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Siddhartha Gautama, der Erwachte Meine Befreiung ist unerschütterlich.8 (BUDDHA) Die Tatsachen des Lebens

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Siddhartha Gautama wächst in Kapilavatthu, der Hauptstadt der Sakya, im Palast seines Vaters, des Königs Suddhodana, heran. Weil ein Astrologe prophezeit hat, der Prinz werde entweder ein Herrscher oder ein Heiliger werden, tut der König alles, um letzteres zu verhindern. Er umgibt seinen Sohn mit Luxus und Komfort und allen nur erdenklichen materiellen Dingen, lässt ihn in Sicherheit und Annehmlichkeit aufwachsen. Er will alles tun, um seinem Sohn eine unbeschwerte Kindheit und Jugend zuteil werden zu lassen und das bedeutet auch, dass er ihn um jeden Preis davor bewahren will, den harten Tatsachen des Lebens ins Auge sehen zu müssen – sich also mit Vergänglichkeit, Alter und Tod auseinandersetzen zu müssen. So lebt Prinz Siddhartha beschützt und umhegt, beschränkt auf ein Leben hinter den Mauern des Palastes, ohne von den Härten des Lebens berührt und herausgefordert zu werden.

Viele Parallelen lassen sich hier zu unserem eigenen Leben finden. Unter einer behüteten Kindheit wird vielfach verstanden, Kindern auf jeden Fall die Begegnung mit Leidvollem zu ersparen. Doch auch als Erwachsene leben wir in dieser Gesellschaft wie unter einer Glasglocke: Wir leben in Sicherheit, meist recht komfortabel und haben mehr als genug von dem, was wir brauchen. Gleichzeitig wird das Leiden ausgegrenzt und verdeckt. Geistig Behinderte und psychisch Kranke werden in psychiatrischen Kliniken und Heimen untergebracht. Obdachlose werden vielfach von bestimmten öffentlichen Plätzen und aus den städtischen Zentren vertrieben. Alte, gebrechliche Menschen leben einsam in ihren Wohnungen, versorgt von ambulanten Pflegediensten, oder in zum Teil sehr abgelegenen Alters- oder Pflegeheimen. Die Toten werden schnell wegtransportiert, in eine spezielle Umgebung, wo sie zurechtgemacht und geschminkt werden, als ginge es zu einer Party. Ich war zwanzig, als ich zum ersten Mal einen toten Menschen sah; es war meine Großmutter, die man im Sarg, hinter einer Glaswand, aufgebahrt hatte. Das war damals für mich die einzige Gelegenheit, dem Tod ins Auge zu blicken. Wir grenzen den Tod und möglichst alles Leidvolle aus, verdrängen diese Tatsachen des Lebens und tun am liebsten so, als gäbe es das alles nicht.

Prinz Siddhartha findet eine ähnliche Situation vor, doch gibt er sich damit nicht zufrieden. Er will wissen, wie das Leben wirklich ist, was Täuschung ist und was Wirklichkeit – und ob diesem unerklärlichen Dasein nicht doch ein tieferer Sinn innewohnt. Ähnlich geht es auch manchen von uns: Irgendwie reicht uns der materielle Wohlstand nicht, auch nicht die Sicherheit und das Behütetsein. Wir wollen mehr über das Dasein wissen, wir wollen das Leben, wollen uns selbst tiefer verstehen.

Prinz Siddhartha will die Welt, die Wirklichkeit, sehen und erkunden und das Gefängnis des Palastes verlassen. Schließlich ist sein Vater dazu bereit, dies zuzulassen, und eine Rundfahrt durch die Stadt wird für den Prinzen organisiert. Der König befiehlt jedoch, dass zuerst die Häuser neu gestrichen und die Straßen gereinigt werden sollten. Vor allem aber müssten alle Alten und Kranken aus dem Stadtbild entfernt werden. Es soll also eine Szenerie geschaffen werden, die unserer Lebenswirklichkeit nicht unähnlich ist. Als der Prinz dann in seiner Kutsche durch die hübsch hergerichtete Stadt fährt, hat er aber vier Begegnungen mit für ihn aufrüttelnden Botschaften und klaren Hinweise, dass es im Leben mehr zu erforschen gibt, als das, was man isst und trinkt und wie man sein Geld mehrt und sich vergnügt.

Bei der ersten Rundfahrt begegnet Prinz Siddhartha einem kranken Menschen; er sieht ein leidendes und gequältes Wesen, das unter großen Schmerzen leidet. Auf seine Frage: »Was ist denn das?«, sagt Chanda, sein Freund und Kutscher: »Dies ist ein kranker Mensch.« Auf Siddharthas Drängen erklärt er weiter: »Krankheit ist etwas, das uns allen widerfährt. Es liegt in der Natur des Körpers, dass er krank wird und dass er Schmerz und Leiden erfährt.« Dies berührt den Prinzen sehr.

Auf seiner zweiten Ausfahrt begegnet er einem alten, gebrechlichen Menschen, der gebeugt und kraftlos seines Weges geht. Auch dieser Anblick verstört den Prinzen, und sein Freund erklärt ihm: »Das ist ein Mensch, der alt geworden ist, dessen Sinne ihre Kraft verloren haben, dessen Energie versiegt und dessen Körper schwach geworden ist und zerfällt. Jedem von uns wird es genauso ergehen.«

Bei seiner dritten Rundfahrt durch die Stadt sieht Siddhartha einen Leichnam. Auch einen Toten hat er noch nie zuvor gesehen. Auf seine Frage erklärt ihm Chanda: »Das ist ein Toter. Jeder von uns wird ohne Ausnahme sterben.« In Indien werden die Toten von ihren Verwandten auf der Bahre durch die Straße getragen. Dabei singen und rezitieren sie laut den Namen Gottes. Und jedermann sieht: Da ist wieder jemand gestorben. Auch bei uns wird gestorben. Aber dies geschieht mehrheitlich im Verborgenen. Und so können wir uns vor der Auseinandersetzung mit dieser Wirklichkeit des Lebens immer wieder herumdrücken, spüren aber vielleicht zumindest unterschwellig oft ein Gefühl der Unruhe und Angst, die uns darauf verweist, dass es da etwas gibt, was wir uns nicht anschauen mögen, was aber dadurch nicht einfach verschwindet.

Obschon man den Prinzen im Palast von den harten Tatsachen des Lebens abgeschirmt hat, wird er wohl schon eine Ahnung davon gehabt haben, dass es über diese Lebenswirklichkeit hinaus noch etwas anderes gibt – das ausgesperrte Leidvolle. Aber es hat der Konfrontation, der aktiven Auseinandersetzung mit diesen Gegebenheiten des Daseins bedurft; sie sind die Voraussetzung dafür gewesen, dass er dann zu wirklichkeitsnaher Klarheit und Verbundenheit zu gelangen vermag und die innere Haltung des Verdrängens und der Entfremdung ernsthaft verändern kann.

Ein viertes Mal macht der Prinz eine Fahrt durch die Stadt und er sieht einen Asketen, einen Wandermönch, der große Ruhe, Gelassenheit und Heiterkeit ausstrahlt. Auf Siddharthas Nachfrage hin erklärt ihm Chanda: »Dies ist ein Mönch, einer, der aus der Gesellschaft ausgestiegen ist, um den Weg des Heils zu gehen, um das eigene Herz zu befreien.« Da beginnt der Prinz zu verstehen, dass es Menschen gibt, die sich ernsthaft den Fragen des Lebens stellen; Menschen, die wirklich suchen: nach einem Weg zur Erkenntnis, nach einem Weg zu mehr Verbundenheit und Ganzheit. Und diese Erfahrung wirkt so nachhaltig auf ihn, dass er beschließt, den Palast zu verlassen und ein Leben als Suchender zu beginnen. So zieht er in die Hauslosigkeit, um als Asket und Bettelmönch lebend nach einem tieferen Sinn des Lebens, nach einem Weg zur inneren Befreiung zu suchen. Dies ist ein erster, tiefgreifender Bruch mit den Gewohnheiten und Werten seines bisherigen Lebens.

Auch hier lassen sich Parallelen zu unserem Leben finden. In den meisten Fällen mag unsere Entscheidung nicht gar so radikal aussehen wie die von Siddhartha Gautama. Nur wenige entschließen sich, alles aufzugeben, vielleicht nach Asien zu gehen, sich den Kopf kahl zu scheren, strenge Regeln auf sich zu nehmen und in einem Kloster oder Ashram zu leben.

Eher ist es vielfach so, dass wir uns innerlich neu zu orientieren und uns von Belanglosem zu lösen beginnen. Vielleicht beschließen wir, unseren Geist zu erforschen und besuchen ein Meditationszentrum, eine Stätte der Einkehr, ein Kloster auf Zeit. Wir suchen Stille, Klarheit. Wir möchten unseren Geist, unser Herz erforschen. Wir sind auch bereit, einiges loszulassen an Komfort und lieben Gewohnheiten. Diese Art des Innehaltens, der Abkehr von der Welt ist nötig, um sich selbst begegnen zu können. Obschon dies oft nicht leicht fällt und wir versucht sein mögen, noch ein bisschen Außenwelt ins Retreat hinüberzuretten, gilt doch: Retreat heißt Rückzug. Rückzug aus der Geschäftigkeit, aus der endlosen Zerstreuung durch die zahllosen, scheinbar notwendigen und doch unnötigen Dinge des Lebens, Rückzug auf das Wesentliche. Auch hier ist der zukünftige Buddha ein großes Beispiel für uns. Stellen wir uns vor, er wäre in die Hauslosigkeit gezogen, hätte aber seine Diener mitgenommen, seine Kutsche für unterwegs und Geld, um sich Dinge kaufen zu können. Wir wären wohl etwas weniger beeindruckt und inspiriert von seinem Lebensweg. Wie schwer fällt es dagegen heute manchen von uns, während eines Retreats auch nur auf das Mobiltelefon zu verzichten.

Buddhas Tausend Gesichter

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