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Achteinhalb Monate später und mehr als elftausend Seemeilen von den Kanaren entfernt.

Die Schebecke des Seewolfs kämpfte gegen eine stürmische See, sintflutartige Regenfälle und widrige Monsunwinde an. Selbst die Männer der Freiwache konnten nur davon träumen, in ihren Kojen zu liegen und die vermeintliche Ruhe unter Deck zu genießen.

Eine dampfende Schwüle herrschte. Die Luft war von Feuchtigkeit gesättigt, überall schlug sich die Nässe nieder. Vor allem an den eisernen Beschlägen, zeitweise aber auch an den Planken, kondensierte das Wasser.

Gleich nach dem Ankerlichten winkte Al Conroy die Zwillinge zu sich, die noch den eingeborenen Händlern nachblickten. Von unguten Ahnungen geplagt, forderte der Stückmeister beide auf, ihm bei den Geschützen zu helfen.

Die Culverinen waren seit dem Beginn der Suche nach der „Ghost“ geladen und feuerbereit. Vom Füllen der Zündlöcher abgesehen, mußten lediglich die wasserdichten Planen abgenommen und die Rohre ausgerannt werden. Die Persennings schützten zwar vor dem Regen, der zeitweise wie ein dichter Vorhang niederprasselte, aber nicht vor der unangenehmen Nässe, die durch alle Ritzen kroch.

Al Conroy löste die Plane der nächstbesten Culverine. Die Zwillinge sollten das schwere Tuch so anheben, daß er bequem darunter hantieren konnte und genügend Helligkeit hatte, die Kanone aber trotzdem im Trockenen blieb.

„Culverine müßte man sein“, sagte Philip junior seufzend, als ihm ein Schwall Wasser in den Nacken schoß.

„Was hast du gesagt?“ fragte der Stückmeister, der unter der Persenning offenbar wenig verstand.

Hasard junior grinste spöttisch. „Vergiß deinen Ärger!“ forderte er seinen Bruder auf. „Für Al sind die Geschütze wie seine eigenen Kinder.“

Der Stückmeister hantierte bereits im Lauf der Culverine. Als er flüchtig aufsah, hielten sich in seinem Gesicht Überraschung und Erbitterung die Waage.

„Was gibt es zu meckern?“ fragte er.

„Nichts“, sagte Hasard. „Absolut gar nichts.“

Die Zwillinge achteten nicht darauf, daß sich in einigen Vertiefungen der Persenning Wasser sammelte.

„Zieht die Plane gefälligst straff!“ schimpfte Al. „Oder glaubt ihr, ich will den Guß im Rohr haben? Da drin hat sich ohnehin zuviel Feuchtigkeit niedergeschlagen.“

Schimpfend hantierte er mit dem Zieher, dessen spiralförmig gebogenes Ende üblicherweise dazu diente, die verbrannten Teile der Kartusche aus dem Rohr zu holen. Jetzt brachte der Stückmeister damit allerdings die aufgeweichten Teile der Dämmung zum Vorschein. Der Wergpfropfen war klitschnaß zum Auswinden.

„Eine schöne Bescherung. Unter diesen Umständen dürfen wir uns auf kein Gefecht einlassen.“

„Ich höre immer Gefecht“, sagte Philip spitz. „Weit und breit ist nichts von dem Halunken Ruthland und seiner Karavelle zu sehen.“

„Außerdem hat er wohl mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen“, sagte Hasard.

Al Conroy hörte nicht zu. Schimpfend und fluchend mühte er sich ab, die Kugel aus dem Rohr zu holen. Das siebzehneinhalb Pfund schwere Geschoß krachte zwischen seinen Füßen auf die Planken und rollte polternd davon, der Krängung des Schiffes folgend.

Der Wergpfropfen hatte zwar die meiste Nässe aufgesogen, trotzdem war auch die Kartusche zäh. Al wog das Leinwandsäckchen abschätzend in Händen.

„Ein verdammter Mist ist das. Wenn das Pulver ebenso klamm ist, brennt es bestenfalls mit einer Stichflamme ab, und die Kugel fliegt dann vielleicht zehn Yards weit. Genausogut könnten wir uns gegenseitig mit Schlick bewerfen.“

Der Vergleich hinkte gewaltig. Die Zwillinge mußten sich ein Lachen verbeißen. Aber schließlich trug der Stückmeister für Waffen und Armierung die Verantwortung, und sein Ärger war verständlich.

„Wir müssen jede Culverine entladen und die Rohre trocknen“, sagte er. „Neue Ladungen setzen dürfen wir erst, wenn das Wetter umschlägt.“

„Glaubst du daran?“ fragte Philip ahnungsvoll.

Sein Zwillingsbruder zuckte mit den Schultern. Die Bewegung genügte, einen weiteren Schwall Wasser aus der Persenning überschwappen zu lassen. Al Conroy geriet sozusagen vom Regen in die Traufe, als der warme Guß über ihm zusammenschlug. Aber er war ohnehin längst bis auf die Haut durchnäßt.

„Holt Werg und Tücher! Wäre doch gelacht, wenn wir die Artillerie nicht trocknen könnten.“

„Aye, Sir!“ Die Zwillinge beeilten sich, unter Deck zu gelangen. Sogar über die Stufen des Niedergangs rann das Wasser. Die Luken waren inzwischen von der Freiwache verschalkt worden.

Das Werg lagerte neben der Pulverkammer. Ein Teil war lose angehäuft, der Rest noch in Säcken verpackt.

„Ich kann mir nicht helfen“, sagte Hasard, „aber das Zeug fühlt sich ebenfalls klamm an.“

„Du triefst vor Nässe, Bruderherz“, erwiderte Philip. „Das wird es sein.“

„Lästermaul! Da, sieh dir die Türbeschläge an!“

Philip folgte dem Blick des Bruders. Tatsächlich waren die Eisenbeschläge feucht, das wurde jedoch erst richtig deutlich, als er mit den Fingern darüberwischte.

„Eine schöne Bescherung. Falls das Regenwetter anhält, wachsen uns in einigen Tagen Schwimmhäute.“

Hasard junior antwortete nicht. Er nahm die Tranfunzel vom Haken und stellte sie vor die dicke Glasscheibe, die in die Wand zur Pulverkammer eingelassen war. Mit der Lampe den Nebenraum zu betreten, wäre zu gefährlich gewesen.

Der fahle, flackernde Lichtschein reichte aus, ihn die Situation erkennen zu lassen. Die Eisenkugeln glänzten feucht, in winzigen Tropfen rann das Wasser an ihnen entlang und sammelte sich auf dem Boden.

Das Pulver in den Fässern war einigermaßen gut vor der Feuchtigkeit geschützt, aber die Leinenkartuschen waren zäh.

„Das darf doch nicht wahr sein.“ Philip junior stöhnte unterdrückt und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Einen solchen Mist habe ich noch nicht erlebt. Wenn Al das sieht, gibt es ein Riesendonnerwetter.“

„Wir müssen für bessere Durchlüftung sorgen.“

„Und noch mehr feuchte Luft nach unten lassen? Ich bin froh, daß die Luken inzwischen verschalkt sind.“

„Dann gibt es nur eins: Der Kutscher soll eine Extraration Rum austeilen. Wir brauchen leere Buddeln, damit Ferris Höllenflaschen basteln kann.“

„Woher nimmt er das trockene Pulver?“

„Aus den Fässern.“ Hasard junior versuchte ein zuversichtliches Grinsen, was ihm aber nur leidlich gelang. „Für ein Fläschchen braucht er immerhin nicht die zwölf Pfund wie für eine Culverine. Und versuche mal, bei dem anhaltenden Wolkenbruch Pulver aus einem Faß trocken ins Rohr zu schaufeln.“

Bis weit in den Nachmittag hinein schüttete es wie aus Kübeln. Der Wind sprang mehrfach um, und allmählich breitete sich an Bord der Schebecke eine Art Weltuntergangsstimmung aus. Die schlechte Sicht und der hohe Seegang allein wären noch zu ertragen gewesen, aber die schwülwarme Nässe zehrte an den Nerven.

Ein einziges Mal schien die dichte, tiefhängende Wolkendecke aufzureißen. Vorübergehend wurde ein Stück strahlend blauen Himmels sichtbar und huschten irrlichternde Strahlenfinger über die aufgewühlte, von Gischt gekrönte See, aber dann schob sich erneut die dräuende Schwärze vor die Sonne und breitete Düsternis aus.

Das Stück Küste, das an Backbord kurz zu erkennen gewesen war, versank wieder im Dunst.

Eine Positionsbestimmung war unmöglich, auch die Karten waren nutzlos. Die Schebecke segelte irgendwo im Golf von Cambay nach Süden – wahrscheinlich noch nördlich des Tapti, denn dessen Mündungsgebiet hatte bislang niemand bemerkt. Wegen den enormen Schlammassen, die der Fluß derzeit mit sich führte, mußte die Verfärbung des Wassers selbst Meilen vor der Küste gut zu erkennen sein.

Irgendwo in der Nähe segelte die „Ghost“, das hatten zumindest die Aussagen der einheimischen Fischer und Händler ergeben. Die Karavelle lag ebenfalls auf Südkurs.

„Wenn ich diesen Halunken Ruthland und seinen glotzäugigen Spießgesellen Lefray zwischen die Finger kriege, geht es beiden dreckig“, sagte Edwin Carberry grollend.

In Surat, der Stadt am Unterlauf des Tapti, durften sie sich nicht mehr blicken lassen, geschweige denn versuchen, Handelsbeziehungen zu knüpfen. Dafür hatten die Kerle von der „Ghost“ mit Nachdruck gesorgt. Ihnen hatten es die Arwenacks zu verdanken, daß sie fast hingerichtet worden wären. Wahrscheinlich kein Wunder, daß sie auf ihre Landsleute auf der Karavelle nicht gut zu sprechen waren.

Die Sichtweite schwankte zwischen zweihundert Yards bis zu einer halben Seemeile. Das Meer dampfte.

Trotz des Wetters harrte Dan O’Flynn in der Tonne am Großmast aus und hielt Ausguck.

„Auf die Weise spare ich mir das wöchentliche Bad im Zuber“, hatte er grinsend behauptet, und tatsächlich stand er ohne Hemd da oben und genoß den warmen Regen.

Die Männer an Deck behaupteten spöttisch, daß er sich darüber hinaus auch seiner Hose entledigt hätte. Ihre anzüglichen Bemerkungen, wenn hin und wieder ein Schwall Wasser aus der Tonne schwappte, hörte Dan zum Glück nicht.

Gegen vier Uhr nachmittags sprang der Wind erneut um. Die Schebecke geriet in eine tückische Kreuzsee, das Schiff tanzte auf den Wogen und holte weit über. Alle Hände wurden gebraucht, um einen sicheren Kurs zu segeln. Da der Regen zugleich noch heftiger prasselte, hörte niemand Dan O’Flynns Rufen.

Eine Viertelstunde später drehte der Wind wieder auf Nord. Die Gefahr, auf Legerwall zu geraten, schien damit gebannt.

„Deck!“ brüllte Dan aus Leibeskräften. „Schiff voraus!“

Diesmal hörten ihn die Männer. Dan deutete vorlich nach Steuerbord. Aber weder der Seewolf noch Don Juan de Alcazar, die vom Achterdeck aus mit ihren Spektiven die nahe Kimm absuchten, sahen den vagen Schatten, der höchstens eineinhalb Meilen voraus auf Parallelkurs segelte. In einer unmißverständlichen Geste breitete Hasard die Arme aus.

Dan blickte wieder durch den Kieker. Das unregelmäßige Stampfen und Schlingern des Schiffes erschwerte die Suche nach dem ohnehin nur schemenhaft erkennbaren Gegner. Dan O’Flynn fürchtete schon, die Karavelle verloren zu haben, da tauchte sie näher an Steuerbord aus den Regenschleiern.

Der Regen lief auch über die Linse und ließ die Vergrößerung schlierenhaft verzerrt erscheinen. Breitbeinig, die Ellenbogen auf den Rand der Tonne aufgestützt, fixierte Dan das fremde Objekt lange, bis er endlich sicher war, tatsächlich einen Zweimaster vor sich zu haben. Für eine Weile hatte er auch ein Fischerboot in Erwägung gezogen, das so weit draußen gegen Wind und Wellen ankämpfte. Offenbar hatte Ruthland das Großsegel wegnehmen lassen.

„Es ist eine Karavelle!“ brüllte Dan nach unten. „Sie fällt zurück!“

Der Seewolf verstand. Nacheinander ließ er Großsegel und Besan ins Gei hängen. Die Karavelle segelte inzwischen querab. Dan glaubte nicht, daß dort schon jemand auf die Schebecke aufmerksam geworden war.

Aber vielleicht handelte es sich auch nur um die „Zuiderzee“, die bei ihrer ersten Begegnung im Nebel einige Schäden davongetragen hatte. Kapitän van Stolk, der für die Vereenigte Oast-Indische Compagnie unterwegs war, törnte ebenfalls südwärts.

Im spitzen Winkel näherte sich die Schebecke dem anderen Schiff. Nachdem endlich auch von Deck aus die erste Sichtung erfolgte, enterte Dan O’Flynn aus der Tonne am Großmast ab. Einige spitze Bemerkungen galten seinem Hosengürtel, der locker um die Hüfte hing.

„Ruthland kann mich ebenfalls kreuzweise“, sagte der Profos. „Aber deshalb halte ich meinen Hintern nicht vorher in den Regen.“

„Sehr richtig“, pflichtete Big Old Shane bei. „Das hat der Affenarsch nicht verdient.“ Die Doppeldeutigkeit seiner Worte wurde ihm erst bewußt, als es schon zu spät war. Des Profos’ Faust zuckte auf ihn zu und packte ihn am Hemd.

„Was war das eben?“

Shane kratzte sein mächtiges graues Bartgestrüpp.

„Nichts von Bedeutung, Sir.“

„Aha“, sagte Carberry. Daß Old Shane ihn mit „Sir“ anredete, bestätigte sein schlechtes Gewissen.

„Hm“, murmelte Shane.

„Was heißt ‚hm‘?“

„Genausoviel wie ‚aha‘.“

Carberry legte sein Narbengesicht in Falten. Nach einer verräterischen Regung forschend, musterte er sein Gegenüber. Er hielt Shane noch immer am Hemdaufschlag fest und bohrte ihm nun zusätzlich den Zeigefinger der linken Hand zwischen die Rippen.

„Hör mal, du Seepferdchenhufschmied, deine Bemerkungen untergraben die Autorität einer hochgestellten …“

„Ruthland?“

„Quatsch. Die Autorität meiner Person.“

Daß der Profos ihn schon wieder mit dem Finger anbohrte, schien den Riesen in keiner Weise zu stören.

„Sag nicht Ruthland, wenn du mich meinst“, schnaubte der Profos.

„Ich habe vorhin nicht Ruthland gesagt …“

„Aber du hast mich gemeint.“

„… ich habe Affenarsch gesagt.“

„Ein Aal kann sich nicht schlimmer winden als du, Shane. Versuche nicht, mich im Kopf zu verwirren.“

„Ich brauche das nicht zu versuchen …“ Big Old Shane biß sich auf die Zunge.

Wahrscheinlich hätten sich der Profos und er hoffnungslos in ihr Wortgeplänkel verstrickt, wäre nicht Dan O’Flynns Ausruf erklungen: „Die Karavelle führt keine Flagge. Jede Wette, das ist die ‚Ghost‘!“

„Na, dann wollen wir den Rübenschweinen mal kräftig unsere Meinung sagen, was, wie?“ Carberry entließ Shane endlich aus seinem Griff. „Alle Mann auf Gefechtsposition!“ brüllte er.

Der Regen war fürchterlich. Wie mit Culverinen, über denen Persennings festgezurrt waren, eine Breitseite abgefeuert werden sollte, wußte selbst Al Conroy nicht. Ein wenig hilflos stand er an Steuerbord und tätschelte eins seiner Geschütze. Die Sachen klebten ihm am Körper, das Haar hing ihm in triefenden, wirren Strähnen ins Gesicht.

„He, Al, Mister Conroy, zieh kein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter!“ röhrte der Profos. „Bewegung, wenn ich bitten darf! Oder wartest du auf bessere Zeiten?“

„Du hättest dich nicht mit Shane anlegen sollen.“

„Was hat Shane mit deinen Culverinen zu tun?“

„Wenig – außer, daß er mit einem Langbogen selbst beim miesesten Wetter auf hundert Schritte ein Segel trifft.“

„Das solltest du auch versuchen.“ Carberry wischte sich mit dem Ärmel die Nässe aus dem Gesicht – ein vergebliches Unterfangen. „Scheißwetter!“ schimpfte er.

Inzwischen waren die Kerle auf der „Ghost“ auf die Verfolger aufmerksam geworden. Sie fielen nach Steuerbord ab, konnten aber nicht verhindern, daß die Schebecke weiter aufschloß. Als die Sinnlosigkeit des Kurswechsels offenbar wurde, ließ Ruthland wieder sämtliches Tuch setzen.

„Die haben die Hosen jetzt schon voll!“ schrie Old Donegal Daniel O’Flynn.

Auf zweihundertfünfzig Schritte Distanz waren trotz der schlechten Sicht Einzelheiten zu erkennen. Auf dem Achterdeck der Karavelle schienen Ruthland und Lefray zu Salzsäulen erstarrt zu sein. Unverwandt starrten sie durch ihre Spektive.

Carberry trat ans Schanzkleid und winkte mit der Faust. Er setzte ein ziemlich wüstes Gesicht auf, das jedem, der ihn nicht kannte, das Herz in die Hosen rutschen ließ.

„Freut mich wirklich, euch zu sehen“, murmelte er. „Freut mich sogar ganz außerordentlich, ihr verdammten Affenärsche.“

Auf der Karavelle wurden die Geschütze ausgerannt.

„He, Mister Conroy, wartest du, bis auf deinen Culverinen Blumen sprießen? Dieser lausige Affe Ruthland läßt auf uns schießen und du stehst rum und starrst Löcher in die Luft.“

Al Conroy starrte nicht in die Luft, er blickte vielmehr zum achteren Niedergang, wo jeden Moment die Zwillinge erscheinen mußten, die er zum Munition holen geschickt hatte. Erst als Philips Haarschopf in der Öffnung auftauchte, riß er mit einem Ruck die Plane von einem Geschütz.

Der Regen prasselte unaufhörlich. Im Nu stand das Wasser auf dem Bronzerohr.

Philip hatte sich ein trockenes Hemd übergezogen und barg darunter, zusätzlich in einen Fetzen Segeltuch eingewickelt, eine Kartusche. Aber schon der kurze Moment, in dem er die Pulverladung dem Stückmeister reichte und der sie ins Rohr wuchtete, genügte, um das Leinensäckchen zu durchnässen.

Hasard junior schleppte die Kugel und genügend Werg zum Verdammen herbei. Mit Akribie rammte Al Geschoß und Dämmaterial fest, danach wischte er mit der Hand und mit einem restlichen Ballen Werg das Wasser rund um das Zündloch weg und forderte Hasard auf, die Hände über das noch mit einem Stopfen gesicherte Loch zu halten.

Er konnte aber nicht verhindern, daß beim Anstechen der Kartusche Nässe auf die Pfanne rann.

Philip junior brachte einen Becher voll feinkörniges Pulver. Die Öffnung hatte er mit einem Plankenstück abgedeckt. Al nickte ihm dankbar zu, schüttete das Pulver aber noch nicht ins Zündloch.

Aus der Kombüse klang undeutliches Schimpfen an Deck. Der Kutscher war gar nicht damit einverstanden, daß Batuti und Shane die glühende Holzkohle aus seinem Herd in einen kupfernen Feuerkessel schaufelten. Aber selbst seine Drohung, nur kaltes Essen aufzutischen, verfehlte die Wirkung.

Die Männer auf der „Ghost“ verloren inzwischen angesichts der bedrohlich nahe aufschließenden Schebecke die Nerven.

„Wahrschau!“ rief Dan, als er das Blaken einer Fackel sah, die auf das Zündloch einer Kanone gesenkt wurde. Eine Fackel war in der Tat nötig, denn der Regen hätte jede Lunte ausgelöscht.

Das Dröhnen der Pulverexplosion blieb aus. Ebenso die übliche grelle Stichflamme. Lediglich ein flackerndes Aufleuchten erfüllte für einen Augenblick die Stückpforte, gefolgt von dichtem weißem Rauch.

Der Profos begann, sein Rammkinn zu massieren.

„Ein Böller“, sagte er. „Das gönne ich den Säcken.“

Nach dem zweiten mißglückten Versuch, der immerhin eine winzige Stichflamme zeigte, lästerte er: „Die sind tatsächlich zu bescheuert, eine Kugel rüberzuschicken. Mein Gott, was treiben die, falls sie jemals auf Spanier treffen?“

Der dritte Schuß entlockte ihm ein vergnügtes Wiehern. Er schlug sich auf die Schenkel, daß es dröhnte.

„Zeig’s ihnen, Al! Rasier ihnen die Masten weg, daß sie nicht mehr wissen, woher der Wind weht. Na los, auf was wartest du?“

Der Stückmeister der Arwenacks bedachte ihn mit einem schiefen Blick. Die Euphorie Carberrys durch die Nähe der Karavelle hervorgerufen, wich endlich einer nüchternen Betrachtungsweise. Der Profos blickte entgeistert auf den Kupferkessel mit der zischenden, brodelnden Holzkohle und die darin heftig flackernde Fackel und verlegte sich darauf, seinen Schädel zu kratzen.

„Ein schöner Mist ist das“, murmelte er. „Kriegst du wirklich kein Kügelchen rüber?“

„Al könnte versuchen, den Kanönchen gut zuzureden“, sagte Philip junior forsch.

„Genau das ist es.“ Carberry strahlte, als gäbe es frischen Honigkuchen zum Kosten.

Der Wind wehte Funken davon, als Al Conroy nach der Fackel griff. Er mußte sie tief auf das Zündloch halten. Nach einer Weile zischte und brodelte es, Qualm stieg auf, und dann erklang ein dumpfes, klatschendes Geräusch, ungefähr so, als hätte jemand einen Korken aus einer Weinflasche gezogen. Funken und glimmende Teile der Kartusche sprühten aus der Mündung, das meiste davon wirbelte ins Meer.

Dreißig Yards entfernt stieg eine mickrige Fontäne in die Höhe.

„Immerhin“, sagte der Profos, der in dem Moment wirklich nicht wußte, ob er weinen oder lachen sollte, „wenn wir ganz nahe an die ‚Ghost‘ rangehen, triffst du.“

Das mit dem „ganz nahe rangehen“, wie es sich Edwin Carberry vorstellte, klappte nicht. Die „Ghost“ offenbarte eine außerordentliche Manövrierfähigkeit.

„Die Kerle segeln dem Teufel den Schwanz ab“, mußte der Profos anerkennend eingestehen. Aber er fügte sofort hinzu: „Kein Wunder. Wenn ich die Hosen voll hätte, würde ich auch auf Biegen und Brechen jeden Kurs nehmen.“

Bis zum Einbruch der Nacht waren es bestenfalls noch zwei Stunden. Zweifellos hofften Ruthland und seine Kumpanen, in völliger Finsternis der Schebecke davonlaufen zu können. Falls die Wolkendecke nicht bald aufriß, würde nicht ein Stern zu sehen sein.

Die Jagd führte zunächst dicht unter Land. Die Küste dampfte von den unablässig niedergehenden Regengüssen. Die Nässe wirkte zermürbend.

Die Nacht brach früher herein als erwartet. Zu dem Zeitpunkt lief die „Ghost“ wieder Kurs auf das Arabische Meer.

„Ruthland weiß, daß er in der Dunkelheit nur weit draußen sicher ist“, sagte Philip Hasard Killigrew. „Er kann mit einer halben Kabellänge Distanz an uns vorbeisegeln, und wir werden ihn nicht bemerken.“

Während der letzten Stunde waren Batuti und Big Old Shane nicht mehr an Deck der Schebecke gesehen worden. Die Männer munkelten allerlei, und sie trafen wohl auch den Kern der Sache, ohne jedoch zu erraten, was der Gambiamann und Old Shane tatsächlich ausheckten. Das stellte sich erst heraus, als beide kurz vor Einbruch der Dämmerung wieder auf der Kuhl erschienen.

Batuti trug seinen Langbogen und einen Köcher voll Pfeile, Shane schleppte ein seltsames Gebilde, eine Kupferschüssel mit Dach.

Zum zweitenmal an diesem Tag war die Kombüse geplündert worden. Aus Protest ließ sich Mac Pellew überhaupt nicht mehr blicken, und der Kutscher sagte aufgebracht: „Kein Feuer im Herd, keine Schüssel mehr – ich schlage vor, jeder sucht sich einen Angelhaken. Im Meer gibt es genug Fische. Die sollen roh eine Delikatesse sein.“

Die Glut, von der der Koch redete, flackerte in der Schüssel, die er ebenfalls erwähnt hatte, und der Regen konnte ihr absolut nichts anhaben. Big Old Shane hatte zugesehen, wie die Holzkohlen innerhalb kürzester Zeit gelöscht worden waren, und hatte folglich auf Abhilfe gesonnen.

Batuti zog den ersten Pfeil aus dem Köcher, unverkennbar einen der gelegentlich Verwendung findenden Pulverpfeile, nur war die am Schaft befestigte Hülse jetzt dich mit ölgetränkten Leinenstreifen umwickelt. Auch die Lunte wurde auf diese Weise geschützt, was dem Pfeil jedoch ein plumpes Aussehen und mit Sicherheit miserable Flugeigenschaften verlieh.

Die meisten Männer auf der Kuhl blickten skeptisch drein.

„Das Ding fliegt bestimmt nicht viel weiter als Als Kügelchen“, sagte der Profos.

„Ein bißchen weiter schon.“ Batuti entblößte sein makellos weißes Gebiß, als er ein zuversichtliches Lächeln zeigte.

Die „Ghost“ wechselte eben wieder den Kurs und ging hoch an den Wind. Bis auf der Schebecke die Segel ebenfalls herumgeholt wurden, fiel sie auf gut zweihundert Yards zurück.

„Seid nicht so lahm!“ brüllte der Profos. „Batuti will uns seine Schießkünste vorführen. Wie kann er das bei einer solchen Entfernung?“

„Danke“, sagte der Gambiamann.

„Oh, bitte sehr, Euer Gnaden.“ Carberry deutete einen Kratzfuß an. Er war dann aber so schlau, sich nicht weiter zu äußern.

Das nächste Manöver der „Ghost“ war vorauszusehen. Ruthland brauchte eigentlich nur Abstand zu halten und den Einbruch der Nacht abzuwarten, um sich in ihrem Schutz erneut abzusetzen.

Der Himmel über dem offenen Meer färbte sich blutig rot. Die Sonne, deren Stand bislang nur zu ahnen war, versank hinter der Kimm.

Die Dunkelheit brach in diesen Breiten schnell herein.

„Jetzt oder nie“, sagte Batuti. „Ich brenne darauf, den Halunken alles heimzuzahlen.“

Er sprach aus, was jeder Arwenack fühlte. Niemand wurde gerne von Landsleuten hintergangen.

Big Old Shane schätzte die Entfernung zur „Ghost“. Obwohl die Schebecke gut am Wind hing, holte sie nur langsam auf. Seit die Kanonen kläglich versagt hatten, wuchsen die Kerle auf der Karavelle offensichtlich über sich selbst hinaus. Einige ihrer Manöver belasteten das Schiff bis zum äußersten.

„Zu weit“, sagte Shane. „Das schaffst du nicht.“ Trotzdem half er dem Gambiamann, die Lunte anzustecken. Der Wind erschwerte das Vorhaben, denn das ölgetränkte Tuch durfte keinesfalls Feuer fangen.

Batuti begann leise zu zählen. Bei zehn angelangt, spannte er die Sehne des Langbogens bis zum äußersten. Die Adern an seinen Schläfen schwollen an. Mit hellem Singen schwirrte der Pfeil von der Sehne.

Deutlich war zu sehen, daß der Wind ihn abtrieb. Ungefähr nach der halben Distanz zuckten Flammen auf. Im nächsten Augenblick verpuffte das Pulver in einem Funkenwirbel.

Auf der „Ghost“ herrschte Aufregung. Niemand wußte so recht, was geschehen war, aber jeder fürchtete einen Angriff des Seewolfs.

Batuti legte einen zweiten Pfeil auf die Sehne. Diesmal wartete er nicht so lange.

Der Wind trieb den Pfeil weiter ab. Etwa zwanzig Yards hinter dem Heck der Karavelle und ebensoweit an Steuerbord explodierte die Pulverladung in einem grellen Blitz.

Batuti grinste breit.

„Was sagst du jetzt, Ed?“ fragte er den Profos. „Wer Pfeil und Bogen erfunden hat, war bestimmt nicht dumm.“

„Noch hast du den verlausten Kahn nicht versenkt“, erwiderte Carberry grollend. „Streng dich gefälligst an. Oder soll ich den Bogen spannen?“

„Untersteh dich“, sagte Batuti. „Unter deinen Pranken bricht selbst die beste englische Eibe.“

Die Verwirrung auf der Karavelle war offensichtlich. Zum erstenmal killten bei einem Kurswechsel die Segel. Die Kerle hatten zwar die Pulverblitze gesehen, kannten aber die Ursache nicht. Sie reagierten entsprechend nervös.

„Ar-we-nack!“ Der Schlachtruf der Seewölfe, aus mindestens einem Dutzend Kehlen stammend, begleitete den nächsten Pfeil auf dem Flug zur „Ghost“. Die Detonation erfolgte querab und fast schon vor der Verschanzung.

Höchstens noch achtzig Yards trennten die beide Schiffe voneinander. Aber die Dunkelheit war schneller als die hervorragend gesegelte Schebecke. Wie ein gieriger, unersättlicher Moloch kroch sie über das Meer, fraß sich an den Rümpfen der Schiffe hoch, verschlang Back und Achterdeck und zog sich an den Masten entlang in die Höhe.

Nur die Segel schimmerten noch eine Weile fahl durch die Nacht – Schemen von seltsamer Konsistenz, die sich lediglich zögernd aufzulösen schienen.

Inmitten dieses Bildes, dem etwas Endgültiges anhaftete, zuckte plötzlich grelle Glut auf. Ein Feuerball setzte sich an einem der Segel fest. Flammen loderten auf, doch genauso schnell vergingen sie wieder, weil die herrschende Nässe ihnen keine Nahrung bot. Einzelne Funken, vermutlich Überreste des verglimmenden Pfeiles, torkelten dem Deck entgegen.

Dan O’Flynn, der die Vorgänge durchs Spektiv beobachtete, aber trotz seiner scharfen Augen kaum mehr Einzelheiten unterscheiden konnte, meldete: „Das Segel scheint unbeschädigt zu sein. Offenbar ist die Pulverladung abgeprallt.“

„Die Durchschlagskraft ist zu gering.“ Batuti nickte. „Das Problem löst sich von selbst, sobald Wind und Regen abflauen.“

„Oder wenn wir näher aufschließen“, sagte Big Old Shane. „Morgen ist auch noch ein Tag.“

Nichts war mehr von der „Ghost“ zu sehen, sie war in der sternenlosen Nacht untergetaucht.

Auch die Schebecke segelte ohne Laternen. Hier wie dort starrten vermutlich viele Augenpaare in die Dunkelheit, um den Gegner aufzuspüren.

Seewölfe Paket 34

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