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2.

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Zwei Stunden nach dem Glasen, in der größten Mittagshitze, überzog sich der Himmel im Süden mit grauen Wolken. Von der Kimm aus baute sich eine Wand auf, die überraschend schnell in die Höhe wuchs und sich näherte. Der Wind wehte mit gleichbleibender Kraft aus Süden oder Südwesten.

„Vielleicht kommt ein Sturm auf“, sagte Dan O’Flynn. „Wäre keine wirkliche Überraschung, Sir.“

„Damit müssen wir tagtäglich rechnen“, entgegnete der Seewolf. „Nur können wir nicht riskieren, daß uns der Sturm hier stranden läßt. Wir dürfen nicht auf Legerwall geraten.“

Dan deutete nach Steuerbord voraus. Dort schien sich ein niedriges Kap – nicht mehr als eine Ansammlung von Dünen oder langgestreckten Felsen – weit ins Meer vorzuschieben. Noch waren keine Einzelheiten zu erkennen. Das einsame Fischerboot mit einem kleinen Segel, das in zwei Spitzen rechts und links des niedrigen Mastes auslief, blieb zurück.

„Also, weiter nach Westen drehen, wenn’s zu pfeifen anfängt“, sagte der Rudergänger.

Dunst und Nebel, sowohl an Land als auch über dem Wasser, hatten sich längst völlig aufgelöst. Im Licht der senkrecht einfallenden Sonnenstrahlen erstreckte sich das Meer. Im Norden und Osten bildeten sich über dem Land, das nicht deutlicher als ein vager Schatten über der Kimm war, dünne, aufwärts geschwungene Wolken.

Der Seewolf nickte, schaute in die Gesichter der Crew und erkannte, daß sie ebenso enttäuscht waren wie er selbst.

„Richtig. Auf Westkurs, wenn es nötig werden sollte“, erwiderte er halblaut.

Sie Spektive hatten ihm und der Crew gezeigt, daß es entlang des Ufers, an dem sie länger als einen halben Tag gesucht hatten, weder einen größeren Hafen noch eine Siedlung gab, die diesen Namen verdiente. Nur Fischerhütten, einzelne oder in winzigen Gruppen, hatten sich durch den Rauch ihrer Feuer verraten.

Die Dächer der Pfahlbauten verschwammen bereits aus geringer Entfernung mit dem grünen Hintergrund der Uferwälder. Querab der Schebecke ging der Wald stufenartig in riesige Zonen von Uferschilf über. Die Flut hatte das trockengefallene Land wieder bedeckt, und die Wellen zum Ufer hin wurden grau und kabbelig.

Dan O’Flynn schwang sich auf das Achterdeck, hielt sich am Want fest und sagte: „In spätestens drei Stunden ist der Sturm da. Wahrscheinlich Regen und Starkwind, aber sicher kein Orkan, Sir.“

„Schätze ich auch“, erwiderte der Seewolf. „Dann sind wir vielleicht hinter der Huk dort vorn in größerer Sicherheit.“

„Wird sich zeigen“, brummte der Erste.

Al Conroy hatte wieder mal seine Geschütze inspiziert und schien mißmutig zu grinsen. Er hatte sie zwar mit der gewohnten Sorgfalt geladen, aber wenn sie nicht in absehbarer Zeit abgefeuert wurden, konnte das Pulver feucht werden. Diese Aussicht schmeckte ihm gar nicht. Aber noch war es nicht nötig, sich ernsthafte Sorgen zu machen.

Die gleiche Unruhe, Anspannung und Erwartung hatte auch alle anderen Seewölfe gepackt. Sie segelten hinter dem Hundesohn Ruthland her und fanden ihn nicht, obwohl er sich mit seiner Karavelle nicht in Luft aufgelöst haben konnte.

„Verdammter Monsun“, sagte Dan und runzelte die Stirn.

Hasard junior deutete zu der Wolkenwand, die von Osten bis Westen reichte und mehr als ein Drittel des Himmels bedeckte. „Du weißt, warum diese Wind- und Regenzeit so genannt wird?“

„Wenn ich’s nicht wüßte“, antwortete Dan und lachte kurz auf, „dann würdest du es mir sicher genau erklären, Schlaukopf.“

„Wahrscheinlich stammt das Wort aus der Muselmanensprache“, schaltete sich der Profos ein.

„Richtig, Ed“, sagte Jung Hasard. „Bei den Muselmanen spricht man von ‚Mausin‘, und das bedeutet ‚Jahreszeit‘. Also werden wir es noch länger mit diesem Wetter zu tun haben.“

„Das glaube ich auch“, meinte Dan und musterte die Grenze zwischen Brandung und Land durch das Spektiv.

Nicht die Langeweile ärgerte die Crew, sondern die erzwungene Untätigkeit und die erfolglose Suche nach Ruthlands „Ghost“. Die Stimmung der Crew wurde, je mehr Zeit ereignislos verging, schlechter und mürrischer.

Edwin Carberry fluchte leise in sich hinein, reckte sein kantiges Kinn nach Lee und stierte schweigend zur Küste. Aber dort war nur wenig mehr zu sehen als auf dem offenen Meer. Nicht ein Segel, nur die vielen Vögel, die ihren ewigen Heißhunger nach Fisch stillten.

Einmal trieb ein blattloser Baum mit aufgequollener Rinde und weißen Wurzeln eine Kabellänge an Backbord vorbei, auf dem ein paar Reiher hockten und ihre Schnäbel in die Richtung der Schebecke drehten.

Als die Landzunge fast querab lag, lehnte ein Dutzend Seewölfe am Schanzkleid und versuchte, jede noch so kleine Einzelheit an Land zu erkennen.

Philip rief von der Back her: „Eine große Bucht, aber höchstwahrscheinlich keine Flußmündung. Oder hat jemand von euch mehr gesehen?“

Von Deck aus war eine annähernd dreieckige, riesige Bucht zu sehen. Ein Strich östlicher als Nord war das andere Ende der Bucht zu erkennen. Die Sonne, der sich die Monsunwolke bis auf eine geringe Entfernung genähert hatte, lag voll auf dem Land, das aus Felsen und Wald zu bestehen schien.

„Nein“, erwiderte Jung Hasard und enterte die Großmastwanten auf. „Aber gleich werden wir etwas klüger sein.“

In sicherer Entfernung, mehr als eine Meile, schob sich die Schebecke auf Nordkurs an der Landzunge vorbei. Recht voraus und an Steuerbord erstreckte sich blaues Wasser. Nur in den Spektiven zeichnete sich die östliche Küste ab. Mit bloßem Auge war nur ein dunkler Saum zu erkennen.

„Wo steckt dieser Höllenhund Ruthland?“ brüllte Carberry unbeherrscht. „Wenn ich den zu packen kriege …“

„Leere Versprechungen.“ Sven Nybergs Gesicht verzog sich zu einer abschätzigen Grimasse.

Hasard drehte sich um und rief: „Ruder Steuerbord! Wir gehen in die Bucht und suchen weiter, solange wir noch etwas sehen.“

Zweifellos, so dachten sie alle, war Ruthland nach Norden geflohen. Er mußte im aufkommenden Starkwind und Regen kreuzen, wenn er sich aus seinem Versteck wagte und sich wieder nach Süden wandte. Er konnte ihnen also während der Nacht wieder entwischen, aber die Entfernung zwischen Verfolger und Verfolgtem konnte nicht groß sein. Sie betrug nur wenige Stunden. Wahrscheinlich suchten sie nur an den falschen Stellen.

„Aye, aye, Sir!“ tönte es aus der Gruppe auf dem Achterdeck.

Die Schebecke gehorchte dem Ruder und führte eine weite Halse aus. Der Wind wehte jetzt von Steuerbord achtern. Die Seewölfe trimmten die Segel. Wieder gab es wenig anderes zu tun, als das Wasser und das Ufer zu beobachten, während die Helligkeit Schritt um Schritt abnahm. Der obere Rand der Wolkenbank berührte die Scheibe der Sonne. Riesige Strahlenbündel zuckten über den fahlblauen Himmel.

Hasard hatte wenige Minuten später einen Entschluß gefaßt, wandte sich an den Ersten und sagte: „Wir versuchen, so weit von den Ufern entfernt zu segeln, daß wir genau sehen können, ob sich die ‚Ghost‘ in dieser Bucht versteckt. Wenn es sein muß, gehen wir näher heran.“

„Aye, Sir.“ Ben Brighton nickte.

„Wahrscheinlich müssen wir in dem Regen, wenn’s zu schlimm wird, vor Anker liegen. Ich würde in der Nacht lieber weiter nach Norden verholen.“

„Ich auch, Sir“, entgegnete Ben. „Wir alle, denke ich.“

„Wir werden sehen, wie weit wir kommen.“ Hasards Augen richteten sich wieder der Küste zu.

Vier Fischerboote wurden in verdächtiger Eile in die Richtung der nächsten Bucht gepaddelt. Die Eingeborenen, zwei oder drei in jedem Boot, zeigten immer wieder mit aufgeregten Gesten zur Sonne. Sie war zur Hälfte von der Wolke verschluckt worden. Die riesige Wand färbte sich blaugrau und schwarz.

„Also weiter nach Osten?“ fragte der Rudergänger. „Und erst später nach Westen, im Sturm oder wann?“

„Wenn du die ‚Ghost‘ irgendwo achtern siehst, gehen wir sofort auf Gegenkurs!“ rief Edwin Carberry und hob die Faust.

„Alles klar.“

Das Schiff lag nach Steuerbord über. Al Conroy musterte die sich nähernde Wand aus Wolken und Regen und schielte nach seinen Geschützen. Dann entschloß er sich und sagte: „Besser, wenn ich die Persenninge hole. Mit nassem Pulver kann der beste Stückmeister kein Gefecht gewinnen.“

„Ein guter Einfall, Al“, lobte der Profos.

Der Wind nahm an Stärke zu, blieb aber noch gleichmäßig. Die letzten Sonnenstrahlen spielten auf den kleinen Schaumkronen. Dann änderte sich binnen weniger Minuten das Licht. Das Wasser schien schwarz zu werden die Wälder am Ufer wirkten plötzlich drohend. Die Schebecke begann zu stampfen und zu gieren, als von Steuerbord die ersten größeren Wellen heranrollten und sich an den Planken brachen.

„Jetzt wird’s ungemütlich“, sagte Carberry, obwohl die Luft nach wie vor warm und feucht, der Wind keineswegs kalt war.

„Keine Karavelle, Dad. Nichts. Nur Fischerboote und ein winziges Segel voraus!“ schrie Jung Hasard aus dem Ausguck am Großmast. „Langsam wird es hier ungemütlich.“

„Dann enter ab!“ brüllte Hasard und ließ das Spektiv in die andere Hand gleiten.

Sein Sohn blieb noch einige Minuten oben und spähte in alle Richtungen.

Die kleinen Buchten des Ufers waren leicht einzusehen. Es gab nur wenige Hütten auf Pfählen, aber die Anzahl der zerfasernden Rauchfahnen zeigte, daß weiter landeinwärts einzelne Häuser stehen mußten. Es handelte sich mit großer Wahrscheinlichkeit um kleinere Siedlungen, weitaus kleiner als Surat.

Zwischen den Einkerbungen der flachen, langgestreckten Uferlinie tauchten immer wieder weite Strecken auf, die aus Schilf bestanden und wahrscheinlich morastig waren. Daran schlossen sich die undurchdringlichen Mangroven an. Und dahinter schob sich immer wieder eine Bucht ins Blickfeld, in der sich Eingeborene zeigten.

„Hier gibt es keine Verstecke für ein größeres Schiff“, murmelte Jung Hasard vor sich hin, während er über die Steuerbordwanten abenterte. „Wir suchen wirklich an den falschen Stellen.“

Aber woher sollten sie wissen, wo die Suche erfolgversprechend war?

Während es dunkler wurde und über dem Land an Steuerbord die ersten Regenschauer niedergingen, schob sich die Schebecke durch das aufgewühlte Wasser nach Osten tiefer in die Bucht. Der scharfe Bug schnitt durch die gischtenden Wellen. Das hochspritzende Wasser wurde nach Backbord weggerissen, während Al Conroy und die Zwillinge die wasserdichte Leinwand über die langen, schlanken Bronzerohre bändselten.

Plötzlich riß der Regenvorhang auf. Ringsum schien das Wasser zu dampfen. In der Wolkenmasse zeigte sich ein riesiges Loch, durch das die gelbrote Sonne strahlte. Sie hing mehr als eine Handbreite über der Kimm, ihre Strahlen ließen das östliche Ende der Bucht deutlich und überaus scharf hervortreten.

„Wird ein schöner Abend, Sir“, scherzte der Profos. Ihm troff wie allen anderen das Wasser aus dem Haar. Der Regen hatte kaum Abkühlung gebracht.

„‚Abendrot – Schlechtwetterbot‘, wie jedermann weiß“, zitierte der Seewolf. „Seht ihr die Karavelle?“

In dem sonderbaren Licht und zwischen den dunklen Regenzonen an Backbord und an Steuerbord traten auch über dem Buchtende die fernen Berge deutlich vor die Augen der Arwenacks. Die Berghänge waren voller Wald. Dann wischte wieder ein Regenschauer vor dem Bild vorbei.

„Ruthland ist bei seiner Flucht nicht nach Ost abgebogen. Wir hätten ihn sonst längst entdeckt“, sagte Jung Philip und packte den Klöppel der Schiffsglocke. Er drehte die Sanduhr um und läutete. Vier Glasen, zwei durchdringende Doppelschläge hallten über die Länge des Schiffes. „Wir suchen an der falschen Stelle, Dad.“

„Das habe ich auch schon gemerkt“, knurrte der Seewolf. „Woher hätten wir das vorher wissen sollen?“

Die Schebecke war weit in den Sund gesegelt. Auch die Strände und Buchten im östlichen Teil waren gut einsehbar gewesen. Was die Seewölfe nicht mit bloßem Auge erkannten, zeigte ihnen das Spektiv. Das Wolkenloch schloß sich gerade wieder, als Hasard seine Kommandos gab.

„Ben! Wir segeln zurück nach Westen. Dabei sehen wir uns die Nordufer an. Ruthland muß sich irgendwo dort drüben versteckt haben.“

„Aye, aye, Sir.“

Als der Regen wieder einsetzte, halste die Schebecke in einem weiten Bogen auf den neuen Kurs. Sie wurde schneller und rauschte zuerst in nördliche Richtung, dann legte sie sich nach Steuerbord über und rauschte zurück nach Westen.

Der Profos schüttelte das Regenwasser aus dem Haar und hielt sich an einem Want fest. Sein Zeigefinger bohrte sich fast in Hasards Brust. „Ich sage dir, Sir, wo dieser Hundesohn steckt.“

Hasard zeigte nach Westen, ohne aber das Ufer aus den Augen zu lassen.

„Ich habe mir nämlich bei Dan die Karten angesehen. Ich sage dir, Sir, daß Ruthland erst gar nicht versucht hat, sich hierher abzusetzen. Er steckt dort drüben.“

Der Profos deutete zu den schrägen Bändern des Regens, die im schwindenden Tageslicht schwarz wirkten. Dahinter lagen unzählige Buchten und Inseln, wirr vorspringende Halbinseln und eine Vielzahl von Sandbänken.

„Dorthin segeln wir, Edwin“, erwiderte der Seewolf. „Länger als einen Tag brauchen wir nicht dazu. Aber mich drückt eine ganz andere Sorge, nämlich die, daß Ruthland heute nacht ankerauf geht und möglicherweise nach Goa zu fliehen versucht. Oder sonstwohin.“

„Davon rede ich ja seit Stunden!“ rief der Profos. „Und jetzt, in der Nacht, kann er tun, was er will. Wir bemerken nicht, wenn er abhaut.“

Hasard nickte. Die Schebecke segelte am Wind, der aus dem südwestlichen Sektor wehte. Noch hatte der Regen das Schiff nicht wieder erreicht, aber in weniger als einer halben Stunde würde das Wasser aufs Deck niederprasseln.

„Lieber Profos“, sagte der Seewolf geduldig. „Wir haben alle Überlegungen und Möglichkeiten seit Stunden durchgekaut wie ein Stück Stiefelleder. Wir können schließlich nicht fliegen wie diese verdammten Reiher oder Pelikane, oder wie die Vögelchen auch immer heißen mögen. Wir sind mit geladenen Culverinen und einer Mordswut in den Bäuchen unterwegs in den Westen dieser Gegend. Und jetzt stellst du dich hierher und erzählst mir, wo wir sind, was wir unternehmen, und was Ruthland möglicherweise tut. Wie kommst du mir vor?“

Carberry grinste breit und hielt seine riesige Pranke über den Kopf. Die ersten Tropfen lösten sich aus dem dunklen Himmel und schlugen auf die Planken. Es klang, als hüpften kleine Steine über das Holz.

„Hoffentlich komme ich dir wie ein besorgter Profos vor, der an alles denkt, Sir.“

„Genauso, Ed“, erwiderte der Seewolf. „Und jetzt spähst du mit deinen scharfen Augen dort hinüber und schreist laut, wenn du etwas anderes siehst als Regen und Landschaft. Verstanden, Mister Profos?“

Sie duckten sich unter dem ersten richtigen Regenguß, und Hasard hörte gerade noch Carberrys „Aye, aye, Sir.“

Der Regen rauschte, gleichmäßig warm und dicht, aus den Wolken. Die Sonne war nur noch ein winziger, undeutlicher roter Fleck hinter dem Regenvorhang. Wer nichts an Deck zu tun hatte, verholte ins Trockene. Von der Kombüse her wehte ein Geruch, der einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.

Hasard stand auf dem Quarterdeck, spürte den Regen im Gesicht und fragte sich, was zu tun sei. Weitersegeln oder einen Platz suchen, an dem die Schebecke vor Anker liegen konnte?

Voller Selbstzweifel entschied er sich, weitersegeln zu lassen.

Seewölfe Paket 34

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