangt an!“ rief Ruthland. „Aber schnell. Um den Kiel und den Loskiel ist mir nicht bange, aber die Planken!“

„Aye, Sir.“

„Bring mir Rum, Koch!“ rief der Kapitän, enterte auf die Kuhl ab und musterte seine Crew. An Backbord wurden die Culverinen losgeschäkelt. Die Geschütztaljen erhielten Lose, die Brooktaue wurden ausgehängt, und die Seeleute stemmten sich gegen die Lafette. Die breiten Räder knirschten und ratterten über die Planken, als sich das erste Geschütz bewegte. Sieben Mann zerrten am Rohr, an den Griffen und Tauen. Eine Handbreite nach der anderen rollte die Culverine nach Steuerbord. Schließlich hatten die Männer die Lafette neben die des Steuerbordgeschützes bugsiert und sicherten das schwere Stück mit Sorgleinen.

„Das verdammte Schiff rührt sich nicht“, knurrte Ruthland, als ein Dutzend Männer und das erste Geschütz an Steuerbord waren. „Los, ans Schanzkleid. Lehnt euch drüber.“

Er selbst sprang zum Schanzkleid, klammerte sich fest und hoffte, daß sich das Schiff wenigstens ein bißchen bewegen würde. Aber es gab nur wieder das Knarzen und Knirschen, das hohl und bedrohlich aus dem Kielraum heraufklang. Inzwischen waren sie alle völlig naß, das Regenwasser lief an ihren Körpern hinunter und in die Stiefel.

„Nichts. Wir ziehen alles rüber, was wir haben.“

Das zweite Geschütz wurde losgeschäkelt. Während er Seite an Seite mit seiner Crew schuftete, überlegte Ruthland, was als nächstes unternommen werden mußte, wenn es nicht reichte, das Gewicht zu verlagern. Bisher konnte er noch nicht sagen, ob es ausreichen würde, wenn die „Ghost“ weiter gekrängt wurde.

Vielleicht löste sich der Kiel von den Felsen. Vielleicht aber auch nicht. Das Teuflische war, daß die Flut nicht mehr höher stieg, im Gegenteil. Wenn die Ebbe einsetzte, würde sich die Karavelle mit noch mehr Gewicht auf den Grund setzen.

„Stein ist härter als das beste Holz“, drückte der Erste die Befürchtungen deutlich aus.

An Deck befanden sich für diese Arbeit zu viele Männer. Als das zweite Geschütz mit hohlem Krach gegen das Schanzkleid stieß, richtete sich Ruthland auf, wischte über sein Gesicht und befahl: „Die anderen stapeln die schwersten Fässer und Kisten nach Steuerbord um. Fünf Mann genügen für die Artillerie.“

„Aye, Kapitän.“

Quelch enterte ab, zündete zwei weitere Lampen an und gab den Befehl des Kapitäns weiter. Aber er brauchte seine Kameraden nicht anzutreiben.

Unter dem Eindruck des grauenhaften Knarrens und Ächzens, das nichts anderes ankündigte als einen Wassereinbruch, arbeiteten die Seeleute unter Deck weiter.

Sie packten die Fässer, koppten und rollten sie, hebelten mit Spaken die schweren Kisten in die Höhe und versuchten, die schwersten Ladegüter zwischen den Binnenspanten an Steuerbord zu stapeln.

Die Karavelle rührte sich noch immer nicht. Von oben, durch das Plätschern des Regens, dröhnte das Rumpeln der Lafettenräder an die Ohren der Engländer.

Nach einer Stunde schaute sich Quelch, an dessen nacktem Oberkörper der Schweiß in Strömen hinunterrann, im Laderaum um.

Nur noch ein paar Kisten standen an der Backbordseite. Er stemmte die Fäuste in die Seiten und knurrte: „Scheint nicht viel geholfen zu haben. Vielleicht weiß Ruthland, was wir noch tun können.“

„Wir entern auch auf. Ein bißchen Luft schnappen.“

„Kommt mit“, rief er keuchend seinen Kameraden zu und stieg die Stufen des Niederganges hinauf. Der Regen auf der nackten Haut war eine Erfrischung. Die Männer holten tief Luft und wischten sich den Schweiß aus den Gesichtern.

Quelch hangelte sich am Schanzkleid entlang und blickte über das halbdunkle Deck. Sämtliche Geschütze befanden sich festgezurrt an Steuerbord. Der Blick Ruthlands fiel auf ihn.

„Fertig, Quelch?“ stieß der Kapitän hervor.

„Die schwersten Brocken sind verstaut, Sir.“

„Ich merke nichts. Das Schiff sitzt weiterhin fest!“ rief Ruthland.

Durch den Rumpf bebten die Erschütterungen der Wellen, die durch die Felspassage hereinzischten. Zwar trafen sie die Planken, aber die Karavelle kam nicht frei.

„Die Ebbe“, sagte Hugh Lefray erschöpft. „Es geht nicht anders, Leute. Entweder holen wir den Ballast aus der Bilge und werfen die stinkenden Steine in den Bach, oder wir bringen das Boot zu Wasser.“

„Oder beides“, sagte der Kapitän. „Steine finden wir überall. Wenn ihr mich fragt, gibt es viel zu viele davon.“

„Besonders unter dem Schiff“, sagte Quelch grimmig. „Wie wär’s, wenn wir ein Tau vom Großmast aus mit dem Boot ausfahren, um die Karavelle noch mehr auf die Seite zu legen – wie beim Überholen der Planken?“

Der Kapitän hob beide Arme und schrie wütend: „Was bringt das schon? Wenn wir nicht bald Erfolg haben, brechen uns die Planken auf. Schnell! Eine Kette bis in die Bilge. Holt den Ballast an Deck und schmeißt das Zeug über Bord.“

„Aye, Sir.“

„Und ihr fiert das Beiboot ab. Das Wasser fällt wahrscheinlich schneller, als uns lieb ist.“

Auch jetzt brauchte kein Crewmitglied angetrieben zu werden. Jeder hatte die Gefahr klar erkannt. Unter Deck wurden noch mehr Lämpchen angesteckt und frisches Lampenöl nachgefüllt. Die Seeleute enterten ab, kletterten über die Bugbänder, die Bodenwrangen und das Kielschwein. Zwischen den Ballaststeinen, an denen Dreck und Schlamm glänzten, gluckerte Wasser.

Wenn die Männer zupackten, rutschten ihnen die schweren Steine aus den Fingern. Sie brüllten nach oben und verlangten Lappen und Segeltuchfetzen. Endlich konnte, zwischen Tauenden und anderem Abfall, der erste schwere Steinbrocken hochgehievt werden. Ein Mann nach dem anderen übernahm ihn und stemmte ihn keuchend weiter, im Zickzack durch die Laderäume, die Niedergänge hoch und durch das Luk auf die Kuhl.

„Das Zeug stinkt und ist auch noch schwer dazu“, fluchte Coughlan, packte den dreckverschmierten Ballaststein und stieß ihn mit beiden Armen so weit wie möglich nach Steuerbord durch die Dunkelheit. Mit lautem Klatschen verschwand er im Wasser.

„Der nächste! Hier!“

Aus der Bilge wanderten die unterschiedlichsten großen Steine in quälender Langsamkeit von Mann zu Mann, bis sie von Coughlan und Lefray gepackt und außenbords geschleudert wurden. Obwohl die Männer auf engstem Raum so schnell wie möglich arbeiteten, dauerte es viel zu lange, bis eine solch große Menge der kantigen Steinbrocken ihren Weg durch das Schiff nehmen konnte.

Das Beiboot war aus den Bootsklampen gehoben und am Geschirr festgelascht worden. Die Kettenstander hingen frei und klirrten, wenn die schuftenden Männer daranstießen.

„Das hilft auch nichts“, sagte der Kapitän, nachdem er statt Lefray die letzten fünf Ballaststeine außenbords gewuchtet hatte. Eine Fackel in seiner Nähe wurde aus einer Falte des Segels heraus von einem Wasserstrahl getroffen und ausgelöscht.

„Doch. Die ‚Ghost‘ wird leichter, Francis“, keuchte Lefray und hängte sich schwer an das Tau, mit dem sie das Beiboot hochhievten und an der Rah herumschwangen. „Ich spür’s schon. Irgendwie bewegt sich der Kahn.“

Das Beiboot schwebte quer über die Hälfte des Decks, hing über dem Schanzkleid und wurde langsam zum Wasser abgefiert. Am Bugende des Schanzkleides wurde die Jakobsleiter ausgebracht.

Der Kapitän schrie David Lean an, der an Deck taumelte und einen Stein haarscharf neben dem Dollbord des Bootes vorbei ins schwarze Wasser schleuderte.

„Aufpassen, Kerl! Oder willst du das Boot auch noch zertrümmern?“

„Nein, Kapitän.“

Klatschend fiel das Beiboot in die Wellen. Tatsächlich begann sich die Karavelle zu bewegen. Aber sie kam nicht frei, nur die Geräusche aus dem Inneren wurden lauter und gingen den Kerlen durch Mark und Bein.

Der Bug hob sich um wenige Handbreiten, als Michael, einen armdicken Tampen in den Gürtel geknotet, zwischen den Wanten aufenterte und sich in der Dunkelheit zurechtzufinden versuchte.

„Wieviel Ballast ist noch im Schiff?“ schrie Ruthland einige Minuten später. „Haben wir eigentlich Wasser in der Bilge?“

Es dauerte eine Weile, bis die Frage nach unten weitergegeben worden war und die Antwort wieder, von einem zum anderen, der Kapitän auf der Kuhl erreichte.

„Knapp zwei Handbreiten, Kapitän.“

Ruthland lief rot an, aber das war in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Seine Stimme drückte seine Wut und Enttäuschung viel deutlicher aus.

„Dann lenzt gefälligst, mit der Pumpe natürlich.“

„Sofort, Kapitän“, erwiderte Lefray.

Etwa ein Drittel des Steinballasts war mittlerweile außenbords gegangen. Michael sprang aus den Wanten an Deck und zog prüfend am Tau. Er packte das schwere Bündel und hievte es auf das Schanzkleid. Dann kippte er es in das Beiboot hinunter. Das Taubündel rollte sich auf und krachte schwer zwischen die Duchten.

Im selben Moment fing die Lenzpumpe zu arbeiten an. Der dünne Strahl plätscherte irgendwo ins Wasser. Man sah ihn nicht, aber es stank durchdringend nach dem fauligen Unrat, der sich während so vieler Monate im tiefsten Raum des Schiffes angesammelt hatte. Das Regenwasser, Sickerwasser und Schwitzwasser hatten sich zu einer üblen Brühe vermischt. Wieder hob sich das Deck um einen Zoll.

„Wir haben es vermutlich bald geschafft“, sagte Lefray und packte die Unterarme seiner beiden Kameraden. „Los. Abentern. Ich gebe euch die Riemen hinunter. Dann belegt ihr den Tampen und pullt. Halt. Nicht nur ihr beiden.“

„Schon verstanden. Wir kippen die ‚Ghost‘ einfach um. Dann kommt sie schon frei.“

„Jedenfalls haben wir uns das so und nicht anders gedacht.“

Sie hatten alle, Mann für Mann, den Eindruck, sich in einem Wettrennen gegen die Zeit zu befinden, gegen den tiefsten Stand des Wassers, bevor die Flut wieder einsetzte und vielleicht das aufgebrummte Schiff anhob. Es war zweifellos leichter geworden und lag mehr auf der Steuerbordseite als vor Stunden, aber der Kiel hing noch immer fest.

Vermutlich hatte er sich in eine Art Rille oder zwischen gegabelte Klippen geschoben. Die Längsachse der „Ghost“ hatte sich nicht nach Steuerbord oder Backbord bewegt. Acht Männer waren ins Beiboot geklettert und hatten eine qualmende, blakende Fackel bei sich.

„Habt ihr das Ende belegt?“ rief Ruthland in die Richtung des Beibootes. Je vier Männer hatten die Riemen gepackt und schoben sie durch die Rundsein.

„Ende ist belegt.“

David Lean hatte geantwortet. Als die Bootsgasten die Riemen durchholten, hörte das Plätschern des Wassers aus der Lenzpumpe auf. Die Bilge schien gelenzt zu sein. Aber auch im Beiboot hörten die Männer das Knarren und Krachen, mit dem das Holz des Kiels und des Loskiels am Fels unter dem Schiff arbeitete.

„Dann pullt! So stark wie es geht!“ rief Ruthland. „Und die anderen alle an Steuerbord.“

Die Besatzung versammelte sich entlang des Schanzkleides von der Back bis zum Achterdeck an der Steuerbordseite der Karavelle. Sie beugten sich weit über das Schanzkleid, schauten zu den Bootsgasten hinunter und verfolgten mit, wie sich das durchhängende Tau straffte, aus dem Wasser auftauchte und den Knoten festzog. Als die Ruderer den ersten Widerstand spürten, fingen sie im Takt wie die Sklaven zu pullen an. Die Blätter der langen Riemen erzeugten weißen Schaum, der fahl durch die Dunkelheit leuchtete.

„Mehr! Es rührt sich!“ rief jemand von Bord.

Der Mast federte, als Zug auf das Tau kam. Alle Planken und Verbände schienen gleichzeitig zu knarren. Aber der Mast neigte sich tatsächlich um eine Handbreite, das Deck zitterte und bewegte sich nach Steuerbord. Noch mehr Regenwasser lief über die Decksplanken, sammelte sich im Winkel und lief durch die Speigatten ab.

Gleichmäßig, seit Stunden unverändert fiel der Monsunregen.

„Noch mehr!“ schrie Ruthland. Seine Stimme klang heiser. Er schwitzte vor Aufregung.

Die Bootsgasten legten sich in die Riemen. Die Zugtrosse war so straff gespannt, daß das Wasser an ihr entlang ins Bootsheck rann. Wieder bewegte sich der Mast, wieder kippte die Karavelle mehr nach Steuerbord. Lefray winkte einem halben Dutzend seiner Männer und eilte auf die Back.

„An die Ankerwinsch!“ rief er. „Vielleicht können wir die ‚Ghost‘ freiziehen.“

Die Ankertrosse wurde gelöst, ein paar Schläge wickelten sich auf die Trommel der Winsch. Die Männer steckten die Spaken ein und stampften im Kreis über die Planken. Auf der Trosse stand nur wenig Kraft.

Während sich die Karavelle noch mehr nach Steuerbord legte und das Regenwasser durch die Luken sowie durch die Löcher der Grätings rann, bewegte sich das Schiff Stück um Stück vorwärts. Aus dem Inneren ertönten unbeschreibliche Geräusche. Es war, als breche das Schiff in mehrere Teile auseinander.

„Wir schaffen es!“ brüllten die Kerle.

Die klatschenden Riemen, das Knarren aus allen Winkeln des Schiffes, das Knirschen der Winsch und das Rauschen des Regens verbanden sich mit dem Geschrei der Männer zu einem ohrenbetäubenden Lärm. Drei oder vier Fuß weit war die Karavelle nach vorn bewegt worden.

Plötzlich ertönte ein lautes Krachen.

„Die Planken!“ schrie Ruthland.

Die Karavelle holte weit nach Steuerbord über. Gleichzeitig schien sie einen Sprung nach vorn auszuführen. Die Seeleute wurden durcheinandergewirbelt, einige verloren den Halt und schlitterten über die Planken. Das Krachen verstummte, nur das Knurren der Riemen war noch zu hören. Die Karavelle glitt abermals um ein paar Fuß in Richtung des Ankers und schwamm frei.

„Belege Ankertrosse!“ befahl Lefray.

Das Schiff wurde von den Bootsgasen nach Steuerbord gezogen. Der Mast, der sich aufrichten wollte, schwankte wie wild. Der Kapitän schrie einen weiteren Befehl, und die Männer im Boot hörten zu pullen auf.

Die „Ghost“ richtete sich langsam auf, pendelte nach Backbord und nahm dann wieder ihre gewohnte Lage ein, mit leichter Schlagseite nach Steuerbord.

Francis Ruthland atmete auf. Er lehnte sich schwer gegen das Schanzkleid, holte tief Luft und merkte zum erstenmal, daß er vom Gürtel bis in die Stiefelspitzen durchnäßt war.

Er legte die Hände an den Mund und rief seinen Männern zu: „Kommt zurück, holt das Boot wieder an Deck! Die Köche sollen sofort an die Arbeit gehen.“

„Aye, aye, Sir.“

Das Ankertau wurde sorgfältig belegt, das Beiboot verholte zur Jakobsleiter.

Hugh Lefray ließ die Schultern sinken und fragte sich, ob die erschöpften Männer jetzt noch das Schiff aufklaren konnten. Er legte seinen Arm um den Mast und spürte wieder das vertraute Schwanken und Wiegen des Schiffes unter seinen Sohlen.

Langsam ging er auf Ruthland zu, der an Steuerbord stand und schweigend zusah, wie das erste Geschütz nach Backbord zurückgerollt und geschoben wurde.

„Wir haben wieder sicheres Wasser unter dem Kiel“, sagte Lefray. „Pugh, unser Holzwurm, ist schon unter Deck und schaut nach, ob es Schäden gibt.“

„Gut so. Es ging nicht anders. Die Leute werden wohl selbst das Schiff aufklaren können, ohne unsere Anordnungen. In meiner Kammer sind trockene Tücher.“

„Hoffentlich auch ein Schluck Rum“, entgegnete Lefray. Die Spaken wurden verstaut, das Tauwerk knarrte durch die Blöcke, als das Beiboot aufgehievt wurde und triefend über das Schanzkleid schwebte. „Das hat uns gerade noch gefehlt. Du willst doch nicht etwa ankerauf gehen und Killigrew heute nacht noch suchen?“

„Nein.“ Ruthland schüttelte den Kopf. Im schwachen Lichtschein tappten sie über Deck und gelangten in die trockene, helle Kapitänskammer. Ruthland klappte den Deckel einer großen Seekiste hoch, nahm ein paar Tücher heraus und warf eins dem Kumpan zu. „Das ist sinnlos, Hugh. In sieben Stunden ist die Nacht zu Ende. Das bringt nichts. Durstig, hungrig, müde und ein unaufgeklärtes Schiff. Nach Sonnenaufgang gehen wir ankerauf.“

„Ja. Erst mal wieder trocken werden. Der Regen ist reichlich in diesen Breiten.“

Ächzend trocknete sich Francis Ruthland ab, zog sich langsam um und nahm den Becher, halb voll Rum, den Lefray ihm gab. Nach einem langen Schluck wischte er sich über die Lippen und sagte: „Eine verdammte Nacht. Ausgerechnet den einzigen Felsen haben wir uns aus gesucht.“

Mit dem leeren Becher deutete Lefray zum offenen Schott. Pugh enterte den Niedergang auf und grinste voller Erleichterung.

„Sir! Das Schiff schwimmt. Die Planken sind heil.“

„Höre ich gern“, antwortete Ruthland und stopfte das feuchte Tuch in den rechten Stiefel. „Wie der Loskiel aussieht, will ich lieber nicht wissen.“

Der Schiffszimmermann hob die breiten Schultern und erwiderte: „Vielleicht kann morgen einer von uns tauchen. Aber ich habe keine angebrochenen Planken gesehen. Ein paar Pützen voll Seewasser würden der Bilge auch nicht schaden. Die ersoffenen Ratten stinken wie die Pest.“

Wieder nickte der Kapitän. „Damit soll sich die letzte Wache beschäftigen. Sammelt die Kadaver ein und lenzt wieder, wenn es sich lohnt. Heute wird noch so lange aufgeklart, bis die Köche ihren Fraß fertig haben. Hier, nimm einen Schluck Rum, Holzwurm.“

Die Laune Ruthlands schien sich nachhaltig gebessert zu haben. Pugh empfing einen Becher und trank, als wäre der Rum seine Lebensrettung. Auch Lefray hatte seine Stiefel ausgezogen und trocknete sich, auf der Kiste sitzend, die Füße ab.

„Danke, Kapitän. Gut, der Schluck.“

Das Deck war nahezu aufgeklart. Aus der Kombüse drangen dünner Rauch und Essensgerüche. Die Männer begannen ihre Müdigkeit zu spüren. Das letzte Geschütz rumpelte nach Backbord und wurde vertäut. Die meisten Seeleute waren unter Deck im Trockenen, auch aus den Laderäumen erklang Rumpeln.

„Pugh“, sagte Ruthland und leerte den Becher, „du nimmst dir ein paar Leute und verholst die ‚Ghost‘ noch ein paar Fuß näher zum Anker.“

„Aye, Sir“, sagte Pugh. „Sonst noch irgendwelche Maßnahmen?“

„Das müßte reichen. Wenn die Flut steigt, schwojen wir wieder. Wir dürfen nicht auf Legerwall geraten.“

„Wird sofort ausgeführt.“

Pugh bewegte sich mit müden Schritten bugwärts und holte ein paar Männer an die Ankerwinsch. Die Karavelle verholte ein paar Fuß weiter in die Richtung der Felsenwände. Wahrscheinlich würde sie den Bug wieder zum Einlaß drehen, wenn die Flut stieg und das Wasser in den Felskessel zurückkehrte.

Die durchnäßten, erschöpften Kerle warteten nur auf den Ruf der Köche, ein halbes Dutzend lag schon auf den Decken der Koje und schlief. Der Regen schien in dieser Nacht nicht mehr aufzuhören.

Ruthland schob das trockene Hemd hinter den Gürtel und schüttelte den Kopf.

„Morgen geht die Jagd weiter“, sagte er zu Lefray. „Es sind Wind und Regen, die uns den Erfolg verdorben haben.“

„Ärgere dich nicht“, entgegnete Lefray. „Unserem Feind geht es nicht besser als uns.“

Wieder gluckerte Rum in die Mucks.

„Morgen“, es klang wie ein Schwur, „kriegen wir diesen Lumpenhund Killigrew.“

Ruthland setzte sich schwer auf seine Koje, streckte die Beine aus und wartete auf das Essen, während der Regen sein eintöniges Geräusch auf die Planken trommelte.

Seewölfe Paket 34

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