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5.

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„Alle Mann an Deck!“

Francis Ruthland beugte sich weit über das Schanzkleid. Der Bug der „Ghost“ driftete, Handbreite um Handbreite, durch das pechschwarz erscheinende Wasser. Die Männer stakten von der Kuhl aus mit den Riemen, stemmten deren Blätter gegen die Hochwurzeln der Mangroven und schoben das Schiff aus dem Versteck.

Die Enden der Rahruten schrammten an den Lianen entlang. Als sich der Bugspriet um die Krümmung schob, blinzelte Ruthland überrascht. Vor der Karavelle stand eine dünne Nebelwand, von der die Sicht auf das freie Wasser versperrt wurde.

Luftblasen platzten an der Oberfläche des ruhigen Wassers. An der Bordwand rieben sich federnd die Äste, die Halme von bambusartigen Gräsern raschelten.

„Gut so!“ rief Francis Ruthland. „Bringt das Heck mehr nach Backbord! Verdammter Dunst.“

Die Morgendämmerung war kurz, die Helligkeit nahm zu. Noch leuchtete die Sonne nicht durch den Nebel. Die Riemen polterten, das Wasser plätscherte, und die Vögel lärmten an Land und über den Masttopps.

Knarrend schwang das Heck herum. Eine Reihe nachdrücklicher Stöße der Riemen, teilweise gegen das Ufer, teilweise im Wasser und im schlickigen Grund, schoben die „Ghost“ in den Nebel und in Richtung des freien Wassers.

Hugh Lefray gab das nächste Kommando. Die Geitaue des Focksegels wurden gelöst, das Segel, noch naß vom nächtlichen Regen, sackte schwer nach unten und sprühte einen Tropfenregen nach allen Seiten. Wieder schoben die Ruderer an, die Karavelle kam gut frei und verschwand im Dunst. An Backbord erschien im Nebel ein hellerer Fleck, der anzeigte, daß die Sonne sich über die Kimm hob.

„Weiter draußen“, rief Ruthland, „löst sich der Nebel auf! Spätestens in einer Stunde. Und dann geht’s nach Süden!“

„Ich denke, wir gehen auf den Seewolf los?“ schrie Lefray vom Quarterdeck.

Giftig erwiderte der Kapitän: „Was meinst du, wo wir den Bastard treffen?“

„Na gut, im Süden. Und woher weißt du das so genau?“ fragte der einäugige Kumpan.

„Weil er uns im Süden sucht. Deswegen“, lautete die Antwort.

Ruthland war davon überzeugt. In der letzten Nacht hatten sie lange über den Seewolf und seine Männer gesprochen.

Mit einem letzten Schwung glitt die Karavelle vollends in den Nebel. Die Farbe des Wassers änderte sich, als die lautlosen Wirbel hinter dem Heck sich auflösten.

Grauer Dunst umgab die „Ghost“, als sie das tiefe, sichere Wasser außerhalb der Bucht erreichte und in den Bereich einer schwachen Brise gelangte. Die Leinwand des Segels wehte schlapp hin und her und trocknete nur langsam.

„Stückmeister?“ rief Ruthland.

Von der Kuhl ertönte augenblicklich die Antwort. „Sir?“

„Alle Geschütze müssen feuerbereit sein. Auch die Drehbassen. Im Lauf des Tages stoßen wir auf Killigrew. Und dann mußt du besser zielen als jemals zuvor. Verstanden, David?“

„Sehr wohl, Sir?“ gab David Lean zurück und rieb sich die Hände.

Die Riemen polterten, als sie unter Deck und im Beiboot verstaut wurden. Das Großsegel wurde getrimmt und die Schot belegt. Eine Strömung packte die Karavelle und zog sie langsam, fast kraftlos, aus der Bucht und durch den Dunst, der langsam eine rötliche Färbung annahm. Hinter dem Schiff und über den Masten schrien unzählige Vögel, die in unsichtbaren Schwärmen kreisten.

„Kurs halten. Wir haben keine Eile“, sagte Ruthland.

„Aye, aye, Sir.“

David Lean und fünf aus der Deckscrew schleppten Pulverfässer, Kugeln und Werkzeug an Deck. Eine Persenning nach der anderen wurde losgebändelt und verstaut. Die breiten Räder der Lafetten rumpelten über die Planken, die Rohre wurden überprüft. Sorgfältig kontrollierten der Stückmeister jedes einzelne Geschütz samt Pulvermenge und lud nach, wenn er es für notwendig hielt.

Pugh schleppte die Drehbassen auf beiden Armen vom Vorschiff und achtern auf die Kuhl, setzte sie schweigend ab und warf einen prüfenden Blick auf die Segel. Aus dem Stoff tropfte noch immer Wasser, aber der Wind war kräftiger geworden und schob die Karavelle zunächst ostwärts.

„Noch eine Stunde“, sagte Ruthland und sprang von der Back mit einem Satz auf die Kuhl. „Dann segeln wir mit gutem Wind.“

Der Nebel schien dünner zu werden, die Hitze begann ihn aufzulösen. Der Wind nahm zu, und schließlich lag die „Ghost“ gut auf dem Ruder.

Francis Ruthland ballte die rechte Hand zur Faust und sagte erleichtert: „Wir gehen auf Südkurs, und wenn wir bis in die Nacht kreuzen müssen.“

Zwei Stunden nach Sonnenaufgang hatte sich der Nebel restlos aufgelöst. Die „Ghost“ befand sich im freien Fahrwasser, aber in jeder Richtung der Windrose befanden sich Inseln, schoben sich Landzungen vor, tauchten langgestreckte Sandbänke auf.

Plötzlich vernahmen die Kerle fernen Donner. Als sie genau hinhörten, stellten sie fest, daß es unzweifelhaft Geschützdonner sein mußte. Sie konnten deutlich die einzelnen Abschüsse unterscheiden.

Der Geschützlärm erklang aus dem Norden des Inselgewirrs.

Hasard blinzelte, seine Augen tränten vor Müdigkeit. Aber er hob wieder das Spektiv ans Auge und musterte durch die Linsen die Umgebung. Die Schebecke lag auf Westkurs, und das Wasser neben der Bordwand war dunkelblau. Um das Schiff hatte sich, mehrere Seemeilen im Umkreis, eine freie Zone gebildet.

Die Sonne war noch hinter dem Nebel versteckt, der sich gleichmäßig von der Schebecke zurückzuziehen schien und die freie Fläche ständig vergrößerte. Die Wellen waren glatt und trugen keine Schaumkämme, die Dünung lief nach Steuerbord aus. An drei Stellen schoben sich einzelne Baumwipfel in großer Entfernung durch die Dunstschicht. Schon jetzt war es überraschend warm geworden.

Jan Ranse hatte mittlerweile Pete abgelöst und warf dem Seewolf einen langen, nachdenklichen Blick zu.

„Hier finden wir die ‚Ghost‘ nicht“, sagte er ruhig.

„Unter einer Hetzjagd habe ich mir auch etwas anderes vorgestellt“, erwiderte Hasard. „Aber zumindest sind wir nirgendwo aufgebrummt.“

„Bis jetzt wenigstens.“

Seit einer halben Stunde herrschte die Helligkeit des neuen Tages. Die Schebecke war mehr oder weniger ziellos durch die regnerische Nacht getörnt. Dennoch schienen sich die Seewölfe im nördlichen Westen des Golfes von Cambay zu befinden. Bevor man nicht sah, wo die Küstenlinie verlief, konnten keine genauen Feststellungen getroffen werden. „Abwarten“, antwortete Hasard und grinste Jan müde zu. „Wie die Erfahrung gezeigt hat, löst sich der Nebel rasch auf.“

„Kann nur von Vorteil sein, Sir.“

Der Rudergänger stellte fest, an welcher Stelle sich hinter dem Nebel die Sonne befand, kontrollierte sorgfältig die Nadel des Kompasses und blickte auf die Segel. Noch immer wehte der Wind aus Südwesten.

Al Conroy erschien, obwohl noch kein Wachwechsel anstand, schlaftrunken an Deck, rieb sich die Augen und schaute sich schweigend um. Dann richtete er seinen Blick auf den Seewolf.

Hasard winkte ab und rief: „Noch kein Ziel, Al. Aber bald, hoffe ich.“

Flüchtig dachte er daran, ob wohl Ruthland ähnliche Empfindungen hatte, oder ob er sich mit der „Ghost“ weiterhin versteckte oder zu flüchten versuchte. Sein Instinkt sagte ihm, daß sich Ruthland hier im Norden der Cambay-Buchten aufhielt.

„Die Geschütze und ich, wir sind bereit“, entgegnete der Stückmeister und gähnte. Er ging nach Steuerbord, stützte sich aufs Schanzkleid und stierte in den Dunst.

An fünf Stellen bildeten sich hinter der dünnen Nebelwand dunkle, langgezogene Flächen. Die wenigen Baumwipfel voraus wurden deutlicher und schienen zu wachsen, der Nebel sank über dem Wasser in sich zusammen. Bis auf die Geräusche der Wellen war es verdächtig still. Nur einzelne Vogelschreie erklangen, gedämpft und klagend, durch die Ruhe der ersten Morgenstunde.

Die wenigen Männer im Bereich des Achterdecks warfen einander erstaunte Blicke zu. Auch Hasard fühlte sich nicht sonderlich wohl, aber er schrieb diesen Zustand dem Schlafmangel zu.

Edwin Carberry stemmte sich von der Stufe des Niederganges hoch, reckte das kantige Kinn in den Wind und sagte volltönend: „Keine Ahnung, wo wir sind. Aber rund um uns ist Land.“

„Oder Inseln, Ed“, korrigierte ihn der Stückmeister. „Landzungen und so was.“

Sie erwarten jeden Augenblick, daß eine Bucht, ein Felsen oder eine bewachsene Insel, Fischerboote oder die verdammten Engländer aus dem Dunst erscheinen würden. Aber nur die dunklen Streifen wurden deutlicher und entpuppten sich als mit Wald bewachsene Teile des Landes.

Jetzt sahen die Seewölfe über sich, in der Sonne aufstrahlend, die Vogelschwärme, an die sie sich bereits gewöhnt hatten. Immer wieder lösten sich einzelne Vögel aus der Masse und schossen schräg abwärts. Fast ohne Spritzer tauchten sie ins Wasser und spießten Fische auf.

„Genau. Dahinter können sich ganze Flotten verstecken“, antwortete der Profos.

Wieder vergingen etliche Minuten. Der Nebel löste sich fast völlig auf. Die Sonne stieg rötlichgelb zwei Handbreiten über die Kimm und überschüttete das Wasser mit ihren fast waagerechten Strahlen. Rund um die Schebecke, drei Seemeilen oder mehr in jeder Richtung, zeigten sich die Ufer der Inseln und Halbinseln. Nur in den Buchten hielt sich noch der hellgraue Dunst.

Zwei Glasen. Sieben Stunden nach Mitternacht richtete Dan O’Flynn seinen Kieker auf etwa ein Dutzend breite Abschnitte der unbekannten Küste. Er musterte schweigend jeden Abschnitt des Strandes, jede Sandbank und jeden größeren Baum.

„Kein Schiff – außer uns“, sagte er enttäuscht.

Sie schienen sich in einem riesigen Kreis zu befinden, in einer großen Bucht, die sternförmig vom Festland und unzähligen vorgelagerten Inseln und Halbinseln umgeben war. An drei Stellen zeigten sich, gekennzeichnet durch das Fehlen von Schatten hinter dem Nebel, breitere Passagen. Aber auch dahinter konnten sich wieder neue Inseln befinden, wenn der Nebel völlig verschwunden war.

Als Dan seinen Kieker nach Norden richtete, erkannte er zwischen zwei Vorsprüngen eine Bucht im Nebel.

Die Landzungen sahen wenig aufregend aus: vorgelagerte Bänke aus Sand und Schlick, in denen sich altes und weniger ausgebleichtes Treibholz festgesetzt hatte. Dazwischen wuchsen und wucherten Pflanzen, die Brackwasser vertrugen. Fast unmittelbar dahinter sah Dan die charakteristischen Stelzwurzeln der Mangroven.

Aus dem Nebel zwischen den dunklen Vorsprüngen schienen zwei Masten hervorzuwachsen. Schräg darüber entdeckte Dan die Rahruten und die angeschlagenen Dreieckssegeln.

Zuerst glaubte er nicht recht, was er sah. Daher setzte er das Spektiv ab, putzte sorgfältig die Linsen an beiden Enden mit dem Hemdzipfel und starrte, während er auf das Glas hauchte, mit bloßem Auge hinüber.

Das Bild änderte sich nicht. Im Gegenteil: nach ein paar Minuten war der Nebel noch eine Spur dünner geworden, er sah den Bugspriet und dahinter, dunkel wie der Hintergrund, unverkennbar Bug und Rumpf einer Karavelle.

Er holte tief Luft, lief zum Achterdeck, blieb neben Hasard stehen und stieß hervor: „Steuerbord schräg voraus eine Bucht, Sir! Dort ankert eine Karavelle.“

„Verstanden.“

Hasard war zusammengezuckt. Er starrte in die angegebene Richtung und sagte eine Minute später in unüberhörbarer Schärfe zum Rudergänger: „Ein Strich nach Steuerbord abfallen.“

„Aye, Sir“, entgegnete Jan und spannte die Muskeln.

Tatsächlich versteckte sich die Karavelle im Nebel einer Bucht. Zwischen den Landvorsprüngen betrug die Entfernung höchstens drei Kabellängen. Aus dem Dunst heraus schwang sich das lange Ankertau schräg nach vorn, fast direkt auf die Beobachter zu.

Die Schebecke drehte nach Steuerbord ab und wandte der Bucht die Backbordseite zu. Die Entfernung betrug etwa zwei Meilen. Mit brennenden Augen blickte der Seewolf zu der Karavelle, dann nickte er Dan O’Flynn zu.

„Das ist der verdammte Schurke“, sagte er laut. „Mister Conroy!“

„Schon bereit, Sir.“

Füße trampelten über die Decksplanken. Die Schebecke bewegte sich schräg auf das Ziel zu. Jeder der Seewölfe wußte, was zu tun war. Zuerst bändselten die Männer die Persenninge von den Geschützen.

Die Zwillinge tauchten an Deck auf und schleppten die geladenen Drehbassen, um sie vorn und achtern in die Halterungen zu stecken. Das dumpfe, polternde Rumpeln der Lafettenräder erschütterte die Schebecke, als die Brooktaue festgezurrt wurden.

„Es ist ja mehr als unwahrscheinlich, Sir“, bemerkte Jan Ranse mit deutlicher Erleichterung, „daß es in dieser abgelegenen Ecke von englischen Karavellen wimmelt.“

Für ihn war die Hetzjagd im Regen vorbei. Dort drüben hatte sich die „Ghost“ versteckt gehalten.

Hasard erwiderte kalt: „Das ist Ruthlands Schiff. Dan mit seinen scharfen Augen hat ihn im Nebelversteck aufgespürt. Da hätten wir noch eine Woche suchen können. Bist du bereit, Al?“

Becken voller glühender Holzkohle und Luntenstäbe wurden an Deck geschleppt.

„Zwei Minuten, Sir!“ rief der Stückmeister zurück.

Während ein Teil der Crew die Segel trimmte und Jan Ranse leise mit Ben Brighton über die einzelnen Manöver sprach, wurde die letzte der zwölf Culverinen ausgerannt. Die schwarzen Mündungslöcher deuteten drohend nach beiden Seiten des Schiffes.

Al Conroy packte Richtscheit und Richthebel. Die sorgfältig gereinigten Zündlöcher wurden mit frischem Pulver gefüllt. Gebückte Gestalten rannten über Deck.

Jemand knurrte angriffslustig: „Aus dem Weg! Verzieh dich!“

„Schon gut.“

Die Bucht befand sich Backbord voraus. Die Schebecke war auf Nordkurs gebracht worden und driftete mit dem Sog einer Strömung auf eine Position zu, die weniger als eine Meile entfernt querab von der Bucht lag.

„Feuerbereit, Sir“, meldete Al Conroy und fing an, den Schußwinkel auszurechnen und ein Rohr nach dem anderen einzurichten. Die Lunten brannten und rauchten knisternd.

Hasard und Dan standen auf dem Grätingsdeck und richteten unverwandt ihre Kieker auf den Feind. Noch war nicht zu erkennen, ob sich an Deck jemand aufhielt. Der Nebel hing hartnäckig in der Bucht und löste sich, wie es schien, nicht auf. Noch immer blieben die Umrisse der Karavelle zwar hinreichend deutlich, aber nicht jetzt, als sich die Schebecke näherte, waren die Einzelheiten schärfer und klarer geworden. Gerade noch die Masttopps ragten aus der Nebelschicht hervor. Über dem Schiff kreiste ein Schwarm großer Vögel.

„Al! Wenn wir genau querab sind, feuerst du die Backbordgeschütze ab, klar?“

„Verstanden, Sir.“

Wer nichts zu tun hatte, kauerte sich hinter das Schanzkleid und blickte zum Ziel. Die Geschützbedienung wechselte zum ersten Rohr in Richtung Bug. Wieder hob und senkte sich das lange Bronzerohr um winzige Unterschiede. Al Conroy konzentrierte sich schweigend und stand schließlich auf.

Zufrieden stemmte er die Spitze des Richthebels auf die Planken. Die mit feuchtem Sand gefüllte Pütz, in der die Luntenstäbe steckten, befand sich dicht neben seinem Knie. Er drehte den Kopf und blickte zum Heck.

Die Zeit schien plötzlich viel langsamer zu verstreichen. Mit Wind und Wellen glitt die Schebecke nach Norden und schien eine Ewigkeit zu brauchen, bis sie in der richtigen Position für den Angriff war.

„Die pennen noch alle dort drüben“, stellte der Profos grimmig fest.

„Nicht mehr lange!“ rief Old Donegal. „Sie werden recht nachdrücklich aufgeweckt!“

„Das kann ich dir versprechen“, sagte Al Conroy, nahm einen Luntenstab und blies auf die Glut der Lunte. Er stand hinter dem Rohr und visierte an ihm entlang.

Noch immer zog quälend das Land mit seinen Sandbänken und Mangrovenwurzeln vorbei, an denen sich die unterschiedlichen Wasserhöhen abzeichneten. Dann wurde das Bild undeutlicher. Der Nebel schob sich vor die Mündungen, und schließlich boten sich die Umrisse der Karavelle den Blicken.

„Feuer frei!“ rief Hasard und federte die nächste Bewegung des Schiffes mit den Knien ab.

Al Conroy wartete einen Atemzug lang, bis sich die Lage des Rumpfes wieder stabilisiert hatte, dann senkte er die Lunte auf das Zündloch.

„Geht in Ordnung, Mister Ruthland“, sagte er.

Das Pulver brannte blitzesprühend ab, dann zuckte die mehr als halbarmlange Flamme aus der Mündung. Rohr und Lafette wurden hart zurückgeworfen, eine graue Wolke Pulverdampf stieg auf und wurde bugwärts davongetrieben.

Al Conroy sprang zum nächsten Geschütz und zündete es, ohne sich um die Flugbahn des ersten Geschosses zu kümmern. Jetzt blieb er stehen und schaute mit zusammengekniffenen Augen hinüber zur Bucht.

Das erste Geschoß war an der Backbordseite der Karavelle ins Wasser eingeschlagen und zauberte dicht neben dem Bug eine riesige Fontäne von Wasser und Schlick in die Höhe. Das zweite Geschoß heulte über das Wasser, traf Schanzkleid und Tauwerk und wirbelte Holztrümmer in alle Richtungen. Im Nebel war vage zu sehen, wie einige Gestalten über das Deck hasteten.

Al Conroy zündete die dritte und vierte Culverine. Die Detonationen vermischten sich, die Seewölfe husteten, als die riesige Pulverrauchwolke quer über Deck trieb und das Focksegel einhüllte.

Ein Geschoß jaulte zwischen den Segeln und dem Schanzkleid über das Deck der „Ghost“ und zerschmetterte einen Teil der achterlichen Aufbauten. Aber dieser Treffer war nicht deutlich zu erkennen. Die andere Kugel zerfetzte einen Baum am Ufer und ließ die Baumkrone auf das Deck hinunterkrachen. Deutlich sahen die Seewölfe die große, dunkle Masse aus Ästen und Blättern. Das Ankertau des Engländers schnellte auf und nieder.

Aber Dan O’Flynn bemerkte noch etwas anderes.

Am Großmast glitt eine Flagge hoch und entfaltete sich knapp außerhalb des Dunstes. Gleichzeitig brüllte eine aufgeregte Stimme fremdartige Worte über die Bucht.

„Die Flagge! Es ist keine englische!“ brüllte Dan.

„Feuer einstellen, Al“, befahl Hasard unüberhörbar laut und scharf.

„Aye, Sir!“ brüllte Al Conroy zurück und riß seine Hand mit der Lunte, die er auf das Zündloch des fünften Geschützes hatte hinunterdrücken wollen, zur Seite.

„Das ist ein Holländer!“ rief Jan Ranse. „Hört auf! Ein falsches Schiff! Nicht die ‚Ghost‘ Sir!“

„Hab’s verstanden“, knurrte Hasard. „Was sagt er?“

„Afbreken“, erwiderte der Rudergänger und schrie Piet Straaten zu: „Kannst du verstehen, was er brüllt? Antworte ihm!“

„Ja. Gleich.“

Afbreken bedeutete „abbrechen, aufhören.“

Hasard nickte und gab Ben den Befehl, die Schebecke vorsichtig in die Bucht zu manövrieren. Er endete: „Vielleicht gehen wir längsseits. Piet, erkläre dem Holländer, daß es uns leid tut. Wir … Du weißt schon, was du zu sagen hast.“

„Klar, Sir.“

Während die Schebecke in den Wind ging und drehte, brüllten die Holländer etwas von „nevel“ und „mist“, „siechte zieht“, „laagwater“ oder „anlerpaats“. Mit killenden Segeln, das Großsegel wurde aufgegeit, glitt die Schebecke auf die Bucht zu. Al wartete das nächste Kommando ab. Die Seewölfe standen aus der Deckung auf und blickten zu dem Niederländer hinüber, während die Schreie über das Wasser hallten.

Piet erklärte atemlos: „Ich habe ihm gesagt, daß wir eine englische Karavelle mit Hundesöhnen an Bord seit Tagen verfolgen und die Schiffe verwechselt haben. Es muß wirklich ein Holländer sein, Sir, denn keiner an Bord der ‚Ghost‘ könnte ein solch holländisches Register an Flüchen haben.“ Er grinste und holte wieder Luft.

„Weiter.“

Piet nickte und berichtete: „Er liegt hier, weil er Reparaturen ausgeführt hat. Planken, Unterwasserschiff. Einer von der Vereenigten Oast-Indischen Compagnie. Ich habe ihm gesagt, daß wir kommen und uns entschuldigen.“

„Sprachst du mit dem Kapitän?“

„Ja. Van Stolk heißt er. Mit der Entschuldigung ist er nicht zufrieden, er ist schließlich ein niederländischer ehrbarer Kaufmann, wie er sagte.“

Hasards Lippen zeigten ein verlegenes dünnes Lächeln. „Wir wären auch nicht mit einer Entschuldigung zufrieden. Sage ihm, daß ich ihn entschädigen und beim Aufklaren der Schäden helfen werde.“

„Klar, sage ich!“ rief Piet und winkte zu der Karavelle hinüber, an deren Bug sich drei Gestalten zeigten. Sie standen auf der Back und versuchten ihrerseits, die Crew und das Schiff deutlicher zu sehen. Dann brüllte Piet wieder seine holländischen Sätze hinüber, von denen die übrige Crew bestenfalls nur Teile verstand.

Jeder sah Hasard an, daß er sich über diesen Irrtum ärgerte. Beinahe hätten sie einen unschuldigen Kauffahrer zu den Fischen geschickt. Der Erste schaute in Hasards Augen und breitete die Arme in einer Geste der Verlegenheit aus.

„Jeder von uns war überzeugt, daß es die ‚Ghost‘ sei, Sir“, sagte er bekümmert.

„Die Karavellen gleichen sich“, stellte der Profos fest, „wie ein verdammtes Ei dem anderen.“

„Wahrscheinlich sehen wir schon ein paar Unterschiede, wenn wir näher heran sind“, meinte Old Donegal.

Fock und Besan wurden aufgegeit, die Strömung zog die Schebecke auf die Bucht zu.

Ben Brighton rief: „Klar bei Riemen! Acht Stück!“

„Aye, Sir.“

Jan Ranse an der Pinne sagte mit einem unterdrückten Grinsen zu Hasard und Ben: „Dieser Kapitän dort drüben ist wütend. Er hatte sein Schiff in die Bucht verholt und repariert und wollte ankerauf gehen, sobald sich der Nebel gelichtet hat. Und da jaulten plötzlich die Kugeln heran. Das bedeutet längeren Aufenthalt für ihn, Sir.“

„Das sehe ich ein. Ich gehe drüben an Bord und spreche mit van Stolk“, versicherte Hasard.

Nach wie vor sprachen Piet und Jan mit dem holländischen Kapitän und vermutlich seinem Ersten. Die Entfernung verringerte sich stetig, während sich der Bugspriet der Schebecke auf die Bucht richtete und Smoky von der Back aus, weit nach vorn gelehnt, die Tiefe ausrief.

„Langsam voraus! Fünf Fuß unterm Kiel!“

Der Bugspriet bohrte sich in den feuchten Dunst. Eine auslaufende Welle hob das Heck und den Bug des schlanken Schiffes. Die Enden der Ruderblätter berührten den Grund, die Seewölfe stakten und schoben die Schebecke hinüber zur Bordwand der Karavelle. Holztrümmer und Splitter schwammen neben den Planken im Heckbereich. Die Holländer sägten an den Ästen des umgestürzten Baumes.

„Es ist die ‚Zuiderzee‘, Sir“, meldete Jan Ranse. „Der Erste heißt Martin Lemmer.“

Jetzt waren sie nahe genug, um trotz des Dunstes die Holländer genau zu sehen. Die Schwüle zwischen den Bäumen trieb den Männern den Schweiß auf die Haut. Philip junior sprang ins Wasser, übernahm das Tau und watete zum Ufer.

Hasard hob die Hände an die Lippen, nachdem er das Spektiv zusammengeschoben und in die Tasche gesteckt hatte: „Ich bin Philip Hasard Killigrew, Engländer, wie Sie inzwischen wissen. Bitte, an Bord kommen zu dürfen.“

Der Kapitän der „Zuiderzee“ hatte nackenlanges, dunkles Haar und einen sorgfältig rasierten Oberlippenbart. Auch der Mann neben ihm trug ein sauberes, helles Hemd aus gutem Stoff. Die mächtigen Gürtelschnallen schienen versilbert zu sein.

„Kommen Sie an Bord, Kapitän“, entgegnete van Stolk in langsamem, schwerfälligem Englisch.

Jung Philip kehrte zurück, reichte das Ende hoch und schwang sich über die Bordwand, nachdem er zugesehen hatte, wie die Landleine belegt worden war.

Hasard krempelte die Hosenbeine auf, kletterte von der Kuhl ins Wasser und auf der Jakobsleiter der „Zuiderzee“ über das Schanzkleid der Karavelle. Er warf schnelle Blicke auf die Schäden und streckte dem Kapitän, der einen Kopf kleiner war als er, die Hand entgegen.

„Wieviel kostet es, Ihre gute Laune wiederherzustellen?“ fragte er.

„Ich bin Willem van Stolk. Hier, mein Erster, Martin Lemmer. Der Bootsmann Antony Leuwen fängt schon an, seine Werkzeuge zu schärfen.“

Die Kapitäne schüttelten sich die Hände. Der Händedruck des Ersten war ebenso hart wie der seines Kapitäns.

„Ich bitte Sie um Entschuldigung“, sagte Hasard förmlich. „Wenn ich Ihnen erzähle, warum wir so schnell mit unseren Culverinen waren, dann werden Sie es mir, hoffentlich, nachsehen.“

Das Gesicht des Holländers blieb ernst, als er antwortete: „Wir werden jedenfalls nicht zurückschießen.“

„Das beruhigt uns alle.“

Seewölfe Paket 34

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