Читать книгу Monsieur Violet's Reisen und Abenteuer in Californien, Sonora und dem Westen von Texas - Фредерик Марриет - Страница 4
Erstes Kapitel.
ОглавлениеDie Revolution von 1830, welche Carl den Zehnten des französischen Thrones beraubte und so viele andere grosse plötzliche Veränderungen herbeiführte, wurde für Viele verderblich, namentlich aber für manche alte Familien, welche dem Hofe zugethan waren und den verbannten Monarchen in seinem Unglücke nicht verlassen wollten. Unter den Wenigen, welchen es gestattet war, Carl des Zehnten Geschick persönlich zu theilen, befand sich mein Vater, ein edler Burgunder, der schon in einer früheren Verbannungsperiode der königlichen Familie von seiner unwandelbaren Treue und Anhänglichkeit an die legitimen Eigenthümer der Krone von Frankreich Beweise abgelegt hatte.
Als der unglückliche König in dem alten Residenzschlosse von Holyrood eine Zuflucht gefunden hatte, sagte mein Vater der Heimath für immer Lebewohl, schloss sich mit mir, seinem einzigen, erst neunjährigen Sohne, dem Gefolge des Monarchen an und liess sich in Edinburg nieder.
Wir weilten nicht lange in Schottland. Carl der Zehnte entschloss sich, seinen Aufenthalt in Prag zu nehmen. Mein Vater reiste voraus, um die nöthigen Vorkehrungen zu treffen, und sobald sich sein Gebieter in der alten Königsstadt niedergelassen hatte, suchte er seinen Schmerz auf Reisen zu vergessen. Trotz meiner Jugend war ich sein Begleiter. Im Laufe von drei Jahren besuchten wir Italien, Sicilien, Griechenland, die Türkei, Aegypten und das heilige Land, worauf wir nach Italien zurückkehrten und ich als zwölfjähriger Knabe dem Erziehungsinstitute der Propaganda zu Rom übergeben wurde.
Für einen Verbannten, der mit glühender Liebe an seinem Vaterlande hängt, gibt es keine Ruhe. Von dem theuren Frankreich ausgeschlossen, konnte mein Vater nirgends einen Ort finden, der ihn seinen Kummer vergessen liess, und er blieb so rastlos und unglücklich, als nur je.
Kurz nach meiner Aufnahme in die Propaganda traf er mit einem alten Jugendfreunde zusammen, den er seit einer Reihe von Jahren nicht mehr gesehen hatte: einst waren beide froh und glücklich gewesen, auf ihrem gegenwärtigen Geschicke lasteten jedoch in gleicher Weise Leiden und Ruhelosigkeit. Dieser Freund war der italienische Fürst Seravalle, den ein nicht minder bitterer Kelch zu Theil geworden. Als Jüngling hatte er tief den moralischen und physischen Zerfall seines Vaterlandes gefühlt und einen Streich zu führen versucht, um es wieder zu seinem früheren Glanze zu erheben. Er trat an die Spitze einer Verschwörung, verwandte einen grossen Theil seiner Reichthümer auf die Verfolgung seines Zieles, wurde von seinen Bundesbrüdern verrathen und fand ein vieljähriges Gefängniss in dem Schlosse San Angelo.
Wie lange seine Gefangenschaft währte, weiss ich nicht anzugeben; wahrscheinlich war sie aber von sehr langer Dauer, denn wenn er in späteren Zeiten hin und wieder von seinem früheren Leben sprach, so bezog er alle Ereignisse auf die Jahre „während welcher er in seinem Kerker oder in dem Hofgefängnisse des Capitols sass,“ auf dem viele seiner Vorfahren ganzen Nationen Gesetze vorgeschrieben hatten.
Endlich wurde der Fürst wieder in Freiheit gesetzt, aber die Gefangenschaft hatte keine Aenderung in seinen Gesinnungen oder Gefühlen hervorgebracht. Seine Liebe zum Vaterlande und der Wunsch einer Wiedergeburt desselben waren noch so kräftig, als je; er trat daher bald an die Spitze der Carbonaris, einer Verbindung, welche in späteren Jahren durch die Beharrlichkeit und die Leiden eines Maroncelli, eines Silvio Pellico und vieler Anderer berühmt geworden ist.
Er wurde abermals entdeckt und festgenommen, diesmal aber nicht dem Gefängnisse überantwortet. Die Regierung fühlte sich zu schwach, und die bekannten freisinnigen Ansichten des Fürsten hatten ihn bei den Trasteverini oder den Bewohnern der nördlich von der Tiber gelegenen Gegenden so beliebt gemacht, dass schon aus Politik weder Gefängnissstrafe noch Todesurtheil erkannt werden konnte. Soviel ich mich erinnere, wurde er auf zehn Jahre verbannt.
Während dieses langen Exils wandelte der Fürst Seravalle über verschiedene Theile des Erdballs und kam endlich nach Mexico. Er verweilte in Verakruz und reiste dann in’s Innere, um die Trümmer der alten Städte in der westlichen Welt zu untersuchen. Von dem Durste nach Wissen und der Liebe zu Abenteuern getrieben, erreichte er endlich die Westküste von Amerika, zog durch Californien und traf endlich auf die Shoshonen oder Schlangenindianer, deren grosses Gebiet sich von dem stillen Weltmeere an bis fast an den Fuss der Rocky Mountains erstreckt. Die Lebensweise und der angeborene Adel dieser Indianerstämme gefielen ihm so sehr, dass er geraume Zeit unter ihnen verweilte und sich zuletzt entschloss, nach Ablauf seiner Verbannung zwar wieder in die Heimath zurückzukehren, ohne sich jedoch in jenem undankbaren Lande niederlassen zu wollen; denn er hatte bloss die Absicht, sein Vermögen zu holen und es zu Nutz und Frommen den Shoshonen zu verwenden. Vielleicht veranlasste den Fürsten Seravalle noch ein anderes gewaltigeres Gefühl, wieder zu den Indianern zurückzukehren, unter denen er so lange gelebt hatte — ich meine den Zauber, welcher ein naturgemässes Leben besonders dann dem Manne der Civilisation bietet, wenn er entdeckt hat, wie hohl und herzlos wir durch die sogenannte Bildung werden.
Kein einziger Indianer, der an einer Schule und unter den üppigen Freuden einer Stadt erzogen wurde, hat je gewünscht, unter den Blassgesichtern seine bleibende Wohnstätte zu nehmen, während im Gegentheile viele Tausende von Weissen, von der höchsten bis zu der niedersten Civilisationsstufe, das Leben unter den Wilden lieb gewannen, unter ihnen weilten und in ihrem Kreise starben, obgleich sie vielleicht hätten Schätze sammeln und wieder in ihre Heimath zurückkehren können.
Dies mag sonderbar erscheinen, ist aber dennoch wahr. Jeder einsichtsvolle Reisende, der einige Wochen in den Wigwams gutmüthiger Indianer zubrachte, wird zugeben, dass er sich sogar während dieses kurzen Aufenthaltes ungemein angezogen fühlte. Wie mag es erst denen ergehen, die Jahre lang unter den Indianern gelebt haben?
Kurz nachdem der Fürst in Italien angelangt war, um seine wohlwollenden Absichten zur Ausführung zu bringen, erneuerte er mit meinem Vater die alte Freundschaft — eine Freundschaft, in früher Jugend geschlossen und so kräftig, dass sie nicht einmal durch ihre entgegengesetzten politischen Ansichten geschwächt werden konnte. Der Fürst befand sich damals zu Leghorn; er hatte ein Schiff gekauft und es mit Ackerbaugeräthen und unterschiedlichen Werkzeugen für häusliche Künste beladen; desgleichen nahm er einige alte Kanonen, eine grosse Anzahl Lütticher Karabiner, Schiesspulver und so weiter, Materialien für Erbauung eines guten Hauses und einige Artikel zur Zierde an Bord. Um diesen ausserordentlichen Aufwand zu bestreiten, hatte er alle seine grossen Besitzungen veräussert. Ausserdem warb er noch Maurer, Schmiede und Zimmerleute an und nahm auch einige seiner früheren Pächter mit sich, die sich gut auf die Kultur des Oelbaumes und des Weines verstanden.
Er war fast ganz zum Aufbruche vorbereitet, als er im Herbst 1833 mit meinem Vater zusammentraf, ihm seine Erlebnisse und künftigen Plane mittheilte und ihn fragte, ob er ihn nicht begleiten wolle. Mein Vater, den als blasé au fond die ganze Welt anwiderte, kam dem Fürsten auf mehr als halbem Wege entgegen.
Unsere Güter in Frankreich waren zur Zeit der Revolution unter grossen Opfern veräussert worden, und so bestand meines Vaters gegenwärtige Habe nur aus Geld und Juwelen. Er beschloss, Alles zu wagen und sich mit dem Fürsten in jenem fernen Lande niederzulassen. Die Ladung, wie auch die Theilnehmer an der Expedition erhielten demnach eine entsprechende Erweiterung.
Der Fürst hatte bereits zwei Priester vermocht, ihn in der Eigenschaft von Missionären zu begleiten. Mein Vater, dem meine Erziehung sehr am Herzen lag, versah sich mit einer grossen Bibliothek und zahlte dem Prior eines Dominikanerklosters eine grosse Summe, dass er einem weiteren würdigen Ordensmanne, der sich gut für die Leitung meiner Erziehung eignete, mitzugehen erlaubte. Zwei von den drei Religiösen, welche an unserer Expedition Theil nahmen, hatten bereits grosse Reisen gemacht und das Zeichen des Kreuzes östlich vom Ganges im Reiche der Birmanen und in Thibet aufgepflanzt.
Um alle Schwierigkeiten zu umgehen, die vielleicht von der Regierung erhoben worden wären, hatte sich Fürst Seravalle der Vorsicht bedient, das Ziel seiner Reise als Guatemala zu bezeichnen, und die Bewohner von Leghorn glaubten seiner Angabe. Guatemala und Acapulco lagen jedoch weit südlich, als wir an dem Orte unserer Bestimmung anlangten.
Endlich war Alles vorbereitet. Mein Vater berief mich von der Propaganda ab — man schiffte zuletzt noch die Rebstöcke und so weiter ein und die Esmeralda trat ihre langweilige, keineswegs sichere Fahrt an.