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Lebensläufe buddhistischer Erwachter

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Um diese Übertragungslinien für uns lebendig werden zu lassen, ist es hilfreich, einzelne, außergewöhnliche Menschen aus diesen Linien oder Begründer neuer Äste und Zweige dieses großen Baumes kennenzulernen. In vielen asiatischen Traditionen ist dies ein wichtiger Aspekt der Belehrungen: Biografisches dieser Meister und Meisterinnen wird vermittelt, Geschichten über sie werden erzählt und markante Zitate vorgetragen. Diese Erzählungen und Legenden sind dabei auch stets ein Anlass, Dharma-Belehrungen darin einzuflechten. Genau dies ist auch mein Bestreben in diesem Buch.

Anders als in unserer westlichen Kultur, in der man von Biografien erwartet, dass sie spannend, persönlich und möglichst intim sind, enthalten diese Geschichten meist wenig genaue Lebensdaten oder Charakterschilderungen. Es sind vielmehr Legenden, die in ihrer archetypischen Darstellung auf unseren Geist, unser Herz und unsere Praxis bis hinein in unseren Alltag wirken, indem sie uns durch symbolische und urbildliche Begebenheiten berühren.4 Sind wir bereit, uns diesen Geschichten zu öffnen, können wir daraus großen Nutzen ziehen.

Auch wenn die meisten von uns nicht in Höhlen leben oder einen Großteil ihres Lebens im Kloster verbringen – die Leid schaffenden Emotionen wie Hass, Begehren oder Verblendung und die daraus entstehenden Probleme (Frustration, Einsamkeit, Suchtverhalten, Stress, Ängste, Sorgen, Depression) sind die Gleichen geblieben. Und auch der Weg, der aus diesem Leiden heraus zu Freiheit, Freude und Gelassenheit führt, ist heute genauso begehbar wie in alten Zeiten.

Die Menschen, deren Leben hier erzählt wird, kommen aus dem indischen, südostasiatischen und tibetischen buddhistischen Kulturkreis. Obwohl die meisten von ihnen in fernen Zeiten lebten, obwohl sie manchmal durch die Lüfte fliegen oder Dämonen begegnen, sind sie in ihrem Menschsein nicht so sehr anders als wir, im Gegenteil: Vieles verbindet uns mit ihnen. In diesem Sinne habe ich diese Sammlung außergewöhnlicher Lebensläufe, Geschichten und Zitate – eine Auslese aus der Fülle der überlieferten Legenden – zusammengestellt.

Diese Menschen können Vorbild für uns sein:

Wir begegnen Siddhartha Gautama, wie er mutig und unbeirrt auf seinem Weg zum vollständigen Erwachen voranschreitet und weise und mitfühlend in den darauffolgenden Jahrzehnten seines Lebens agiert. Wir lernen die Hauptschüler des Buddha kennen: Sariputta, den gelehrten Weisen, und Mogallana, den tiefgründigen Mystiker. Wir begegnen Mahakassapa, dem strengen Asketen, und Ananda, dem liebenswürdigen und selbstlosen Diener Buddhas. Wir vernehmen von Pajapati, der mutigen und entschlossenen Anführerin der Frauen, die Nonnen werden wollen, von Khema, der schönen Weisen, und wir hören, wie Uppalavanna, die Erniedrigte, und Ambapali, die Kurtisane, vollständige Befreiung erlangen. Wir erfahren von den gelehrten Meistern des großen Mitgefühls: Asanga, Shantideva und Atisha. Wir begegnen Mandarava und Yeshe Tsogyal, den faszinierenden Prinzessinnen-Dakinis5, und der kühnen, furchtlosen Ma-chig Labdrön. Wir können uns inspirieren lassen von der Radikalität, mit der Meister wie Patrul Rinpoche oder Ajahn Mun die Praxis in ihr Leben umsetzen. Und wir hören von Je Tsongkhapa, dem einflussreichen Gelehrten und Erneuerer, und von dem hochgebildeten Geshe Rabten, dem weisen Mönch und gütigen Vater. Und wir begegnen dem indischen Meister Munindra, welcher die Erkenntnis-Meditation den Menschen aus dem Westen nahe bringt.

Doch was ist es, das diese Menschen bewegte, aus ihrem gewohnten, nicht selten wohlbehüteten Alltag auszubrechen, auf allen Komfort zu verzichten und außergewöhnliche Risiken und Herausforderungen auf sich zu nehmen? Es ist die drängende Frage nach dem Sinn dieses Daseins, eines vergänglichen, oftmals ungerechten, oft auch leidvollen Lebens. Und es ist – viel mehr noch – die tiefe Ahnung, dass eine ganz andere Art von Sein möglich ist: ein Leben in innerer Verbundenheit, in Freiheit und Glück. Ein Leben, wie es jedem und jeder von uns, ohne Ausnahme, möglich ist, das aber erst verwirklicht oder wiederentdeckt werden muss.

Warum aber habe ich Lebensläufe aus so vielen verschiedenen Traditionen gewählt? Geht es in dieser spirituellen Praxis denn nicht darum, Vertrauen in die eigene Übertragungslinie, die Quelle des eigenen Weges zu kultivieren? Studiert man ausschließlich die eigene Tradition, besteht eine Gefahr, die vielen meist noch nicht einmal bewusst ist: Die anderen Übertragungslinien und Traditionen werden nicht selten als weniger gut, oft auch als minderwertig oder gar irrig angesehen. Damit entsteht die leider auch im Buddhismus verbreitete Neigung zum Sektierertum. Durch die Auswahl an Lebensgeschichten und Legenden aus verschiedenen buddhistischen Traditionen möchte ich dieser bedauernswerten Tendenz etwas entgegenwirken. Allerdings enthält dieses Buch keine Geschichten aus dem Kulturkreis Ostasiens, was nicht an meiner mangelnden Wertschätzung liegt, sondern an meinen beschränkten Kenntnissen von diesen Traditionen. Das biographische Material, das uns aus den ersten zwei Jahrtausenden buddhistischer Geschichte zur Verfügung steht, ist oft recht spärlich. Ich wollte aber Menschen – Männer wie Frauen – aus den verschiedenen Epochen des Buddhismus vorstellen, um deutlich zu machen, auf welch reiches Erbe wir heute zurückblicken können: auf eine lange Kette von Menschen, die den Dharma (die Lehre) durch ihre eigene Praxis zum Leben erweckt und weitervermittelt haben.

Buddhas Tausend Gesichter

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