Читать книгу Seewölfe Paket 34 - Fred McMason - Страница 16

3.

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Der Haß auf den Seewolf und die Gewißheit, daß ihm bald alle Türen der Admiralität offenstehen würden, verdoppelten César Garcias Kräfte. Er focht den Kampf seines Lebens, und seine geringe Körpergröße glich er durch Geschmeidigkeit und Schnelligkeit aus.

Immer härter klirrten die Klingen aufeinander. Während der Kampf auf dem Piratenschiff unvermindert heftig tobte, gehörte das Achterdeck der „Aguila“ ganz allein Garcia und dem Engländer.

Aus den Augenwinkeln heraus nahm der Capitán wahr, daß sein erster Offizier den anderen Piraten im wahrsten Sinne des Wortes an den Mast nagelte. Juarez Molina wandte sich danach der Kuhl zu.

Jeden Hieb begleitete Garcia mit einem englischen Schimpfwort. Er wollte seinen Gegner reizen und zur Unvorsichtigkeit verleiten. Anderenfalls, das spürte er, würde sich das Duell lange hinziehen. Zu lange vielleicht, als daß er wirklich die Chance erhielt, den Seewolf zu besiegen.

Einen Ausfall blockte der Engländer geschickt ab, eine Finte folgte – und die Spitze des Cutlass ritzte Garcias Oberarm. Der Kapitän spürte keinen Schmerz, nur eine grenzenlose Überraschung. Er hatte Killigrew unterschätzt, das war ein Fehler, den er sich kein zweites Mal erlauben durfte. Die heftig blutende Wunde war eine deutliche Warnung.

Der Seewolf setzte sofort nach, er ließ Garcia nicht die Zeit, sich zu besinnen. Seine Klinge zuckte vor, um den Spanier aufzuspießen, aber der Kapitän parierte instinktiv. In die Enge getrieben, verteidigte er sich mit aller Kraft. Hinter ihm war das Schanzkleid, das ein weiteres Zurückweichen verhinderte.

El Lobo del Mar trug seinen Namen zu Recht – seine Attacken hatten etwas von der ungestümen Wildheit eines hungrigen Wolfes. Kapitän Garcia wurde in die Rolle des Verteidigers gedrängt, der Mühe hatte, sich seiner Haut zu wehren.

Eine zweite Blessur zog sich plötzlich quer über seinen Oberkörper. Ungläubig registrierte Garcia, daß der Tod ihn nur um eine halbe Handbreite verfehlt hatte.

Der Engländer lachte ihm ins Gesicht.

„Befiehl deine Männer zurück!“

„Niemals“, keuchte Garcia. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren, er hatte Mühe, die Hiebe des Gegners zu parieren.

Killigrew schlug mit aller Kraft zu. Seine Klinge zuckte schräg von oben nieder, schrammte kreischend an Garcias Cutlass entlang und drang mindestens zwei Fingerbreiten tief in den Handlauf des Schanzkleids ein. Der Hieb hätte dem Kapitän zweifellos den Schädel gespalten.

Sofort setzte der Engländer nach. Wie die Sense eines Schnitters zuckte seine Klinge von einer Seite zur anderen. Die verzweifelten Paraden des Kapitäns wirkten zunehmend kraftloser.

Unvermittelt hielt der Seewolf inne. Ein Ausdruck ungläubigen Erstaunens trat in seine Augen. Er wollte etwas sagen, brachte aber nur ein dumpfes Ächzen hervor.

Ein Zittern durchlief seinen Körper, der Cutlass glitt ihm aus der Hand und klirrte auf die Planken. Killigrew sackte haltlos in sich zusammen.

In dem Kampflärm von Bord des Piratenschiffs war das Geräusch des Schusses ungehört verklungen. César Garcia sah, daß der Engländer heftig blutete. Eine Pistolenkugel schien sein rechtes Schulterblatt zerschmettert zu haben.

Der Kapitän suchte den Schützen. Pilar Aparicio stand auf der obersten Stufe des Steuerbordniedergangs zur Kuhl und hielt die rauchende Pistole noch in der Hand.

Sein Gesicht wirkte unbewegt, aber Garcia wußte nur zu gut, daß Aparicio ein verschlagener Bursche war und ein Schauspieler, wenn es darum ging, sich zu verstellen. Wahrscheinlich hatte er auf eine Gelegenheit gewartet, selbst den Ruhm einzustreichen, den berüchtigten Seewolf besiegt zu haben.

César Garcia schoß die Zornesröte ins Gesicht.

„Ich wollte Killigrew lebend!“ brüllte er. „Wenn der Bastard stirbt, lasse ich dich dafür auspeitschen.“

„Er hätte Sie umgebracht, Capitán“, sagte Pilar Aparicio ruhig.

„Unsinn.“ César Garcia drehte sich einmal um sich selbst. Erst als er keinen weiteren Gegner sah, beugte er sich über den Seewolf. Killigrews Atem flatterte, seine Lippen waren blutlos. Offensichtlich weilte ein Teil von ihm schon in einer jenseitigen Welt, sofern es wirklich ein Weiterleben nach dem Tod gab.

„Hol den Feldscher! Er soll alles tun, um el Lobo am Leben zu halten.“

Wozu noch wochenlang warten? fragte Aparicios Blick. Kein Pirat ist es wert, daß man sich um ihn sorgt.

„Die englischen Hunde sterben lieber, als in Gefangenschaft zu gehen. Nahezu zwei Stunden lang verteidigten sie ihr Schiff gegen unsere Übermacht, und ich muß eingestehen, ich habe selten Männer so erbittert kämpfen sehen.

Killigrews Mannschaft ist tot, er selbst liegt im Sterben. Aber ich bete, daß die Bemühungen des Feldschers nicht umsonst sind. El Lobo del Mar soll vor aller Öffentlichkeit unter der Garotte sterben. Spanien wird ein Schauspiel erleben wie schon lange nicht mehr. Nur so können wir verhindern, daß Philip Hasard Killigrew zur Legende wird. Er war nie etwas anderes als ein Pirat der übelsten Sorte.“

Nachdenklich legte Capitán Garcia den Federkiel zur Seite und streute Löschsand auf die frische Logbucheintragung. Vom Oberdeck klangen vielfältige Geräusche zu ihm. Die Mannschaft setzte die Segel. Langsam nahm die „Aguila“ Fahrt auf.

Das unregelmäßige Stampfen des Schiffes verriet dem Kapitän, daß die Viermastgaleone die Wellen in spitzem Winkel durchschnitt. Sie segelte mit raumen Wind über Backbordbug Kurs Spanien.

Garcia verschloß das Tintenfaß und verstaute es zusammen mit dem Federkiel in der Tischschublade. Danach schüttelte er den Löschsand in den Becher zurück. Das Ritual war stets das gleiche. Er haßte Veränderungen im festgefügten Ablauf.

Die Stimmen an Deck und das Platschen nackter Füße verstummten. César Garcia trat an die dicken, bleiverglasten Scheiben und blickte gedankenverloren hinaus. Der Himmel bezog sich schon wieder, in spätestens einer halben Stunde würde es zu regnen beginnen.

Langsam blieb die Piratengaleone hinter der „Aguila“ zurück. Das Schiff mit den schwarzen Segeln brannte an mehreren Stellen. Gierig leckten die Flammen an den Masten hoch, züngelten an den Rahen entlang und sprangen auf die zerfetzten Segel über.

Funken und lodernde Tuchfetzen wirbelten auf, als die Besanrute an Deck krachte. Glut regnete rings um das Schiff nieder. Glimmenden Spinnweben gleich zeichnete sich die Takelage vor dem düster werdenden Hintergrund ab.

Garcia glaubte, das Knistern und Prasseln der Flammen zu hören, die, von einer steifen Brise angefacht, schnell um sich griffen. Eine Feuerlohe fegte über das Schiff.

Augenblicke später explodierten die ersten Pulvervorräte. Das Achterdeck wurde bis knapp über der Wasserlinie aufgerissen, brennende Plankenstücke schlugen sogar noch dicht vor der „Aguila“ ein. Qualm verhüllte das Geschehen.

Das war also der Augenblick, auf den Garcia seit Jahren gewartet hatte. Seltsamerweise empfand er nicht die erhoffte Genugtuung. Auch sein Triumph hielt sich in Grenzen. Lag das daran, daß er den Seewolf nicht aus eigener Kraft im Kampf besiegt hatte, sondern daß die Kugel aus der Pistole eines Deckmanns ausschlaggebend gewesen war?

„Der Tod durch das Würgeisen ist angemessen für dich“, murmelte Garcia gedankenverloren. Im nächsten Moment schlug er mit der geballten Rechten in die linke Handfläche. „Verdammt!“ sagte er. „Ich will nicht, daß du vorher über die Klinge springst.“

Zwei weitere Explosionen auf dem Piratenschiff erschütterten die „Aguila“. Die Galeone brach auseinander, aber während das Heck schnell auf Tiefe ging, trieb das Vorschiff, weithin sichtbar lodernd, noch vor dem Wind.

Entgegen seinen Gewohnheiten schenkte sich Garcia einen Becher halb voll Rum ein. Er trank sonst nur vor der Nachtruhe, weil er dann zum einen besser schlief und zum anderen die Mannschaft nicht merkte, daß er trank.

Der Rum brannte in der Kehle. César Garcia füllte den Becher noch einmal zur Hälfte. Diesmal trank er schluckweise und genoß das Gefühl wohliger Wärme, das sich in der Magengegend ausbreitete.

Als er endlich wieder aufsah, ragte der Bug der Piratengaleone nur noch halb aus dem Wasser. Die Flammen erstickten, da sie keine neue Nahrung fanden.

César Garcia warf sich jäh herum und stürmte aus seiner Kammer. Aber er trat nicht auf das erhöhte Achterdeck hinaus, sondern hastete die Stufen des Niedergangs hinunter. Achtern lag der Raum, den der Feldscher auf dieser Fahrt bewohnte: die Kammer des Zweiten Offiziers, der wegen Krankheit ausgefallen und nicht ersetzt worden war.

Garcia trat ein, ohne anzuklopfen.

Das erste, was ihm auffiel, war das verhängte Fenster. Der Raum war in das trübe Dämmerlicht einer Tranfunzel getaucht. Quietschend schwang sie unter der Decke hin und her.

Gonzalo Peral, der Feldscher, saß auf einem Stuhl, den er sich vor die Koje gerückt hatte, und hielt den Kopf in die Handflächen gestützt. Als der Kapitän eintrat, wollte er aufspringen und Meldung erstatten, doch Garcia winkte überraschend ab.

„Behalten Sie Platz, Peral.“ Er deutete auf den Engländer, der entweder schlief oder das Bewußtsein verloren hatte. „Wie ist sein Zustand?“

„Er hat viel Blut verloren. Außerdem steckt die Kugel im Knochen, ich kann sie nicht herausschneiden.“

„Wird er die Fahrt nach Spanien überleben?“

„Ich glaube es nicht, Capitán, aber Gottes Ratschluß ist unerforschlich. Außerdem weiß Killigrew wohl, daß der Henker auf ihn wartet.“

„Sie meinen, Peral, der Bastard will nicht weiterleben?“

„Das wäre sehr gut möglich, Capitán.“

Nachdenklich kaute César Garcia auf seiner Unterlippe. Was der Feldscher da sagte, klang gar nicht so unwahrscheinlich. Für el Lobo del Mar war es in der Tat das Beste, wenn der Sensenmann ihn an Bord der „Aguila“ holte. Aber nicht für ihn, Garcia, er wollte den Ruhm genießen, den Seewolf in Ketten nach Spanien gebracht zu haben.

„Ich verlange, daß Sie alles tun, was in Ihren Kräften steht, Señor Peral“, sagte der Kapitän. „Sie sind mir persönlich für das Wohlergehen dieses Mannes verantwortlich. Ich will, daß er auf seinen eigenen Beinen laufen kann, wenn er zum Richtplatz geführt wird.“

„Was ist mit unseren Verwundeten, Capitán? Sie werden momentan von Männern der Freiwache versorgt.“

„Das bleibt Ihre Angelegenheit, Peral. Treffen Sie eine Absprache mit dem Bootsmann. Auf jeden Fall verlange ich, daß der Seewolf keinen Augenblick lang unbewacht bleibt.“

„Wir haben den siebten Toten zu beklagen – er erlag heute nacht während des Sturms seinen Verletzungen. Santiago Ortiz war ein guter Vormann am Großmast. Ich werde veranlassen, daß seiner Witwe die Heuer ausgezahlt wird, als wäre er bis zum Ende der Fahrt dabeigewesen.

Bis auf vier Männer, zwei davon Soldaten, sind alle wieder dienstfähig. Die Verwundungen der anderen berechtigten nicht dazu, sie freizustellen.

Der Feldscher hat die Nacht bei Killigrew gewacht, dessen Wunde wieder aufgebrochen ist. Der Bastard hat hohes Fieber, doch Gonzalo Peral sagt, ihn jetzt zur Ader zu lassen, würde seinen Tod bedeuten.

Es ist unfaßbar, aber ich bete zur heiligen Jungfrau, daß Killigrew am Leben bleibt. Er soll seine Hinrichtung genießen können.“

Logbucheintragung des Kommandanten César Garcia vom 6. November 1598, acht Glasen der Morgenwache.

„Der Tag geht seinem Ende entgegen, ohne daß eine Wetterbesserung erkennbar wäre. Wieder mußten wir zwei Tote der See übergeben – der Sturm hat sie umgebracht. Bis wir Spanien erreichen, werden wohl noch viele solche Tage vergehen. Wir sind zum Kreuzen gezwungen, und wenn wir überhaupt nach Norden segeln, dann kaum mehr als dreißig Seemeilen am Tag.

Die Wunde des Seewolfs hat sich entzündet und beginnt zu eitern. Der Bastard verfügt über eine erstaunliche Kondition, obwohl er nur wenig Nahrung zu sich nimmt.

Gonzalo Peral will die Wunde mit dem Messer ausschneiden. Nur so, sagt er, kann er den Mann vor dem Wundbrand bewahren. Außerdem verlangt er ein halbes Pfund Schießpulver. Zumindest einen Teil davon will er auf die schwärenden Stellen streuen und entzünden. Er hat mir glaubhaft versichert, daß el Lobo diese Behandlung überstehen wird.“

Logbucheintragung vom 8. November, teilweise unleserlich und mit zittriger Hand geschrieben, was auf schwere See schließen läßt.

Endlich klarte es auf. Die Sonne brach durch die Wolken und vertrieb die letzten Regenschleier, die noch über der Kimm hingen.

An Steuerbord querab zeichnete sich die Küstenlinie Marokkos ab. Ein fahler, gebirgiger Streifen, der von Stunde zu Stunde deutlicher wurde. Capitán Garcia und sein Erster Offizier führten mehrere Peilungen durch und stellten fest, daß sie sich vor Agadir befanden. Demnach hatten sie erst ungefähr ein Drittel der Strecke nach Cádiz hinter sich gebracht.

Der Wind drehte weiterhin, wehte aber vorwiegend aus westlichen Richtungen. Garcia befahl, alles Zeug zu setzen, denn sie hatten schon genug Zeit verloren. Er wollte Spanien erreichen, solange der Seewolf noch lebte.

Der Zustand des Engländers stellte den Feldscher inzwischen vor Probleme. Er hatte tatsächlich mit dem Messer die Wunde ausgekratzt und anschließend die Blutung mit Schießpulver gestillt. Ein verkrusteter Verband zierte jetzt Killigrews Schulter.

Anfangs war das Fieber noch gestiegen, und der Bastard hatte sein Bettzeug mehrmals durchgeschwitzt, danach war das Glühen aus seinem Gesicht gewichen, und er hatte zu frösteln begonnen. Im Delirium redete er wirres Zeug, das niemand verstand.

„Er wähnt sich an Bord seines Piratenschiffs und kapert ahnungslose Kauffahrer“, sagte Garcia. „Lassen Sie ihn gewähren, Peral. Nur die Hoffnung auf reiche Beute kann den Lebenswillen eines solchen Halunken stärken.“

Den Tag und die folgende Nacht hindurch wehte der Wind konstant aus West. Unter vollen Segeln durchpflügte der Viermaster die See.

Gegen Mittag des folgenden Tages erreichte das Kriegsschiff die Höhe von Tanger. Garcia stand auf dem Achterdeck und suchte mit dem Spektiv die Küste ab. Mehrere Zweimaster und Fischerboote befanden sich auf der Straße von Gibraltar.

Trotz des strahlenden Sonnenscheins war es kalt. Der Capitán fröstelte, und er begann zu frieren, als plötzlich aufgeregte Stimmen laut wurden.

Ein Schiffsjunge erschien im Niedergang, hielt sich allerdings in respektvoller Entfernung. „Señor Capitán, bitte, schnell – der Engländer stirbt.“

Garcia stieß eine ellenlange Verwünschung aus. Er vergaß sogar, den Jungen wegen seiner schlaksigen Art, eine Meldung zu erstatten, zurechtzuweisen.

Der Feldscher stand vor der Koje des Engländers. Als der Kapitän in die Kammer stürmte, hob er mit einer hilflos wirkenden Geste die Arme.

„Er stirbt, Capitán.“

„Das sehe ich. Unternehmen Sie gefälligst etwas! Was ist mit Ihren Pulvern und Mixturen?“

„Ich habe alles versucht, Capitán, aber der Tod ist stärker als mein bescheidenes Wissen.“

„Unsinn.“ Garcia beugte sich über den Seewolf, der seine stattliche Erscheinung in den wenigen Tagen auf der „Aguila“ eingebüßt hatte und nur mehr aus Sehnen, Haut und Knochen zu bestehen schien. Tief lagen die Augen in ihren Höhlen, von blutunterlaufenen Rändern umgeben. Die Bartstoppeln auf der rissigen Haut verliehen dem Gesicht einen abstoßenden Eindruck. Schweiß perlte auf der Stirn.

Killigrew röchelte. Seine Lider flatterten, der Blick der trüben Augen huschte unstet umher, ohne die Kraft, an irgendeinem Punkt des Raumes zu verharren.

„Der Kerl braucht frische Luft“, sagte Garcia scharf. „Öffnen Sie das Fenster!“

„Er darf sich nicht erkälten. Seine Lunge würde das nicht aushalten.“

„Öffnen, sagte ich!“ Der Kapitän sprach lauter als beabsichtigt.

Killigrew zuckte zusammen und begann krampfartig zu husten. Gonzalo Peral zog die zur Galerie hinausführende Tür auf, ohne noch einmal zu widersprechen.

Garcia nahm das am Fußende der Koje liegende Tuch und tupfte dem Seewolf den Schweiß von der Stirn.

„Erkennst du mich?“ fragte er.

Der Engländer sah ihn an, aber sein Blick ging durch ihn hindurch und verlor sich in endloser Ferne. Wieder wurde der ausgemergelte Körper von einem blechernen Hustenanfall geschüttelt.

„Hat er die Schwindsucht?“

Der Feldscher schüttelte den Kopf. „Killigrew ißt fast nichts mehr.“

„Dann geben Sie ihm zu trinken, Sie Quacksalber.“ César Garcia stieß den Feldscher schroff zur Seite. Er wußte, wo er nach dem Rum zu suchen hatte, schenkte zwei Fingerbreiten in einen Becher und reichte diesen an Peral weiter. „Er soll trinken, soviel er will.“

Gonzalo Peral nickte stumm. Vorsichtig setzte er den Becher Killigrew an die Lippen. Zu seinem Erstaunen wurde der Engländer daraufhin ruhiger.

Ein verächtlicher Zug umspielte Garcias Mundwinkel.

„Rum weckt jeden Piraten auf“, sagte er. „Merken Sie sich das für die Zukunft!“

Er hatte das Schott noch nicht erreicht, da ließ ihn ein gequältes Stöhnen herumfahren.

Killigrew setzte sich jäh auf. Er entwickelte Kräfte, die ihm Peral nicht mehr zugetraut hätte.

„Kapitän“, keuchte der Seewolf, „ich verlange Genugtuung. Geben Sie mir einen Degen …“ Mitten im Satz sackte er vornüber.

„Helfen Sie ihm!“ brüllte Garcia den Feldscher an. „Na los, auf was warten Sie?“

Augenblicke später schüttelte Peral bedauernd den Kopf.

„Aus“, sagte er tonlos. „El Lobo ist jetzt bei seinesgleichen in der Hölle.“

„Geben Sie ihm noch einen Rum oder auch zwei. Aber, verdammt, lassen Sie ihn nicht sterben.“

„Killigrew ist tot, Capitán. Er hat es vorgezogen, spanischen Boden nicht zu betreten.“

Vorübergehend sah es so aus, als wolle sich César Garcia auf den Feldscher stürzen und ihn erwürgen, aber dann warf er sich herum und stürmte an Deck. Er hatte eine Mordswut im Leib – auf den Feldscher, auf den Kerl, der den Seewolf niedergeschossen hatte, und nicht zuletzt auf sich selbst.

Der Anblick der Reede von Cádiz vor der „Aguila“ trug nicht dazu bei, seine miserable Stimmung zu bessern. Eher im Gegenteil. El Lobo del Mar hatte sich für immer der spanischen Gerechtigkeit entzogen.

„Der Seewolf wurde heute auf dem Scheiterhaufen verbrannt und seine Asche in alle Winde verstreut. Es war leider kein berauschendes Schauspiel. Mehr Huren, Bettler und Strauchdiebe als anderes Volk hatten sich eingefunden, weil sie in der Menge auf leichte Beute hofften.

Mir steht die Ernennung zum Generalkapitän bevor, das wurde mir gegenüber jedenfalls angedeutet. Wahrscheinlich werden die entsprechenden Schriftstücke und meine neue Order an den Weihnachtstagen übergeben. Man munkelt, daß die generalüberholte ‚Aguila‘ zusammen mit einem kleinen Verband gut armierter Schiffe in die Karibik segeln soll, um dem dortigen Piratenunwesen ein Ende zu bereiten. Ich werde den Schlupfwinkel auf Tortuga ausräuchern und damit weitere Zeichen setzen. So wahr mir Gott helfe.“

Logbucheintragung vom 15. November 1598.

Seit einer Woche wurde an der „Aguila“ gearbeitet. Zimmerleute befreiten das Unterwasserschiff von Muscheln und Algenbewuchs und klopften es auf morsche Planken ab. Wo sie mit ihrer Arbeit fertig waren, begann das Kalfatern. Der Geruch von heißem Teer und Pech lag ständig in der Luft.

César Garcia beaufsichtigte die Arbeiten, als Don Alfonso de la Vega, ein Freund und langjähriger Handelspartner, vor der auf dem Trockenen liegenden Galeone erschien.

„César!“ Freudig breitete Don Alfonso die Arme aus. „Ich bin erst heute von einer längeren Fahrt zurückgekehrt. Die Jagd auf den Seewolf ist ja nun wohl beendet, aber ist das ein Grund, seine Freunde zu vergessen? Ich warte seit Wochen vergeblich auf die versprochene Ware.“

César Garcia kniff die Brauen zusammen und legte die Stirn in Falten. Wenn Don Alfonso Ware sagte, meinte er schwarze Sklaven.

„Sechzig Männer und Frauen habe ich dir geschickt“, sagte Garcia. „Mag sein, daß nur fünfzig eingetroffen sind, aber das ist bestimmt kein Grund für Vorhaltungen.“

Don Alfonso de la Vega zuckte mit den Schultern. „Bei mir wurde keine Ware angelandet.“

„Ungefähr vier Wochen ist es her. ‚Isabella‘ hieß die Galeone, der ich das schwarze Pack übergab, ein schlankes, eigenwillig gebautes Schiff, eigentlich nicht zu übersehen.“

„Nein“, sagte Don Alfonso.

„Dieser verfluchte Hund“, schnaubte Garcia. „Ich habe ihm von Anfang an mißtraut. Ich hätte es wissen müssen.“

Trotz der bitteren Nachricht, die der Verlust von fünfzig kräftigen Sklaven für ihn bedeutete, begann de la Vega zu grinsen.

„Wie ich dich kenne, wirst du die ‚Isabella‘ mit Mann und Maus versenken.“

Der Kapitän vollführte eine unwillige Handbewegung. „Ich werde mich an Don Julio de Vilches schadlos halten“, sagte er grollend.

De la Vegas Grinsen wurde noch eine Spur breiter.

„Köstlich“, sagte er. „Ein Sonderbeauftragter Seiner Majestät entführt unsere Sklaven. Am besten, wir vergessen die Angelegenheit, bevor wir uns die Finger verbrennen.“

„O nein.“ Garcia brauste prompt auf. „Ich denke nicht daran, vor de Vilches zu Kreuze zu kriechen.“

„Soviel ich weiß, ist der Sonderbeauftragte mit der ‚Casco de la Cruz‘ und geheimem Ziel in See gegangen.“

César Garcia hatte sich in Rage geredet. „Das geheime Ziel war ein Konvoi von Schatzschiffen aus der Neuen Welt. De Vilches führt sie nach Irland, aber frag mich nicht, warum, ich begreife es selbst nicht.“ Er hielt kurz inne. „Bist du sicher, daß er nur mit einem Schiff aufgebrochen ist?“

„Ich habe die ‚Casco de la Cruz‘ mit eigenen Augen gesehen. Ein verflucht schwer armierter Brocken, der sogar deiner ‚Aguila‘ einiges voraus hat.“

„Kennst du Don Julio persönlich?“

„Nein. Warum fragst du?“

„Weil da drei Schiffe waren, aber keins, auf das deine Beschreibung paßt.“

Don Alfonso de la Vega konnte nicht anders, er lachte, bis ihm Tränen in den Augen standen. Daß César Garcia jeden Augenblick vor Wut platzen könnte, störte ihn nicht im geringsten.

„Du glaubst doch nicht im Ernst, Schnapphähne hätten sich der Schatzschiffe bemächtigt?“ Don Alfonso lachte schon wieder. „Das – das ist köstlich. Ein ganzer Konvoi – nein, mein Lieber, das ist ausgeschlossen, und das solltest gerade du wissen.“

Garcia beherrschte sich nur noch mühsam. „Die Sache stinkt zum Himmel“, behauptete er und dachte dabei an Don Ricardo de Mauro y Avila, den Generalkapitän des Konvois. Sie waren als Nachbarskinder aufgewachsen. Während ihrer kurzen Begegnung auf See hatte Don Ricardo seine Zweifel an der Richtigkeit des königlichen Befehls geäußert, die Schatzschiffe nach Irland zu segeln. Aber es waren eben schwere Zeiten.

„… niemand weiß etwas, sogar die Admiralität hüllt sich in Schweigen. Dabei handelt es sich nicht um einen Holzfrachter, dem keiner eine Träne nachweinen würde, sondern um sage und schreibe zehn Schatzgaleonen aus der Neuen Welt, beladen mit Gold und Silber in unschätzbarem Wert. Don Ricardo würde niemals etwas billigen, was den Interessen Spaniens zuwiderläuft, davon bin ich überzeugt, aber mir gibt das Verschwinden der Sklaven zu denken. Wohin wurden sie gebracht, wo finde ich die ‚Isabella‘ – und vor allem: Wie ist es möglich, daß aus einer Kriegsgaleone jene drei seltsamen Schiffe wurden, die den Konvoi begleiteten? Wenn ich sie nicht mit eigenen Augen gesehen hätte!“

Auszug aus einer Logbucheintragung vom 23. November 1598.

„Endlich! Admiral Mendez hat heute meine Fragen beantwortet. Ausschlaggebend war die Nachricht, die in den Mittagsstunden Cádiz erreichte: Die ‚Casco de la Cruz‘ unter dem Kommando von Julio de Vilches wurde vor Mauretanien versenkt – von der Mannschaft eines Schiffes, bei dem es sich der Beschreibung nach nur um die ‚Isabella‘ gehandelt haben kann.

Noch habe ich Mühe, die Zusammenhänge zu verstehen. Meine Sklaven stammten aus Mauretanien – kann jemand so verrückt sein, ihnen die Freiheit wiederzugeben? Aber warum sonst hätte die ‚Isabella‘ den Konvoi verlassen und so weit nach Süden segeln sollen?

Und die ‚Casco de la Cruz‘? Admiral Mendez gibt endlich zu, daß Don Julio de Vilches mit seiner Kriegsgaleone Befehl hatte, vor Santa Cruz de Tenerife den Geleitzug aus ursprünglich elf Schatzschiffen in Empfang zu nehmen. Das Ziel war allerdings nur Don Julio bekannt.

Die Überlebenden der ‚Casco de la Cruz‘ werden von der Admiralität seit ihrem Eintreffen in Cádiz getrennten Verhören unterzogen. Ihre Aussagen scheinen alle auf das gleiche hinauszulaufen. Demnach wurde Don Julio von Beauftragten des Generalkapitäns um Hilfe ersucht, da der Konvoi angeblich angeschlagen und wegen widriger Winde zu den Kapverden getrieben worden sei.

Noch etwas habe ich erfahren: Don Julio de Vilches war ein baumlanger, dürrer alter Mann mit grauen Haaren, magerem Gesicht und unzähligen Falten. Der Mann, den ich als Don Julio kennenlernte, war zwar ebenfalls ein Riese, aber breitschultrig und kräftig, er hatte schwarzes Haar und eisblaue Augen und ist wohl im besten Mannesalter.

Um Klarheit zu erhalten, hat Admiral Mendez einen berittenen Boten zum Hof König Philipp III. gesandt. Wir werden hoffentlich bald erfahren, in welchen Hafen die Schatzschiffe befohlen wurden.“

Logbucheintragung vom 29. November 1598.

Seewölfe Paket 34

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