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Der Weg der Erkenntnis: Vollständiges Erwachen, tiefster Frieden

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Prinz Siddhartha nimmt nun wieder Nahrung zu sich und gelangt zu Kräften. Er setzt sich am Ufer des Niranjana-Flusses, in der Gegend des heutigen Bodhgaya, unter einen großen Baum und beschließt, nicht eher von seinem Sitz aufzustehen, bis er das Dasein in seiner ganzen Tiefe verstanden hat.

In tiefste Meditation versunken erkennt er den Kreislauf von Geburt, Tod und Leiden, den die Lebewesen endlos durchlaufen – von Verlangen getrieben, durch Anhaften gefesselt. Er durchschaut den Prozess des abhängigen Entstehens dieses vergänglichen Daseins und erkennt die Möglichkeit tiefster Befreiung durch das endgültige Versiegen des Durstes nach Existenz, durch die Erkenntnis des Unerschaffenen, Todlosen – Nirvana.

Es ist in dieser Nacht, dass Mara seinen Großangriff startet. Mara ist der mächtige Gott des »Bösen«, des Unheilsamen und Leidschaffenden, die Verkörperung aller schwierigen Energien und Kräfte des Herzens, der Täuschung, der Begierde, des Hasses. In traditionellen Bildern werden Maras Eigenschaften als Dämonen, als scheußliche Kreaturen, als Wilde personifiziert, die mit Speeren, Bogen und Kriegsbeilen auf den zukünftigen Buddha losstürmen, wobei dieser furchtlos inmitten aller Angriffe dasitzt – offen, gelassen, in innerer Balance.

Doch schickt Mara auch seine verführerischsten Kräfte in die Schlacht: Gier, Verlangen, Anhaften an Vergnügen, an Sinneslust, an Erfolg und Ehre, Festhalten an all dem, was wir meinen, unbedingt zu brauchen. Aber des zukünftigen Buddhas Haltung bleibt die gleiche: Anstatt sich mit den Verlockungen zu identifizieren, sich darin zu verlieren, ruht er in unerschütterlicher Offenheit und innerer Balance.

Als letzte Waffe setzt Mara den Zweifel ein. Er zweifelt das Recht des zukünftigen Buddha an, den Platz des Erwachens einzunehmen. Er zweifelt sein Recht auf innere Freiheit, auf vollständiges Erwachen an. Manche Statuen zeigen den Buddha, wie er mit der rechten Hand die Erde berührt. Damit ruft er die Göttin Erde als Zeugin dafür an, dass er in Hunderten vergangener Leben die heilsamen Qualitäten seines Geistes und Herzens zur Vollkommenheit entwickelt hat und ihm damit das Recht zusteht, den Platz des Erwachens einzunehmen. Es heißt, die Göttin Erde habe hundertfach und tausendfach gebebt, um das Recht des Buddha zu bestätigen.

Vielen ist sicher die Darstellung des zukünftigen Buddha bekannt, wie er voller Ruhe, Gelassenheit und Würde unter dem Baum sitzt, umtobt von Maras Armeen. Dabei verwandeln sich all die Speere, Pfeile und Keulen – Symbole der inneren negativen Emotionen und Aggressionen – in Blumen. Der Buddha sitzt in tiefstem Frieden, und Blumenblätter fallen. Dies ist ein weiterer wichtiger Hinweis: Es ist die Haltung des wachen Offenseins, des weisen Annehmens, der liebevollen Güte (metta/maitri), die all diese Dämonen, all diese unheilsamen Kräfte in Blumen, in die Qualität liebevoller Gelassenheit umwandelt.

Und eben diese innere Haltung ist es, die wir in der Meditation üben; wir üben, gegenwärtig zu sein, in einer Haltung der Offenheit, des Willkommenheißens. Diese wache, liebevolle Zuwendung, diese liebevolle Güte, bringen wir für das auf, was sich in unserem Innern zeigt, aber natürlich wirkt sie gleichermaßen auch nach außen. Begegnen wir unseren Mitmenschen mit einer solchen Haltung, fühlen sie sich respektiert und geliebt. Eine Atmosphäre der Furchtlosigkeit, des rücksichtsvollen, wertschätzenden und verantwortlichen Seins und Handelns entsteht.

In einer solchen Haltung sitzt auch Prinz Siddhartha unter dem Baum, in unerschütterlicher, liebevoller Gelassenheit, wie es heißt, und erlangt in dem Moment, in dem der Morgenstern über dem Horizont aufsteigt, vollständiges Erwachen. Er hat die endgültige und tiefst mögliche Offenheit, Klarheit und Ganzheit erreicht. Er ist frei von Verlangen, von der treibenden Kraft der Gier, frei von Hass und Täuschung, frei vom Nichtverstehen der Wirklichkeit. Tiefer, grenzenloser Frieden ist es, den er gefunden hat.

Genau hier liegt die überragende Bedeutung des Buddha für uns heute, die Aktualität seiner Lehre. Der Buddha erkennt die Möglichkeiten des menschlichen Herzens und Geistes. Er vertröstet nicht auf ein beglückendes Jenseits, sondern setzt sich direkt mit dem eigenen Geist in dieser Welt – hier und jetzt – auseinander. Er findet eine Lösung für das menschliche Dilemma, das Problem des Leidens, eine Lösung, die von jedem Menschen – jederzeit – anwendbar ist. Sein Leben lässt keinen Zweifel daran, was uns Menschen tatsächlich möglich ist. Aber es lässt auch keinen Zweifel daran, wie viel es dazu braucht: Es wird nämlich nichts weniger als alles von uns gefordert. Wir sollten diesen befreiten, vollkommenen Menschen nicht so sehr als ein Ideal betrachten, an dem wir uns messen müssten, sondern als Inspiration, sich mit aller Entschlossenheit und aus ganzem Herzen der Praxis zuzuwenden, um in Richtung innere Freiheit und Verbundenheit zu gehen.

Buddhas Tausend Gesichter

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